
James Hadley Chase
– Wer steckt hinter James Hadley Chase? Kein Geringerer als Graham Greene. Das sagen zumindest Les Polarophiles Tranquilles, ein französischer Verein, der sich seit zehn Jahren ambitioniert des Kriminalromans annimmt. Des klassischen Kriminalromans wohlgemerkt, der als Schmuddelgenre früher von der Literaturkritik mit spitzen Fingern angefasst oder gleich hochnäsig übersehen wurde und der heute trotz der Krimi-Woge, die uns überschwemmt, im aufgeregten Geplapper der Krimi-Neuerscheinungen erneut vergessen wird.
Zu Unrecht, wie die Polarophiles Tranquilles meinen, und die daher Werke fast vergessener Autoren aus dem Bücherregal ziehen, abstauben und sie für einen Moment ins Scheinwerferlicht halten: Zweimal im Jahr erscheint ein kostenloses Bulletin, unabhängig und ohne kommerzielle Interessen, nur gewidmet den geliebten Klassikern wie etwa James Hadley Chase, Frédéric Dard, Georges Simenon, Stanislas-André Steeman oder Dolores Hitchens.
Manchmal stoßen Sie bei ihrer gründlichen Beschäftigung mit der Kriminalliteratur auf Überraschungen:
Decken Sie hier den größten literarischen Schwindel des 20. Jahrhunderts auf, der ungeachtet der Tatsachen, bislang von der literarischen Kritik negiert wird. Der stets Nobelpreisverdächtige Graham Greene soll die grausam-schmuddeligen Chases geschrieben haben? Das, was die friedlichen Polarophilen im Laufe der Jahre ausgegraben haben, stört langsam ganz gewaltig den Frieden der etablierten Literaturwelt. (Zu Teil 1)
Der seltsame Fall des Dr. Greene und Mister Chase
Von Thierry Cazon und Julien Dupré
Übersetzung: Christiane Dreher
I Akt :
Das literarische Universum von Chase-Greene:
Das Leben ist eine Falle
Greene: Ich muss zugeben, wenn ich überdenke, was uns praktisch wie auch literarisch verbindet, fange ich an, ihre Beunruhigung zu teilen. Wenn ich nicht die gesamte Französische Kritik kennen würde (glücklicherweise fehlt es da nicht an offensichtlichen Blinden), würde ich denken, es war unvorsichtig all diese Indizien geliefert zu haben. Nun ja, aber schließlich bin ich Schriftsteller – und ein Schriftsteller kann nicht verhindern, Spuren von sich selbst zu hinterlassen, und die Art, wie er das Leben sieht, zeigt sich bis hinein in seine minderwertigsten Texte.
Chase: Dennoch hätten Sie aufpassen müssen. Schon jemand, der mit einem Minimum an Gedächtnis und ein wenig literarischem Gespür ausgestattet ist, kann eine vergleichende Studie unserer Stile und erzeugten Stimmungen anstellen. Er sähe sofort die Ähnlichkeiten der Worte, Motive, Szenen, sähe selbst die Ähnlichkeit der Handlungen. Haben Sie das bedacht?
Greene: Natürlich. Obwohl ich zugebe, dass ich manchmal vielleicht zu optimistisch und zu voreilig war.
Chase: Zu spät. Ich glaube nicht, dass Ihnen der Gedanke gekommen ist, während sie das Szenario von Le troisième homme / Der dritte Mann redigierten und später publizierten. Sie erzählen die Geschichte eines Penicillinschiebers im Nachkriegs-Wien, der sich als tot ausgibt, um sich der militärischen Verfolgung zu entziehen. Der Freund des Schiebers, Rollo Martins (im Film wurde er zu Holly Martins), entdeckte sein Geheimnis, als er über dessen Tod nachforschte.
Greene: Und?
