
James Hadley Chase
– Wer steckt hinter James Hadley Chase? Kein Geringerer als Graham Greene. Das sagen zumindest Les Polarophiles Tranquilles, ein französischer Verein, der sich seit zehn Jahren ambitioniert des Kriminalromans annimmt. Des klassischen Kriminalromans wohlgemerkt, der als Schmuddelgenre früher von der Literaturkritik mit spitzen Fingern angefasst oder gleich hochnäsig übersehen wurde und der heute trotz der Krimi-Woge, die uns überschwemmt, im aufgeregten Geplapper der Krimi-Neuerscheinungen erneut vergessen wird.
Zu Unrecht, wie die Polarophiles Tranquilles meinen, und die daher Werke fast vergessener Autoren aus dem Bücherregal ziehen, abstauben und sie für einen Moment ins Scheinwerferlicht halten: Zweimal im Jahr erscheint ein kostenloses Bulletin, unabhängig und ohne kommerzielle Interessen, nur gewidmet den geliebten Klassikern wie etwa James Hadley Chase, Frédéric Dard, Georges Simenon, Stanislas-André Steeman oder Dolores Hitchens.
Manchmal stoßen Sie bei ihrer gründlichen Beschäftigung mit der Kriminalliteratur auf Überraschungen:
Decken Sie hier den größten literarischen Schwindel des 20. Jahrhunderts auf, der ungeachtet der Tatsachen, bislang von der literarischen Kritik negiert wird. Der stets Nobelpreisverdächtige Graham Greene soll die grausam-schmuddeligen Chases geschrieben haben? Das, was die friedlichen Polarophilen im Laufe der Jahre ausgegraben haben, stört langsam ganz gewaltig den Frieden der etablierten Literaturwelt. (Zu Teil 1 und Teil 2)
Der seltsame Fall des Dr. Greene und Mister Chase (Fortsetzung )
Von Thierry Cazon und Julien Dupré
Übersetzung: Christiane Dreher
Zusammenfassung der vorhergehenden Ausgabe: Nach dem Erscheinen verschiedener Texte (Essays, Zeitungsartikel), die vermuten lassen, dass die von James Hadley Chase geschriebenen Kriminalromane sehr wahrscheinlich aus der Hand von Graham Greene stammen, fürchtet Mr. Chase, dass ihr Geheimnis gelüftet sei, und er bittet Mr. Greene darum, Bilanz zu ziehen. Die beiden Männer besprechen ausführlich die literarischen Übereinstimmungen, die zwischen ihren Werken bestehen.
Aber welche Gründe stehen hinter einer solchen Zusammenarbeit? Die beiden Hauptakteure kommen hier zu einem zweiten Gespräch zusammen, um vor allem die technischen Aspekte ihrer Zusammenarbeit zu erörtern.
II. Akt:
Der Wechsel der Pseudonyme
Greene: Ich freue mich, Sie wieder zu sehen, mein lieber James …
Chase: Um Himmels Willen, Graham, hören Sie auf, mich alle naselang „mein lieber James“ zu nennen. Sonst fühle ich mich wie ein Hoteldiener, der die Befehle seines englischen Herrn erwartet …
Greene: Der Vergleich ist gar nicht schlecht. Mir kommt da gerade eine Idee…
Chase: Du lieber Gott!
Greene: Ich habe eben einen Roman beendet, der ganz in ihrem Stil ist, mit einem kleinen neuen Zusatz. Wissen Sie, ich finde die Brutalität von Chase seit einiger Zeit etwas abgestumpft. Die Abenteuer des Polizisten Lepski, die Darstellung der Reichen in Paradise City[1] – dieses erfundene Gegenstück von Miami Beach – das alles lässt schön die Kasse klingeln, aber scheint mir sehr brav im Vergleich mit den Gipfeln des Sadismus, die ich zu meinen Anfängen erklomm: Ich fange an, mich ein bisschen zu langweilen.
