Geschrieben am 1. Juli 2021 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2021

TW über Walton Fords Tier(?)welten

„I like things that bite“

2009 erschien „Pancha Tantra“, Walton Fords unfassbar prächtige, opulente Variante der indischen Tierfabeln in grandiosen Bildern. 2020 ergänzt der Taschenverlag diese Edition noch um 40 neue Bilder und 100 neue Seiten (Details und Anmerkungen Fords, bzw. Inspirationsquellen). Im Grunde könnte ich meine alte Rezension von damals einfach noch einmal abdrucken, möchte Sie aber lieber bitten, nur nochmal schnell drüberzulesen, damit ich mich in der Substanz nicht wiederholen muss, merci.

Schauwert

Die neuen Werke fügen sich in Walton Fords Konzept, anhand der mehrfachen ästhetischen Aufladung seiner Bilder einerseits einen ungeheuren unmittelbaren Schauwert zu schaffen, der darauf angelegt ist, zu überwältigen, zu verblüffen, dem Publikum eine Art künstlerischen Schock zu verpassen.  Man bewundert staunend den Detailreichtum der Tierdarstellung, die altmeisterliche Techniken, biologische Genauigkeit auf die Leinwand, aufs Papier oder aufs Holz zu bringen, und sei’s per Laser. Aber das ist nur der selbstverständliche handwerkliche Aspekt.  Und dann beginnt andererseits erst das Spiel mit mehreren Bedeutungsebenen. Wichtig sind immer die Überschriften oder Titel der Bilder: „Anthroponosis 1975“, zum Beispiel. Wir sehen eine idyllische, unberührte Landschaft, eine eva-artig nackte Frau mit drei jungen Orang Utans (eines der Jungen davon in der Marien-Ikonographie auf dem Arm der Frau) nähert sich einem großen Orang Utan, der/die sich stolz auf einem Baumast aufrichtet. Eine Versöhnung von Tier und Mensch in der Natur, eine Utopie, ein locus amoenus. Wäre da nicht der Titel. Laut dem Washingtoner Artenschutzabkommen dürfen Orang Utans seit 1975 nicht mehr kommerziell gehandelt werden. Das spricht für die Idyllen-Variante, die eine solche letztendliche Versöhnung feiert. Aber leider heißt das Bild auch noch „Anthroponosis“, was man keinesfalls mit „Anthroponose“ übersetzen darf (Achtung: false friend), sondern eher mit Zoonose – die Übertragbarkeit von Krankheiten vom Menschen auf Tiere. Die Eva/Maria mit den Jungen bringt Tod und Verderben.  Der Locus amoenus wird zum locus criminalis.

Locus criminalis

Und ein solcher Ort ist die Welt von Walton Ford, und man hat den Eindruck, die 40 neuen Bilder der Edition unterstrichen diesen Eindruck noch deutlicher, als habe sich Ford in den letzten 10, 11 Jahren noch radikaler entschlossen, die Fatalität der Koexistenz von Mensch und Tier auf diesem Planeten sarkastisch zu kommentieren.  „Borodino“, zum Beispiel. Wir sehen das inzwischen schneebedeckte Schlachtfeld eines der übelsten (und dümmsten)  Gemetzel der napoleonische Kriege – grob geschätzt 100.000 Tote auf einem nicht allzu weitläufigen Schlachtfeld -, ausgetragen am 7. September 1812, auf dem Weg nach Moskau. Fords Bild ist also deutlich Wochen, gar Monate später situiert. Die Tiere – Wildschweine, Krähen, Wölfe, Füchse etc. – haben mit ihren „Aufräumungsarbeiten“ die menschlichen Überreste schon fast gänzlich beseitigt, drei Wölfe tun sich noch an den Resten eines französischen Infanteristen gütlich. Übrig geblieben sind tote Pferde und Gerät (zerborstene Kanonen, kaputte Protzen, Uniformstücke), die Verursacher der Tragödie sind entweder von der Natur (Schnee) verdeckt oder von Tieren aufgefressen. Das Grauen des Schlachtfelds aber bleibt erschreckend und deprimierend fühlbar. Manche Tiere profitieren, manche eben nicht.  