Chase: Und? Schon zwei Jahre früher, 1947, haben sie unter meinem Namen N’y mettez pas votre nez / Nicht mein Bier veröffentlicht, wo man eine in allen Punkten ähnliche Handlung findet. Die Unterschiede liegen nur im Ort der Handlung, im Geschlecht der Personen und im Objekt des Schmuggels. Wie in Der Dritte Mann ruht die Handlung auf der Nachforschung des Freundes Steve Harmas, der nach dem Krieg nach London kam, um dort vom Tod seiner Freundin Netta zu erfahren – diese erweist sich als ziemlich lebendig und zudem als Urheberin einer gut geölten Maschinerie rund um einen illegalen Schmuckhandel. Wie in Der Dritte Mann wurde der einzige Zeuge, der den „lebenden Toten“ identifizieren könnte, ermordet. Ganz zu schweigen von der falschen Beerdigung mit einer echten Leiche, um Verdächtigungen zu zerstreuen: Ihr dritter Mann flüstert mir hier laut und deutlich zu …
Was den Hintergrund der Handlung betrifft, so war London ähnlich zwielichtig wie Wien in dieser Zeit und, das gilt auch für Wien, eine Beute für den abgefeimtesten Schmuggel, darunter natürlich Alkohol – ein Alkohol, der ebenso gepanscht war wie das Penicillin, das Harry Lime an Wiener Krankenhäuser verkaufte.
Greene: Man muss schon sagen, dass es mir damals nicht gerade an Dreistigkeit mangelte. Eine solche Handlung unter dem Namen Chase auszutüfteln, noch bevor ich sie als Drehbuch fertiggestellt hatte. Manchmal wundere ich mich über mich selbst. Aber wo wir gerade dabei sind die Ähnlichkeiten der Handlungen zu betrachten, sie hätten die erwähnen können, die zwischen meinem Buch Un amercain bien tranquille / Ein stiller Amerikaner und Un lotus pour Miss Chaung / Ein Lotus für Miss Chaung besteht, das 1961 unter ihrem Namen veröffentlicht wurde. Und nicht nur, weil der Ort der Handlung zweimal Saigon ist, sondern auch weil die Helden, der Amerikaner Jaffe eine vietnamesische Geliebte, Nhan, hat, genau wie Fowler, der mit der jungen Phuong lebt. Beide Frauen sind übrigens Animierdamen in einem Nachtclub. Und in beiden Fällen ist die machtvolle Präsenz der Fremden in Saigon (Franzosen in Der stille Amerikaner, Amerikaner in Ein Lotus für Miss Chaung) ein beklemmender Faktor, der sich auf die Stimmung des Buches auswirkt.[1]
Chase: Vor allem findet man eine fast identische Szene wie in Der Stille Amerikaner: das durch ein Viet-Min Attentat blockierte Auto neben einer Polizeistation. Herrgott, geben Sie wenigstens zu, dass dieser Roman nicht dazu beiträgt unser Geheimnis beizubehalten! Und ich komme nicht mehr auf den Fall des Dritten Mannes zu sprechen.
Greene: Nur, dass ich im Fall Der stille Amerikaner / Ein Lotus … das Handlungsschema von Der Dritte Mann / Nicht mein Bier umgedreht habe: unter Wiederverwendung einer Handlung und einer Szenerie besonders „greene“ unter dem Namen Chase. Ein etwas plumpes Mittel, aber wirksam, um die Spuren zu verwischen.
Chase: Glücklicherweise haben Sie in ihren anderen Büchern, die unter meinem Namen herausgegeben wurde, die Herkunft besser zu verbergen gewusst. Dennoch, wenn man genau hinschaut, findet man noch störende Ähnlichkeiten in den Szenen.
Greene: Sie haben also noch immer was zu nörgeln.
Chase: Es gibt auch allen Grund. So ihre Eingangsszene des Tueur à gages / Das Attentat, wo ihr Killer den alten tschechischen Minister tötet: Erinnern Sie sich, wie er von der Sekretärin überrascht wurde? Und so muss er noch einen unliebsamen Zeugen beseitigen – Fazit: zwei Morde, statt einem.
