Geschrieben am 1. April 2019 von für Crimemag, CrimeMag April 2019

Peter Münder über einen Dichterfürsten (1)

Fontanes Bauchladen mit angeschlossener Roman- und Reportage-Manufaktur

Unser Beitrag zu 200 Jahre Theodor Fontane (Teil 1)

Zum Fontane-Jahr, in dem wir nun den 200. Geburtstag (am 30. 12.) des milden  Dialektikers feiern, sind gleich vier Biographien über den Balladendichter, Brandenburg- Wanderer, Theaterkritiker, Zeitungsreporter und Romancier erschienen. Abgesehen davon gibt es  bis zum Jahresende  Dutzende von Ausstellungen, Diskussionen und Spezialveranstaltungen im Rahmen der FONTANE 200-Aktivitäten (vgl. www.Fontane-200.de). Die altbekannte Frage nach der passenden Schublade für diesen eigenwilligen, so vielseitigen Autoren, die sich Kritiker schon seit seinem 100. Geburtstag stellten, geistert nun auch wieder durch die Interpretationsbüros: War er nicht ein glühender Preußen-Verherrlicher? Ein betulicher Plauderstunden- und Kaffeekränzchen-Entertainer mit extremem Faible „für alles Pläsierliche“, wie Gottfried Benn es polemisch formulierte? Oder ein verharmlosender Verklärer einer untergegangenen  Epoche?

Viele „Stechlin“-Liebhaber betrachten den Verfasser aus Neuruppin ähnlich wie den alten Romanhelden Stechlin: nämlich als distanzierten Meister ambivalenter Grauzonen. Die Biographien von Iwan-Michelangelo D Áprile, Hans-Dieter Rutsch, Regina Dieterle und Hans-Dieter Zimmermann bedienen einige  dieser Klassifikationsraster. Aber wie legt man die hermeneutischen Scheuklappen ab und verschafft sich einen Zugang zum Werk und Leben des unruhigen, „Neuland“ suchenden Theodor Fontane (1819-1898)? Mit  Burkhard Spinnens unprätentiös-pragmatischer Analyse „Und alles ohne Liebe“ kann man jedenfalls locker eintauchen in die Lebensbedingungen der „zeitlosen Heldinnen“ Effi, Cecile, Stine, Lene, Corinna, Jenny, Melanie und Mathilde. Und über diese differenziert dargestellten Frauenbilder  auch die Mentalität des kritischen Geistes Fontane kennenlernen. Wir wollen uns dem Fontane-Kosmos  daher in zwei Phasen nähern: Teil 1 widmet sich Burkhard Spinnen und seiner Studie, Teil 2 vertieft sich in die vier neuen Fontane-Biographien –  Von Peter Münder.

Als Fontanes Roman „Irrungen, Wirrungen“ 1887 als Vorabdruck in der „Vossischen Zeitung“ veröffentlicht wurde, hagelte es von entrüsteten Lesern sofort viele Abo-Stornierungen; ein Mitinhaber der Zeitung stellte sogar die Frage: „Wird denn die gräßliche Hurengeschichte nicht bald aufhören?“ Die ebenso realistisch wie einfühlsam erzählte Liebesbeziehung zwischen der gutmütig-vertrauensvollen Näherin Lene Nimtsch und dem Baron Rienäcker, die von ihm beendet wird, als er sich mit einer guten Partie schnell finanziell sanieren kann, hatte die Gemüter der ewiggestrigen Moralprediger  und Heuchler stark erregt. Ähnliche Proteste und Aufregungen hatte  der „Freie Schriftsteller“ Fontane aber schon nach der Veröffentlichung von „L`Adultera“ 1882 erlebt. Damals befanden die Leser es als skandalös, dass Melanie in ihrer zweiten Ehe ausgerechnet als Ehebrecherin zum ultimativen Glück fand. Keine Frage: Fontane kannte die neuralgischen ethisch-moralischen Schwachpunkte dieser auf Ordnung, Ehre und rigide Duellvorschriften fixierten Gesellschaft genau. Er hielt diese Moralprediger für Heuchler und kommentierte die fast hysterische Entrüstung mit eher mildem Tadel:

