Geschrieben am 15. August 2018 von für Crimemag, CrimeMag August 2018

Thomas Wörtche über Komik & Meta

Bloß Komik oder doch schon Meta?

Deutschsprachige Kriminalliteratur und Komik, das ist so´n Ding. So richtig geklappt hat das nie – Ausnahmen bestätigen eher die Regel: Rob Alef, Gisbert Haefs, Wolf Haas, Heinrich Steinfest, mehr fällt mir im Moment nicht so richtig ein. Der Rest ist meistens nur lustisch oder witzisch, eher oh weia bis peinlich. Aber weil wir ja das Volk der Dichter und Denker sind, könnte es vielleicht mit „Meta“ klappen. Oder was wir für „Meta“ halten sollen.

Thomas Wörtche hat sich zwei Romane unter Meta-Verdacht angesehen: Jens Schäfers „Wer sich in die Provinz begibt, kommt darin um“ und Karl Wolfgang Flenders „Helden der Nacht“.

511I8f7L4PL._SX319_BO1,204,203,200_Gary Dexter mit seinem „Marodeur von Oxford“ und Laurent Binet mit der „Siebten Sprachfunktion“ haben mit ihren Books-on-Books oder, vornehmer ausgedrückt, mit ihren Meta-Krimis die Latte vor ein paar Jahren ganz schön hochgelegt. Jetzt versuchen sich gleich zwei deutsche Autoren an so etwas in dieser Richtung. Da ist einmal Jens Schäfer mit „Wer sich in die Provinz begibt, kommt darin um“. Selfmade Privatdetektiv Leo Donat (zu Scherzen mit Namen kommen wir später) wird von einem Regionalkrimi-Verleger/Programmchef angeheuert, verschwundene Autorinnen und Autoren dieses beklagenswerten Subgenres aufzustöbern, die aber allesamt werk-gerecht (sozusagen als Pastiche) in ihren jeweiligen Provinzen von der Pfalz bis an die Ostsee schon längst gemeuchelt sind. Dahinter steckt natürlich, wir ahnen es früh … ach, nee, 51JPVfP3WLL._SX318_BO1,204,203,200_wird nicht verraten, ist eh ein deus ex machina (resp. so etwas witternd, evident).  Jetzt fängt das Grübeln an: Ein Meta-Regionalkrimi, also ein Krimi über „die Bedingungen der Möglichkeiten von …“, um eine alte „Poetik und Hermeneutik“-Denkfigur zu zitieren? Eher nicht, denn zur Poetik und Ästhetik des Regiokrimis gibt es in diesem Text keine sinnvollen Überlegungen (nein, auch implizit nicht), nur ein paar allgemeine Rundschläge zum „Milieu“ beziehungsweise zum vermuteten Literaturbetrieb und zu blöden/bösen Verlagen, die eher auf lustigen Fantasiebildern denn auf wirklichen Verhältnissen basieren. Insofern gehört der Text eher zu den meistens völlig danebengehenden „Literaturbetriebs-Krimis/Romanen“, die viel mehr das prätendierte „Wissen“ der AutorInnen und deren wunderlicher Drang, unbedingt als „Insider“ rüberzukommen, zur Schau stellen. Ist aber schon okay.

Parodie?

Eine Parodie? Dann müsste der Text mit parodistischen Techniken arbeiten, also mit „Übererfüllung“ oder „Untererfüllung“ oder „ungemessenerer Kontextualisierung“ oder irgendwas in der Richtung, zumindest aber mit Komik. Das tut er genau nicht. Er ist genauso bieder und brav (und un-komisch) gedacht und erzählt wie jeder durchschnittliche Regio-Krimi auch, nur dass dieser hier halt Regio-Krimis zum Thema hat. O, sancta simplicitas, wenn das schon als „meta“ durchgeht. Und schon gar keine Parodie ist das Buch, weil es keinen Angriffspunkt, kein kritisches Moment hat, weit und breit nicht. Parodie ist schließlich eine Form der komischen, kritischen Textverarbeitung.

Pastiche?

