Geschrieben am 2. Februar 2020 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2020

Werner Fuld: Mickey Spillane, wiedergelesen

Trumps Mann für’s Grobe

Werner Fuld 2020 über Mickey Spillane

Der Tag ist trübe, es regnet, und in New York City gedeiht das Verbrechen. Jack Williams ist in seinem Schlafzimmer erschossen worden – mit einer abgefeilten Neun-Millimeter-Patrone in den Unterleib: „Die Kugel war glatt in den Körper eingedrungen, aber wo sie ihn wieder verlassen hatte, klaffte ein faustgroßes Loch.“ Jack war der beste Freund von Mike Hammer gewesen, ein Kriegskamerad, der zwei Jahre lang mit ihm in den stinkenden Schlammlöchern des japanischen Dschungels gelegen hatte. Mike betritt den Raum und der Leser erfährt, daß Jack seinen rechten Arm verloren hatte, „als er einen von den elenden Japsen davon abhielt, mich aufzuschlitzen. Das Bajonett traf ihn in den Bizeps, und man mußte ihm den Arm abnehmen.“ Wie Mike war er vor dem  Eintritt in die Armee Polizist gewesen. Seit dem Kriegsende sind erst zwei Jahre vergangen, in denen beide ihre Leben neu geordnet hatten – Jack als Ermittler bei einer Versicherung und Mike als lizensierter, d. h. bewaffneter Privatdetektiv. 

Noch ein dritter Freund ist im Zimmer: Pat Chambers, Chef der Mordkommission, ein loyaler und nicht korrupter Polizist. An ihn wendet sich Mike Hammer: „Von jetzt an gibt es einen Wettlauf zwischen uns. Ich will den Killer für mich. Wir werden wie immer zusammenarbeiten, aber wenn es soweit ist, werde ich den Finger am Abzug haben und abdrücken.“ Pats Bedenken läßt er nicht gelten: „Jack war der beste Freund, den ich je hatte. Wir haben zusammen gelebt und zusammen gekämpft. Und ich werde es verdammt noch mal nicht zulassen, daß diesem Killer erst lange der Prozeß gemacht wird (…) Gesetz hin oder her – diesmal bin ich das Gesetz (…) Irgendwann in nächster Zeit werde ich meine Knarre in der Hand und den Mörder vor mir haben. Ich werde mir das Gesicht dieses Killers ansehen. Dann jage ich ihm eine Kugel genau in den Bauch, und wenn er dann daliegt und am Abkratzen ist, trete ich ihm vielleicht noch in die Visage. Du dürftest das nicht. Du mußt dich an die Gesetze halten…“

Mit dieser Szene beginnt Mickey Spillanes erster Roman I – The Jury, 1947 in New York erschienen, und mit diesen Sätzen voller kaltem Pathos betritt ein Protagonist die literarische Bühne, wie es ihn noch nicht gegeben hatte. Mike Hammer ist zwar Privatdetektiv, aber meist ermittelt er ohne Auftrag, aus privatem Engagement und auf eigenes Risiko. Ein freier Unternehmer in einer korrupten Gesellschaft, frei von allen Regeln und mit ganz eigenen Methoden: „Polizisten können einem Mann nicht den Arm brechen, um ihn zum Sprechen zu bringen, und sie können ihm nicht die Zähne mit einer 45er einschlagen, um ihm klar zu machen, daß sie es ernst meinen. Ich mache meine Arbeit selbst, und es gibt eine Menge Leute, die mir sagen werden, was ich wissen will, weil sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie es nicht tun.“