Chase: An was denken Sie?
Greene: Na, da die Zensur die Journalisten heute mehr verfolgt als die Schriftsteller, habe ich Lust zu den Anfängen zurückzukehren. Von jetzt an riskieren wir nichts mehr, selbst wenn wir es gründlich tun …
Chase: Was? Noch brutaler? Immer noch weiter ins Unerträgliche? Guter Gott, Graham, wollen Sie mich endgültig in den Untergang treiben?
Greene: Sind Sie nicht damit einverstanden?
Chase: Ich kann nicht noch mehr dieser Texte auf mich nehmen, Graham. Bei jeder Veröffentlichung lacht die Kritik hämisch und meine Frau schaut mich an, als ob ich all diese Nettigkeiten, die Sie mir Seitenlang zuschreiben, ausleben würde. Deshalb sage ich Ihnen klar und deutlich: Ihre sadistischen Phantasien dürfen Sie in Ihr offizielles Werk integrieren, zwischen Der Honorarkonsul / Consul honoraire und Der Menschliche Faktor / Facteur humain …
Greene: Schon gut, ich werde eine andere Lösung finden. Ich glaube, ich werde Peter Loughran anrufen: er war vor langer Zeit einverstanden, mir als Strohmann für London Express zu dienen, ich bin sicher, er wünscht sich nichts sehnlicher als wieder anzufangen…
Chase: Aha. Sollten Sie jemals im Kopf haben, mich durch ihn für ihre Untergrundproduktion zu ersetzen …[2]
Greene: Sie sind ermüdend mit ihren Skrupeln, mein Lieber. Gestern schon haben Sie mir die Ohren vollgejammert mit ihren literarischen Vergleichen zwischen meinem offiziellen Werk und dem, das ich Ihnen gütiger Weise zur Verfügung stelle – und das alles, weil einige Schnüffler eine oder zwei Eingebungen hatten … Kommen Sie, entspannen Sie sich. Bedenken Sie, dass es nur aufgrund meiner Initiative ist, dass wir unsere Erinnerungen austauschen können, Brandy trinkend, auf einer Caféterrasse in Lausanne, während sich vor uns der Genfer See in all seiner Pracht erstreckt – und in dem sich die Pracht unserer Bankkonten spiegelt … wenn auch versteckt … ich weiß, ich bin zynisch, aber was für einen Weg haben wir seit 1939 zurückgelegt, und was hatten wir für finanzielle Schwierigkeiten!
Chase: Ich weiß nicht, ob es Zynismus oder Nostalgie ist, was Sie momentan umtreibt.
Greene: Eine Mischung aus beidem zweifelsohne. Das menschliche Wesen ist eine erstaunliche Mischung der Gefühle … Was mich umtrieb 1939 – und mich dazu brachte, Sie um ihre Dienste zu bitten – war die Not, so schnell wie möglich Geld zu verdienen, und das nicht nur, um nicht mehr an jedem Monatsende in Schwierigkeiten zu sein wie in meiner Anfangszeit, sondern auch, weil ich wusste, dass es sicher einen Krieg geben würde. Wie sollten meine Frau, meine zwei Kinder und ich selbst diese Blut- und Tränenreiche Zeit überstehen, wenn ich keine materielle Sicherheit bieten konnte?
Chase: Gestern sprachen Sie von Jagd im Nebel / l’Agent secret mit dessen finanziellem Erfolg sie rechneten …
Greene: Er hat mich aus der Affäre gezogen, sicher, aber nur für eine kurze Zeit. Das war übrigens bei allen „Unterhaltungsromanen“, die ich in den dreißiger Jahren schrieb, der Fall. Orientexpress /Orient Express, Das Attentat / Tueur à gages: sie füllten die finanzielle Leere, die die ehrgeizigeren Romane, die sich schlecht verkauften, verursachten, wie zum Beispiel Schlachtfeld des Lebens / C’est un champ de bataille, Ein Sohn Englands / Les Naufragés, oder Am Abgrund des Lebens / Rocher de Brighton … [3] Dieses Mal aber tat sich ein gähnender Abgrund unter unseren Füßen auf. Wie konnte man diese Gefahr abwenden?
