
Jérôme Leroy und Max Annas haben gemeinsam einen Roman geschrieben: „Leipzig Terminus“
Manche Ideen sind irgendwie logisch. Das Lyoner Festival „Quais du Polar“, eine der feinsten Adressen im europäischen Krimi-Festival-Zirkus hatte die Idee, einen „vierhändigen“ Roman schreiben zu lassen, eine Art literarischer Cadavre-exquis, wie diese Methode bei André Breton und den Surrealisten genannt wurde. Einer fängt an, der andere macht weiter. Die beiden Spieler, Jérôme Leroy und Max Annas, sind hinreichend unterschiedliche Autoren, um kreative Spannung und Reibung aufkommen zu lassen, aber sie stammen eben auch, wie Leroy in einem Interview sagte, „aus derselben Familie“, der des Roman Noir. Präziser des Néo-Polar, also dem französischen Kriminalroman mit starkem politischen Akzent. Die Bücher beider Autoren kreisen, grob gesagt, letztendlich immer wieder um die populistische Rechte, um die neuen und alten Nazis, um Rassismus und Xenophobie, um die historischen Schmutzecken der Geschichte beider Länder, ohne für die Verfehlungen und Versäumnisse der Linken blind zu sein.
Die Story des schmalen Romans ist recht kompakt: Catherine Steiner, Commissaire bei der französischen DGSI, ausgebrannt, gefährlich alleingängerisch und drogenabhängig, stößt bei der Ermittlung einer Kette von Attentaten von rechtsradikalen Kräften gegen ehemalige linke „Kämpfer“, die sich längst „zur Ruhe gesetzt haben“, auf die Identität ihres Vaters. Auch er, ein Überlebender des „bewaffneten Kampfes“, hat sich mit seiner Lebensgefährtin in den Windschatten des Lebens zurückgezogen und kommentiert höchstens noch auf Twitter aus seinem unauffälligen Häuschen in einer zur Räumung anstehenden Gartenkolonie bei Leipzig das Weltgeschehen mit galligen Posts. Als sich ihre Mutter umbringt, kann Steiner kombinieren, dass eben dieser Wolfgang Sonne ihr Vater ist. Ein Vater, der sich nicht um seine Frau und nicht um seine Tochter gekümmert hatte, weil die Weltrevolution nun einmal wichtiger war. Vor Wut rasend fährt Steiner nach Leipzig, mit dem festen Vorsatz ihren Vater zu töten, wo sie just dann ankommt, als das Haus von Sonne von ortsansässigen Nazis, darunter etliche Polizisten (wir sind ja in Sachsen) angegriffen wird. Dann beginnt das Töten …
Rau und roh
„Terminus Leipzig“ ist ein kleiner, fieser Roman, roh und rau, deutlich bemüht, sich nirgends anzubiedern, jede bequeme Gefälligkeit auszuschließen. Es gibt keine Guten, keine Bösen. Alle sind gewalttätig in einem gewalttätigen Setting. Die Gewalt-Geschichte der extremen Linken ist noch genauso präsent wie die Gewalt der Rechten, auch wenn beiden Autoren ein Hufeisendenken nirgends zu unterstellen ist. Es geht um geschichtlichen Bodensatz, der noch unbearbeitet haftet, und um aktuelle Bedrohungen, die sich in Gewalteruptionen entladen. Literarisch zusammengepresst auf 127 Seiten, wobei man die Anteile der beiden Autoren deutlich sehen kann – bilde ich mir zumindest ein. Aber das ist nicht weiter wichtig, weil es keinen französischen und keinen deutschen Standpunkt gibt, der die Gegebenheiten jeweils anders einschätzt, oder den jeweilig anderen Blick dementiert oder sabotiert. Das trägt zu einer gewissen Geschlossenheit des Romans bei. Auch wenn die Belagerung des Sonneschen Häuschen ein bisschen an Max Annas´ Erstling, „Die Farm“ erinnert, gibt es noch eine wichtigere Klammer: Die Romane von Jean-Patrick Manchette (an einer Stelle wird er explizit erwähnt), der „Gründervater“ des Neó-Polar, und ein radikaler Skeptiker gegenüber jedem revolutionären Pathos, aber dennoch mit präziser politischer Haltung. Das Schlussgemetzel von „Terminus Leipzig“ mit erheblichem Bodycount ist eine deutliche Hommage an Manchettes „Nada“, mit einem feinen Unterschied …
Der Bezug auf Manchette ist natürlich auch mehr als bloß eine literarische Verbeugung vor einem Großmeister des Genres. Er stiftet einen Konsens darüber, was – über Ländergrenzen – hinweg, gelungene Kriminalliteratur sein kann und sein soll. Keine gefällige Kuschel- und Wellness-Lektüre, sondern widerborstige, wo nötig wütende, radikale literarische Auseinandersetzung mit einer durch und durch gewalttätigen Welt. Natürlich nicht wie Manchette, sondern im Geiste Manchettes, aber eben jeweils von Jérôme Leroy und Max Annas sui generis. So gesehen könnte man „Terminus Leipzig“ sogar als kleines europäisches Manifest verstehen.
Thomas Wörtche
Jérôme Leroy & Max Annas: Terminus Leipzig (französische Teile deutsch von Cornelia Wend). Nautilus, Hamburg 2022. 130 Seiten, 14 Euro.