Und noch einmal Krieg: „Pacific Theater“, mit dem Zusatz „Green Sea Turtle“. Dargestellt aus der Vogelperspektive ist ein Panorama aus dem Pazifikkrieg 1945. Wir sehen Kampfflugzeuge, Schlachtschiffe, die eine Insel beschießen, wir sehen die Einschläge, brennend abstürzende Flugzeuge, Flakwolken und andere einschlägige Elemente aus einschlägigen Dokumenten und Filmen, wobei das Militärzeugs nicht konkretisiert ist, es wirkt fast wie schlichte Spielzeugmodelle. Die Insel, um die es geht, hat ähnliche Umrisse wie Iwojima, ein legendärer und essentieller Ort der us-amerikanischen Mythenbildung um zähe Japaner und heroische Marines. Bei Walton Ford aber ist die Insel der Rücken einer riesigen grünen Meeresschildkröte, eine seit langem vom Aussterben bedrohten Art. Ganz buchstäblich auf ihrem Rücken tragen die Menschen ihre mörderischen Konflikte aus, ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Botschaft scheint ein wenig simpel, aber die Maltechnik, die die Körperteile der Schildkröte in das Kriegsnarrative so geschickt integriert, dass man sehr genau hinschauen muss, ob es sich bei dem, was wir als Landungsboote wahrnehmen, nicht Teil der Struktur der Schildkrötenbeine ist, diese Maltechnik ist alles andere als simpel, sondern ein Exerzitium über Weltwahrnehmung. Wir sehen den Krieg als eher abstraktes Spektakel und übersehen zunächst das naheliegende Opfer. Das ist extrem tricky und intelligent gedacht. 

Windsor © alle Abbildungen Walton Ford

Noch ein Beispiel für Multicodierung: „Windsor“. Ein Pavian hat es sich, eine Tonpfeife schmauchend, auf einem Sessel in einem deutlich der englischen Renaissance zugehörigen Raum bequem gemacht, flankiert von einem klassischen Stillleben mit Braten, Pastete, Pfirsichen und Weinbecher. Die Subscriptio von Walton – viele seiner Bilder folgen der Tradition der Emblemata – versetzt sich in den Kopf des Pavians, der dem Braten nicht traut. Bei aller Behaglichkeit schaut er eher skeptisch drein. Datiert ist die Situation „May 1529“, und weil Ford in seinem Text schreibt: „Da ist ein massiger, fetter Mann, der krank zu sein scheint, obgleich er riesige Bissen Fleisches verschlingt. Mein Herr und die anderen sind furchtsam und sitzen nicht, noch essen sie. Der Fette ist nicht körpertüchtig, doch vielleicht auf irgendeine Art gefährlich. Lautstark zeigt er sich amüsiert wann immer ich den Rauch inhaliere. Er riecht sauer und hustet jetzt. Ich werde ihn beobachten und mich bereithalten.“ Daran tut der Pavian  recht, denn wir befinden uns deutlich am Hofe Heinrichs des Achten, vor dem seine Höflinge Angst haben, wobei dieser Henry VIII klar an seine Verkörperung durch Charles Laughton erinnert – in dem Film „Das Privatleben Heinrichs VIII“, eine ironische Komödie mit viel Mord.  Und eben einem vernünftigerweise misstrauischen Pavian.

Unschuldige Tiere?

