Geschrieben am 14. März 2018 von für Crimemag, CrimeMag März 2018

Roman: Marcelo Figueras: Das schwarze Herz des Verbrechens

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Die argentinische Literatur hat traditionell starke Bezüge zur Kriminalliteratur und überhaupt zu vielen Formen der Populären Kultur. Reines Genre hingegen ist selten dabei herausgekommen, das macht ihre Qualität – unabhängig von den verschiedenen Konzepten – aus.  „Das schwarze Herz des Todes“ von Marcelo Figueras klinkt sich in diese Tradition ein, hat aber noch ein paar andere Aspekte zu bieten. Eine Besprechung von Thomas Wörtche.

„Das schwarze Herz des Todes“ ist ein spannender Roman. Nicht nur, weil er eine Art Polit-Thriller ist, sondern weil die intellektuellen Spannungsbögen, die der argentinische Autor Marcelo Figueras, inszeniert, so weitgreifend funktionieren.

Zunächst einmal beschreibt der Roman so ziemlich präzise die Entstehung eines der Hauptwerke der argentinischen Literatur: „Das Massaker von San Martín“ (erschienen 1957) von Rodolfo Walsh, dessen weltliterarische Bedeutung zudem noch darin liegt, dass dieses Buch der Gründungstext des Genres „True Crime“ ist, acht Jahre vor Truman Capotes „Kaltblütig“.  Ausgangspunkt von Walshs und auch von Figueras´ Text ist dabei ein Massaker, dass die argentinische Regierung während der sogenannten „Befreiungsrevolution“ gegen angebliche peronistische Kräfte 1956 an mehr oder weniger unbeteiligten Zivilisten angerichtet hatte. Figueras zeichnet den Weg von Walsh vom Verfasser marktgängiger Kriminalromane bis zum flamboyanten politischen Schriftsteller nach. Die Entstehung dieses Buchs, die Gefahren, denen sich der Autor aussetzt und damit alle seine ihm nahestehenden Menschen auch, die allmähliche Korrosion seiner sozialen und Liebesbeziehungen, seine Zweifel und Skrupel, die Veränderungen, die mit ihm während dieses kreativen Prozesses vorgehen, aber auch seine Sturheit und sein Dogmatismus – all das liefert eine spannende „Biographie“ eines eminenten Buches.

Poetik des Kriminalromans und Kriminalroman in einem

Eine zweite Ebene, für die das deutsche Publikum möglicherweise ein paar Kontext-Kenntnisse benötigen dürfte, dreht sich um eine Art „Poetik“ von Kriminalliteratur, die Figueras entlang einer nur anscheinend internen argentinischen Diskussion aufzieht: An dem Konflikt zwischen Jorge Luis Borges (und der sog. „Florida“-Gruppe) und Roberto Arlt ( und der „Boedo-Gruppe), um die Realitätshaltigkeit von Literatur, um die reine Ästhetik von „Zeichenoperationen“ und dem „Sitz im Leben“ von Literatur, die sich auffällig an kriminalliterarischen Parametern entlang bewegte, wobei Walsh am Ende als der profilierteste Gegenpol zu Borges steht. Borges starb hochgeehrt, Walsh wurde 1977 von der Militärjunta unter Videla ermordet. Überhaupt – wie tief Figueras´ Roman in der argentinischen Diskussion verwurzelt ist, zeigt sich gleich am Anfang, als ein anderes Opus magnum aufgerufen wird: Der Comic „Eternauta“ von Héctor Gérman Oesterheld, der wie Walsh ein Opfer der Militärjunta wurde – Populäre Kultur als Großchiffre des politischen Widerstands.

… und heute

Diese immer noch virulente Diskussion verlängert Figueras implizit bis zu der zugespitzten Frage, welche Rolle der Literatur insgesamt heute zukommt. Welche Optionen sie in einer Zeit, in der die Mächtigen nicht mehr mit brutaler Gewalt, sondern mit der Macht gesteuerter Narrative herrschen, überhaupt noch hat; „Medienbündelung“ nennt Figueras dies in seinem aktualisierenden Nachwort. Deswegen ist der Roman auch als Kommentar zum heutigen Argentinien zu verstehen und gleichzeitig steht dieses heutige Argentinien für die allmähliche Aushöhlung der demokratischen Verfasstheit anscheinend (oder: gerade noch) stabiler Gesellschaften, die Figueras bedroht sieht. Wobei sich die Frage anschließt, inwieweit in Sonderheit Kriminalliteratur Terrain und Dynamik verschenkt, wenn sie sich auf eine Rolle als „gute Unterhaltung“ reduzieren lässt oder sich gerne freiwillig darauf reduziert.

So balanciert „Das schwarze Herz des Verbrechens“ (damit sind die Machtzentren des Staates gemeint) auf einem dünnen Draht zwischen „Ideenroman“ und politischem Kriminalroman, zwischen fein ziseliertem Autorenporträt und ästhetisch-politischem Diskurs. Und das ist spannend.

Thomas Wörtche

Marcelo Figueras: Das schwarze Herz des Verbrechens. (El negro corazón del crimen, 2017). Dt von Sabine Giersberg. Zürich: Nagel & Kimche, 2018. 461 Seiten, € 24,70

Zu Buch und Autor hier nachzulesen.

Zum Kontext hier: Kaliber 38 und TAZ

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