Mike Hammer ist ein Mann, der das im Krieg als Angestellter des Staates gelernte Handwerk nun als freier Unternehmer ausübt: „Eines Tages würde ich das Schwein abknallen, das Jack auf dem Gewissen hatte. Das hatte ich schon öfter getan. Ohne jede Gefühlsduselei. Nach dem Krieg war ich fast versessen darauf, mir ein paar von den Ratten zu schnappen, die sie sich ihre Beute unter Menschen suchen. Menschen. Wie unglaublich dumm manche Menschen sein konnten: Gerichtsverhandlungen für Killer, Gesetzeslücken, die Mörder entkommen lassen. Aber am Ende siegt die Gerechtigkeit und manchmal sorge ich dafür. Die Verbrecher knöpfen sich die Menschen vor, deshalb knöpfe ich mir die Verbrecher vor. Ich knalle sie ab wie räudige Hunde, denn etwas anderes sind sie nicht.“

Offensichtlich ist Mike Hammer mehr als ein Privatdetektiv: Er nimmt das Gesetz in die eigene Hand, fällt das Urteil selbst und vollstreckt es auch. Wer sich mit ihm anlegt, wird unschädlich gemacht: „Es hätte keinen Sinn gehabt, mir an seinem Schädel die Hand zu brechen, also trat ich ihm mit dem Fuß direkt in die Visage. Er kippte seitwärts Richtung Boden, machte noch ein paar Schritte und sackte schließlich an der Wand zusammen. Seine untere Zahnreihe ragte durch die Unterlippe. Zwei seiner Scheidezähne ruhten neben seiner Nase, festgeklebt mit Blut.“ Mike Hammer will für Ordnung sorgen: „In dieser verdammten Stadt muß endlich einmal richtig aufgeräumt werden. Ich habe es satt, mit dem Gesindel zusammenzuleben, das hier gedeiht“ (The Big Kill, 1951). Weil die Handlungsfreiheit seines Polizistenfreundes Pat von Rechts wegen eingeschränkt ist, muß er allein den New Yorker Sumpf trockenlegen und mit unkonventionellen Methoden gegen Mädchenhandel und Bordellkartelle, Drogenringe und illegale Casinos kämpfen – und natürlich gegen das korrupte politische System, das solche Mißstände erst ermöglicht. Pat erklärt, wie dieses System funktioniert: „Jeder kleine Dreckskerl kontrolliert einen Block von Stimmen, und jeder dieser Kerle will, daß etwas getan oder unterlassen wird. Also hängen sie sich ans Telefon und rufen jemanden an, der ziemlich wichtig ist und sagen ihm, was sie gerne hätten. Sehr schnell hat der Betreffende dann so viele Anrufe bekommen, daß er es für gut hält, aktiv zu werden. Damit fängt der Druck an: Es kommen Warnungen, etwas kürzer zu treten oder die Finger ganz von diesem oder jenem zu lassen, und hinter den Einschüchterungen steht unmißverständlich die Drohung, man solle nicht vergessen, wie schnell man weg vom Fenster sein könnte.“

Heute erkennen wir in diesem Geflecht aus Vertuschung, Korruption, Behinderung der Justiz und Amtsanmaßung sofort das System Trump. Das macht die Lektüre dieser mehr als fünfzig Jahre alten Romane besonders reizvoll. Aber mit den derart agierenden Dreckskerlen sind bei Mickey Spillane nicht die Republikaner, sondern die Amtsträger der damals regierenden Demokraten gemeint. In Vengeance is mine (1950) spielt der Konflikt zwischen dem nicht korrupten Police Officer Pat und dem vorgesetzten Bezirksstaatsanwalt eine wesentliche Rolle, weil Pat genötigt wird, einen Mord als Selbstmord zu den Akten zu legen, was er mit Mike Hammers Unterstützung verweigert. Der Staatsanwalt wiederum steht selbst unter dem Druck von „ziemlich einflußreichen Kreisen“ aus der Geschäftswelt, die ihrerseits Druck auf die Lokalpolitiker ausüben.

Das ist keine Fiktion, sondern Spillane schildert die damalige Realität. Tatsächlich gehörten mit Ausnahme von La Guardia (1934-1945) alle Bürgermeister von New York City von 1918-1965 zur Demokratischen Partei.