Chase: In dem Sie eine neuen Saite auf ihren Bogen zogen – und das ist genau der Moment meines Auftritts …
Greene: Noch nicht! Vergessen Sie nicht, dass es der Roman Jagd im Nebel war, der mir als Vorlage für meine Idee diente. Schnell konzipiert, schnell geschrieben, trägt dieser Roman, ohne verallgemeinern zu wollen, weniger den Stempel des „Greenelands“ als alle meine vorhergehenden Bücher, so dass man ihn als das Werk eines anderen Autors hätte nehmen können. Sie kennen meine Lust am Geheimnis: mir kam also die Idee, ihn unter einem Pseudonym zu veröffentlichen und daher erschien der Roman nicht unter meinen Namen, sondern unter dem von „Henry Gough“.[4]
Chase: Und wann haben Sie Ihre Meinung geändert?
Greene: Als ich mir bewusst wurde, dass Jagd im Nebel alles in allem doch zu „greenian“ war, um wirklich das Werk eines anderen zu sein – wenn man den schwarzen Humor betrachtet, der den Roman durchzieht.[5] Zu viele Spuren führten zu mir. Aber die Idee war geboren. Und während ich Keine Orchideen für Miss Blandish / Pas d’orchidées pour Miss Blandish beendete, war sie so weit entwickelt, dass ich mir jemanden suchte, der dieses Werk an meiner Stelle auf sich nahm. Es handelte sich zu aller erst darum, die Zweifel zu zerstreuen: denn wenn auch „Henry Gough“ eine Fantom-Identität war, die mir nicht erlaubte, mich lange dahinter zu verstecken, was konnte man gegen einen James Hadley Chase vorbringen, der als Wesen aus Fleisch und Blut existierte? Der Mensch glaubt nur, was er sieht – und er sah Sie, René Brabazon Raymond. Damit ein solches Projekt Wirklichkeit werden konnte, brauchte ich einen Mann, dem ich absolut vertrauen konnte – und der waren Sie: meiner Familie nah und anderes mehr. Ich musste Sie nur noch überzeugen.
Chase: Ich stoppe sie hier. Lassen Sie uns mal über die Wahl des Pseudonyms CHASE reden. Wenn ich daran denke, dass Sie ihn in Ihrem dritten Roman Rumeur au crepuscule/ — verwendet haben – dort ist es sogar der Name der Hauptperson! Wie leichtsinnig! Das grenzt an ein Wunder, dass das bislang niemand entdeckt hat.
Greene: Er klang so gut in meinen Ohren … Das war höchstens ein Anfängerfehler, den ich aber wieder wett gemacht habe, indem ich zwei meiner ersten Romane zum Nachdruck verboten habe,[6] eingeschlossen das Gesamtwerk meiner Romane, das früher vom Verlag „Rencontre“ herausgegeben wurde.[7] Und übrigens hat es bis eben kein Mensch bemerkt, Sie sehen also …
Chase: Sie werden immer das letzte Wort haben … Kommen wir zurück zu unserer Übereinkunft. Es war nicht schwierig, mich zu überzeugen, ich hatte eine Stelle ohne Perspektive, war verfügbar und bereit mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ebenso wie Sie, die Sie an meiner Situation des unbekannten Schriftstellers interessiert waren: Ich hatte einige Gedichte und ein oder zwei Geschichten veröffentlicht – ausreichend, um mich als Schriftsteller zu präsentieren, aber nicht genug, um einen Namen zu haben oder dass man gar von einem Stil René Raymond hätte sprechen können.
