Geschrieben am 2. November 2016 von für Musikmag

Leonard Cohen: You Want It Darker

cohenSchöner sterben?

Das einzig wirklich Ärgerliche am Nobelpreis für Bob Dylan ist, dass ihn Leonard Cohen jetzt nicht mehr bekommen wird. Naja, aber damit ist er nun auch wieder in allerbester Gesellschaft ….

Man hatte ja schon bei Cohens zwölftem Studio-Album, „Old Ideas“ (2012) und dem für seine Spät-Verhältnisse schnell nachgeschobenen „Popular Problems“ (2014) Abschiedshinweise wahrnehmen wollen, statt dessen gibt es jetzt „You Want It Darker“, und wenn man so will, kann man hier gleich satte acht Titel (einer in zwei Versionen, also insgesamt neun) über die letzten Dinge vermuten – Abschied, Tod, Scheitern, vergangene Liebe(n) und ein bisschen Rumhadern mit Gott: „If you are the dealer, I am out of game“ – und bitteschön, dann eben: „You want it darker“ okay, „we kill the flame“, was ganz schön kaltschnäuzig ist – und „Hineni, Hineni, I am ready, my lord“ was zwar Kaddish-korrekt ist, aber auch immer noch kampfeslustig mit erhobenen Kopf klingt.

Und durch den wunderbaren Gesang des Montrealer Synagogen Chors (back to the roots) mit entsprechendem Pathos ausgestattet ist, was der elegant-lebendige E-Bass prompt konterkariert. Genauso cool und selbstbewusst „Treaty“, ein Song über einen nicht geschlossenen Liebesvertrag, was aber, wenig larmoyant, sondern mit Chuzpe darin daherkommt: „Only one of us was real and that was me“ und für einen kurzen Moment scheint die Walzerseligkeit von „Dance Me To The End Of Love“ auf. Und was machen wir mit Zeilen wie „I knew that this was wrong, I didn´t had a doubt“ („On the level“)? Reue angesichts des Endes geht anders. Und wenn es, anscheinend eindeutig heißt: „I am leaving the table, I am out of the game“) kommt sofort ein rotziges „I don´t need a lover“. Und: „I don´t need a reason for what I became.“ Und damit bekommt das “aus dem Spiel sein” eher etwas Relaxed-Zurückgelehntes als etwas Finales.

Mit anderen Worten: Der jetzt 82-jährige Cohen macht es uns nicht einfach. Streicher, Chöre, englische Frauenstimmen, Twang-Gitarre und Country & Western noir („Leaving The table“), manchmal sogar als Breitleinwandscore (ein netter Tritt gegen Phil Spectors versautes „Death Of A Lady´s Man“, Cohens einzig wirklich grottiges Album?), dann wieder dem Minimalismus der vergangenen Alben folgend. Dass Cohens Stimme immer tiefer, rauer und raspelnder wird, das Ganze manchmal eher an eine Rezitation als an Gesang erinnert, klar, wenn wundert´s – durch die Medien geistert ein speziell konstruierter Singestuhl als Atemhilfe, den Produzent Adam Cohen (Sohn) hat bauen lassen, aber das spielt keine große Rolle: Die Magie ist womöglich noch intensiver da, die Präsenz schier unfassbar.
Und dann sind da natürlich noch die Lyrics.

They whisper still, the injured stones
The blunted mountains weep
As he died to make men holy
Let us die to make things cheap
And say the Mea Culpa, which you probably forgot
Year by year, month by month, day by day
Thought by thought

Interpretation, comme il faut für anständige Lyrik, offen. “Let us die to make things cheap”? Selbstironie à la “Stell Dich nicht so an”, oder eine hübsche Blasphemie?

Sagen wir mal so: Wenn „You want it darker“ ein Album übers Sterben ist, dann kann man sich fast darauf freuen, vor allem, wenn man so elegant-lakonisch sterben kann, wie Cohen das vorsingt und -lebt. Wenn nicht, spricht nichts dagegen, das Album als die Cohen-notorischen Meditationen zu verstehen, die sich mit dem Transzendenten rumprügeln, mit dem ziemlich sicheren Verdacht im Hinterkopf, dass auch das Transzendente nur menschengemacht ist und wir das nicht unbedingt akzeptieren wollen. Aus solchen Reibungen entsteht große Kunst: Voilà.

Und wir können hoffen, dass Mr Cohen noch längst nicht am Ende angekommen ist.

Thomas Wörtche

Leonard Cohen: You Want It Darker. Columbia/Sony.