Greene: Ich weiß, worauf sie anspielen: 15 Jahre früher, 1951, habe ich unter ihrem Namen Il fait ce qu’il peut / Der Ring der Bogenschützen veröffentlicht, in dem Corridon, die Hauptperson, ebenfalls die Sekretärin umbringt. Aber hier wurde der Killer gestört, während er vertrauliche Papiere durchsuchte, nicht während er einem Politiker den Garaus machte. Und die sogenannte Sekretärin war ein Mann. Sie sehen, dass dieses Mal die Analogie begrenzt ist. Besser kaschiert durch unbedeutende Veränderungen der Details. Denn wie verhindert man als Romancier, sich zu oft zu wiederholen? Sehr einfach: Sie verändern das Geschlecht der Hauptperson, sie lassen die Handlung eines Protagonisten von einem anderen ausführen und die Kritik sieht gar nichts. Das Charakteristische meiner Arbeit, das wissen Sie, ist, die Szenen auf eine sehr durchdachte Art und Weise zu gestalten. Ich nehme mehrere zueinander in Beziehung stehende Figuren in einem sehr klaren Bühnenbild und lasse sie leben – dann plötzlich gehe ich zu anderen Protagonisten in einer anderen Situation über, ohne scheinbaren Zusammenhang. Es sind die thematischen Ähnlichkeiten und die kleinsten Anspielungen von einer zur anderen Szene, die die Fortsetzung garantieren, die der Erzählung fehlt. Genau genommen arbeite ich jede Episode meiner Romane als Bühnenbild aus, so kann ich im Fall einer störenden Widerholung, das Licht ein bisschen verändern.
Chase: Damit hätten wir die am deutlichsten sichtbaren Übereinstimmungen ihrer und meiner Schöpfung betrachtet.
Greene: Ihre Schöpfung ist schnell abgehandelt, mein Lieber. Aber Sie haben recht, der Rest weist nur noch verhaltene Ähnlichkeiten auf: Namen, die Verwendung einzelner Elemente. Sie sehen, wir verlassen ziemlich schnell die klare und deutliche Analogie der Handlung. Alle anderen Gebiete, wo meine bescheidene Person weniger nachweisbar wird, sind weniger gefährlich.
Chase: An welche Elemente denken Sie?
Greene: Tiere zum Beispiel. Ich zeige Ihnen wie wunderbar die Wiederverwendung von quasi gleichen Elementen von Buch zu Buch funktioniert, ohne, dass es so aussieht: Erinnern Sie sich an den Pekinesen aus Partie fine / Stier bei den Hörnern den ich 1954 unter ihrem Namen veröffentlich habe?
Chase: Natürlich, sehr gut sogar. Und ich sehe eine erste Analogie: der Hund heißt Leo, genau wie die Katze, die das Leben des armen Helden in Elles attigent / Satan in Satin teilte.
Greene: In Partie fine, gehört der Hund dem grausamen Erpresser namens Sweeting und hat die symbolische Aufgabe die Verdorbenheit und die Rohheit der Männer zu zeigen. Er ist auch Vorwand für Szenen schwarzen Humors im gesamten Buch. Partie fine hat eine doppelte Handlung, der sadistische Mord an einer Prostituierten wird gespiegelt in der verführerischen und skrupellosen Gilda, die sich ihres Mannes entledigt, um einen reichen Gangster zu heiraten, der sie aushält. Sweeting, der gekommen ist, um eine Information an Gilda zu verkaufen, entdeckt per Zufall den Körper des lieben Gatten im Kühlschrank (wir haben übrigens den Fall des Kühlschranks in Retour de manivelle / Man muss für alles zahlen wiederverwendet). Gilda lässt also auch Sweeting verschwinden, aber sie vergisst den Hund. Und als der reiche Gangster in Begleitung eines Polizisten auftaucht, muss Leo nur die beiden Männer zum Körper von Sweeting sowie zum mit ebenso kaltem wie menschlich Fleisch gefüllten Kühlschrank führen. Am Ende des Buches spielt der Pekinese erneut die ironische Rolle des schlechten Gewissens: dieses Mal das des Kunden der ermordeten Prostituierten. Kaum als er aus der Geschichte raus ist, geht er zum Bahnhof, um seine Frau abzuholen. Natürlich erzählt er ihr nicht, was ihm während ihrer Abwesenheit passiert ist und benimmt sich so, als sei nicht geschehen. Kaum zu Hause angekommen, was findet er? „Auf der Türschwelle seines Hauses, seine hervorstehenden Augen fixierten Ken, saß ein rötlichbrauner Pekinese.“[2] Die überflüssige Reaktion seiner Frau („Oh Ken, Liebling! Was für eine wunderbare Überraschung! Er ist so süß!“) macht in den Augen von Ken den Pekinesen nicht erträglicher, der von nun an mit der steten Erinnerung an sein trauriges Abenteuer leben wird – während seine Frau darin nur ein Geschenk ihres liebenden Ehemannes sieht.