Sie haben seit den Jahren der Prohibition den Aufstieg der Mafia und deren Infiltration in den gesamten Verwaltungs- und Beamtenapparat ermöglicht. Mit stetig gefüllten Taschen haben sie besonders seit dem Ende des 2. Weltkriegs die Infrastruktur New York Citys verrotten lassen und weggesehen, wenn durch Grundstückspekulationen neue Slums mit spezifischer Bandenkriminalität entstanden, und sie haben die Übernahme wichtiger Gewerkschaften durch die Mafia begünstigt. Ermittlungen des FBI wurden systematisch von der Justiz torpediert und liefen oft ins Leere. 

Die von Spillane thematisierte Kriminalität im Drogen- und Mädchenhandel und im Geschäft der Glücksspielkartelle war alltägliche, von der gut geschmierten Polizei geduldete Realität. Diese Korruption reichte vom niedrigsten Dienstgrad bis in die höchsten Kreise: Der demokratische Justizminister Howard McGrath (1949-1952) mußte auf Grund der Korruptionsermittlungen zurücktreten und wurde durch seinen Parteifreund James McGranery (1952-1953) ersetzt, ohne daß sich die Verhältnisse änderten (siehe Time-Magazine v. 24. Sept. 1956.) Erst mit Robert Kennedy, der energisch den Einfluß der Mafia nicht nur in seinem Ministerium bekämpfen wollte, schien sich die Situation zu ändern, doch er bezahlte sein Engagement mit dem Leben.

 Unsere heutige Sicht auf die Demokratische Partei ist eine gänzlich andere als die der Amerikaner. Wir erinnern uns an weltoffene Politiker wie Roosevelt, Clinton oder Obama, aber im kollektiven amerikanischen Gedächtnis steht die Demokratische Partei seit dem Ende des 19. Jahrhunderts für Korruption, Vetternwirtschaft, Börsenschwindel, Wahlfälschung, Vertuschung, Einschüchterung von Justiz und Presse – kurz: sie verkörperte alles, was eine kriminelle Vereinigung kennzeichnet. Unter ihrer Verwaltung verkam New York City zu einer Hochburg des Verbrechens. Die Nazis haben daraus propagandistisches Kapital gegen ein  demokratisches Amkerika geschlagen (Siehe Heinz Halter: Der Polyp von New York. Die Geschichte der Tammany Halls, Dresden 1942), und der Experte für organisierte Kriminalität Dagobert Lindlau rekapitulierte die kriminelle Vergangenheit dieser Partei in seinem Buch Der Mob. Recherchen zum organisierten Verbrechen  (München 1989). Noch heute ist „Tammany“ (der Gründungs- und Versammlungsort der Partei) ein Synonym für korrupte Politik.

Wenn Mike Hammer allein in den Krieg gegen das Verbrechen zieht („Ich mache mir meine eigenen Gesetze und schulde niemandem Rechenschaft“, One Lonely Night, 1951), dann kannten seine amerikanischen Leser die politischen Hintergründe – die deutschen Leser nicht. Sie lasen ohnehin die frühen Romane Mickey Spillanes in erbärmlichen Übersetzungen, weil sich die finanzielle Situation der Übersetzer seit Wilhelm Hackländers Anklage „Europäisches Sklavenleben“ aus dem Jahr 1854 nicht wesentlich gebessert hatte: Sie wurden miserabel bezahlt und übertrugen Romane aus dem Amerikanischen, das sie nicht kannten, in ein Deutsch, über das sie aus Zeitgründen nicht nachdachten. Zudem waren die ersten Ausgaben, um überhaupt erscheinen zu können, gravierend bearbeitet: In der deutschen Erstausgabe von I – The Jury mit dem seltsamen Titel Das Todeskarussell fehlen die von mir eingangs zitierten Sätze zur beabsichtigten Selbstjustiz ebenso wie die heute harmlos erscheinenden  Sexszenen und wie das furios unbarmherzige Finale: Man dichtete für die deutschen Leser eine neue Version ohne tödliches Ende, damit die schuldige Person vor eine Jury gestellt werden konnte. Aber auch diese Selbstzensur half nichts: Der Roman kam auf die schwarze Liste der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“, über die ich in meinem „Buch der verbotenen Bücher“ das Nötige gesagt habe.