Greene: Genau! Das war meine Sache! Für den Rest gebe ich Ihnen Recht. Als Schriftsteller waren Sie ausreichend unbedeutend, damit man sie nicht von Nahem betrachtete. Schließlich sind die Verlage und Zeitschriften (vor allem die kleinen) überschwemmt von den liebenswerten Laien, die Ihnen einen oder zwei Texte überlassen, bevor Sie wieder von der Bildfläche verschwinden.
Chase: Danke für den „Laien“.
Greene: Daran halte ich fest. Das ist exakt. Und Sie sollten mir vielmehr dankbar sein, dass ich Ihnen nach Jahren mäßig tröpfelnder Texte über dreißig Jahre lang die Gelegenheit gab, reichlich und in schöner Regelmäßigkeit zu veröffentlichen.
Chase: Texte, die ich nicht geschrieben habe? Dass ich mich damit zufrieden gab, sie auf mich zu nehmen, sie alle missbilligend übrigens – und zusätzlich unter Pseudonym? Graham, ich hatte immer den unangenehmen Eindruck, dass Sie es so arrangiert haben, dass Sie das, was Sie mir vorne anboten, hintenrum wieder abnahmen …
Greene: Wie sind Sie undankbar! So etwas! Ich mache Sie reich, ohne dass Sie auch nur einen Finger auf der Tastatur der Schreibmaschine gekrümmt haben (außer natürlich für gelegentliche Sitzungen für Pressefotos) – und Sie jammern noch. Wenn es das Pseudonym ist, dass Ihnen immer noch Sorgen bereitet, das haben Sie doch gesehen, dass die Risiken begrenzt waren, ich bitte Sie! Also, was?
Chase: Trotz allem tue ich mich schwer zu akzeptieren, dass allein die Notwendigkeit Geld auf die Seite zu schaffen, Sie zu so einem verrückten Projekt verleitet hat …
Greene: Ich hatte alle Brücken abgebrochen, als ich begann als freier Schriftsteller zu arbeiten, ich hatte eine feste Stelle als Journalist für die Times abgelehnt, und ich versuchte einen Fuß in die Tür beim Kino zu bekommen, als Drehbuchautor für den Produzenten Alexander Korda, aber Korda nahm viele meiner Drehbücher nicht an, weil sie ihm zu gewalttätig, zu erotisch oder zu psychologisch waren.[8] Schwierig also, meinen Unterhalt nur mit meiner eigenen Feder zu verdienen, und zu dieser Zeit wurde es dringend. Und gleichzeitig waren der amerikanische „hard-boiled“ Krimi und Autoren wie Dashiel Hammett, Raoul Whitefield, Carrol John Daly, Don Tracy… sehr beliebt. Übrigens gab es schon einen Vorgänger dieser Art in England: Peter Cheyney[9] – und seine Bücher verkauften sich wie warme Semmeln. Die wahnsinnige Begeisterung für Cheyney zeigte mir die Richtung. Außer einem kommerziellen Erfolg hatte ich so auch die Möglichkeit mittels dieser Bücher, besser als bei den Drehbüchern, kanalisiert Dampf abzulassen, da meine Gewaltphantasien mich innerlich zerfraßen, – und Sie sehen, bis zu welchen psychologisch vergiftenden Situationen sie sich, selbst kanalisiert, in meinen Büchern bemerkbar machten.[10]
Chase: Mit beiden Plänen haben Sie perfekten Erfolg erzielt: Keine Orchideen für Miss Blandish war nicht nur ein großer kommerzieller Erfolg, der verblüffende Sadismus einiger Szenen verschaffte uns einen Skandalerfolg[11] …
Greene: … dessen Ehre ich Ihnen vollkommen alleine überließ.