Chase: Sehr schöner Fall von schwarzem Humor, in der Tat.
Greene: Nun, wenn Sie die Romane betrachten, die ich unter meinem richtigen Namen herausgegeben habe, werden sie feststellen, dass ich aus meinen Pekinesen den gleichen ironischen und symbolischen Gehalt ziehe, während ich die Situationen hinreichend verändere, damit die Ähnlichkeiten nicht zu auffällig sind.[3] Chinky, der Pekinese in Tueur à gages / Das Attentat, ist der Ausdruck von Korruption und Inkonsequenz ihrer Besitzer (er gehört der Frau des Bürgermeisters), er personifiziert die Art zu denken und zu handeln wie die englische Aristokratie am Vorabend eines bewaffneten Konflikts. Aber er ist auch eine Möglichkeit für Szenen schwarzen Humors: So etwa die Episode des gemeinsamen Essens mit dem reichen Waffenlieferant Sir Marcus, bei dem der Bürgermeister und seine Frau Chinky sich unter dem Sofa verstecken, da ihr Gast Hunde hasst. Und die beiden, die ganz unter dem Befehl von Sir Marcus stehen, befürchten die ganze Zeit nur eines: das Auftauchen des Hundes. Ich benutze in der gleichen Rolle einen Pekinesen in einer meiner Erzählungen Beauty / — [4], und Sie werden bemerken, dass zwischen dem Hund und seiner unerträglichen und aufmerksamen Besitzerin die gleiche Beziehung besteht wie zwischen Sweeting und Leo in Partie fine / Stier bei den Hörnern. Natürlich sind jedes Mal die Orte völlig andere, um die Spuren zu verwischen: Partie fine / Stier bei den Hörnern spielt in London, Tueur á gages / Das Attentat in einer Bergarbeiterstadt im Norden Englands und Beauty / — in der Nähe von Antibes. Drei Orte die absolut nichts miteinander gemein haben.
Chase: Einverstanden. Ich lasse Ihnen die Geschichte mit dem Pekinesen durchgehen – die symbolische Ähnlichkeit des Hundes könnte auch ein Zufall sein – aber es gibt etwas, das mir beständig aufstößt: Ihre Art, ihre Personen immer gleich zu benennen, ganz egal ob Sie als Greene oder Chase veröffentlichen! Natürlich können Sie den Helden ihres Auftragskillers Raven nennen, aber dass Sie fünf Jahre später, 1941, den gleichen Namen für die Hauptperson in Mefiez vous, fillettes / Miss Callaghan muss Trauer tragen wieder verwenden, den Sie unter dem Namen Chase veröffentlichten, geben Sie zu, das ist der Gipfel!
Greene: Höchstens Zerstreutheit.
Chase: Auch hier könnte man nur von Zufall sprechen, da die beiden Männer nur den gleichen Namen tragen. Aber da haben Sie den Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben: Der sadistische und nihilistische Raven aus Mefiez vous / Miss Callaghan erinnert in einer beunruhigenden Art an Ihre Figur Pinkie in Rocher de Brighton / Am Abgrund des Lebens![5] Wie wollen Sie unter diesen Umständen, dass unsere Machenschaften nicht entdeckt werden? Alle Wege führen auf die eine oder andere Weise zu Ihnen. Und wo wir schon dabei sind die Namen zu überprüfen, nehmen wir uns noch mal den Dritten Mann vor, der mir immer noch Sorgen macht: Wie Sie wissen, heißt die Hauptperson im Buch Rollo Martins.
Greene: Der im Film zu Holly Martins wurde. Das habe ich im Vorwort zum Dritten Mann erklärt: ich habe diesen Namen auf Wunsch des Schauspielers Joseph Cotton geändert, der dessen Rolle spielte. Er sagte mir, für amerikanische Ohren habe der Vorname Rollo eine homosexuelle Konnotation.[6]
Chase: Ich glaube Ihnen kein Wort!