Das deutsche Publikum hat die ersten Romane Mickey Spillanes nicht als politisch unterfüttert wahrgenommen. Das änderte sich, als der Autor in One Lonely Night (1951) das große Zeitthema der kommunistischen Atomspionage aufgriff. Plötzlich steht der Weltfrieden, den die USA durch das Monopol der atomaren Abschreckung garantieren sollten auf dem Spiel, und Mike Hammer muß die von kommunistischen Agenten gestohlenen „letzten Geheimnisse in der Kunst der Menschenvernichtung“ finden, sonst droht eine Überlegenheit der Sowjets und damit der Weltuntergang. Der Roman spiegelt praktisch zeitgleich sehr genau und ohne jede reflektive Distanz die amerikanische Hysterie nach der Aufdeckung der Atomspionage durch das im März 1951 angeklagte und einen Monat später zum Tode verurteilte Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg. Die Anklage führte der erst 24jährige Karrierejurist Roy Cohn, der nach diesem Prozeß zum Kopf hinter McCarthy und seinem Senatsausschuß wurde. Drei Jahre später war er in einen peinlichen Skandal verwickelt, weil er seinen Freund vor dem Militärdienst bewahren wollte (siehe Der Spiegel, 12. Mai 1954, Nr. 20, S. 15-21). In späteren Jahren beriet er als Rechtsanwalt den Unternehmer Donald Trump und starb 1986 an Aids.

Alles in diesem politischen Thriller ist ins Monströse übersteigert. Pat schätzt die Zahl der Kommunisten in den USA, wie damals wohl die meisten Amerikaner, auf mehrere Hunderttausend, dabei hatte die Partei 1950 höchstens 25.000 Mitglieder. Mike schleust sich in eine kleine Versammlung ein, doch für ihn scheint es „das Vorzimmer Moskaus“ zu sein. Sofort denkt er angesichts der mies gelaunten Agenten, „wie sehr die Karikaturisten die Wirklichkeit trafen, wenn sie einen Haufen schäbiger kommunistischer Verbrecher zusammengerottet im Schatten der Demokratie zeichneten.“ Als er mit einem Russen spricht, bläst er ihm provokativ seinen Zigarettenrauch ins Gesicht: „Ich wünschte, es wäre Giftgas.“ Er sucht nicht nur den Dieb der Geheimdokumente, sondern er will alle Kommunisten in New York City erledigen: „Ehe ich mit dieser Sache fertig wäre, würde es eine ganze Reihe gebrochener Genicke in dieser Stadt geben!“ Und wenn er diesem „Stinker“ gegenübersteht, „dann würde ich ihn direkt durch die Mitte mit einer 9mm in zwei Teile spalten!“

Weil er den Zeitungen mit ihren Fake-News nicht traut, geht Mike sogar selbst zum Rosenberg-Prozeß: „Diese verdammten Kommunisten, diese schmierige Gesellschaft gemeinster Typen, versuchen mit allen möglichen Tricks, aus dem Prozeß ein Kasperletheater zu machen. Aber der Richter und die Geschworenen bewahrten Ruhe und eine Geduld, der man die Sicherheit über den Ausgang des Prozesses anmerkte. Auch die Zuhörer hatten sie – nur die Angeklagten merkten nichts davon (…) Die hätten sich umdrehen und die Gesichter des Volkes ansehen sollen, dann hätten sie es mit der Angst zu tun gekriegt.“ Das Volk verlangt das Todesurteil, und Mike fühlt sich „prächtig“. Aber diese wenigen Sätze verraten, was man erst viel später erfuhr: Die Beweise waren manipuliert und die Geschworenen unter Druck gesetzt worden. Mikes Haß auf die Kommunisten ist so monströs und die Romanhandlung so absurd, daß sie lächerlich wäre, wenn es diesen paranoiden Haß damals nicht wirklich gegeben hätte. Die nervige Sylvia Plath läßt in einer Diskussion  nach dem Todesurteil gegen die Rosenbergs Esthers Kollegin Hilda sagen: „Ich bin so froh, daß sie bald sterben (…) Es ist furchtbar, daß solche Leute überhaupt leben.“ Das war die Stimme des Volkes.

