Carlo Schäfer ist tot. Das ist unfassbar traurig, schrecklich, eine Katastrophe für seine Familie, seine Freunde und alle, die mit ihm zu tun hatten.
Es ist auch eine Katastrophe für die Literatur. Carlo Schäfer wurde mit seinen im besten Sinne schrägen Kriminalromanen aus dem Delta – der Gegend, wo Rhein und Neckar zusammenfließen – bekannt, die, obwohl in der Region basiert, alles andere als Regio-Krimis (was hat er diesen Begriff gehasst) waren. Wie gemein „Regio“ sein kann, hat er mit seinem grandiosen Kurz-Krimi „Kinder und Wölfe“ gezeigt. Daneben war er Kabarettist, Filmemacher, Stückeschreiber und Autor von Jugendbüchern.
In seiner Persona als Carlos hat er sich in hunderten von Kolumnen für das CulturMag seit 2009 mit dem Wahnwitz namens Alltag, der uns umgibt, angelegt. Er hat sich ins Handgemenge mit Dummheit, Ignoranz, Indolenz, Ideologie, Prätention, Widerlichkeit, Dogmen, Denkfaulheit, moralischer, politischer und ästhetischer Verkommenheit gestürzt, weil er unter all dem gelitten hat wie ein Hund. Aber sich nie ergeben. Carlo hat zurückgeschlagen, für uns alle. Er hat Apathie, kaltherzigen Zynismus und Unmenschlichkeit, die sich unter all diesem Müll verbergen, bloßgelegt, sichtbar gemacht, gerade da, wo’s wirklich wehtut.
Seine Waffen waren Sprachgewalt, ein rabelais’scher Furor, ein präziser Blick für das Komische, Bizarre und Groteske, das sich auch in anscheinend unschuldigen Manifestationen über uns ergießt und unsere Gehirne und Seelen verklebt und verkleistert. Sebastian Brant und Johann Fischart gehören nicht nur geographisch in seine literarische und humanistische Ahnenreihe.
Carlo konnte pöbeln und wüten, wenn es der Gegenstand seines Zorns erforderte, und er konnte mit seiner virtuosen Sprachmimikry alle Phrasen, Floskeln und vermeintlichen Konsense bis zu dem Punkt vernichten, an dem ihr Schwachsinn deutlich zu Tage kommt. Das war durchweg nicht nett und versöhnlich, sondern böse und vor allem unglaublich komisch, hatte Witz und Esprit. Carlo machte keine Gefangenen, aber nicht aus der Positionen des Überlegenen, sondern mitten aus dem Nahkampf heraus.
Das alles gilt, wenn auch anders gelagert, für seine Prosaarbeiten. Sein Roman „Der Tod dreier Männer“, seine noch nicht publizierte lange Novelle „Lehrer Dr. Katz“ und mit ziemlicher Sicherheit auch ein großer Roman, der schlimmerweise Fragment bleiben muss, sind Meisterwerke literarischer (Hoch-)Komik. Romans noirs ohne ein einziges Stereotyp des noir, tragische und komische, groteske und deswegen extrem realistische Texte, irgendwo zwischen Kafka und Daniil Charms oszillierend, originell und einzigartig.
So leise radikal, so konsequent verzweifelt-heiter-giftig, so kompromisslos subversiv ist das ganz normale Leben unserer Gegenwart in der deutschsprachigen Literatur seit ewigen Zeiten nicht mehr in eine ästhetisch brillante Form gebracht worden.
Carlo Schäfer ist nur 51 Jahre alt geworden. Eine Katastrophe.
Thomas Wörtche