Chase: Zu viel der Ehre. Ich glaube, dass meine Schwierigkeiten mich im Spiegel zu betrachten, aus dieser Zeit stammen … Ich, der ich diskret und schüchtern bin, der Gewalt im Allgemeinen und die Amerikaner im besonderen verabscheut …
Greene: Das waren genau die Qualitäten, die mir Ihr Schweigen gegenüber den Journalisten garantierten. Aber ich sage Ihnen die Wahrheit: zu diesem Zeitpunkt dachte ich keinesfalls an eine langfristige Zusammenarbeit. Vor allem hatte ich es eilig: so viel Geld wie möglich zusammenzubringen, bevor dieser Krieg los ging, aber auch die Spuren zu verwischen. Ich wollte nichts hinterlassen, was vermuten ließe, dass ich, Graham Greene, katholischer Schriftsteller von Ruf, mich zügellos meiner schwärzesten Stimmung in ebensolchen Büchern hingegeben habe… Das Bedürfnis Geld zu verdienen, erzwang, dass auf Miss Blandish sehr schnell, noch im gleichen Jahr, Dumme sterben nicht aus / Bouchees doubles folgte, aber es war nur das Bedürfnis nach etwas Abwechslung, das mich 1940 zu der Idee inspirierte, Sie Bedarf gedeckt / Qu’est-ce qu’on deguste unter dem Pseudonym von James L. Doherty. veröffentlichen zu lassen – ohne weitere Folgen übrigens –
Chase: Und Sie ließen mich nicht nur den falschen Namen wechseln, nein, Sie ließen mich auch noch den Verleger wechseln, denn zwei Vorsichtsmaßnahmen sind besser als eine! Obwohl Douglas Jerrold und sein Verlag doch gut bezahlten …
Greene: Heinemann auch. Hören Sie doch auf sich zu beklagen. Und das, was Jerrold an Chase verloren gegangen ist, hat er später, als ich 1944 für ihn als stellvertretender Direktor bei „Eyre and Spottiswoode“ arbeitete, wieder reingeholt.
Chase: Sie sind zu schnell …
Greene: Und 1939 ebenso. Die Schnelligkeit die ich an mir entdeckte als ich Jagd im Nebel schrieb (in sechs Wochen), diente mir auch zum Redigieren „meiner“ ersten Chases. Als ich darüber nachdachte, am Ende des Jahres für die Armee tätig zu werden, hatte ich, zugegeben, einige Manuskripte im Voraus [12] … Und als ich als Reserveoffizier einberufen wurde, bat ich um einen Aufschub einiger Monate um Die Kraft und die Herrlichkeit / La Gloire et la Puissance beenden zu können … und natürlich einen oder zwei der Chase’s zusätzlich.[13] Die zusätzlichen Manuskripte erlaubten, den Veröffentlichungsrhythmus auch während des Krieges beizubehalten.[14] Und garantierten ein regelmäßiges Einkommen. Glücklicherweise hatte ich das gemacht: Denn zuerst war ich als Kontaktbereichspolizist in London und wurde von den Nazis bombardiert, 1941 bin ich in den Intelligent Service eingetreten, und die Arbeit, die sie mir im Propagandabereich anvertrauten, ließ mir nur wenig freie Zeit; und obendrein, schickte man mich1942 mit einem Auftrag mitten nach Zentralafrika, nach Sierra Leone. Ein Jahr später, ich war gerade nach London zurückgekehrt, riss Kim Philby mich sich unter den Nagel, um mich für den Geheimdienst des MI6 arbeiten zu lassen. Wenn Sie zu diesen vielfältigen Aktivitäten noch den Theaterkritiker für die Zeitung den Spectator hinzufügen und die Drehbücher, die ich für die BBC schrieb (die ebenso und aus den selben Gründen abgewiesen wurden wie die, die ich für Korda schrieb), werden Sie verstehen, dass diese Strategie der Veröffentlichung der Chases notwendig war.
Chase: Aber was hat sie getrieben, nachdem erst mal die Dringlichkeit, die ihnen die Umstände auferlegt hatten, verschwunden war, die Chases genau so fortzusetzen, und unser Tandem für so eine lange Dauer zu organisieren? Immerhin hat es über 40 Jahre gehalten!