Greene: Wie bitte?
Chase: Sie wissen ganz genau, worauf ich hinaus will. Sie haben den Namen in Holly geändert, weil Sie Rollo bereits für einen Chase verwendet hatten: ein so seltener Vorname, da hätte man die Ähnlichkeit gar nicht leugnen können. Erinnern Sie sich an Faites danser le cadavre / Leichen sind lästig, den Sie 1945 unter dem Namen Raymond Marshall über mich veröffentlicht haben? Und was finden wir dort? Einen Rollo, zweifelhafter Besitzer eines Nachtclubs, der den verschwundenen Leichnam des Bruders des Millionärs wiederzufinden sucht, damit er das Lösegeld kassieren kann.
Greene: Gut. Ich glaube, der Moment ist gekommen, wo wir das alles mit ein bisschen Abstand betrachten müssen. Ich verstehe Ihre Unruhe. Aber alles, was wir hier aufgezählt haben, das wissen wir beide, stellt keinerlei handfesten Beweis dar. Und es gibt auch keinen im restlichen Roman. Man kann ein literarisches Universum und seinen Erschaffer nicht begrenzen, zufällige Übereinstimmungen wird es immer geben. Um mich wirklich als wahrhaftiger Autor aller bis heute veröffentlichten Chase-Romane zu identifizieren, müsste man eine Ähnlichkeit finden von … wie soll ich sagen … „mood“, geistiger Einstellung. Die Kritik hat mir die Ehre erwiesen, mich in einem eigenen Universum anzuerkennen, auch wenn diese Bezeichnung „Greeneland“ mich manchmal sprachlos gemacht hat. Der Wert der Chase-Romane ist ebenso anerkannt, aber in einer anderen Welt, und sie werden mit weniger edlen Beinamen versehen als „eigenartiger-hard-boiled-Kram“ eines „kommerziellen Autors“. Jetzt frage ich Sie: Glauben Sie, dass diese beiden Welten, die bis heute so sorgfältig eine von der anderen getrennt betrachtet und geschätzt wurden, wirklich vereinbar sind?
Chase: Ich habe vor nicht allzu langer Zeit ein Essay des französischen Autors Thomas Narcejac zum Thema Hard-Boiled-Krimis gelesen, die er La fin d’un bluff nannte. (Darin geht es übrigens in einer schrecklich unfeinen und nicht gerade fairen Art um uns beide.)[7] Ich habe darin das folgende Zitat gefunden, das „unsere“ jeweiligen Werke auf geradezu wunderbare Weise definiert: „Das Schwarze in diesem Roman ist nicht nur die Gewalt und Grausamkeit, auch nicht die Verzweiflung, die sie bei leicht beeinflussbaren Lesern erwecken könnte; es ist etwas viel Grundlegenderes und viel Bedrohlicheres, die Welt ist darin zur FALLE geworden. Die Welt hat einen Sinn, aber wir verstehen den Sinn nicht mehr … Der Schrecken ist also im Innersten der Realitat, im Leben. Der gegenwärtige Roman ist „schwarz“, weil die Menschheit in ein Zeitalter der Angst eingetreten ist … Der wahre „roman noir“ ist immer politisch und metaphysisch.“[8]
Das ist genau das, was unsere jeweiligen Welten charakterisiert (wenigstens habe ich Traquenards / — nicht umsonst geschrieben): Die Welt ist eine Falle, bei der geringsten Bewegung verfängt man sich noch tiefer darin. Das Schicksal ist bei Chase ebenso wie bei Greene machtvoll und zieht die Fäden der Figuren, die nichts als Marionetten sind, von ihrem eigenen Instinkt bewegt. Je mehr sie glauben, sich daraus zu befreien, desto fester verstricken sie sich in ihr unabwendbares Schicksal.
Greene: Schwarzer Humor ist auch ein gemeinsamer Aspekt „unserer“ Werke: denn, es ist schrecklich und komisch gleichzeitig ein Schwein zu betrachten, das versucht, dem Schlachter zu entkommen. Ein Lachen aus Angst, das einem im Hals stecken bleibt.
