
Eine Vielzahl Krimi-Neuheiten
… erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe von: Kaliber.38 und der befreundeten Buchhandlungen Chatwins (Berlin), Hammett (Berlin), Glatteis (München), Wendeltreppe (Frankfurt) und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg) auf interessante Neuerscheinungen hin. Empfehlungen für DVDs, BluRays und Comics geben Katrin Doerksen und Thomas Groh.

Jan Christian Schmidt von Kaliber.38:
Sommerzeit ist Urlaubszeit ist Reisezeit. Zur Auswahl stehen auch in diesem Monat rund eineinhalb Meter Bretagne-Portugal-Provence-Cornwall-Friesland-Krimis, die wohl nur erträglich sind, wenn die brennende Sonne große Areale des Hirns versengt hat. Einer der wenig ernst zu nehmenden (und gemeinten?) Texte vor urlaubstauglicher Kulisse stammt von Augustín Martínez, Das Dorf der toten Herzen (Fischer Tb). „Ein hitzeverbranntes Dorf mit zersetzenden Geheimnissen“ irgendwo in der südspanischen Wüstengegend, so der Vorschautext, in dem, so der Verdacht, ein Mädchen im Teenageralter den Mord an ihren Eltern in Auftrag gegeben haben soll. „Staubig und unwirtlich“ der Schauplatz, „spröde und verschlagen“ seine Bewohner. Genehmigt!
Für die unter den Krimilesern, die eher mit angstschweißnassen Händen und wackeligen Knien in den Urlaubsflieger klettern – Sie sind nicht allein! Der großartige Stephen King hat aus seiner Flugangst nie ein Geheimnis gemacht und mit Bev Vincent eine Anthologie zum Thema herausgehen: Flug und Angst (Heyne). Wir hoffen, die Lektüre hilft!
Um einen längeren Flug zu überbrücken, wäre der neue Jack-Reacher-Thriller von Lee Child meine erste Wahl. Keine Kompromisse, so der Titel des frisch bei Blanvalet erschienenen, garantiert kurzweiligem Romans. Wer‘s devianter mag, vielleicht Er will sie sterben sehen von Carmen Mola (Penguin). Eine „junge Frau wurde ermordet, indem man ihr Löcher in den Schädel bohrte und Würmer einführte, die bei lebendigem Leib das Gehirn fraßen“. Boah, was soll das bloß?
Die Highlights des Monats am Schluss: All die unbewohnten Zimmer von Friedrich Ani (Suhrkamp), in dem gleich vier der Figuren des Ani-Kosmos einen Mordfall beackern, und Der Sprengsatz von Nicholas Searle (Kindler), einem vielbödigen Thriller über den sogenannten Krieg gegen den Terrorismus.

Claudia Denker von der Krimiabteilung im Chatwins in Berlin-Schöneberg:
Ich hörte, dieses Mal sei Ferienlektüre gefragt. Ich lese im Urlaub meistens dicke Bücher – auch mal keine Krimis – oder mehrere eines Schriftstellers und kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in den Achtzigern (in der Türkei, da konnte man da getrost hinfahren) mal alles von van de Wetering (Rowohlt) gelesen habe. Letztes Jahr habe ich einiges von John Niven (Heyne) nachgeholt und »Die Marseille-Trilogie« von Jean-Claude Izzo.

