Geschrieben am 1. Februar 2023 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2023

Peter Münder im „Weimar unter Palmen“

Als Thomas Mann Drehbücher in Hollywood schreiben wollte

Der Band „Weimar unter Palmen“ von Thomas Blubacher zeigt exilierte Kulturgrößen wie Feuchtwanger, Thomas Mann, Döblin, Brecht und viele andere, die sich in Kalifornien eine neue Existenz – meistens als Drehbuchschreiber – aufbauen wollten. – Von Peter Münder.

Als Thomas Mann im Februar 1933 nach Amsterdam zum großen Wagner-Kongress fuhr, um dort seinen stark beachteten Vortrag zu halten, ahnte er noch nicht, dass er nun  aufgrund der Anfeindungen durch das Nazi-Regime nicht mehr zurück ins Reich kehren konnte. Wie viele andere  deutschsprachige Autoren und Künstler (Feuchtwanger, Brecht, Werfel, Döblin, Marcuse, Mehring, Heinrich Mann, Adorno) registrierte der Lübecker Nobelpreisträger nun, dass die Suche nach einem sicheren Exil immer schwieriger geworden war.

Über die Schweiz, Frankreich und Italien gelangte Thomas Mann schließlich in die USA, wo er sich aufgrund seiner Prominenz zu den  europäischen Konflikten und antisemitischer Hetzkampagnen von Hitler, Goebbels u.a. äußern konnte. Doch der zögerliche, weltberühmte Autor spekulierte auch weiter  unverdrossen auf  eine „Rechtssicherheit in Bayern“ und auf eine „gutartige Lebensform“, die ihm möglicherweise noch eine Rückkehr in die Heimat gewähren würde. Andererseits suchte er „eine neue Lebensbasis“, schrieb er damals an Freunde und Kollegen, „weil der Gedanke eines jahrelangen Exils eine sehr schwere, verhängnisvolle Bedeutung für mich haben würde. Mit 57 Jahren mag ein solcher Verlust der bürgerlichen Existenz keine Kleinigkeit sein. Aber ich denke, mein Künstlertum hat mich elastisch genug gehalten für einen Neubeginn auf gänzlich veränderter Grundlage.“ 

Bekanntlich hat Thomas Mann ja ein aufregendes, unübersichtliches Stationendrama in der Schweiz, in Frankreich und ab 1938 als Gastprofessor in Princeton und nach 1940 im kalifornischen Pacific Palisades unter vielen anderen Emigranten gemeistert. Sie alle mussten beweisen, dass sie ihren Neubeginn als Bewährungsprobe „elastisch“ gestalten konnten. Aber Thomas Mann sah sich im Exil als „Botschafter der deutschen Emigration“ und betonte in seinen Vorträgen und in Gesprächen an der Seite von US-Präsident Roosevelt: „Where I am, there is Germany. I carry my German culture in me.“ Was ihn vor allem antrieb, war die Überzeugung, dass die USA unbedingt in den Krieg gegen Nazi-Deutschland eintreten und ihren Isolationismus aufgeben sollten. 

1944 hatte er die US-Staatsbürgerschaft erworben; von der Harvard University erhielt er schon 1935 eine Ehrenpromotion, ins Weiße Haus war er zweimal eingeladen worden und seine quer durch die USA führenden Vortragsreisen gerieten zum überragenden Triumph, der meistens mit dem prophetischen Versprechen auf einen  bevorstehenden Sieg der Demokratie gipfelte („The Coming Victory of Democracy“). Keine Frage, dass der Lübecker Nobelpreisträger als Befürworter eines liberalen Internationalismus und als missionarische Symbolfigur auch Brecht, Feuchtwanger oder Döblin überragte. Die versuchten übrigens auch einen Neubeginn mit dem Schreiben von Drehbüchern für Filmstudios in Hollywood, während Thomas Mann noch neben Tagebüchern und moralisch-politischen Appellen an Fortsetzungen von „Joseph und seine Brüder“ arbeitete. Für die Verfilmung des für Amerikaner viel zu komplexen Joseph-Stoffs oder des Zauberberg-Romans konnten sich die Filmstudios jedoch nicht erwärmen, weil das verschneite Sanatoriums-Ambiente von Hans Castorp von zu vielen Kranken bevölkert war und dementsprechend „dekadent“ wirkte.  