Chase: Wir sind wohl erledigt. Bei all den deutlich sichtbaren Ähnlichkeiten unserer Welten – unsere Geschichte hat undichte Stellen bekommen. Wir müssen jetzt und sofort anfangen, zu handeln.
Greene: Ich bin ganz Ohr. Welche Vergeltungsmaßnahmen haben Sie vorgesehen für eine eventuelle zuwiderlaufende Kritik, bei der Journalisten oder Spezialisten unsere Zusammenarbeit aufdecken?
Chase: Gerichtlich gesprochen, ich glaube nicht, dass wir einen Gegenangriff starten sollten. Wie in unserer Absprache vorgesehen, habe ich Journalisten, die mich um ein Interview baten, immer eine Absage erteilt. Für die, die insistierten, habe ich geantwortet, ausschließlich kommerzielle Bücher zu schreiben ohne jeden literarischen Wert – und man hat mir das nicht nur nicht übel genommen, nein, es gab mir ein zusätzliches Ansehen: Chase, der Geheimnisvolle, Chase, der Eremit von Vevey. Die Schnüffler, an die ich mich erinnere, können also höchstens etwas veröffentlichen, das auf Hörensagen und auf Vermutungen beruht. Ich habe keine Absicht, sie vors Gericht zu bringen. Das Problem ist, dass man den Schnüfflern zuhören wird. Und wer weiß, ob ihre Spekulationen nicht andere nach sich ziehen werden? Wir müssen die Journalisten, so gut wir können, schön hinauskomplimentieren, wir sind nicht in Sicherheit vor zukünftigem Scharfblick …
Greene: Was schlagen Sie also vor?
Chase: Unschlagbare Argumente gegen diese Spekulationen zu finden.
Greene: Zum Beispiel?
Chase: Ich habe viel nachgedacht, bevor ich zu Ihnen gekommen bin. Wir können als Erstes, im Fall eines Angriffs, beweisen, dass es praktisch unmöglich ist, dass Sie alle Chases’ für mich geschrieben haben. Können Sie mir folgen? Lassen wir die inhaltliche Seite der Texte mal beiseite, jetzt hängt alles von Ihnen und ihren Kapazitäten als Schriftsteller ab.
Greene: Reden Sie weiter. Ich wäre glücklich, wenn sie mir das erklärten. Man hat nicht so oft Gelegenheit sich selbst kennen zu lernen.
Chase: Sie schreiben langsam. Alle wissen, mit welcher Sorgfalt Sie ihre Werke verfassen, und das nicht nur für ihre seriösen Werke wie Puissance et la Gloire / Die Kraft und die Herrlichkeit, für das Sie zwei Jahre gebraucht haben, sondern auch für das, was Sie ihre „Unterhaltungsromane“ nennen: Tueur à gages / Das Attentat, Le Ministre de la Peur / Ministerium der Angst, Notre Agent à Havane / Unser Mann in Havanna. Wie könnte ein Mann, der so sorgsam auf Stil und stimmende Metaphorik achtet, der so plausible Charaktere bis hinein in ihre Widersprüchlichkeit erschafft, wo sollte der die Zeit hernehmen, die 89 Bücher, die unter dem Namen James Hadley Chase veröffentlicht worden sind, zu schreiben? Zusätzlich zu Ihrer Schreibtätigkeit reisen Sie um die halbe Welt und Sie haben noch weitere Beschäftigungen: als Drehbuchautor beim Film, als Cheflektor in einem Verlag. Und ich erwähne nicht mal Ihre weniger offizielle Beschäftigung als Geheimagent.
Greene: Aber, mein Lieber, ich kann schnell schreiben, wenn ich will. Übrigens besser Ihnen das sofort zuzugeben, denn in meiner Autobiografie Les Chemins de l’evasion / Fluchtwege habe ich das Geheimnis fast verraten.
Chase: Sehr schlau!