Wenn es aber etwas Neues sein soll, dann empfehle ich hier als erstes und aus tiefstem Herzen den neuen Roman von Max Annas. »Morduntersuchungskommission« (Rowohlt) spielt in und um Jena 1983 und zeigt sehr eindrücklich, was es in der DDR gab, aber nicht geben durfte und wie man damals damit umging. Ein rassistischer Mord wird unter den Teppich gekehrt, nur einer ermittelt weiter. Otto Castorp, auf dessen zweiten Fall ich schon sehr gespannt bin, denn der kommt …
Dabei sei gesagt, dass auch »Finsterwalde« nun als Taschenbuch erscheint. Beides ist für August angekündigt.
Momentan lese ich mit Freude von Alan Carter den »Marlborough Man« (Suhrkamp), ein englischer »undercover cop« versteckt sich bei der neuseeländischen Polizei, bangt um seine Entdeckung und hat auch sonst noch genug zu tun.
Als ich den Titel »Achtsam morden« (Heyne) von Karsten Dusse in der Hand hielt, musste ich erst mal lachen und habe ihn weiter nicht beachtet. Aufgrund von Besprechungen im Radio und irgendwo anders noch, bin ich doch neugierig geworden … könnte nette unterhaltsame Urlaubslektüre sein.
Nach dem letzten Talk.Noir-Abend in Berlin hatte ich plötzlich mal Lust, wieder etwas Böses zu lesen. Ich nehme ihn, den Serienkiller Thomas Bishop aus »Kill« (Heyne) von Shane Stevens.
Gespannt bin auch auf:
Andreas Pflüger: Geblendet (Suhrkamp)
Hazel Frost (Katja Bohnet): Last Shot (Knaur)
Rachel Kushner: Ich bin ein Schicksal (Rowohlt) – CrimeMag Reading Ahead hier.
Erscheint auch demnächst: »Tod im Harz«, »Eiskalte Ostsee«, »Mord im Felsenmeer«, Tod an der Seebrücke«, »Tod in Porto«, »Mord auf Portugiesisch« … und, und, und … au weia …

Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg
Im Rucksack mit durch Nordgriechenland gewandert sind:
– Georges Simenon, Die Pitards (Ü: Kristian Wachinger), Atlantik Verlag: Ein Drama auf hoher See zwischen Frankreich, Hamburg und Island. Spannend, auch ohne Maigret, jedoch gendermäßig schwer angestaubt.
– Jim Nisbet, Tödliche Injektion (Ü: Angelika Müller), Pulp Master: Tod durch die Giftspritze in Huntsville/Texas. Besser kann man literarisch nicht gegen die Todesstrafe wettern.
– Ross Thomas, Gottes vergessene Stadt (Ü: Bernd Holzrichter), Alexander Verlag: In Durango liegt der Polizeichef mit der Bürgermeisterin im Bett. Sie verkaufen Sicherheit. Bis jemand mehr zahlt. Gut, besser, Ross Thomas!
– Joe R. Lansdale, Hap & Leonard. Wilder Winter (Ü: Richard Betzenbichler und Katrin Mrugalla), Golkonda Verlag: Geld für die Revolution. Hap Collins und Leonard Pine tauchen nach der Million. Sechs Bände der Reihe gibt es jetzt als wohlfeile Taschenbücher mit schicken Covern.

– Alan Carter, Marlborough Man (Ü: Karen Witthuhn – herzlichen Glückwunsch nachträglich!), Suhrkamp Verlag: Nick Chester, ehemaliger undercover cop, versteckt sich in Neuseeland. Das gelingt nicht wirklich und dabei fließt viel Blut.
– Dror Mishani, Drei (Ü: Markus Lemke), Diogenes Verlag: Ein literarischer und fein konstruierter Thriller aus Israel mit einer überraschenden Wendung. Erscheint jedoch erst Ende August 2019.
Als heiße Lektüre für die kommenden heißen Wochen habe ich mir vorgenommen:
– Estelle Surbranche, Nimm mich mit ins Paradis (Ü: Cornelia Wend), Polar Verlag: Kommissarin Levasseur ist zurück. Und die serbische Mafia auch. Fortsetzung von „So kam die Nacht“.
– Adrian McKinty, Cold Water (Ü: Peter Torberg), Suhrkamp: Der 7. Sean-Duffy-Band. Ein perfekter Titel für den Sommer.- Johannes Groschupf, Berlin Prepper, Suhrkamp Verlag: Fieses Cover, aber schon mehrfach hoch gelobt.
– Ross Thomas, Der Fall in Singapur (Ü: Wilm W. Elwenspoek), Alexander Verlag: Gerade erst ausgeliefert. Bald ist die tolle Ross-Thomas-Edition vollständig. Man kann dem Verlag dafür nicht oft genug danken!
– Hazel Frost, Last Shot, Droemer Verlag: Ein Voralpen-Thriller. Warum kommt mir das Gesicht der Autorin bloß so bekannt vor …?

