Geschrieben am 17. Oktober 2017 von für Crimemag, Film/Fernsehen

TV-Serien: „Babylon Berlin“ und „Das Verschwinden“

91FKmapkBGL-tileGroßartige Krimi-Serien im Doppelpack

Sonja Hartl hat sich mit zwei neuen Krimi-Serien beschäftigt.

Krimi findet in Deutschland im Fernsehen statt – das ist eine häufig gebrauchte Formulierung, die aber im Oktober äußerst wahr ist. Denn neben Dominik Grafs Tatort „Der rote Schatten“ vom Sonntag 15. Oktober 2017 ist jetzt am 13. Oktober bei Sky „Babylon Berlin“ gestartet, die mit großen Erwartungen und Medienrummel begleitete Verfilmung der Gereon-Rath-Romane von Volker Kutscher, und ab dem 22. Oktober läuft Hans-Christian Schmids erste Fernsehserie „Das Verschwinden“ in der ARD an. Dabei könnten die beiden Serien auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein: Riesenbudget, jahrelange Entwicklung, historischer Stoff bei „Babylon Berlin“; sechs Millionen Euro, 90 Tage Drehzeit und deutlich in der Gegenwart verankert bei „Das Verschwinden“. Jedoch sind es zwei Serien, die neue Maßstäbe setzen werden – und zwar nicht nur für das deutsche Fernsehen.

Denn die Einschränkung, für das deutsche Fernsehen seien diese Serien ja ganz gut, sollte man von vorneherein vergessen. „Babylon Berlin“ und „Das Verschwinden“ sind zwei herausragende Serienproduktionen. Erstere besticht – zumindest in den ersten vier Folgen, alle konnte ich noch nicht sehen – vor allem mit Opulenz, zweitere mit Präzision. Dabei lässt sich im Vergleich sehr deutlich erkennen, wie beide Serien einen Kriminalfall als Ausgangspunkt und roten Faden nutzen, um von einer Gesellschaft zu erzählen, „Babylon Berlin“ dabei den Blick aber extrovertiert nach außen richtet, während er bei „Das Verschwinden“ nach innen gekehrt ist. Und damit ist keineswegs impliziert, dass die eine Serie besser als die andere sei. Es sind schlichtweg zwei verschiedene Wege und Absichten des Erzählens.

babOpulent!

Bei „Babylon Berlin“ ist im Grunde genommen von vorneherein alles als Ereignis angelegt: In einer bisher einmaligen Kooperation von X Filme, ARD Degeto, Sky und Beta Film haben Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten ein Produktionsbudget von knapp 40 Millionen Euro zur Verfügung gehabt, welches die Serie zur bisher teuersten deutschen Fernsehproduktion macht. Rund drei Jahre haben sie gemeinsam an den Drehbüchern geschrieben, parallel dazu wurde das Set-Design entwickelt. Letztlich wurden im Studio Babelsberg vier Straßenzüge gebaut, dann wurde knapp 200 Tage lang gedreht. Tatsächlich zeigen die ersten vier Folgen, dass die Kulissen eindrucksvoll und gerade im Atmosphärischen sehr stimmig sind. Berlin darf sogar weitaus dreckiger sein als in vielen anderen Produktionen. Aber „Babylon Berlin“ ist nicht nur ein Ausstattungsstück, denn in diesen wunderbaren Sets bewegen sich bisher klug angelegte Figuren, die eine Geschichte mit sich bringen und sich erforschen lassen. Der Kriminalfall aus Volker Kutschers Romanvorlage wurde aufgefächert und neu angelegt, hier wird mehr erzählt werden als ein Goldschmuggel, das deutet sich bereits an. Deshalb nimmt in „Babylon Berlin“ in den ersten vier Folgen ein Sittengemälde seinen Anfang, das nicht in die Nostalgiefalle tappt. Vielmehr wirkt die Serie oftmals erstaunlich gegenwärtig und zwar eben nicht nur in den politischen Implikationen und dem erstarkenden Faschismus, sondern auch in den Figuren und in den grandiosen Tanz- und musikalischen Szenen.