Apropos Film: „Le bête jouant avec un chien de chasse” zeigt eine blutrünstige, biologisch nicht näher bestimmbare Bestie, die einen kleinen Jagdhund in den Fängen hat und sich in mörderischer Absicht damit vergnügt. Ford verweist in seinem Text zum Bild auf die „Bestie“ vom Gévaudan, die um 1765 herum als große Herausforderung für eine aufklärerische Naturwissenschaft galt.  Die Bestie, so war man überzeugt, reißt nicht nur Schafe und Kühe, sondern auch kleine Kinder und Frauen, wobei das Biest sich auf den Hals der Opfer stürzt und ihnen den Kopf abbeißt. Bei Ford hat die Bestie allerdings den kleinen Jagdhund gerade nicht an der Kehle, sondern hat ihn am Rücken gepackt. So widerspricht das Bild der Legende, und verweist durch diesen Widerspruch auch auf Christophe Gans´ Film „Der Pakt der Wölfe“ (2001), der ebenfalls diese spezielle Bestie zum Thema hat. Bei Gans ist die Bestie menschengemacht, bei Ford ist sie eine Bestie, aber nicht eine solche, wie die Menschen sie gerne hätten. Denn, auch das ein Subthema von Walton Fords Bildern, es wäre falsch, seine Tiere als unschuldige Geschöpfe zu begreifen, man schaue sich bloß den Zyklus „Perfect in My Memory“ an, wo u.a. ein Gibbon, in den schönsten Farben gemalt, einem in den schönsten Farben gemalten Papagei den Kopf abreißt, und das in den schönsten Farben gemalte Blut nur so spritzt.

Pataphysik

Bevor ich jetzt nur noch mehr Filmbezüge aufzähle (es sind z.B. noch King Kong im Angebot, das Luftschiff Hindenburg mit einem Junggorilla an Bord, der Ars Gratia Artis-Löwe) und literarische und geistesgeschichtliche Bezüge (vom Agnus Dei und allerlei Panther bis zum Marquis de Sade usw. uws.) auftürme, noch ein in der Tat sehr bemerkenswerter Verweis: Zwei Bilder zielen direkt auf Alfred Jarry, einer meiner persönlichen All-Time-Favorites.  „Calvaire“, das Jarrys Behausung, er nannte sie sein Kalvarienberg, zeigt. Eine Messi-Höhle, in der sich drei Eulen tummeln, die als Mitbewohner Jarrys belegt sind. Auf dem Tisch ein Revolver, Alkohol und Bücher, Jarrys Heilige Dreifaltigkeit, wenn man so will  – und etwas, was ein anachronistisches Wegwerffeuerzeug sein könnte, oder  eben eine Platzpatrone, weil der bizarre Pataphysiker damit gerne auf Leute geschossen hat. Eine rätselhafte Hommage an eine der rätselhaftesten Figuren der Literaturgeschichte, nochmal aufgenommen in „Bosse-de-Nage“, mit dem Zusatz: „1898. Ha! Ha!“. 1898 erschien bekanntlich die erste Folge des „Dr. Faustroll“, die und sich selbst hier der halluzinatorische, hackedichte Affe feiert. Und Rock-Fans können sicher auch noch was damit anfangen.

Enjoy!

Keine Angst, ich habe Ihnen noch viele Bilder übriggelassen, zum Staunen, Wundern, Rätseln, Entschlüsseln und Interpretieren. Und passen Sie gut auf die Rezeptionsfallen auf, die Walton Ford überall eingebaut hat, die verstörenden Details, die irreführenden Titel, die doppelt und dreifach codierten Bezüge, die allesamt unter der grandiosen Überwältigungsästhetik lauern. Walton Fords Bilder erzeugen sinnliche intellektuelle Wollust. Und das ist schon fast die Quadratur des Kreises.

Thomas Wörtche

Walton Ford: Pancha Tantra (Pancha Tantra, Updated Edition 2020). Dreisprachige Edition. Deutsch von Egbert Baqué. Verlag Taschen, Köln 2020. Hardcover, 28 x 37,4 cm, 3,89 kg, 424 Seiten, 60 Euro. Verlagsinformationen.

Erhältlich auch in einer auf 100 Exemplare limitierten Art Edition, jeweils mit einem von Walton Ford signierten Print.

Tags :