Geschrieben am 1. April 2019 von für Crimemag, CrimeMag April 2019

Radka Denemarkovà „Ein Beitrag zur Geschichte der Freude“

Hexische Weiber, gut zu Vögeln

Ute Cohen über ein ziemlich unkorrektes Buch

Ornithologen haben es schwer in der Literatur, gelten sie doch als pedantische Langweiler. Die 1968 geborene, in Prag lebende Schriftstellerin, Übersetzerin und Essayistin Radka Denemarková aber ist eine ganz besondere Vogelkundlerin. In ihrem Roman Ein Beitrag zur Geschichte der Freude lässt sie drei alte Damen als Harpyien durch die Lande schweifen, Rache üben, Leben retten. Auf die Schliche kommt ihnen ein Ermittler, der den vermeintlichen Selbstmord eines Unternehmers aufdecken soll. Er entdeckt das geheime Archiv der Ladies, in dem sie die Geschichte der Gewalt gegenüber Frauen dokumentieren. Da Berufsethos und Lynchjustiz außer für Profikiller inkompatibel sind, ist der Ermittler einem knallharten Loyalitätskonflikt ausgeliefert. Ist die Tat nur ein Racheakt oder auch ein Akt der Gerechtigkeit? 

Von den „Trostfrauen“ Japans über Massenvergewaltigungen in Indien bis zur Zwangsprostitution Minderjähriger in Tschechien – die Geschichte der sexuellen Gewalt kennt weder Zeit noch Grenzen. Dass nicht nur Regime, sondern auch politische Korrektheit in Demokratien zur Täter-Opfer-Umkehr führen kann, zeigt Denemarková in ihrem hochpolitischen Buch. Kompromisslos steht sie auf der Seite der Opfer von Pädophilen, Gewaltverbrechern und Mördern und gibt sich damit denjenigen zum Abschuss frei, die zwar im Tontaubenschießen geübt sein mögen, nicht aber im Umgang mit Opfern und rechtlichen Unzulänglichkeiten. Das ist risikoreich, zumal auch mit dem Diktum „Universalverblödung der Journalisten“ Medienschelte nicht zu kurz kommt. 

Denemarková versucht sich deshalb an einem neuen Ansatz: einer glasklaren Gesellschaftsanalyse mit Ausflug in die Vogelwelt. Das verträgt sich erstaunlich gut, denn „Solidarität unter Frauen ist eine Illusion. Je stärker sich eine Gruppe der anderen unterordnet, desto härter fällt der Konkurrenzkampf in der rangniedrigeren Gruppe aus“. Eine Schwalbe hingegen „fürchtet sich nicht vor einer anderen Schwalbe.“ Die Hauptfiguren aber begnügen sich nicht mit Gesellschaftskritik. Sie schreiten zur Tat, geben den Malträtierten „den vergessenen Lebenssinn“ zurück. Ihre Leser lockt Denemarková mit der Vogelperspektive aus moralischen Bedenken, denn von „oben gesehen ist alles brutal einfach“. Wenn Denemarková dann Schwalbenkörper vom Himmel regnen lässt, löst sie den Anspruch ein, den sie eine ihrer Hauptfiguren ans Schreiben erhebt: „Man muss Wörter mit der Peitsche malträtieren. Damit sie präzise und schlagkräftig werden.“ Lediglich bei der Sprache der Körper gibt es Irrläufer, geschwätzige Metaphern und gnadenlos Überspanntes: „Im mystischen Orgasmus verspritzt er Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, schluchzt bis in die Wurzeln seiner Knabenhaftigkeit.“ Aber wer hat sich nicht selbst schon einmal lächerlich gemacht im Liebesrausch mit Wort und Tat?

Liegt diese Hilflosigkeit gegenüber dem Körper an der grassierenden Alexithymie? Diese Gefühlslegasthenie lässt den Körper zum „Arschloch“ werden. Mit Sprache ist die Aufspaltung von Körper und Geist aber nicht zu kitten. Im Gegenteil: „Die Sprache verrät den Körper.“

Wie aber können wir in einer Welt der feindseligen Körper einen „Beitrag zur Geschichte der Freude“ leisten? Indem wir den Blick gen Himmel heben und den Schwalben zuschauen? Ja, denn Sex ist nicht nur Gewalt. „Sex ist Freude“ zwitschern sie uns zu. Auf jeden Fall sollten wir eine andere Sprache als die der Macht lernen, damit wir nicht im Sturzflug in den Orkus segeln. Leichtigkeit, Sinnenfreude, Gemeinschaftssinn – Denemarkovà inspiriert sich an der Fauna und entwickelt Alternativen zu herkömmlichen machtbasierten Verhaltensmustern.

Idealistisch? Unkorrekt? Mag sein, vor allem aber ist der Roman ein schlagender Beweis für die Kraft der Literatur. Nur Literatur könne „ins Mark schneiden“, „weil sie vorurteilsfrei zeigt, was möglich und nicht möglich ist“. Wie immer man zu Vögeln und hexischen Weibern stehen mag: Artfremdes Gezwitscher hilft nicht selten, das eigene Wirkungspotenzial zu erkennen. 

Ute Cohen

  • Radka Denemarkova: Ein Beitrag zur Geschichte der Freude (Příspěvek k dějinám radosti, 2014). Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. Hoffman und Campe, Hamburg 2019. 336 Seiten, 19,99 Euro. 

Ute Cohen lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihr Roman Satans Spielfeld erschien 2017 bei Septime, die „Berliner Zeitung“ brachte ein zweiseitiges Interview zu den Hintergründen dieses Romans. Ute Cohen hat für CulturMag die Specials SEX- und TABUMag kuratiert. Ihre Texte bei CulturMag, ihr Interview in der „Berliner Zeitung“.