Seit diesem Roman One Lonely Night gilt Mickey Spillane als Scharfmacher des Kalten Kriegs. Vielleicht stimmt es sogar, daß er mit seinem erfolgreichen Roman die populäre Stimmung für die Hexenjagd McCarthys auf vermeintlich Linke und Liberale noch angeheizt hat.

Denn die amerikanische Rechte orientierte sich nach dem Ende des 2. Weltkriegs nur an zwei Autoren: An Ayn Rand und Mickey Spillane. Sie schrieb die Bibel (Atlas Shrugged) des ungezügelten kapitalistischen Egoismus, und er die Booklyner Version der Zehn Gebote. Der europäische Blick auf den Neoliberalismus hat erst spät die ideologische Bedeutung Ayn Rands erkannt, während Mickey Spillane heute als Autor eher verfemt und in den USA schlicht vergessen ist. Anläßlich des wenig erfolgreichen Versuchs einer Neuausgabe seiner Romane im Rotbuch-Verlag schrieb Thomas Wörtche wütend, Spillane hätte „sämtliche Dumpfbackigkeiten der Zeit in stocklangweilige gleichartige Bücher gepackt“, und es wäre eine Schande, solch einen sexistischen right-wing hackwriter wieder zu veröffentlichen. Das hatte Raymond Chandler schon 1952 ganz ähnlich geschrieben und auch Unrecht gehabt: „Spillane ist, soweit ich es sehe, nichts als eine Mischung aus Gewalt und offener Pornographie.“ (TW im Kontext hier, siehe auch unten den Hinweis auf unseren Klassiker-Check – d. Red..)

Einen größeren Gegensatz zu Chandlers pseudo-intellektuellem Philip Marlowe als Mike Hammer kann es freilich kaum geben. Spillanes Romane sind nun mal keine Lektüre für Mädchen jeglichen Geschlechts. Er schrieb ausdrücklich für die Generation der Weltkriegsveteranen: „Diese Jungs hatten da draußen Gewalt gesehen, echte Gewalt. Ich wußte, sie würden das verstehen.“

Sein Held Mike Hammer ist von der Kriegserfahrung geprägt: „Dort, in dem Matsch und Morast des Dschungels, dort in dem Gestank, der über dem Küstenstreifen hing und aus den Körpern der Toten stieg, dort im Dämmerlicht der allzu vielen Tage und Nächte, die von dem kreuz- und quergezeichneten Muster der Kugeln zusammengehalten wurden, dort hatte ich den Tod geschmeckt, und mich so an diesen Geschmack gewöhnt, daß ich nie wieder von den Früchten der Zivilisation essen konnte“ – (One Lonely Night).

Im Krieg hatte er gelernt, wer als Erster schießt, lebt länger. Die Abstumpfung gegen die Arbeit des Tötens schilderte auch Norman Mailer in Die Nackten und die Toten (1948, bei uns 2018/19 in neuer Übersetzung wiederaufgelegt und völlig unbeachtet geblieben): „Das Töten überstieg jedes Maß und bedrückte die Männer weniger als die Entdeckung einiger Ameisen auf ihrem Bett.“ Weniger brutal geht es hier auch nicht zu, wenn die Soldaten ein von den Japanern aufgegebenes Camp besetzen: „Die einrückenden Amerikaner erledigten die übriggebliebenen Verwundeten, zerschmetterten ihre Köpfe mit dem Gewehrkolben oder erschossen sie.

