Geschrieben am 15. August 2009 von für Bücher, Crimemag

Walton Ford: Pancha Tantra

Bluttriefende Bisons

Spätestens seit unserem Ausflug in die mörderische Tierwelt wissen wir: Die Crime Fiction ist großes, wenn nicht das narrative Paradigma unserer Zeit. Markus Bennemanns gelehrtes und kurzweiliges Buch über „mörderische“ Tiere, benutzte diese Crime-Metapher als Kommunikationsvehikel – auf den Prachtbildern des amerikanischen Malers Walton Ford morden Tiere ganz bewusst, zielstrebig und oft begeistert – oder werden ermordet. Das ist natürlich eine arge Anthropomorphisierung, aber ob so etwas zulässig ist oder nicht, das interessiert in aestheticis niemanden. Thomas Wörtche schwelgt …

Walton Ford ist seit den mittleren 1980ern ein Star, seine Bildern hängen u.a. im Museum of Modern Art und anderen maßgeblichen Institutionen, die Literatur über ihn schwillt ständig an. Dabei kann man kaum „unzeitgeistiger“ malen als Ford das tut: Meistens mit Wasserfarben, meistens auf Papier, hin und wieder im Laser Print Verfahren, manchmal auch in Öl auf Holz. „Altmeisterliche“ Techniken, unter Ausnutzung heutiger Möglichkeiten, aber deutlich der naturkundlichen Malerei seit John James La Forest Audubon verpflichtet.

Wenn Audubon auch nie Flughunde gemalt hätte, denen Bananen phallisch aus dem Maul ragen, an deren übrig gebliebenen Schalen sich kleinere Vögel gütlich tun. Stilistisch aber ist das Bild, Moksha heißt es, in der Tat naturkundlich detailliert bis ins letzte Fellfitzelchen und den letzten braunen Flecken auf der Banane – kontextuell aber verblüfft es: Eine ganze Serie solcher Öl-auf-Holz-Vogelporträts hat Ford während eines Indien-Aufenthaltes gemalt, aber deren Bedeutung stellt sich erst dann ein, wenn man genau hinschaut. Denn überall sind Rucksacktouristen oder deren Hinterlassenschaften – vulgo Müll – zu sehen, die irgendwie in die Natur und in die indische Gesellschaft eingreifen. Ein kritisch-komischer Reflex auf die Indien-Seligkeit der Hippies, die sich um Land, Leute und Natur auf ihren Selbstverwirklichungstrips wenig kümmern. So werden dann auch die ausgelutschten Bananenschalen für die kleinen Vögelein zum Brosamen des Lazarus und damit hochsymbolisch für das Verhältnis „reicher“ Westler zur armen indischen Landbevölkerung; so bröckeln auf einem anderen Bild, N.G.O. Wallahs – sehr witziger Titel –, wieder die kleinen Vögel an einer Staniolverpackung von Schokolade herum, was ein alter Marabu besorgt beobachtet. Zumal auch andere Bilder des Zyklus die natürliche Pracht der Vogelwelt mit der zunehmenden Umweltzerstörung konfrontieren. Waltons Bilder sind also deutlich keine Schautafeln in altmeisterlicher Manier, sondern ironische, sarkastische und – man möchte fast sagen: in ihrer ästhetischen Opulenz tückisch angelegte Kommentare zu den diversen Verbrechen unserer Zeit. Die Bilder brauchen den Kontext, um mehr zu meinen als ihre Motive versprechen.

Werwölfe?

Zum Beispiel Infiltrators – eine Gruppe Wölfe, mit einem Leitwolf, der im Vordergrund bedeutungsperspektivisch riesig erscheint, belauert ein Dorf. Wölfe, die nur leicht anthropomorph anmuten? Walton Ford baut seine Bilder oft wie ein klassisches Emblem auf– mit Inscriptio, Pictura und Subscriptio. Damit ist klar, dass der Bildsinn nicht nur im Offensichtlichen liegen kann, sondern ein zweites Sinnsystem braucht. Aber welches? Zudem verbindet Ford seine Blätter und Tafeln mit Textstellen aus den verschiedensten literarischen Milieus, die ihm nach eigenen Worten als „Inspiration“ gedient haben, aber natürlich dazu gut sind, noch ein paar weitere Bedeutungsmöglichkeiten anzudeuten, zu behaupten oder zu unterstellen. Also bekommen die Wölfe hier einen deutlichen Touch ins Werwolfhafte und damit hat das Bild eine narrative Dimension, die sehr weit weg von seiner unmittelbaren Materialität liegt.

Dass eine solche narration oft einen Mord darstellt, eine blutige Gewalttat, auch wenn die Stilistik und die Inszenierung anderes sagen, liegt an Walton Fords Freude an mörderischen Viechern: „I like things that bite“, sagte er in einem Interview, also keine langweiligen Blauwale, sondern eher badass (sperm)whales wie Moby Dick. Mord und Totschlag generieren aber auch das Rätselhafte, Komische, Gewalttätige, Brutale und Gruslige an seinen Bildern. Oder alle diese Kategorien generieren automatisch Mord und Totschlag, nicht nur als conditio humana, sondern weit universeller.