Greene: Der Krieg war zu Ende, sicher, aber der Erfolg der Chases hat mir Ideen für ihre Fortsetzung gegeben. Denn genau genommen hatten wir doch alles für eine dauerhafte Zusammenarbeit installiert! Ich hatte die Art von Literatur gefunden, in der sie am besten funktionierte, das heißt, die Kriminalliteratur; ich hatte einen Strohmann (Sie), auf den ich unter allen Umständen zählen konnte; und letztlich arbeitete ich bei „Eyre and Spottiswoode“, wo ich die verlegerischen und kommerziellen Absatzmärkte in der Hand hielt, ebenso wie die Kritik. Man musste nur das Vorgehen etwas verfeinern, Ihr Bild etwas stärker etablieren, um meines Persönlichkeit besser hinter Ihrer zum Verschwinden zu bringen. Und, naja das Motiv wurde dann zwielichtig: ich konnte sogar meine Einkünfte vor dem englischen Fiskus verstecken, der, wie jeder weiß, unerbittlich ist.
Chase: Was? So eigennützig waren Sie daran interessiert?
Greene: James, Sie reden wie ein französischer Universitätsgelehrter. Für diese Leute, wird man, kaum dass man die durchgeistigten Gipfel der Literatur für praktische Fragen verlässt, niederträchtig, kleinlich, schäbig, fast „unberührbar“ im hinduistischen Sinne. Für sie liegt die Berechtigung für die Karriere eines Schriftstellers allein in der Schönheit der Kunst und der Methodik der Stile, was vielleicht für einige französische Autoren, wie Flaubert, zutreffen mag (und selbst Flaubert, der zwar als Privatier die Mittel hatte, um keine anderen Absichten nötig zu haben, mochte es nicht, sich von seinem Verleger Michel Levy bei den Autorenrechten übers Ohr hauen zu lassen, nachdem Madame Boyary Erfolg hatte). Ich für meinen Teil, vergessen Sie nicht, dass ich ein englischer Schriftsteller bin, – und die Engländer, wenn sie schreiben, betrachten alle Aspekte dessen, was gleichzeitig Ausdrucksmöglichkeit und Broterwerb ist …
Chase: Von da bis zu einem „Avida Dollars“ …![15]
Greene: Das wäre von einem Extrem ins Andere zu fallen. Wie so oft bei mir, ist die Wahrheit mehrdeutig: Die Chase’s sind die Sicherheit eines geheimen und regelmäßiges Einkommens für mich geworden und gleichzeitig eine Möglichkeit mich abzureagieren, fast kathartisch und zudem ein literarisches Gebiet der Erforschung. Sie sehen also, welch tollen Raum der Freiheit Sie mir gaben, in dem Sie mitgespielt haben …
Chase: Sehr gut. Ich stelle wieder einmal fest, dass ich bei Ihnen niemals die Oberhand gewinnen werde. Kehren wir zum Thema zurück, und schauen wir uns an, was Sie in unserer Zusammenarbeit verbessert haben
Lesen Sie nächste Woche weiter und lernen Sie das Universum von Chase und Greene kennen! Hier gehts zu Teil 1 und Teil 2.
Thierry Cazon, beheimatet in Cannes an der Côte d’Azur, ist nicht nur leidenschaftlicher Krimi-Leser und -Sammler, sondern auch der Vorsitzende des Vereins Les Polarophiles Tranquilles. Auf der Homepage finden Sie sämtliche Veröffentlichungen des Vereins inklusive mancher Übersetzung (englisch, deutsch, italienisch …).