„Wir stecken ja bis über die Ohren in allerhand konventioneller Lüge und sollten uns schämen über die Heuchelei, die wir treiben, über das falsche Spiel, das wir spielen. Gibt es denn, außer ein paar Nachmittagspredigern, in deren Seelen ich auch nicht hineinsehen mag, noch irgendeinen gebildeten und herzensanständigen Menschen, der sich über eine Schneidermamsell mit einem freien Liebesverhältnis wirklich moralisch entrüstet?“

Die Frauen

„Effi Briest“, „Frau Jenny Treibel“,“ Schach von Wuthenow“ und „Mathilde Möhring“- sie alle thematisieren ebenfalls die heiklen ehelichen Beziehungsfallen, die zum Duell führenden aufgeblasenen Ehrverletzungen, aber auch (in Mathilde Möhring) den gelungenen Manipulationsversuch der pragmatisch-dynamischen Mathilde, die den schlaffen Jura-Studenten Hugo dazu motiviert, aus seinem bequemen Faulenzer- Dämmerzustand zur harschen Realität und nach endlich absolviertem Examen zur bürgerlichen Karriere zu  finden. So kann die aus prekären Verhältnissen stammende Mathilde den von ihr verwöhnten Untermieter ehelichen und den sozialen Aufstieg zur Bürgermeister-Gattin genießen.

Von der Mutter hergerichtet für ein kindlich-naives Leben im entrückten Schwebezustand, kann Effi aus ihrer Schaukel noch als 17Jährige das Treiben um sich herum aus der Perspektive der amüsierten Beobachterin  wahrnehmen. Doch dann wird ihr aus heiterem Himmel Geert von Instetten als zukünftiger Ehemann präsentiert. Und nun? Dazu Spinnen: „Die Braut wird ihm aus dem Garten herbeigerufen wie ein dressierter Hund. Man würde gerne „pfui!“ sagen und die Polizei rufen. Aber ich lasse es bei der Anmerkung, dass Ehen besser nicht so zustande kommen sollten, nämlich als Kinderhandel, egal in welcher Gesellschaft diesseits des Mittelalters.“

Kann Effi gegen diese  verordnete Ehe rebellieren, ist ihre Affäre mit Crampas das große Aufbegehren? Keineswegs, meint Spinnen, denn „Effi lässt nur geschehen, was man als junges Ding eben so geschehen lässt, wenn einem ein erfahrener Mittvierziger über den Weg läuft und seine Spielchen spielt… Effi ist ein Beispiel dafür, dass ein Handeln ohne Souveränität und in Fremdbestimmtheit immer unmoralisch ist. Sowohl ihren Eltern als auch ihrem Mann, ihrem Kind und ihrem Liebhaber gegenüber ist Effi immer bloß das,  von dem sie glaubt, man erwarte es von ihr … Und wer es allen recht zu machen versucht, der produziert am Ende nur Katastrophen“. Ähnlich verhält sich ja auch Instetten, wenn er im Duell Crampas erschießt: Er geht davon aus, dass die Leute das von ihm erwarten – man duelliert sich eben, auch wenn der Ehebruch erst Jahre später zufällig entdeckt wurde, und man verstößt dann auch die Ehefrau – das ist in der klassischen Vorstellung vom „Ehrenkodex“ alles inbegriffen. Spinnen bringt es – drastisch und deutlich formuliert – auf den Punkt: „Wenn man in seiner Brust nur ein Loch fühlt, dann stopft man es mit dem Papier aus Anstandsbüchern und schießt auf andere Leute. Kein Funke Mut zu einem eigenen, selbständigen Wort. Stattdessen die übliche Verbeugung vor den Verhältnissen.“ 

