
„Seventeen“, der Debutroman des britisch-kanadischen Drehbuchautors John Brownlow, ist ein Phänomen: Ein Roman, der bei leidlicher Genre-Kenntnis Schritt für Schritt voraussagbar ist, aber dennoch aufs Vergnüglichste unterhält.
Seventeen, die Hauptfigur ohne Namen, ist Auftragskiller für eine Auftragskiller-Agentur. Er ist der Top-Mann der Branche, seit Sixteen, sein Vorgänger auf der Position, spurlos verschwunden ist. Durch geschickte Manipulationen und die finstere Ranküne us-amerikanischer Geheimdienste, die unbedingt einen Krieg gegen den Iran anzetteln wollen, ist Seventeen gezwungen, Sixteen aufzuspüren und zu liquidieren. Nebenbei erfahren wir in Rückblenden, wie unser Ich-Erzähler zum Profikiller wurde, wie er manchmal am Job zweifelt, aber wie er auch weiß, dass man aus dem Geschäft nicht aussteigt. Das Duell zwischen Sixteen und Seventeen folgt dem alten Muster junger Scharfschütze fordert alten Scharfschützen heraus, der´s aber auch noch voll draufhat, und dann merken sie, dass sie so unterschiedlich nicht sind – eine seit den Zeiten klassischer Western topische Situation. Topisch auch die Geschichte vom schurkischen Auftraggeber, der seinen besten Mann ohne mit der Wimper zu zucken opfert, weil der ihm ein bisschen zu nachdenklich geworden ist, und zudem noch ein paar andere fiese Tricks auf Lager hat. Topisch die Katz-und-Maus-Spiele der beiden Killer – wer ist der schlauere? Wer hat noch ein Ass im Ärmel. Was dann zu einer Reihe von Showdown-Situationen führt, die beinahe final ausgehen, bis dann in allerletzter Sekunde doch noch … Und natürlich darf auch die damsel in distress nicht fehlen – hier gleich in doppelter Ausführung, wobei es sich, ganz zeitgemäß gecastet, bei den beiden Ladies, die in Schurkenhand fallen, keineswegs um hilflose Hascherl handelt. Und eine familiäre Komponente gibt es auch. Dazu jede Menge Geballer, Autojagden, Nahkampf, Explosionen, Waffenkunde, Opfertod und natürlich Blut und Wunden, als Schmerzensmann ist Seventeen absolute Spitzenklasse. Folgerichtig ist auch das Sequel mit dem wenig überraschenden Titel „Eightteen“ angelegt.
Man könnte jetzt so ziemlich alle Vorlagen für „Seventeen“ aufzählen, seit Geoffrey Households „Rogue Male“ von 1939 bis Aidan Truhens „Fuck you very much“, dazu jede Menge Polit-Thriller-Twist-Raffinesse à la Brian Freemantle oder Robert Littell. Und natürlich alles, was ja als James-Bond-, Die Hard- oder Jason-Bourne über die Leinwände flimmerte (schließlich ist Brownlow der Drehbuchautor unter anderem zur Serie „Fleming – Der Mann, der Bond wurde“). Wer sich im Genre des actionhaltigen Polit-Thrillers auskennt, wird vor Entzücken quietschen, wer nicht, kann sein Vergnügen an einer wie geölt laufenden Handlung haben – ein Action-Märchen vom Feinsten, ohne den Hauch ablenkender Innovation.
Zum hohen Unterhaltungswert trägt maßgeblich die Erzählhaltung bei: Leser-Anrede, ein lakonisch-zynischer Tonfall, der aber doch versöhnlich abgefedert ist, Cliff-Hanger durch Zeitsprünge und Perspektivwechsel, alles wie aus dem Lehrbuch. Alles auf Effekt getrimmt, alles perfekt. Auch andere Dimensionen stören nicht: Böse Amis wollen den Krieg, nicht ganz so böse Amis verhindern das. Als Kind war Seventeen Gewalt ausgesetzt (seine Mutter wurde vor seinen Augen ermordet), jetzt übt er Gewalt aus. Und die Welt ist nun einmal ein unschöner, gefährlicher Ort. Ja, ist ja gut, wir, wir haben schonmal davon gehört. Nur irgendeinen substantiellen Kern hat das Buch nicht. Keinen ideologiekritischen, keinen medienkritischen und schon gar nicht einen psychologischen. Alles ist second and third hand. Und das ist gut so, vermeidet Brownlow doch damit die Falle, in die massenmedial designte Konsumprodukte wie die späten James-Bond-Filme etwa unweigerlich hineintappen, wenn sie „menschliche Tiefe“ oder dergleichen simulieren wollen.
Die technische Perfektion und das Lesevergnügen aber sind erstaunlich. Unterhaltung pur. Das muss man erstmal so hinkriegen. Allerfeinste Strandlektüre, ex und hopp deluxe.
© 06.2023 Thomas Wörtche
John Brownlow: Seventeen (Seventeen, 2023). Deutsch von Stefan Lux. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2023..396 Seiten, 13 Euro.