Geschrieben am 4. November 2015 von für Crimemag, Non Fiction

Sachbuch: Roger Shatulin: Der verlachte Tod

Posada-Calavera-Don-Quixote

Aus Protest: Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Wer Kriminalliteratur liest, begegnet dem Tod unverhältnismäßig oft, dies zwangsläufig bis vorsätzlich. Aber, bitte, er halte doch ein wenig letzten Abstand. Gerade aber bimmelt es unverhältnismäßig oft, das Totenglöckchen. Erst galt es, schockierend plötzlichen Abschied von unserem Kolumnisten Carlo Schäfer zu nehmen (zum Nachruf von Thomas Wörtche hier), in dieser CM-Ausgabe muss es unser USA-Korrespondent Thomas Adcock von seinem Freund Bob Leuci tun, einem gewichtigen Autor der Kriminalliteratur. We are absolutely not amused.
„Non!” lautete der aus Pietätsgründen von der Friedhofsleitung in Meudon abgelehnte, selbstverfasste Grabspruch von Louis-Ferdinand Cèline. Oder um es mit dem englischen Kritiker Lytton Strachey zu sagen: „Wenn dies das Sterben ist, so halte ich nicht viel davon“, geäußert am 21. Januar 1932 auf seinem Totenbett.

Subversive Lektüre tut gut bei diesem Thema. Veröffentlichungstechnisch passend in den nebligen November datiert hat der Züricher Manesse Verlag das kleine, subversive Brevier „Der verlachte Tod”, eine fulminante Sammlung von heiteren Grabinschriften, Nekrologen, Mementos und aphoristischer Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit. Herausgeber Roger Shatulin trug Stimmen aus vielen Jahrhunderten und Kulturen zusammen: von Joachim Ringelnatz, Karl May, Robert Louis Stevenson, Robert Gernhardt, Heinrich von Kleist, Georg Christoph Lichtenberg, Hafis, Erich Mühsam, Dorothy Parker, Robert Musil, Benjamin Franklin, Abraham a Santa Clara, Shakespeare, Francois Villon, Erich Kästner, Wilhelm Busch, Andreas Gryphius, Friedrich Schiller, Matthias Claudius, Mascha Kalèko bis zu Emily Dickinson, Heinrich Heine oder Voltaire. Die Illustrationen stamen von dem mexikanischen Kupferstecher und Karikaturist José Guadalupe Posada (1852 – 1913), dessen Figur „La Catrina“ jede Menge Nachruhm genießt und einst die Anfänge von CrimeMag zierte. Das handliche, samtgebundene Brevier versammelt viel Tröstliches, Frivoles, Geistreiches, Absurdes. Sich mit dem Tode zu befassen, kann produktiv sein, lernen wir. Oder witzig. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.Posada3.Lagartijo

„Nach nichts erkundige ich mich eingehender als danach, wie ein Mensch gestorben sei: mit welchen Worten, welchem Gesicht und welcher Haltung; und in den Geschichtsbüchern gibt es keine andere Stelle, der ich eine solche Aufmerksamkeit widme … wenn ich ein Bücherschreiber wäre, legte ich ein kommentiertes Register der verschiedenartigen Tode an“, schrieb Michael de Montaigne in seinen „Essais“. Wünschen wir uns also die Haltung von Auguste de Villiers de L’Isle-Adam, der am 18. August 1889 sein Leben beschloss mit dem Satz: „Lebt wohl, ihr schönen Dinge!”

Roger Shatulin befasst sich in seinem als Nachwort erschienenen Text mit den subversiven Formen und Strategien des Umgangs mit dem Unzumutbaren. Hier seine Überlegungen. (AM)

 

Der verlachte Tod vonRoger Shatulin: Der verlachte Tod

„… never tired/ never sad/ never guilty” (Bob Gylan, Eleven Outlined Epitaphs)
„Nix is’. Bled is’. Aus is’.” (Thomas Bernhard)

Seit sich der Mensch seiner eigenen Sterblichkeit bewusst ist, besingt er den Tod, verwünscht ihn, feiert und leugnet ihn, verdrängt und verklärt ihn. Hält ihn für das Ur-Übel der Welt und für ein Skandalon kosmischen Ausmaßes, sieht in ihm den großen Gleichmacher und Vergelter, nennt ihn Freund Hein, in manchen Weltgegenden gar „sein Lieblingsspielzeug und seine treueste Geliebte“ (Octavio Paz). Mit feierlichem Ernst kreisen schriftliche Überlieferungen um die Vergänglichkeit: das Totenbuch der Ägypter, die Elegien und Trostbreviere der Antike, die Jeremiaden des Tanach, die Meditationen des tibetischen Bardo Thödröl, japanische Sterbe-Haikus und westöstliche Requiem- und Vanitas-Dichtungen.