Wenn ein egomanischer russischer Nationalist wie Putin nun meint, seinen imperialistischen Größenwahn mit maximaler Waffengewalt verwirklichen zu können, dann hilft die Erinnerung an die Exiljahre der Dichter, Denker und Künstler vielleicht auch, den entschlossenen Widerstand gegen die Nazis als Motivationsfaktor gegen diese Kriegstreiberei zu instrumentalisieren. „Democracy will win“, hoffte und versprach Thomas Mann damals, während Churchill nach dem Ende des 2. „Weltkriegs die Demokratie als die „schlechteste aller Regierungsformen“ bezeichnete – abgesehen von all den anderen Regierungsformen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden“. Thomas Mann sah diesen Demokratisierungsprozess übrigens als schrittweise, in drei Stufen verlaufende Phasen, in denen die Demokratie lernen und sich verändern muss und schließlich siegen wird“. 

Als Stipendiat der Villa Aurora war Thomas Blubacher begeistert eingetaucht in das Ambiente von Pacific Palisades und in Recherchen zur Historie ehemaliger Geistes-Titanen wie Thomas Mann, Alfred Döblin und Lion Feuchtwanger

Doch nun endlich zu „Weimar unter Palmen“. Der Deutsch-Schweizer Theaterwissenschaftler und Regisseur Thomas Blubacher, Jahrgang 1967, hat mehrere Reiseführer (Bali, Kreuzfahrten, Tessin) und Biografien über Gustaf  Gründgens, Eleonora und Francesco von Mendelssohn sowie Ruth-Landshoff-York veröffentlicht. Er war 2002 für drei Monate Stipendiat in der grandiosen Villa Aurora, die während der Exilzeit von Lion Feuchtwanger mit seiner Frau  Marta bewohnt war. Diese im spanischen Kolonialstil gestaltete Prachtvilla war ein beliebter Treffpunkt für die deutsche Exil-Kolonie, in der auch Thomas Mann gern zu Gast war und Lesungen veranstaltete. Für ihn war diese Villa mit 14 Zimmern und 600 Quadratmetern Wohnfläche auf drei Etagen „ein wahres Schloss am Meer“. 

Blubacher hat sich auch mit der Geschichte der Villa intensiv beschäftigt und nennt das Haus einen der damals wichtigsten Treffpunkte europäischer und amerikanischer Intellektueller: Auch Arnold Schönberg, Kurt Weill, Max Horkheimer, Ingrid Bergman, Ludwig Marcuse, Franz Werfel und Charlie Chaplin waren damals neben den oft genannten prominenten europäischen Exilanten wie Brecht, den Gebrüdern Mann, Feuchtwanger usw. zu Gast in der Villa. Den kritischen Blick auf damalige Mängel hinsichtlich der Infrastruktur oder medizinischer Versorgung hatte nicht nur Brecht  damals gerichtet, als er befand, „Es gibt nur Bäume und Hügel, Pacific Palisades existiert nicht – wenn man krank wird, gibt es keinen Arzt; wenn man eine Apotheke braucht, findet man keine  weit und breit. Man kann nicht so weitab von der Zivilisation leben.“  

Die uramerikanische Vorliebe für die Beschäftigung mit Profit, Preisen, Gewinnstreben, Millionengewinnen, Maklerkosten etc. und alles, was um Gier und Dollar kreist, hatte Brecht bereits in den ersten Wochen seines US-Exils irritiert zur Kenntnis genommen und 1941 im Arbeitsjournal notiert: „besonders im auto nach beverly hills fahrend, nehme ich so etwas wie züge einer landschaft wahr… aber all das steht wie hinter einer glasscheibe, und ich suche unwillkürlich an jeder hügelkette oder an jedem zitronenbaum ein kleines preisschildchen. Diese preisschildchen sucht man auch an menschen.“

Das Thomas-Mann-Haus, Pacific Palisades © wiki-commons

 Aus dritter Hand informiert uns Blubacher über eine vernichtende Kritik von Thomas Mann an Feuchtwanger und seiner hübschen musealen Einrichtung mit diversen Schreibtischen, Schreibmaschinen usw., die der Dichterfürst im Gespräch mit dem jungen George Tabori geäußert haben soll: „Haben Sie die Perfektion der Einrichtung  bemerkt, die 18 000 ledergebundenen Bände, alle von ihm nicht nur gelesen, sondern auch verstanden, die abwechslungsreichen Schreibtische… und die prächtigen Schreibutensilien, der Bick über den Pazifischen Ozean, diese riesige, diskrete, immer hilfreiche Frau, die mich an einen Indianerhäuptling erinnert, und was kommt bei all der Vollkommenheit heraus? Reine Scheiße.“ Diese drastischen Invektiven entsprechen eigentlich nicht dem Stil des deutschen Dichterfürsten – aber wir lassen das hier mal als disruptives Einsprengsel unter hübschen Palmen so stehen…