[1] Der Zyklus von Paradise City begann 1963 mit Wenn der Film reißt / Chantons en chœur und setzte die Aktivität einer Gruppe Polizeibeamter in einer reichen und korrupten Badeort in Florida in Szene. Mit diesem Zyklus hat sich Chase am engsten dem Roman mit ermittelnder Polizeiarbeit angenähert. Der Zyklus umfasst etwa fünfzehn Bände, darunter etwa Wenn der Film reißt / Chantons en choeur (1963), Es tut nicht weh, Baby / Eh bien, ma jolie! (1966), Falls Sie Ihr Leben lieben…, / Le Dernier du colt (1971), Pas de vie sans fric (1972), [keine dt. Übers: ermittelt], Trau keinem Schurken … / La Grande fauche (1980).
[Konnte eine deutsche Ausgabe der in diesem Text erwähnten Literatur ermittelt werden, so werden die Titel auf deutsch neben dem französischen Titel angegeben. Der Lesbarkeit halber werden beide Titel jedoch nur bei ihrer ersten Erwähnung erwähnt. Danach wird nur noch der deutsche Titel angegeben. Dort, wo nur der französische Titel angegeben ist, kann davon ausgegangen werden, dass es keine deutsche Ausgabe gibt. Anm. der Übers.]
[2] Was sehr wahrscheinlich nachfolgend geschehen ist, nach dem endgültigen Ende von Chase 1983. Von diesem Zeitpunkt an, meldet sich Peter Loughran, zurück, ein Autor der nach seinem ersten Auftauchen 1967 erstaunlich lange schweigsam geblieben ist, gleichwohl er einen großen Erfolg mit London Express hatte. Auf den Einwand, „Warum hat Greene London Express nicht unter dem Namen von Chase veröffentlicht?“ Könnte man antworten, dass René Raymond kein derart deftiges Manuskript auf sich nehmen wollte. Die neue Verbindung Loughran-Greene brachte noch drei weitere Titel hervor: Dearest (1983), Jacqui (1984), und The Third Beast (1987). Noch herrschen hier einige Unklarheiten: Hat Peter Loughran tatsächlich existiert oder ist er nur eine Kopfgeburt? Die Zukunft wird uns das zeigen… In der Zwischenzeit können die, die es interessiert, das Bulletin Nr. 7 der Polarophiles Tranquilles zu diesem Thema studieren.
[3] Diese Strategie wurde von Graham Greene selbst in Fluchtwege / Dans les chemins de l’evasion (1980)/ erklärt. [Presses de la cité, „Presse Pocket“ Nr 2697, 1987, S. 68 ] Aber dank einer gewissen Manöverstrategie, die Greene gut beherrschte, wurden die Einnahmen des Buches nur unklar in seinen Einkünften während des Krieges verzeichnet ….
[4] Erinnern wir uns hier, dass der vollständige Name von Greene „Henry Graham Greene“ lautet.
[5] Diese Idee, den Roman unter Pseudonym zu veröffentlichen wurde vom Autor Michael Shelden in der Biographie Graham Greene The Man Within [Heinemann, 1994, S. 279-280]. entwickelt. Ein interessantes Buch übrigens, da Shelden mehrfach die Interpretation einiger Tatsachen verfehlt (wie zum Beispiel den Kampf Greenes gegen die Korruption der Stadtverwaltung von Nizza unter der Führung von Jacques Medecin und die Tragweite des Pamphlets Ich klage an / J’accuse, das einer der Hauptgründe für die Verurteilung und das Exil des Bürgermeisters von Nizza war).
[6] Natürlich ließ er nicht nur diesen einen Roman sperren, um zu vermeiden, dass die Aufmerksamkeit genau darauf gelenkt wurde.
[7] Les romans de Graham Greene, Ed. Rencontre, Lausanne 1965. Die beiden Romane sind in Frankreich bis heute nicht veröffentlicht.