Präzise und komplex: „Das Verschwinden“ von Hans-Christian Schmid und Bernd Lange

Gegenwärtig ist „Das Verschwinden“ allein schon durch die Handlungszeit, zugleich aber spüren Hans-Christian Schmid und sein Co-Drehbuchautor Bernd Lange aktuellen Themen und Problemen nach. Die 20-jährige Janine Grabowski (Elisa Schott) verschwindet nach einem Disco-Abend mit ihren Freundinnen Laura (Saskia Rosendahl) und Manu (Johanna Ingelfinger). Die Polizei nimmt an, Janine sei abgehauen aus dem Kleinstadtleben in Forstenau nahe der tschechichen Grenze, ihre Freundinnen hoffen es sogar. Aber ihre Mutter Michelle (Julia Jentsch) ist überzeugt, dass Janine etwas zugestoßen sein muss und macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter.

ver2Diese Suche gibt nun den Anstoß für das Erforschen dieses Kleinstadtlebens. Hier treffen insbesondere zwei Dynamiken aufeinander: Seit der Grenzöffnung kommt zum einen aus Tschechien immer mehr Crystal Meth in den Ort. Anders als bei anderen Drogen gibt es hierfür aber keinen hierarchisierten Handel, keine kriminellen Organisationen, die ihn fest in der Hand haben, sondern weitaus mehr Freizeitdealer. Zum anderen entblättern sich in den Familien in diesem Ort immer mehr Lebenslügen, Risse und Geheimnisse. Dabei bezieht die Serie aus diesen Beziehungsgefügen zwischen Eltern, die Kinder beschützen wollen, sie fördern und fordern, und Kindern, die zunehmend verunsichert und unglücklich sind, eine bestechende innere Spannung, die von Folge zu Folge zunimmt. Denn zugleich stellt sich sukzessive heraus, dass die Eltern erkennen müssen, dass sie ihre Kinder letztlich überhaupt nicht kennen – und die Kinder allmählich zugrunde gehen.

Genial gemacht

Lisa

Liv Lisa Fries

Johanna

Johanna Ingelfinger

Bei beiden Serien stimmt fast alles: die Drehbücher, die Ausstattung, die Kostüme, die Kameraarbeit, der Schnitt und die Musik. Und bei beiden Serien ist es eine Schauspielerin, die innerhalb eines guten Ensembles herausragt: Liv Lisa Fries als Charlotte in „Babylon Berlin“ und Johanna Ingelfinger als Manu Essmann in „Das Verschwinden“. Dabei sind es aber grundverschiedene Geschichten, die erzählt werden: Bei „Babylon Berlin“ geht es um die Zeit, um die Weimarer Republik und ihre verschiedenen Milieus, bei „Das Verschwinden“ ist das soziale Umfeld sehr genau gesetzt, hier werden die komplexen Beziehungen innerhalb dessen erforscht. Beide Male erweist sich aber das serielle Format als sehr passend: Es gibt den Regisseuren und Drehbuchautoren die nötige Zeit zum Erzählen, welches bei „Babylon Berlin“ in die Breite, bei „Das Verschwinden“ hingegen in die Tiefe geht. Deshalb wirken beide Serien auch unterschiedlich: „Babylon Berlin“ ist prachtvoll und mitreißend, bei „Das Verschwinden“ hingegen schleicht sich durch diese spannungsgeladene innere Ruhe hingegen das Gefühl ein, permanent vor einer Implosion zu stehen.

Sonja Hartl

„Babylon Berlin“ läuft seit dem 13. Oktober 2017 bei Sky. Es werden zunächst 16 Folgen der ersten beiden Staffeln gezeigt. Zwei weitere Staffeln sind in Auftrag gegeben. Die Ausstrahlung auf der ARD wird Ende 2018 sein.

„Das Verschwinden“ läuft am 22., 29., 30. und 31. Oktober 2017 um 21:45 Uhr bei der ARD. Die acht Folgen werden als Doppelfolgen ausgestrahlt.

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