Was für die griechischen Tragödien das Satyrspiel, das ist für die feierliche Jenseitsliteratur die Todespolemik der Dichter – in Gestalt von heiteren Grabinschriften, Nekrologen und Abgesängen. Die über fünfhundert hier versammelten Epitaphe sind grelle Geistesblitze, die am Firmament der ars moriendi aufzucken. Man möge sich das Vergnügen an ihnen nicht durch Zweifel madigmachen, ob sie je auf Leichensteinen gestanden haben. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich um Verse aus Jux und Tollerei, gemäß der lateinischen Sentenz des potius amicum quam dictum perdere: dass man lieber einen Freund preisgibt als einen Witz. Die Abgesänge, Nekrologe und Mementos der Weltliteratur changieren zwischen Ernst und Unernst, fingierter Anlassdichtung und freier Improvisation auf ein unauflösliches Mysterium.

Der Tod, so sagt man, versteht keinen Spaß. Der Mensch schon. Dies als Überlegenheit zu begreifen und sich augenzwinkernd renitent zu geben – ein solcher Triumph ist allein dem lachenden Tier vergönnt. Sein Lachen allerdings gilt nicht nur dem Tod, sondern ebenso den Absurditäten, Hysterien und Sentiments der Totenverehrung, dem „Fetischismus der Gräber“ (Gustave Flaubert).
Welcher famose Schelm wohl zuerst die Chuzpe hatte, dem dunklen Meister neckisch zu kommen? Die Überlieferung weist zurück auf die Epigrammatik der Antike. Als kundige Elegiker müssen die alten Griechen ein feines Ohr für Nuancen und ironische Brechungen gehabt haben, für die Diskrepanz zwischen der feierlichen, an Homer angelehnten Form und dem unfeierlich-banalen Inhalt. Archilochos, der Patron aller Hohndichter, brachte im siebten vorchristlichen Jahrhundert seinen gefürchteten Rachejambus in Anschlag und machte die Lästerung zu einer eigenen Kunstgattung. Zu diesem Zeitpunkt war das Epitaph bereits von Marmor und Erz auf Papyrus übergegangen. Indem sich die altgriechische Sepulkraldichtung vom Monument löste, konnte sie sich zu einer freien, artistischen Disziplin entwickeln, deren Traditionslinien sich bis in die Spätantike verfolgen lassen.

Posada-Calavera-Oaxaquena-Die Kunst des postumen Verlachens

Man spricht fortan vom epideiktischen Grabepigramm, also nicht unauslöschlich in Stein gemeißelt, sondern zur Anschauung (ἐπίδειξις) gedichtet. Besonderer Beliebtheit erfreut sich in der Polis das Parodieren des feierlichen Distichons, der denunziatorische Nekrolog sowie das polemische Zwiegespräch zwischen Diesseits und Jenseits. Wie man in die Unterwelt hinabruft, so tönt’s zurück. In der poetischen Nekromantie werden reihenweise die Toten aus den Gräbern zitiert und bieten den Lebenden schlagfertig Paroli.

Mit der Todesverachtung der Stoiker und der Pietätlosigkeit der Kyniker gewinnt die Kunst des postumen Verlachens philosophischen Nimbus. Den beiden Schulen der Pathosabwehr verdankt die griechisch-römische Antike die Ausweitung gängiger Geschmacks- und Tabugrenzen und manch originelle Pointe. Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert macht sich Lukian von Samosata in seinem Pamphlet De luctu über jene lustig, „die aus dem Lamentieren eine Profession machen“, und lässt eine Leiche aus dem Hades heraus gegen die Erben sticheln:

„Längst hätte ich über euer Getue laut aufgelacht, würden mich nicht die Leinentücher und Wollbinden daran hindern, mit denen ihr mir die Kinnlade hochgebunden habt.“ Antike Heiterkeit selbst vor offenen Gräbern! Das alte Vorurteil des Solon, dass man Toten nichts Böses nachsagen dürfe, übernehmen die Römer allenfalls interimistisch, meist wird es nach allen Regeln der Kunst ausgehebelt – von nüchtern-heiter bis sarkastisch-spitz.

Mit derlei Kapriolen – um nicht zu sagen: solchem Heidenspaß – ist mit dem Erstarken des Christentums Schluss. Der irische Wandermönch Pirminius verdammt im neunten Jahrhundert sowohl die „schrille Totenklage“ (ululatus excelsus) und die „teuflischen Gesänge“ (diabolica carmina) am Grabe als auch „unziemlichen Scherz und Tanz“ (ioca et saltationes), „Gelächter und Gelage“ (inebriari et cachinnis ora dissolvi). Stattdessen werden den Trauernden liturgische Gesänge und Fürbitten für das Seelenheil der Verstorbenen anempfohlen.

