Geschrieben am 1. August 2018 von für Litmag, News, Specials, Story-Special 2018

Story: Simone Buchholz: Knackärsche der Liebe

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Treppen

Nebenan im Treppenhaus wohnt diese schöne Transe, mit der ich vor knapp zwanzig Jahren mal auf einer Tanzfläche geknutscht habe. Er ist eine wirklich schöne Transe, so schillernd, wie man sie selten sieht. Er ist fast zwei Meter groß, hat breite Schultern und schmale Hüften, lange Beine und sogar eine Art Taille. Die kurzen Haare sind platinblond gefärbt, sie haben die gleiche Farbe wie seine Perlenketten, er trägt meistens hellgraue Kleider und silberne Schuhe, und seine Hände sind elegant geschnitten wie Frauenhände und gleichzeitig groß und stark wie Männerhände. Seine Stimme ist tief aber von großer Klarheit. Und sein Lächeln: meine Fresse. Diese Zähne. Einer ist sogar aus Gold. Die Transe sieht aus wie eine silbrige Bienenkönigin aus einem alten Hollywoodfilm.

treppenDamals auf dieser Tanzfläche war er noch als Typ verkleidet, er hatte was von einem Profifußballer, er sah ein bisschen aus wie eine filigrane, randständige Version von Manuel Neuer. Ich hab mich ihm einfach an den Hals geworfen beim Tanzen, vielleicht weil seine Attraktivität einen kleinen Schwindelanfall in mir ausgelöst hat, und dann sind wir einfach in die Garderobe gekippt, da sind wir dann für den Rest der Nacht verloren gegangen.

Danach hab ich ihn jahrelang nicht mehr gesehen, aber vergessen hab ich ihn nie.

Und dann zog er mich plötzlich nebenan ins Treppenhaus.

„Was machst du hier?“, hab ich gefragt.

„Die Garderobe“, hat er gesagt, und ich dachte: natürlich, was sonst.

„Wo hast du die schönen Klamotten her?“

„Aus einem Fundus für gebrochene Herzen.“

„Und seit wann bist du hier im Treppenhaus?“

„Seit gestern.“

Jetzt gehe ich regelmäßig ins Treppenhaus nebenan. Ich gebe mein bürgerliches Leben an der Haustür ab und feiere wilde Partys mit der Transe. Wir betrinken uns gern schon über Mittag, wir trinken ausschließlich aus Pumps, wir trinken harten Stoff. Wir knutschen uns ins Delirium, wir rauchen wie die Teufel, wir tauschen Kleider, wir tauschen Seelen, wir tanzen treppauf und treppab.

„Das macht einen guten Arsch“, sagt er, „einen Knackarsch.“

Und wenn draußen die Menschen wieder nach Grenzen schreien, nach Ordnung, Disziplin und Schubladen, nach echten Männern und kleinen Frauen, werfen wir mit Liebe und rufen, dass sie uns alle mal an unseren fabelhaften Treppenhausärschen lecken können.

Simone Buchholz

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Simone Buchholz ist Schriftstellerin, Journalistin und Mitglied von Herland. Mehr über diese großartige Autorin lesen sie HIER.

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