Monika Dobler von Buchhandlung Glatteis, München:
Hier meine Empfehlungen:
Alan Carter, Marlborough Man (Suhrkamp, Ü: Karen Witthuhn) – dieses Mal geht der Autor nach Neuseeland. Ein neuer Ermittler, aber absolut seinen beiden ersten Romanen mit Cato Kwon ebenbürtig.

Andrew Cartmel, Murder Swing (Suhrkamp, Ü: Susanna Mende) – die Jazz-Fans haben einen neuen Krimi. Und da will ich doch gleich noch an Bill Moody erinnern. Leider die meisten vergriffen, aber bei Polar gibt es noch „Der Spion, der Jazz spielte“.
Agustín Martínez, Das Dorf der toten Herzen (Fischer, Ü: Lisa Grüneisen) – nachdem sein erster Roman im Norden Spaniens spielt, ist jetzt der Süden dran. Wie schon sein erster „Monteperdido“ ist auch dieser Krimi gut erzählt, gute Geschichte, gute Figuren. Schön, dass jetzt wieder mal spanische Autoren Krimis schreiben.
Und gleich noch einer von Fischer bzw. Scherz: Eva Garcia Sáenz, Die Stille des Todes (Ü: Alice Jakubeit). Dieses Mal geht es ins Baskenland.
Alex Michaelides, Die stumme Patientin (Droemer, Ü: Kristina Lake-Zapp) – wieder mal einen Psychothriller lesen? Dann diesen.
Graham Moore, Der Mann, der Sherlock Holmes tötete (Eichborn, Ü: Kirsten Riesselmann). Ich war skeptisch, aber dann: Großes Lesevergnügen.
Auch die Österreicher spielen eine große Rolle bei glatteis:
Erwin Riess, Herr Groll. Im Schatten der Karawanken und Herr Groll und die ungarische Tragödie (Haymon). Wunderbar böse, genauso wie:
Franzobel, Rechtswalzer (Zsolnay). Die österreichischen Autoren besitzen die Kunst die politische Lage bis ins Absurde hochzuschauben.
Hazel Frost, Last Shot (Droemer) – spannend wie alle ihre Krimis. Wär interessant zu wissen, warum ein englisches Pseudonym, wo doch jeder am Foto auf der hinteren Klappe sieht, dass hier Katja Bohnet geschrieben hat. Aber umso besser, schließlich ist die Autorin Garantie für Spannung und interessante Protagonisten.
Zum Schluss noch ein Tipp für die so angesagte Achtsamkeit:
Karsten Dusse, Achtsam morden (Heyne) – Martina Hill schreibt: „Ein Buch wie ein Wellnessurlaub. Nur vielseitiger und mit mehr Toten.“
Die heißen Tage beflügeln bei glatteis das Geschäft, das ist schön.

Jutta Wilkesmann, Krimibuchhandlung Wendeltreppe, Frankfurt:
Hier unsere Empfehlungen für den Sommer:
Mercedes Rosende: Krokodilstränen (Unionsverlag)

Santo Piazzese: Blaue Blumen zu Allerseelen (Edition Converso)
Klaus Späne: Mallorca bis in alle Ewigkeit (Emons)
Kate Atkinson: Deckname Flamingo (Droemer)
Ross Thomas: Der Fall in Singapur (Alexander Verlag)
Adrian McKinty: Cold Water (Suhrkamp)
Denzil Meyrick: Die Morde von Kinloch (Harper Collins)
Frank Friedrichs: Erntedank in Vertikow (DichtFest)

Christian Koch, Buchhandlung Hammett, Berlin:
Hier wird noch geliefert.