[8] William J. West, einer der Wenigen, der eine „objektive“ Biographie zu Greene gewagt hat (leider nicht beendet), bestätigt diese Tatsache: „Korda hatte große Schwierigkeiten Greene zu zügeln, der in einigen Drehbüchern zu viel Sex und Gewalt einbaute – letztlich lehnte er Greenes Arbeit aus diesen Gründen ab. Das Problem war, dass Greene sich die Filme sehr sexualisiert vorstellte.“ [ William J. West, The Quest for Graham Greene, New York, St. Martins Press, 1998, S. 76] Dieser Text, der in französischer Sprache nicht verfügbar ist, wurde von Thierry Cazon ins Französische übertragen (die deutsche Übertragung stammt von der Übersetzerin). Hier der Originaltext: „Even Korda had difficulty in restraining Greene for putting violence and sexual innuendo in some of his scripts and actually rejected material from his for this reason. The trouble was that Greene saw films in those terms, particularly sexual.”
[9] Cheyney hatte erstmals 1936 Erfolg mit seinem ersten Roman Eine Dame stiehlt man nicht / Cet homme est dangereux (gleichzeitig die erste Ermittlung des FBI-Ermittlers Lemmy Caution ).
[10] Erinnern wir uns an das schreckliche Ende von Am Abgrund des Lebens / Rocher de Brighton (1938): Der jungen Rose bleibt als Einziges nur eine Tonbandaufnahme von der Stimme ihres toten Geliebten; als sie geht, um diese anzuhören, davon überzeugt Liebesworte zu vernehmen, muss sie feststellen, dass nur ein Wutschrei „Der Teufel soll dich holen, du verfluchte kleine Nutte! Willst du mich nicht endlich in Ruhe lassen und dich nach Hause scheren?“ aufgezeichnet ist.
[11] Eine Kritik von John Mair bezeugt diesen Skandal: „Abgemurkste Typen: 22 (neun mit einer Knarre, sechs mit einer Maschinenpistole, drei mit dem Messer, zwei mit dem Knüppel, einer mit Faustschlägen, der letzte bringt sich um). [… ] Gevögelte Tussis: 5 (drei einverstanden, eine bezahlt, eine vergewaltigt) …“ Zitiert nach Jacques Sadoul, Anthologie de la littérature policière: de Conan Doyle à Jerome Charyn, Darin: Kapitel über James Hadley Chase, Ramsay, 1980, S. 357.
[12] Greene gibt in Fluchtwege zu, zeitgleich an Jagd im Nebel und an Die Kraft und die Herrlichkeit gearbeitet zu haben, vormittags in aller Eile an Jagd im Nebel, nachmittags etwas ruhiger an Die Kraft und die Herrlichkeit … Man kann vermuten, dass Jagd im Nebel, nachdem es beendet war, von den Chases für die Vormittagsschicht von Greene abgelöst wurde, während die Arbeit an Die Kraft und die Herrlichkeit unverändert am Nachmittag auf ihn wartete… In diesem speziellen Fall macht Greene zweifelsohne Anspielung auf die Manuskripte Ein Ticket für die Todeszelle / Corbillard de Madame und Bedarf gedeckt / Qu’est-ce qu’on deguste..
[13] Vermutlich eine Anspielung auf Miss Callaghan muss Trauer tragen / Mefiez vous fillettes! und den Novellenband Get a load of This (der in Frankreich erst 1989 unter dem Titel Le fin mot de l’histoire erschienen ist. [Keine dt. Übersetzung ermittelt, Anm. der Übers.] ). Sie wurden beide 1941 beziehungsweise 1942 veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt, zu dem Greene in den Krieg involviert war und kaum Zeit gehabt haben dürfte, um für sich zu schreiben.
[14] Hier übertreibt Greene ein wenig : von zwei Chases in den Jahren 1939 und 1940 geht der Erscheinungsrhythmus auf jährlich einen Roman 1941 und 1942 zurück. 1943 erscheint keine einzige Veröffentlichung. Der Rhythmus der Chases wird wieder regelmäßiger ab 1944 mit dem konkurrierenden Erscheinen von Raymond Marshall und Ambrose Grant.
[15] Spitzname für Salvador Dali, ersonnen von André Breton, nach ihrem Zerwürfnis.