Pastiche? Naja, Marcel Proust zum Beispiel konnte Pastiches. Die brauchte er, um seine ästhetischen Positionen sozusagen dialogisch zu entwickeln – dialogisch mit ernstzunehmenden Gesprächspartnern. Aber wer will schon ein Pastiche auf eine ästhetisch belanglose Formel schreiben? Um zu zeigen, dass man selbst auch belanglos schreiben kann? Wir wollen da nicht stören. Also eher eine nette, harmlose „Hommage“ an ein nur im allerbesten Fall nettes Subgenre. Abgesehen davon, dass eine Hommage die Dignität (siehe unten) der Referenz braucht, stellt sich die Frage: Warum?

Hommage

51ypSsvRZjL._SX320_BO1,204,203,200_Weitaus cleverer stellt sich da Karl Wolfgang Flender an: „Helden der Nacht“. Das ist tatsächlich eine Hommage an die gute, alte Privatdetektiv-Figur, wie sie einmal war und nie wieder sein wird. Das ist auch Thema des Buches, in dem eine App namens Detectify (jeder kann detektieren) und andere Misslichkeiten der digitalen Welt so ziemlich alles kaputt machen, was den Zauber der Welt ausmacht. „Für die Möglichkeit des Detektivs an sich“, lautet, der wenn auch gelallte Kampfruf des Helden. „Das ist seine wahre Mission: Er muss das Geheimnis retten … Es ist das letzte Aufbäumen der alten Welt gegen die neue, das letzte Gefecht“. Wir kennen diesen Gedanken von Jacque Silette, dem fiktiven Mentor von Sara Grans Claire DeWitt, die ich hier vermisse, aber möglicherweise verstehe ich ja auch eine Verschlüsselung nicht. Ach ja, wie nostalgisch, wenn nicht auch diese Nostalgie schon wieder sehr ironisch rüberkäme. Deswegen ist das Universum von Flender auch von Figuren bevölkert, die mitten in Berlin Mahlow heißen oder Spadow oder Caligula Fox oder Ivy Krakowski, die weibliche Heldin Colleen McCollum, der Held Bryan Auster, der Oberbulle  Bloke Hoseley (ja, er klappert mit dem Gebiß). Der schönste Running Gag ist Colleen McCollums Sidekick Daniel oder Darius oder David oder – bitte komplettieren Sie andere D-Namen selbst. Beinahe jede Szene liefert eine Anspielung oder ein Zitat aus jedem Medium, das nicht schnell genug auf die Bäume kommt, oft albern (Albernheit kann eine große Tugend sein), meistens sehr intelligent. Nur sehr übellaunige Menschen kämen auf die Idee, darin den ausgekippten Zettelkasten eines renommiersüchtigen Schlaumeiers zu sehen. Diesen Ball spielt Flender sehr clever zurück: Indem wir das alles kennen, erkennen und dechiffrieren (wollen), sind wir genau so kleine geltungssüchtige eitle Schlaumeier, mindestens. Und das macht Spaß.

TATORT, och?

Eines allerdings passt nicht ganz. „Helden der Nacht“ ist in der Tat eine großartige Hommage an die großen Detektivfiguren der Literaturgeschichte, aber dass hin und wieder ausgerechnet auch der TATORT als Referenztext herhalten muss – die Antithese per se zu den mythischen Figuren – ist zwar ganz witzig, stellt aber damit eine Augenhöhe zu den basics her, die es so nicht gibt. Aber nu … Ach ja, und dann ist da ja auch noch eine richtige, robuste und angemessen wirre Handlung mit Rechten, durchgeknallten dot.com. Investoren, Sex-Kram, Spinnern und Echsenmenschen, die manchmal ein bisschen auswuchert und ausleiert, als wäre ihre Blaupause Chandlers „Big Sleep“, aber sichtlich das Vergnügen abbildet, das man hat, wenn man noch einen draufsetzt und noch einen und noch einen. Vor Nachahmung allerdings wird dringend abgeraten.

Thomas Wörtche

Jens Schäfer: Wer sich in die Provinz begibt, kommt darin um. Roman. Ullstein, Berlin 2018. 288 Seiten, 10 Euro.

Karl Wolfgang Flender: Helden der Nacht. Roman. Dumont, Köln 2018. 400 Seiten, 22 Euro.

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