
Must have
1972 war das Jahr, als ich anfing, fast ausschließlich schwarze Musik zu hören. Miles Davis, Billie Holiday, Charles Mingus, Archie Shepp, Ray Charles, Aretha Franklin … Ein riesiges musikalisches Neuland tat sich auf, Motown Records, Sigma und der Phillysound, Stax, Atlantic und so weiter, Platten, die sich damals nicht so leicht beschaffen ließen, aber wenn man dringend wollte, eben doch. Soul, Rhythm & Blues und Funk waren die laute, bunte und extrem sexy daherkommende Alternative zum damals eher beliebten Country Blues und den weißen „Blues Cover Bands“ (wie neulich Paul McCartney über die Stones ätzte, nicht ganz zu Unrecht) des bluesorientierten Rocks, die die schwarzen Vorbilder gnadenlos plünderten. In der Tat waren mir die Originale des Electric Blues, B. B. King, Buddy Guy, Howlin Wolf, Muddy Waters & Co. lieber, und sowieso waren die Genre-Grenzen meistens eher künstliche Ex-Post-Sortierungen – man höre sich bloß mal die „reinen“ Jazzplatten von Ray Charles oder King Curtis an.
1972 fing auch der 1949 geborene, afroamerikanische Fotograf Bruce W. Talamon an, diese Szene zu begleiten. 300 Fotos versammelt der schöne Band. Talamon kam nahe an die Stars heran, damals noch ohne Publicists und Bodyguards, sowohl an der Bühne (er erzählt eine hübsche Anekdote, als Miles Davis ihm erlaubte, weiter vor der Bühne sitzend zu fotografieren, während er einen anderen Fotografen, dessen Geklicke, vermutlich mit Motor, ihn nervte, davonjagte), als auch Backstage. Das Magazin SOUL NEWSPAPER druckte seine Fotos, dessen Chefin Regina Jones verschaffte ihm das Entree zu der Fernsehsendung SOUL TRAIN (von 1970 bis 2006 on air), die für die Black Culture essentiell war. In SOUL TRAIN trat alles auf, was Rang und Namen hatte, Talamon lieferte dazu die PR-tauglichen Stills, wie er überhaupt später einer der gesuchtesten Fotografen für Film-Stills wurde.

Talamon hat sie alle fotografiert: Isaac Hayes, Diana Ross, Aretha Franklin, Stevie Wonder, Chaka Khan, Patti Labelle, Gladys Kinght, Otis Redding, James Brown, Sly Stone … Er brachte es fertig, die bizarren Kostüme etwa von Parliament-Funkadelic effektvoll ins Bild zu setzen, und zwar in schwarz/weiß, während er Stevie Wonder in tiefem Rot leuchten ließ. Auf seinen Bildern spürt man die Energie von Chaka Khan oder James Brown, die seriöse Ernsthaftigkeit von Gil Scott-Heron, die Konzentration von Taj Mahal. Ein Schwerpunkt war seine Zusammenarbeit mit Earth, Wind & Fire, deren Ikonographie er maßgebend geprägt hat. Dazu kommen einzelne Momentaufnahmen, von Elton John etwa. Und dass Stevie Wonder mit den Fania All Stars zusammengespielt hat, war mir zum Beispiel neu. Talamon liefert den Beleg dafür. Und der Band erinnert auch ein paar Namen, die zumindest mir aus der Perspektive gerutscht sind – Merry Clayton etwa, The Stylistics oder Tower of Power. Aber deswegen sind ja solche Prachtbände so wertvolle kulturhistorische Thesauren.

Talamon etablierte sich zunehmend als der Fotograf schwarzer Musik, arbeitete direkt für Motown oder CBS Records, lieferte die Stills u.a. für die Walter-Mosley-Verfilmung von „The Devil in Blue Dress“; dokumentierte das Leben von „Bob Marley: Spirit Dancer“, begleitete 1984 für das Time Magazin den Wahlkampf für Jesse Jacksons Präsidentschaftskandidatur, und lieferte Beiträge zu „The Official Barack Obama Inaugural Book“, 2009. Die Feier schwarzer Kultur, schwarzer Haltung, schwarzen Stolz´ und schwarzen Selbstbewusstseins, die seine Fotos durchweg und sehr intentional sind, war bei Talamon schon immer politisch.
Wer sich ernsthaft mit der afroamerikanischen Pop-Kultur beschäftigt, kommt um seine Arbeit nicht herum.
Thomas Wörtche
Bruce W. Talamon: Soul. R&B. Funk. Photographs 1972–1982. Mit Beiträgen von Reuel Golden und Pearl Cleage. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2018. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. Hardcover, XL-Format, 376 Seiten, 50 Euro.
Siehe auch: Alf Mayer in CulturMag 8_2018: Hier geht sie, die Post
Dort mit dabei, eine Übersicht der wichtigsten Blaxploitation-Filme.