
Hazel Rosenstrauch über „Klick“ von Gerd Gigerenzer
Was tun mit den supergescheiten BOTs, den vielen herumschwirrenden Daten, der umdefinierten Intelligenz oder gepixelten Fakes?
Es gibt viele kluge und weniger kluge Vorschläge. Vorschriften, Gesetzesentwürfe oder kleine feine Ansätze, um den Umgang mit der Technik auf das nächsthöhere Niveau zu heben. Zum Beispiel gibt es „Handlungsempfehlungen” für die Schulen, in denen so schöne Sätze stehen wie „sinnvoll erscheint die Weiterentwicklung der Fachdidaktiken, um die lernförderliche Nutzung digitaler Potenziale sicherzustellen”.[1] An Universitäten der USA müssen Studierende schriftlich versichern, dass sie nicht schummeln. Das funktioniert an Privatunis, denn dort können sie rausgeschmissen werden, wenn sie sich von BOTs helfen lassen. Wenn die Realität von Lehrermangel, Lehrerinnenmangel, Zeitmangel geprägt ist, oder an den Unis zu viele Studierende von zu wenigen Professoren betreut werden, geht das nicht.
Man soll nicht die Vergangenheit vor der Zukunft loben, aber neben vielem Quatsch, den wir im vorigen Jahrhundert unter ganz anderen Umständen getrieben haben, war die gemeinsame Lektüre von schwierigen Büchern ein interessanter, gelegentlich sogar vergnüglicher Weg, um die Welt anders zu verstehen, als sie in autoritärer oder idealistischer Manier gelehrt wurde. Für den Anfang und alle Altersstufen empfehle ich für eine Lektüre im geselligen Kreis Gerd Gigerenzer „Klick“. Einer der Hauptsätze darin lautet: Smarte Technik braucht smarte Menschen. Das Buch betreibt Aufklärung in bestem Sinn, verständlich geschrieben, nicht entweder technisch oder psychologisch oder didaktisch, sondern vielseitig, mit Fach- und mit Hausverstand.
Statt oder neben Gesetzen und Vorschriften, mit denen Betrug und Irreführung qua Klicks bekämpft werden sollen wirbt der Autor für mehr Verständnis im Umgang mit der Technik. Wie funktionieren Algorithmen, und was ist der Unterschied zwischen der Technik und denen, die damit Kunden an ihre Plattform binden wollen. Wie geht Wettrüsten mittels Pixeln, und wie können Menschen in diesem Orbit Platz finden. Hier wird Aufklärung betrieben, man lernt etwas über den Unterschied zwischen automatisierten Ergebnissen, die immer auf bekannten, also alten Daten basieren und einer menschlichen Intelligenz, die mit ungewissen Bedingungen zurecht kommen will. Gewissheiten sind selten, die Interessen der Tech-Konzerne sind oft nicht die der User.

“Klick ist eine Anleitung, wie wir in einer zunehmend von Algorithmen bevölkerten Welt souverän bleiben und das Steuer in der Hand behalten.” Gigerenzer bringt wunderschöne Beispiele, wie wir mit Statistiken (gerne bei Dating-Plattformen) getäuscht werden, wie sich menschliches Verhalten ändert, wenn Wahrnehmung, Reaktion oder eben Intelligenz von Automaten übernommen wird wie bei selbstfahrenden Autos oder Navis. Nie geht es um Kritik an der Technik, immer um die Möglichkeit, intelligent mit ihr umgehen zu lernen.
Manche der Daten sind – in buchstäblichem Sinne – erhellend: „Im Vergleich zur zeitgenössischen Computertechnologie sind menschliche Gehirne auch äußerst energieeffizient. […] Der Supercomputer Blue Waters […] braucht rund 15 000 000 Watt und nimmt eine Fläche von fast 2000 Quadratmetern ein.” Außerdem ist er auf ein großes Kühlsystem angewiesen. Das Gehirn hat die Größe zweier Fäuste und lässt sich leicht umhertragen. ”Würden alle menschlichen Gehirne durch Supercomputer ersetzt, könnte die so generierte Hitze alle Bemühungen um Klimaschutz zunichtemachen.”
Zu den Zuckerstückchen gehören seine Beispiele, wie sich Fakten von Fälschungen unterscheiden lassen. Zum Beispiel berichtet er von einem holländischen Gesandten, der dem König von Siam erzählte, „dass das Wasser in seiner Heimat bei kaltem Wetter zuweilen so fest werde, dass die Menschen darauf umhergehen konnten” – woraus der König schloss, dass dieser Mann ein Lügner war. Empiriker wie John Locke, von dem diese Geschichte überliefert wurde, zitiert er aus Untersuchungen über die Kompetenz von “digital natives”, und schließt daran Regeln, wie sich Online-Quellen beurteilen lassen, was KI leisten kann und was nicht, wie die Geschäftsmodelle aussehen, die unsere Zeit und Aufmerksamkeit absaugen und absichtlich süchtig machen.
Der Autor will nicht die Gesellschaft umkrempeln, sondern denkt über den Erhalt der Demokratie nach, über eine nötige Wiederherstellung von Wettbewerb, der von den wenigen ungeheuer reichen Besitzern der Social-Media-Plattformen behindert wird. „Wir sollten in der Lage sein, die KI für Aufgaben zu nutzen, die sie besser und schneller als Menschen erledigt, ohne dass man uns zu dem Irrglauben verführt, sie könne […] alle Aspekte unseres Lebens verbessern.” Mit einem unsentimentalen Blick zurück auf die Hoffnungen, die mit der Technologie verbunden war, rät er: „Wir müssen das Internet neu denken.”
Gerd Gigerenzer: Klick. Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen (How to Remain Smart in a Smart World. Why Human Intelligence Still Beats Algorithms, MIT Press 2022). Aus dem Englischen von Hainer Kober. Pantheon, München 2022. Klappenbroschur, 416 Seiten, 16 Euro.
[1] Konferenz Bildung Digitalisierung 2022 vom Forum Bildung Digitalisierung
- Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs. Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de
Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen. Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.