Comic/Heimkino
Juli 2019 – von
Katrin Doerksen und Thomas Groh:
Bergstrasse 68 von Tina Brenneisen und Veronica Salomon
Parallelallee, 56 Seiten, vorbestellbar. Wird zwar als Kindercomic vermarktet, doch handelt es sich um eine Geschichte, die sich auf bezaubernde und kluge Art und Weise mit Mietwucher und Gentrifizierung in Großstadtädten auseinandersetzt.
Ein Freitod von Steffen Kverneland
avant-verlag, Hardcover, vierfarbig, 120 Seiten, vorbestellbar:
Der preisgekrönte norwegische Comiczeichner Kverneland widmet sich in seinem bislang persönlichstem Werk dem überraschenden Suizid seines Vaters, als er selbst gerade 18 Jahre alt war.

Guantanamo Kid von Jérôme Tubiana und Alexandre Franc
Carlsen, Hardcover, 176 Seiten, bestellbar.
Die wahre Geschichte von einem der jüngsten Gefangenen in Guantanamo: Erst nach acht Jahren konnte ein Gericht die Unschuld von Mohammed el Gharanibeweisen.
König Kohle von Max
avant-verlag, Hardcover, Schwarzweiß und vierfarbig, 160 Seiten, bestellbar. Ausgehend von der Naturalis historia von Plinius dem Älteren über die Ursprünge der Malerei entwirft Max ein Erzählexperiment, in dem der Erzählfaden und der Umriss ein und dasselbe sind.
Ratgeber für schlechte Väter 4 von Guy Delisle
Reprodukt, Klappenbroschur, Schwarzweiß, 200 Seiten, bestellbar.
Schon zum vierten Mal erteilt der Comic-Reporter Guy Delisle seine wunderbar antipädagogischen, selbstironischen Vaterschaftsratschläge.
The Friendly Beast von Gabriela Amaral Almeida
BluRay, ab 5. Juli im Handel.
Seit einiger Zeit hat das unverzichtbare Kölner Heimkino-Label Bildstörung, bis dahin vor allem auf die Archäologie des subversiven Kinos spezialisiert, auch die Subversion im Gegenwartskino in den Blick genommen und dabei Sehenswertes aus den Randgebieten der internationalen Filmproduktion zusammengetragen. Gespannt sein darf man daher ganz erheblich darauf, wenn Bildstörung uns eine brasilianische Mischung aus Home Invasion Thriller und Arthouse-Horror kredenzt, die dem Trailer nach zu urteilen zwar alles mögliche, aber definitiv keine Gefangenen macht. Nichts für Zartbesaitete – soviel steht fest.
20th Century Boys– Ultimative Edition von Naoki Urasawa
Panini, diverse Bände im Taschenbuchformat, schwarzweiß, je 19 Euro.
Auf eine Wiederentdeckung im Hause Panini (ja, die mit den Fußballsammelalben) muss unbedingt hingewiesen werden: Dort erscheint derzeit im Dreimonatstakt wieder (nach einem schmalen ersten Run in den frühen 00er Jahren) Naoki Urasawas Epos „20th Century Boys“ und zwar in einer Sammelkollektion, die je zwei der ursprünglichen Bände in einem dicken Buch zusammenfasst. Urasawa ist ein Großepiker und empathiker des Manga – und gewissermaßen ein Vorläufer dessen, was sich heute an Langform-Formaten im Fernsehen abspielt. Hier tummeln sich keine Prinzessinnen, keine schmalen romantischen Helden oder Fantasygestalten, wie man es beim ersten Blick ins Manga-Regal im Buchhandel vermuten würde. Urasawa erzählt stattdessen packende Großgeschichten mit liebevoll gezeichneten Figuren und historisch tiefer Dimension, das alles in einem realistischen Zeichenstil, der einen geradewegs ins Geschehen zielt. „20th Century Boys“ erzählt davon, wie ein Haufen Kids in den 60ern sich das Ende der Welt ausmalt – was Jahrzehnte später schaurige Realität zu werden droht. Große Genrekunst zwischen Science-Fiction, Mystery und Jugenddrama.