Blütezeit im tiefgläubigen Barock
Erst mit den Glaubenskrisen am Ausgang des lateinischen Mittelalters kehrt die Fidelitas in die Grabrede zurück. Vor dem Hintergrund des jesuitischen Passionsreglements eröffnet François Villons Schlussballade das Zeitalter der fröhlichen Häresie. Rabelais, Cervantes und Shakespeare lassen ihre Roman- und Dramenhelden Friedhofsmonologe schwingen und schreiben ihnen bad epitaphs auf den Leib, womit der Totenspott endgültig in der Hochliteratur angekommen ist. Seine Blütezeit feiert der Grabes- und Galgenhumor im tiefgläubigen Barock.

Vanitas im Veitstanz, Leichenbitternis mischt sich mit Ambrosia: Komm, o süßer Tod! Bis auf den heutigen Tag geben die boneyard boys (und boneyard girls) den Ton an.

Bleibt noch die Frage: Wie viel Pietätlosigkeit verträgt das Ende? Gerade im Umgang mit den letzten Dingen gilt: Des einen Unernst ist des anderen Ernst (und vice versa). Die Stunde der Wahrheit ereilt jeden irgendwann. Und so wie Reue im Angesicht des Todes immer zu spät kommt, ist Schadenfreude grundsätzlich verfrüht: Warte nur, balde … Sargschreiner, Bestatter, Leichenredner und andere Profiteure der Vergänglichkeit kennen deren unfeierliche Rückansicht zur Genüge. Dichter offenkundig auch. Was ihren Variationen auf den Tod gemein ist: dass sie ihn auf die leichte Schulter nehmen. Die Klassiker der Weltliteratur, oft und gern für Erbauliches gebucht, sorgen für infernalisches Gelächter am Grabesrand. Keine Spur von stiller Einfalt, edler Größe. Hier regiert das Laute, Ungenierte, die Lästerzunge, das Schandmaul.

Bündiger Bescheid statt geschwätziger Trauer, ironische Nonchalance statt eitlem Gepränge, Laune statt Schwulst. Das Schwere leicht nehmen, was für eine Verlockung! In der Profanierung des elegischen Sentiments, im Verzicht auf hohles Denkmalpathos und schwarz geränderte Plattitüden spricht sich unverkennbar ein höheres Bedürfnis nach Redlichkeit aus. Komik, heißt es, verdanke sich der Fallhöhe zwischen Ideal und Wirklichkeit.

Posada6.BikesLebensbejahendes Lachen
Ließe sich eine imposantere Fallhöhe denken als jene gut eineinhalb Meter, die zwischen Totenacker und Grubenboden liegen? Der Friedhof als sardonische Amüsiermeile – schwarzer Humor als existenzielle Notwehr, zynische Kondolenz als Trauerarbeit für Fortgeschrittene, Spott auf letzte Dinge als tolldreistes Antidepressivum.

Wer liest, der sieht: Die Satire wächst am Grauen, letale Betrübnis provoziert befreiendes Feixen. Je tödlicher der Ernst, umso verlockender die Farce. Auf die Spitze getrieben, werden Schaudern und Lachen eins. „Grinsen mengt sich ein, gleich dem des Totenkopfs selbst; denn dass der lange planende Mensch abfährt wie Vieh, ist auch gleichsam witzig.“ (Ernst Bloch)

Wie man es auch dreht und wendet, der Tod bleibt das Unzumutbare, dem niemand entkommt, das Skandalon, das durch keinen spirituellen Trostgrund und kein philosophisches Dementi aus der Welt geschafft wird. Die Zumutung ist mit oder ohne Pietät die gleiche. Man segnet und betet den Tod nicht weg, sagt ein polnisches Sprichwort. Ebenso wenig spottet man ihn weg. Doch in einem tieferen, lebensbejahenden Sinn gilt bis auf Weiteres: Wer zuletzt lacht, lacht am besten.

© Roger Shatulin; mit freundlicher Genehmigung des Manesse Verlages.

Roher Shatulin (Hg.): Der verlachte Tod. Heitere Grabinschriften, Nekrologe und Mementos samt einem Kuriositätenkabinett letzter und vorletzter Worte. Mit Illustrationen von José Guadalupe Posada. Manesse Verlag, Zürich/ München 2015. Hardcover, Samtbezug mit Folienprägung. 272 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch hier.

 

 

 

 

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