Mickey Spillane, Jahrgang 1918, kam 1946 aus dem Krieg nach Brooklyn zurück und hämmerte sich auf der Schreibmaschine den Frust von der Seele: „Der Krieg hatte mir gezeigt, daß Gott alles egal ist, oder er hat einen schrägen Humor. Ich nahm alle Widersprüche und ließ alles raus.“ I ‚The Jury entstand in nur neun Tagen. „Ich wußte, daß es ein Bestseller werden würde – es gab zu der Zeit nichts Vergleichbares auf dem Markt.“ Er hatte keine Vorbilder, aber viele Nachahmer (Jim Thompson, Elmore Leonard), denn er war extrem erfolgreich: Die Gesamtauflage seiner Bücher lag schon vor 30 Jahren bei über 200 Millionen. Schlechte Kritiken konnten ihm egal sein: „Ich schreibe nicht für Kritiker, sondern für die Öffentlichkeit.“ Wenn sich ambitionierte Literaten über mangelnden Erfolg beklagten, meinte er lakonisch, sie hätten sich nie damit abgefunden, daß mehr gesalzene Erdnüsse konsumiert werden als Kaviar. Seine Bücher sah er als Ware und die Leser als Kunden.


Sauberes Handwerk war ihm wichtig, und das hatte er vor dem Krieg als Texter für Comics wie „Captain America“ und „Submarines“ gelernt: Kein Wort zuviel, keine überflüssigen Sätze, kein Leerlauf. Comics und Detektivromane wurden am Bahnhofskiosk verkauft – die Wartenden blätterten ein Buch an, und der erste Satz oder Absatz entschied über den Kauf. Spillane war ein Meister der ersten Sätze:

„Mein Freund war tot. Er lag in seinem Pyjama auf dem Fußboden; sein Gehirn war über den ganzen Teppich verspritzt. Und mein Revolver lag in seiner Hand.“ (Vengeance Is Mine)

Plötzlich sah ich die Frau im Licht der Scheinwerfer dastehen und mit beiden Armen winken. Ich fluchte und riß das Lenkrad herum.“ (Kiss Me, Deadly)

“Ich hörte die Schreie durch den feinen Nebel des trüben Abends.“ (The Body Lovers)

“Der Kerl war praktisch tot, und er wußte es.” (The By-Pass Control)

Man will wissen, wie es weitergeht, das war das Geheimnis seines Erfolgs. Und es geht schlimmer weiter, als man es erwartet, weil die Welt in Unordnung und das Böse so mächtig ist, daß Mike Hammer eigentlich nie zur Ruhe kommt – außer bei Velda natürlich, die er aber erst heiraten will, wenn in New York City wieder Ordnung herrscht. Also nie.

Immerhin sind sie schon verlobt, und wer diese schöne Szene gelesen hat (One Lonely Night, 7. Kap.), ist immun gegen das feministische Geplärre über das angeblich sexistische Frauenbild Spillanes.

In den USA verkaufte sich der Erstlingsroman in drei Jahren sechseinhalb Millionen mal, und Spillane schrieb weitere fünf Mike Hammer-Romane bis zur großen Zäsur: Zwischen 1952 und 1962 erschien kein Buch. Was war passiert? Er war in die Falle der von ihm selbst aufgrund des Atompatts befeuerten Untergangsparanoia getappt und hatte sich den Zeugen Jehovas angeschlossen. Deren eschatologische Grundannahme ist, daß Jesus 1914 die Herrschaft im Himmel übernommen und als erste Amtshandlung Satan und seine Dämonen auf die Erde verbannt hat. Damit hätten die letzten, von besonders destruktiven Aktivitäten gekennzeichneten Tage bis zum Armageddon, dem Endzeitkrieg begonnen. Da die Zeugen Jehovas unter dem besonderen Schutz ihres Gottes stehen, würden sie nicht untergehen.

