Geschrieben am 15. Januar 2018 von für Crimemag, CrimeMag Januar 2018, Litmag, News

Jeanette Erazo Heufelder: Der argentinische Krösus

51ntDpBEqCL._SX358_BO1,204,203,200_ Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule

Von Hazel Rosenstrauch

Selten genug ist ein Sachbuch so spannend, dass ich es verschlingen möchte. Der Verlag nennt es eine Wirtschaftsgeschichte, aber eben die des wichtigsten philosophisch-soziologischen Instituts der Vor- und dann wieder er Nachkriegszeit – zumal aus der Perspektive von alten und sogenannt neuen Linken, die in den 1960er und 70er Jahren scharenweise in die Vorlesungen von Adorno liefen, sein Vokabular übernahmen, Erich Fromm, Max Horkheimer, Leo Löwenthal, Herbert Marcuse … you name it … zu ihren Gurus machten.

Es gibt ausführliche Darstellungen der Frankfurter Schule, in beiden spielt Felix Weil nur am Rande eine Rolle und wenn, dann primär als Geldgeber. Keine Figur, die intellektuell ernst genommen wurde oder gar ebenbürtig neben den Heroen marxistischen Denkens Platz gefunden hätte. In gut deutscher idealistischer Traditionen waren Geld und Geist getrennte Welten, und nur der Geist zählte. Der Untertitel könnte allerdings auch ironisch oder zumindest polemisch gemeint sein.

Felix Weil war ein reicher Erbe und überzeugter Marxist. Er hat in Tübingen Wirtschaftswissenschaften studiert und wurde wegen seiner politischen Tätigkeit von der Universität relegiert, bevor er seine Promotion einreichen konnte, die er dann doch noch 1920 bei dem Natinalökonomen Alfred Weber abschloß. Weil förderte George Grosz, John Heartfield, den Malik-Verlag und Erwin Piscator und wagte trotz seiner Nähe zur kommunistischen Partei, sich mit Moskau anzulegen, als es wegen der, ebenfalls von ihm finanzierten, Marx-Engels-Ausgabe, zum Streit kam (Weil bestand, anders als die sowjetischen Funktionäre, auf einer streng wissenschaftlichen Bearbeitung). Er „unterstützte kommunistische Freunde, sozialistische Gelehrte, linke Theatermacher, Buchverleger und Künstler, beteiligte sich an avantgardistischen Kinoproduktionen und politischen Wissenschaftspublikationen, ließ zur Geschichte der Arbeiter- und Sozialbewegungen forschen und sammeln und baute eine wertvolle marxistische Spezialbibliothek auf.“

Man bekommt viel mit vom „spirit“ der 1920er und frühen 30er Jahre, alle kommen vor, Klara Zetkin, Willi Münzenberg, Karl Korsch, Eduard Fuchs, Details über die Vorgeschichte des so aufsehenerregenden und ebenfalls von ihm finanzierten Films „Panzerkreuzer Potemkin“, gelungener und gescheiterter Projekte, für die er einstand.

Das Geld kam aus dem argentinischen Getreidehandel, aber Weil war nicht nur Sohn des Millionärs, Großbürger und überzeugter Marxist, Netzwerker und Macher, er kannte sich in Wirtschaft und Politik gut aus, sodass es ihm dank kluger Transaktionen gelang, das „jüdische“ Geld des Vaters nicht den Nazis in die Hände fallen zu lassen. Ohne ihn wäre das Institut in Frankfurt nicht gegründet worden und hätte in den USA nicht überlebt. Dass er, der argentinischer Staatsbürger war, vielen Verfolgten die Flucht ermöglichte, ist quasi selbstverständlich. Ohne ihn hätten über 200 emigrierte Wissenschaftler nicht noch in der Emigration wissenschaftlich arbeiten können. Max Horkheimer, Friedrich Pollock und auch die bisherigen Historiker des Instituts für Sozialforschung kommen, sobald man die verdrängte Geschichte kennt, nicht allzu gut weg. Das sind meine Gedanken dazu. Die Verfasserin enthält sich naheliegender Polemik.

Erazo-HeufelderJeanette Erazo Heufelder, Tochter einer Deutschen und eines Ecuadorianers, ist gelernte Ethnologin, in Deutschland wie in Lateinamerika, in linker Geschichte und in Wirtschaftsbelangen zu Hause, auch noch kompetent, wenn es um argentinische Rinderzüchter und deren Steuervermeidung geht. Sie hat bislang unveröffentlichte Aufzeichnungen von Felix Weil im Frankfurter Stadtarchiv ausgegraben, die früheren Historikern des Instituts nicht wichtig waren, Briefe, Biographien, Nachlässe und auch FBI-Akten herangezogen und bringt dieses pralle deutsch-amerikanisch-argentinisch-kommunistisch-kapitalistische Leben auf 180 Seiten unter. Dichte Beschreibung nennen die Ethnologen eine Methode, die nahe an Literatur, aber eben voll Realität ist und das ist dieses Buch: dicht, spannend, klug und gut geschrieben. All jene, die für Adorno und die Frankfurter Schule, für Herbert Marcuse und Erich Fromm geschwärmt haben, und solche, die eine gute Erbschaft mit linker Gesinnung übereinbringen wollen, sei diese konzise Studie ans Herz und Hirn gelegt. Allen anderen, die gerne spannende, aufschlussreiche Bücher lesen, auch.

Hazel Rosenstrauch

Jeanette Erazo Heufelder. Der argentinische Krösus. Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule. Heinrich von Berenberg Verlag. Hamburg 2017. 208 Seiten, 24,00 Euro.

Anm. d. Red.: Jeanette Erazo Heufelder bei CulturBooks hier. Hazel Rosenstrauch finden Sie auch hier und hier. Ihr Jahresrückblick 2017 bei CulturMag hier. Ihr Text über das Buch zu Julius Weil erschien zuerst in: wespennest – Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder Nr. 173, November 2017.

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