Mag sein, dass der Raum für all die Partys und hedonistischen Exzesse im Great Gatsby-Stil der Exilanten so eng geworden war wie weiland für Goethe, Fichte und Hegel in Weimar. Etliche Exilanten, die sich schnell aufs Drehbuchschreiben umgestellt hatten und fließend Englisch sprachen, wurden tatsächlich mit üppigen Schecks der Filmstudios honoriert; andere, wie etwa Heinrich Mann oder Alfred Döblin, der nach Beendigung seines einjährigen Vertrags mit MGM auf Arbeitslosengeld angewiesen war, konnten sich kaum das Notwendigste leisten. 

Blubacher gelingt es jedenfalls, historische Rückblicke auf solche Schicksale mit eigenen Recherchen zu  biographischen Episoden bekannter Autoren/innen  zu verknüpfen und auf Alltags-Impressionen zu überblenden, die er während seiner Sightseeing- und  Einkaufstouren zwischen Sunset Boulevard und Pacific Coast Highway, Beverly Hills und  Hollywood in seinem tomatenroten Mitsubishi unternahm. Dabei entdeckte er zufällig im kleinen Actors´Gang Theater eine „Mephisto“-Inszenierung von Tim Robbins, die auf Klaus Manns Roman basiert. So präsentiert er nicht nur Einblicke in den goldenen Hollywood-Käfig, sondern bringt uns dieses Künstler-Exil als faszinierende Epoche näher. 

Beim Einkauf hat Thomas Blubacher noch Bagels, Shrimps sowie eine Flasche Cabernet Sauvignon gekauft und in Santa Monica ein Thai-Restaurant „mit dem besten Panang Nua der ganzen weiten Welt“ entdeckt. Seine Gier nach prickelnder Lebensqualität verbindet der Autor jedenfalls auf faszinierende Art mit dem Eintauchen in die Welt von gestern, die sich als „Paradies in schwerer Zeit“ erwies – so hieß Blubachers Buch  von 2011 über Künstler  und Denker im Exil. 

Den Klatsch und Tratsch der Prominenten berücksichtigt er dabei als Orientierungspunkte, die uns helfen, eine naive Froschperspektive bewundernder Fans zu vermeiden und den Konkurrenzneid rivalisierender Egomanen richtig einzuordnen. Daher erwähnt der Autor die milde Döblin-Kritik über die „furchtbare Gartenstadt“ ebenso wie Vicki Baums („Menschen im Hotel“) Genörgel über unangenehme Spaziergänge, weil nach ihrer Ansicht  Fußgänger in den USA automatisch suspekt wirkten und argwöhnisch beäugt würden. Dazu merkt Blubacher jedoch an, dass sich der berühmte Fußgänger Thomas Mann nie davon abhalten ließ, seinen täglichen Spaziergang durch die Palisades zu absolvieren. Meistens begleitete dabei ein kleiner Tross neugieriger Hunde den Dichterfürst . 

Beeindruckend und berührend, wie Thomas Blubacher die Darstellung starker Kontraste meistert und neben locker-amüsanten Episoden auch das tragische  Ende des  prominenten, zum überdrehten  gigantischen Bühnenspektakel  neigenden Max Reinhardt (1873-1943) berücksichtigt,  dem nach phänomenalen Welterfolgen in Europa unter sonnigen Palmen im kalifornischen Exil nur noch ein Ende als verarmter Schwerkranker blieb. Der ehemalige „Götterliebling“ beschreibt sein tragisches Ende in Kalifornien übrigens so, dass er vom US-Show-Business für zu „schwerfällig für den Tanz um das goldene Kalb befunden wurde“, lautete seine bittere Bilanz. 

Peter Münder

Thomas Blubacher: Weimar unter Palmen. Die Erfindung Hollywoods und das Erbe des  Exils Pacific Palisades.  Piper Verlag  München 2022. 271 S.      

Vgl. auch neue Literatur zu Thomas Mann:

Dieter Borchmeyer: Thomas Mann. Werk und Zeit. Insel Verlag Anton Kippenberg Berlin 2022, 1546 S.

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