Nachdem Spillane zehn Jahre vergebens auf den Endzeitkrieg gewartet und vermutlich sehr viel Geld an die Sekte verloren hatte, revitalisierte er seinen Protagonisten in sieben neuen Romanen und erfand mit dem James Bond- Konkurrenten Tiger Mann einen neuen Charakter, der es aber nur auf vier Auftritte brachte, obwohl der letzte (The By-Pass Control, dt. Der Ein-Mann-Krieg) der beste war: Der Roman handelt fast in Echtzeit von der Enttarnung sowjetischer Spione, die das elektronische Frühwarnsystem der USA geklaut hatten Sie wurden, was Spillane nicht erwähnt, gegen in der UDSSR inhaftierte US-Spione ausgetauscht (Siehe D. Wise/T. Ross: The Espionage Establishment, Random House, New York, 1967, Kap. 8). Tiger Mann ist ein Agent, der nicht im Staatsauftrag handelt, sondern privat von einem konservativen Milliardär bezahlt wird. Auch dazu gibt es historisch belegte Quellen (Siehe Jane Mayer: Dark Money. The Hidden History of the Billionairs Behind the Rise of the Radical Right. Doubleday New York, 2018).

Spillane © Wiki-Commons

Mikey Spillane war unstreitig ein erzkonservativer Autor: Seine Figur Mike Hammer verachtet Homosexuelle, hat Vorurteile gegen Moslems und hält die UNO für “kalten Kaffee”. Aber das macht ihn noch nicht zu einem schlechten Schriftsteller. In jedem Roman gibt es starke Szenen und starke Sätze: „Ich ging in das Gebäude, Schulter an Schulter mit dem Tod“ – dafür verzichte ich gerne auf die vielen verquasten Bände des neuen Nobelpreisträgers.

Der jeglicher Nähe zu rechten Ideen unverdächtige Jörg Fauser hat in seiner Hommage (Spiegel 42, 1964, S. 252-257) mit schönen Zitaten belegt, wie poetisch Spillane die Großstadt beschreiben konnte: „Einige wenige Arterien des Lichts und des Lebens durchzogen die Stadt, aber das war alles. Das große grüne Geschwür des Central Park glitzerte wie ein Juwel, eingefaßt in die bunte Kette der Taxis, deren Lichter wie zwei Finger nach vorn tasteten, immer auf der Suche.“ Solche Sätze waren gefährlich, denn Poesie gehörte nicht zu Hammers Gefühlshaushalt. Spillane setzte sie souverän ein, zeigte, was er auch konnte und schuf zugleich mit dieser Atmosphäre der Unsicherheit das Abbild einer in ihren paranoiden Ängsten gefangenen Gesellschaft.

Als Mickey Friedman (in: the New York Times, 15. Okt. 1989, Sect.7, 43) schrieb: „Mike Hammer is undeniably an icon of our culture”, konnte er nicht ahnen, daß sein Satz eine Prophezeiung enthielt. Mike Hammer ist Trumps Mann fürs Grobe in seiner Welt aus Fake News und alternativen Fakten: „Ich hatte Recht. Die Welt hatte Unrecht.“

Werner Fuld

Hinweis der Red.: Siehe auch den CrimeMag-Klassikercheck von 2014 mit Joachim Feldmann, Marcus Müntefering und Thomas Wörtche.

Werner Fuld hat viele Jahre als Literaturkritiker unter anderem für die FAZ und Die Zeit gearbeitet und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt von ihm erschienen: „Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute“ (Galiani, Berlin 2012und„Eine Geschichte des sinnlichen Schreibens“ (Galiani, Berlin 2014). Zu „Geblendet“ von Andreas Pflüger bei uns hier.

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