Ganz deutlich wird das, wo Ford Bezüge herstellt, ohne diese bezüglichen Zitate groß zu betonen. La Fontaine, z.B. – eine Mordszene – ein Löwe tötet ein Krokodil, das aus einem solchen Wasserbecken herauskriecht, wie man sie im 17. Jahrhundert für Wasserspiele und Fontänen benutzt hat, in einem Gartenambiente, das ebenfalls auf das 17. Jahrhundert verweist, in dem Jean de La Fontaines (1621–1695) Tierfabeln entstanden sind, die das europäische Pendant zu den Pancha Tantra sind, den traditionellen indischen Tierfabeln und Namensgebern des ganzen Projektes. Das ist geistreich, witzig und absolut tödlich überzeugend.

Emblemata

Von vertrackter Blutrunst ist Le jardin: In einem französischen Barockgarten (im ästhetischen, nicht unbedingt geografischen Sinn – aber wer weiß?) hat ein bluttriefender Bison einem weißen Wolf den Bauch aufgeschlitzt, der sterbend vor dem dunklen Koloss liegt. Andere weiße Wölfe belauern den Bison, auf einer offenen Urne oder Vase (wie bei Edward Gorey) sitzt ein Rabe, während ein paar seiner Artgenossen über der Szenerie kreisen … Der Bison und die Wölfe aber stammen als direktes Zitat aus einem Gemälde des amerikanischen Malers und Grafikers George Catlin (1796–1872), dessen berühmte Bilder aus dem Westen der USA fast ikonographisch sind. Catlin steht für eine Tradition der Natur- und Tiermalerei, zu der etwa auch Karl Bodmer und Frederic Remington gehören, die beide stete Inspirations- und Bildvorratsquellen für Walton Ford sind.

Ford bastelt also eine Art blutige Kontinuität (oder ein Universum von ins Blutige gekehrten Bildwelten) nach hinten. Sein Bildwitz, seine Anspielungen, sein enormes kunst- und naturwissenschaftliches Wissen fordern nachgerade dieses Suchen und Aufzeigen von Analogien und Strukturähnlichkeiten.

Die Tiermalerei schöpft aus zwei Quellen: aus der Naturbeobachtung und der präzisen Beschreibung, besonders in systematisierender Absicht, sowieso aus der symbolischen, allegorischen und emblematischen Tradition des „natura loquitur“ (Natur = das 2. Buch Gottes). Man kann, wie das die nicht minder geniale Anita Albus tut, diese Art der Malerei sozusagen im Ernsten, Lauteren und Reinen belassen. Oder man kann, wie Walton Ford es tut, daraus eine Menge Surplus schlagen. Das Surplus wird dann opulent, bösartig, vielfach codiert, verwirrend und eben: Tödlich.

Crime

Dass die Standardsituationen der Crime Fiction so allmählich jedes künstlerische Milieu durchdringen, ist bemerkenswert. Wenn auch nicht sehr überraschend – denn wenn ein Paradigma der Weltsicht und der Weltexegese sich soweit massenmedial und überhaupt durchgesetzt hat wie die Formel, dass die Welt ein verbrecherischer Ort sei, dann kann es momentan kaum crime-freie Bereiche mehr geben. Nolens volens. Und dann ist der Bezug auf vielerlei Traditionen auch eine neue Perspektive auf die Kunst- und Geistesgeschichte. Die Naturgeschichte freilich mit einzubeziehen, wie Walton Ford das macht, ist und bleibt metaphorisch. Aber deswegen produziert Ford ja auch Kunst und keine Wissenschaft.

Anyway, der gewaltige Prachtband, ist technisch hervorragend gemacht (kleine Macken im Druck sind hoffentlich nur in der Partie der Rezensionsexemplare passiert), Gesamtbilder und Detailansichten klug gesetzt. Und das Vorwort von Bill Buford ist auch bestens gelungen. Eines kann ich versprechen – man kann Tage, Wochen und Monate mit Fords Bildern verbringen – mit bedrohlichen schwarzen Panthern, Quaggas mit Dolchen in der Flanke, mit fickenden Papageien in S/M-Apparaturen, mit Fallen, mit vandalischen Affen und einer Menge Granatäpfel, letztere in der Manier niederländischer Stillleben präsentiert. Die bedeuteten schon immer Fruchtbarkeit, Macht und Tod.

Thomas Wörtche

Walton Ford: Pancha Tantra. (Pancha Tantra, 2007). 3-sprachige Edition. Deutsch von Egbert Baqué. Köln: Taschen 2009. 320 Seiten. 49,90 Euro.