Greene: Aber nein, ich habe die Geschwindigkeit auf außergewöhnliche Zustände geschoben. Sehen Sie: 1939 brauchte ich dringend Geld. Ich hatte gerade Rocher de Brighton / Am Abgrund des Lebens veröffentlicht, ein ehrgeiziges Buch, das ein Eckstein meines Gesamtwerkes werden würde, aber zu dem Zeitpunkt verkaufte es sich nicht. Zusätzlich bin ich nach einer Reise nach Mexiko in einem Schlamassel stecken geblieben: die Ausarbeitung von Die Kraft und die Herrlichkeit. Das Buch ging nur langsam voran, viel zu langsam für meine Bedürfnisse (ich hatte eine Frau und zwei Kinder); es versprach ebenso komplex zu werden, wenn auch auf andere Art, wie Rocher de Brighton, und ich sah nicht voraus welchen unmittelbaren Erfolg es haben könnte. Das war der Moment, das zu tun, was ich immer in mageren Zeiten tat, etwas „Unterhaltsames“ schreiben, das heißt einen Roman, der meiner Leidenschaft als Schöpfer gerecht wird, aber mit einer konventionellen Handlung, damit der Leser sich wiederfindet. Tueur à gages / Das Attentat, mein letzter Unterhaltungsroman, bezeugte die Angst gegenüber der politischen und finanziellen Situation in den dreißiger Jahren: Alle wussten, dass ein bewaffneter Konflikt entstehen würde. Ich strickte eine neue Variante zu diesem Thema: der Geheimagent. Aber es gab ein Hindernis für dieses Projekt: Die Kraft und die Herrlichkeit konnte ich nicht aufs Abstellgleis schieben, nachdem ich schon so viel Zeit investiert hatte. Denn beim Schreiben entwickeln sich Schritt für Schritt auch die Gedanken des Schriftstellers: Ich befürchtete, dass wenn ich Die Kraft und die Herrlichkeit vorübergehend aufgeben würde, und wenn ich erst einmal den Agent secret / Jagd im Nebel beendet hätte, ein Buch vorfinden würde, das mir fremd geworden war. Ich arbeitet also an beiden Büchern gleichzeitig, in aller Eile morgens am Agent secret / Jagd im Nebel und ruhiger an Die Kraft und die Herrlichkeit am Nachmittag. Das alles in sechs Wochen, in denen ich Amphetamine einnahm, um durchzuhalten: so dringend brauchte ich Geld. Der Agent secret / Jagd im Nebel wurde 1939 veröffentlicht und hatte einen ordentlichen Erfolg, sodass ich mich aus der Affäre ziehen konnte.[9]
Chase: So weit, so gut. Das beweist, dass Sie von Zeit zu Zeit schnell schreiben können, und dass Sie nichts gegen einen kommerziellen Erfolg haben. Nichtsdestoweniger ist Agent secret / Jagd im Nebel mit mehr Sorgfalt verfasst als ein jeglicher Krimi von James Hadley Chase. Gut, ich will nicht anfangen, die Hand zu beißen, die mich füttert. Die Chases’ sind gute Bücher innerhalb ihres Genres – aber eben nur in ihrem Genre. Und dieses besteht vor allem darin, alle Klischees (die Universitäten sagen „topoi“) des Hard-boiled-Krimis auszubeuten, um daraus einen standardisierten kommerziellen Erfolg zu machen.
Man hat mich oft genug kritisiert, besonders in Frankreich, wo ein Autor wie Jean Patrick Manchette mich genau wie Peter Cheney als „grell blinkende Leuchtreklame der packenden Serie noir“ bezeichnete.[10] Ich frage Sie also: Warum sollte ein hochgehandelter Schriftsteller wie Greene sich herablassen, um Chase „zu machen“?
Greene: Sie sagen das so, als sei das eine Schande. Suchen Sie weiter, mein Lieber. Suchen Sie den menschlichen Faktor, einfach den menschlichen Faktor. Oder besser, das, was die Ermittler, die Richter und die Journalisten das „Motiv“ nennen. Damit lasse ich Sie. Wir werden uns morgen wieder sehen, ich habe jetzt noch eine persönliche Angelegenheit zu regeln.
Chase: Einverstanden. Bis morgen, mein lieber Graham.
Ende des ersten Aktes.
Lesen Sie nächste Woche weiter und lernen Sie das Universum von Chase und Greene kennen! Hier gehts zu Teil 1.