Diese klaren Konturen, die den „Knacks“ direkt erkennbar machen, hat Fontane in seinen anderen Gesellschaftsromanen differenzierter gestaltet und mit subtileren, fast subkutan gefütterten ambivalenten Nuancen angereichert. Da formiert sich etwa in „L´ Adultera“ eine schwadronierende Notgemeinschaft, die das eigene emotionale Defizit  mit einer Lebenslüge rhetorisch zukleistert und begräbt. Verstörend ist auch das grauenhafte Finale, das Rienacker in „Irrungen, Wirrungen“ das Leben im goldenen Käfig  zur Hölle macht: Das gutbetuchte Upperclass-Püppchen Käthe, das er ehelichte, entlarvt sich als permanent quasselnde, lachende Phrasendreschmaschine. Botho bleibt angesichts dieser deprimierenden Situation nur das Flanieren über den libidinös besetzten Memory Lane – damals mit Lene. Kein Mord oder Selbstmord, kein großes Drama – aber dort, wo sich jetzt bei Baron Botho Rienäcker ein hohles Vakuum offenbart, brodelt es bedenklich. „Das Grauen, das Grauen“, möchte man mit Joseph Conrad stöhnen… lll„Meine Frauengestalten haben alle einen Knacks weg“mmm

   „Meine Frauengestalten haben alle einen Knacks weg“, hatte Fontane zwar konstatiert. Aber diese Frauen sind keineswegs alle dressierte, kindliche Opfer, die wie Effi Briest dazu konditioniert wurden, nie eine eigene Meinung zu haben und immer unselbständig zu bleiben. Für Burkhard Spinnen steht daher in seiner Analyse „Und alles ohne Liebe“ auch nicht die Opferrolle der „zeitlosen Heldinnen“ im Mittelpunkt. Ähnlich wie Fontane selbst, der sich als Betreiber eines literarischen Labors verstand, will  er in diesen Fallstudien  herausfinden, wie Menschen den sozialen Wandel bewältigen und auf die Umbruchsphasen einer neuen Zeit reagieren. Hat Effi überhaupt eine Chance, aus ihrer Opferrolle zu entkommen?

Wirrungen

Verstaubt oder nur „pläsierlich“ ist hier nichts, Fontane hatte die ethisch-moralischen Irrungen und Wirrungen als sozialen Knackpunkt einer aufs Rituelle fixierten Gesellschaft jedenfalls genau erkannt und ohne belehrende Impertinenz beschrieben.

Er registrierte eben auch, wie es schon Georg Lukacs (in „Literatursoziologie“) konstatierte, „dass das soziale und moralische System der Gebote in der preußischen Oberschicht nur noch als toter und tötender Automatismus funktioniert, dass es über keinerlei innerlich richtunggebende Gewalt mehr in der Seele der Menschen verfügt“. 

In Teil 2 dann – im nächsten CrimeMag – beleuchten wir entscheidende biographische Etappen im Leben Fontanes. Und entdecken mit Hilfe der Biographien (vor allem bei Iwan-Michelangelo  D´Aprile) Widersprüche und bisher Unbekanntes aus dem Leben dieses experimentierfreudigen Literatur-Laboranten. 

Peter Münder

Seine Texte bei CrimeMag/ CulturMag.

Literatur-Info zu Fontane:

  • Burkhard Spinnen: Und alles ohne Liebe. Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen. Schöffling &Co. Frankfurt 2019, 110 Seiten.
  • Iwan-Michelangelo D´Aprile: Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung. Rowohlt 2018, 544 Seiten.
  • Regina Dieterle: Theodor Fontane. Hanser 2018, 832 Seiten..
  • Hans-Dieter Rutsch: Der Wanderer. Das Leben des Theodor Fontane. Rowohlt Berlin 2018, 333 Seiten.
  • Hans-Dieter Zimmermann: Theodor Fontane. Der Romancier Preußens. C.H. Beck 2019, 458 Seiten.Helmuth Nürnberger: Fontane. Rowohlt Monographie, Reinbek 1968, 192 Seiten.

Tags : , ,