Geschrieben am 1. Juni 2019 von für Crimemag, CrimeMAg Juni 2019

Ute Cohen: Johannes Groschupf „Berlin Prepper“

Die Verlockung des Nichts – ohne Moralkeule

Es gab Zeiten, in denen Siouxsie and the Banshees „Cities in Dust“ die Hymne aller wolllustig dem Untergang Geweihten war. Endo- und exogen verstärkt, waren alle Sinne auf Selbstverlust geeicht. „No Future“ war keine Mahnung an Umweltzerstörer, schon gar keine Parole einer rebellischen Klimajugend, es war schlicht und einfach die süße Verlockung des Nichts. Zugleich aber gab es bereits erste Kassandrarufe und eine noch zart verschleierte Ahnung einer Welt, in der sich dunkles Sehnen im lodernden Höllenfeuer zu einem Häufchen Asche verwandeln würde. Oder schlimmer noch: Was passiert, wenn der eigene Untergang nicht stattfindet, die Zukunft rosa aufleuchtet und Kind und Kegel der Finsternis in die Quere kommen?

Wer sich schon immer einmal die Frage stellte, was aus den Dystopiesüchtigen der Achtzigerjahre geworden ist, sollte sich Johannes Groschupfs „Berlin Prepper“ zu Gemüte führen.

Johannes Groschupf © Mike Auerbach

Groschupfs Hauptfigur Walter Noack, Online-Redakteur bei einer großen Berliner Tageszeitung, ist einer dieser Survivor der Achtzigerjahre. Was ihn unterscheidet von den selbstzerstörerischen Zeitgenossen ist ein unbedingter Überlebenswille. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er seit dem Super-GAU in Tschernobyl den Weltuntergang direkt vor Augen hat. Der radioaktive Niederschlag hatte ihm bewusstgemacht, dass in Schutt und Asche liegende Städte tatsächlich nur einen Song weit von der Wirklichkeit entfernt sein könnten. So wie Post-Punk schnell von Britpop und stampfenden Beats überrollt wurde, transformierte sich Walter Noack in einen Kämpfer, der wie eine etwas depressiver Mad-Max-Rambo-Hybrid agiert. Mit weitaus mehr grauen Zellen und einer gehörigen Portion Wortsinn allerdings. Noack, ein typischer Berliner Einzelgänger mit Ex-Frau und Spross im Gepäck, stellt sich der harten Realität und schafft die lebensnotwendige Kohle in einem Drecksloch heran, das sich Newsroom nennt. Das ist sogar irgendwie sweet, wenn er sich als „Klomann“ im „Reich des digitalen Volkszorns“ betrachtet. Konkret besteht sein Job darin, Hasskommentare herauszufiltern und zu löschen. Dazu braucht es – zack! – Entscheidungskraft, eine nicht allzu ausgeprägte Abneigung gegen Recht und Gesetz und ein dickes Fell, an dem sogar Scheiße abperlt. Noack ist selbst in der digitalen Kloake bodenständig, denn die hart verdienten dreizehn Euro pro Stunde investiert er nicht in einen Hipster-Haarschnitt oder die neuesten Sneakers, sondern in einen NVA-Kübelwagen Sachsenring P3 aus Suhl und natürlich in Konserven und andere für Katastrophenfälle nützliche Utensilien. Denn was nützt einem schon die Dose Ravioli, wenn der Strom ausfällt? Nur die Rache serviert man am besten kalt, Ravioli sind auf Zimmertemperatur weit weniger bekömmlich. Weit davon entfernt ist Noack aber, sich den Pansen nur mit Junkfood vollzuschlagen. Das ist nur die Reserveration für den „Worst Case“, für den Fall, dass Berlin in vollständigem Chaos versinkt und rivalisierende Lager die Herrschaft übernehmen. Dann nämlich wäre Noack weg und zwar schneller als die Polizei erlaubt, denn wer freiwillig die Spree durchschwimmt und von der Oberbaumbrücke zum Plänterwald krault, den schnappt so schnell keiner. 

Rezension von Alf Mayer dazu in den „Bloody Chops“

Klingt nach paranoidem Fighter, dem vielleicht doch ein paar Substanzen zu Kopfe gestiegen sind, nach einem Anarchisten, der zu einem Satansbraten von Fascho mutierte? So einfach macht es sich Groschupf nicht. Die Moralkeule lässt er wie den Baseballschläger beim Türken meist stecken und holt sie nur im Notfall heraus. Vielmehr macht es ihm Spaß, den Leser in moralische Grauzonen zu entführen: „Was ist der Normalfall, wann beginnt der Krisenfall? Wer Augen hat zu sehen, der sieht jetzt schon. Der ist jetzt schon wach. Dessen Antennen sind ständig auf Empfang.“

Von Hypersensibilität kann bei Noack jedoch trotz ausgefahrener Antennen nicht die Rede sein. Sein ausgeprägter Sinn für Gefahren ist wirklichkeitsdurchtränkt. Wer ständig den Knüppel aus dem Sack hüpfen und den Hass aus allen Tastaturen springen sieht, legt die Frage nach der Natur des Menschen unter „Olle Kamellen“ ab und sucht das Weite. Groschupfs Noack haut aber nicht einfach ab nach Sibirien oder Argentinien, sondern nimmt die Parole „Mit Rechten reden“ ernst und begibt sich hinein in des Monsters Schlund. Bald schon wird jedoch klar, dass die Grenze zwischen „Schlafschafen“ und den aufs reine Überleben fokussierten „Preppern“ nicht so klar ist, wie man es sich wünscht. Der Wolf kommt nicht selten im Schafspelz daher und dann ist es eben von Vorteil, wenn sich das Lämmchen ein paar Muskeln antrainiert und den Wolf besser kennt, als er sich selbst.

Groschupf jedenfalls kennt seine Preppenheimer. Er schaut ihnen aufs Maul und weiß im Zweifelsfall, wo der Baseballschläger steht und dass eine Glock im Rucksack gut verstaut ist. „Systemarschloch“, „Presstituierte“, „Zonenwachtel“, „Abschaum“? Nehmt den Mund nicht zu viel, ihr Hater! Irgendwo da draußen gibt es einen Noack, der sich mit „Delete, Delete“ mindestens genauso gut auskennt wie mit „Bang, Bang“.

Ute Cohen 

  • Johannes Groschupf: Berlin Prepper. Herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. Klappenbroschur, 236 Seiten, 14,95 Euro.

Offenlegung: Als Berlinerin und selbst Romanautorin war es Ute Cohen ein Anliegen, über dieses Buch zu schreiben. Herausgeber Thomas Wörtche hat das weder befördert noch bezahlt. Ute Cohens Texte bei uns hier.

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