Thierry Cazon, beheimatet in Cannes an der Côte d’Azur, ist nicht nur leidenschaftlicher Krimi-Leser und -Sammler sondern auch der Vorsitzende des Vereins Les Polarophiles Tranquilles. Auf der homepage finden Sie sämtliche Veröffentlichungen des Vereins inklusive mancher Übersetzung (englisch, deutsch, italienisch… )
[1] Ein Lotus für Miss Chaung könnte fast als inoffizielle Fortsetzung von Ein stiller Amerikaner gelten. In der Tat, würde Greene seine Handlung in der kommerziellen Form eines Chase-Romans schreiben, würde er nicht die angedeutete Denunziation des ersten Romans fortsetzen wollen? Die wirtschaftliche und politische Plünderung Vietnams durch die USA aufzeigen, die nur die vorherigen Kolonisten ersetzten? Der Hass Greenes gegen die Amerikaner zeigt sich deutlich in seinem Helden Jaffe – ein Dreckskerl, der am Ende des Buches keinen Gedanken mehr an das junge vietnamesische Mädchen, das für ihn gestorben ist, verschwendet, sondern nur noch an seine Diamanten denkt.
[2] Chase, James Hadley : Partie fine, Gallimard, Série noire No. 205, 1954, S. 248.
[3] Im Werk von Chase haben Katzen in etwa die gleiche Funktion. Vgl. Elles attigent/Satan in Satin (1944), Faites danser le cadavre / Leichen sind lästig (1945) oder Eh bien, ma jolie/Es tut nicht weh, Baby … (1966).
[4] Beauty ist die zweite Erzählung im Sammelband Pouvez-vous nous preter votre mari? / Leihen Sie uns ihren Mann?, veröffentlicht 1967, nachdem Greene sich im Süden Frankreichs, in Antibes, niedergelassen hatte.
[5] Greene gibt in seiner Autobiographie Chemins de l’evasion / Fluchtwege zu, dass Raven in Tueur de Gages / Das Attentat ein Vorgänger von Pinkie sei. (Die Tatsache, dass die Figur Raven in seiner Jugend mit Gangs auf der Pferderennbahn herumlungerte, ebenso wie die Figur Pinkie, erhärtet diese Aussage). Pinkie, erfunden 1937-38, hat nicht nur einen Raven-Vorgänger sondern auch einen Raven-Nachfolger: den Helden in Mefiez vous, fillettes, von Chase!
[6] Vorwort in : Greene, Graham : Le troisième homme, le livre de poche, No. 46, 1984, S. 8.
[7] La fin d’un bluff enthält vor allem eine Stilkritik von Chase, dem Narcejac mangelnde Empathie für seine Figuren vorwirft und eine ungesunde Sensationslust. Und er vergleicht ihn mit einem Autor dessen Welt ihm auffallend ähnlich sei: Graham Greene! „Greene versucht immer uns seine Figuren wie unsere Nächsten zu zeigen. Die Unbeweglichkeit von Chase führt hingegen nicht nur zu Härte sondern auch zu Gleichgültigkeit, ein Ergebnis, das der Autor so sicher nicht beabsichtigt hat“. In: Narcejac, Thomas : La fin d’un bluff, Le Portulan, 1949, S. 125. [Der Essay liegt nicht in deutscher Übersetzung vor. Anm. der Übers.]
[8] Narcejac, Thomas : La fin d’un bluff, 1949, S. 42/43.
[9] Diese Episode wird in Les chemins d’evasion / Fluchtwege erzählt. Presses de la cité, collection « Pocket », 1987, S. 86-87. Rufen wir uns ins Gedächtnis zurück, dass Keine Orchideen für Miss Blandish an sechs Wochenenden entstanden ist. Wir wären nicht erstaunt zu erfahren, dass Greene in den sechs Wochen neben Die Kraft und die Herrlichkeit und Jagd im Nebel auch noch anderes verfasst hätte…
[10] Vgl. Artikel von Jean-Patrick Manchette SN story, premier episode, wieder aufgenommen im Band Chroniques, Rivages /Noir (No. 488), 20033, S. 266–271. Vgl. ebenso einen späteren Artikel von 1995, Manchette ordnet Chase und Mickey Spilane in die Kategorie „vulgär und kommerziell“ ein. (L’eternel calibre, gleiches Buch, gleiche Ausgabe, S. 410).