Geschrieben am 1. April 2019 von für Crimemag, CrimeMag April 2019

Miniserie: „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“

Psychogramm einer Gesellschaft

Sonja Hartl über die Miniserie von David Schalko und Evi Romen

Eine Totale einer Häuserschlucht von oben. Es schneit, die Hochhäuser ziehen wie in einen Schlund hinunter. Dort geht ein Kind, ein Mädchen, ohne Jacke. Aus dem Off hört man einen Radiosprecher, der von einem vermissten Mädchen spricht. Aus Afghanistan war sie geflüchtet, nun fehlt jede Spur der Neunjährigen. Das Mädchen mit der roten Jacke indes begegnet einem Clown mit weißen Ballons, der sofort an Stephen Kings Eserinnert. Er fragt sie, ob sie einen will, doch sie lehnt ab und geht weiter nach Hause. Aber es ist offensichtlich, dass sie dennoch nicht in Sicherheit ist. Tatsächlich schickt die schlechtgelaunte Mutter sie noch einmal hinaus in die Kälte, sie hat ihre rote Jacke auf dem Spielplatz liegen lassen. Und von dort kehrt Elsie nicht mehr zurück. Als die Mutter sie suchen geht, findet sie die Jacke, an der gerade ein Fuchs schnüffelt – und sieht einen Mann (Udo Kier) in Fuchspelzjacke und mit einer Leica.

Alle Episoden von „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ bei TVNOW: www.tvnow.de

Mit den ersten Bildern von David Schalkos Serien-Remake M – Eine Stadt sucht einen Mörder wird dreierlei deutlich: Fritz Langs Film aus dem Jahr 1931 wird deutlich in Bild und Ton referenziert, die Geschichte wird modernisiert und seine Inszenierung ist von einem deutlichen Stilwillen getragen. Das wird sich in allen sechs Folgen fortsetzen, an deren Anfang jeweils die Sequenz einer fallenden Schneekugel steht, die auf dem Boden zersplittert. Immer wieder wird von verschiedenen Figuren die aus M bekannte Melodie aus Edvard Griegs Peer Gynt gepfiffen, der Ballonverkäufer ist auch hier gleichsam unheimlich und wichtig; es gibt Verweise auf Rechtspopulismus und verschiedene artifizielle Settings. Als der Täter dann schließlich enttarnt wird, wird auch er ein M auf dem Rücken seiner Jacke tragen. Allerdings im knalligen Rot und nicht mehr im Kreide-Weiß.

Das Original von 1931 – Peter Lorre erkennt seine dunkle Seite im Spiegel

Die Referenzen an M – Eine Stadt sucht einen Mörder erstrecken sich über Einstellungen, über Motive und über die Geschichte. Wird Fritz Langs Film häufig dahingehend gedeutet, dass er den Faschismus vorhergesehen habe, so erzählt David Schalko, der das Drehbuch mit Evi Romen geschrieben hat, von einem Österreich, in dem ein neurechter, populistischer Innenminister (Dominik Maringer) mit optischer Ähnlichkeit zu dem amtierenden österreichischen Kanzler Sebastian Kurz und ein Medienmacher (Moritz Bleibtreu) die Öffentlichkeit manipulieren, um Bürger- und Grundrechte auszuhebeln. Ein Österreich, in dem moralische Grundsätze oder ethische Bedenken nichts mehr wert sind, Bilder von toten Mädchen veröffentlicht, Morde verheimlicht und der Notstand verhängt wird. Hier drängen sich einerseits Parallelen zu den gesellschaftlichen und politischen Mechanismen der Weimarer Republik regelrecht auf, aber das Drehbuch trägt auch medialen und psychologischen Weiterentwicklungen Rechnung.

Tatsächlich passt die Geschichte eines Serienmörders, dessen Opfer Kinder sind und der eine Gesellschaft dazu bringt, nach Lynchjustiz zu schreien, gut in diese Zeit, in der Empörungswellen aufeinander folgen und ihnen allzu leicht nachgegeben wird. Diese Entwicklung wird vor allem von dem Innenminister und dem Medienmacher getragen, allerdings ist dieser Strang in seiner Gesamtheit sowohl erzählerisch als auch visuell der schwächste. Ein eitler Politiker, der gerne telefoniert, während er sich nackt im Spiegel bewundert, ist zu naheliegend.

Moritz Bleibtreu, Lars Eidinger, Verena Altenberger, Bela B © obs/TVNOW

Weitaus stärker ist die Serie in ihrem Blick auf das Private: Als Elsies Mutter (Verena Altenberger) ihre Tochter am verschneiten Abend schroff zurück auf den Spielplatz schickt, fragt sie wütend „Wann geht es endlich um mich?“ – und schon bald wird man erfahren, wie weit sie gegangen ist, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ihr Ehemann, Elsies Vater (Lars Eidinger), hat indes eine Affäre mit der Verkäuferin eines Kindermodengeschäfts und wird sein Kind nie verlassen. Die Einsamkeit in dieser Ehe ist kaum zu ertragen – und doch haben die Eltern in ihrer Trauer einen Zug Egozentrik, den auch andere Figuren haben. In erster Linie geht es ihnen um sich selbst.

Überzeugend sind zudem die Ermittlerfiguren – gerade die Kommissarin (Sarah Victoria Frick) ist in ihrer fleißigen Professionalität, die nicht durch ein persönliches Trauma groß erklärt wird, eine hinreißende Ausnahmeerscheinung. Dazu kommt die Polizeichefin (Johanna Orsini-Rosenberg), die zu gerne gegen den Innenminister bestehen würde, aber ahnt, dass sie es nicht schaffen wird.

Auch in der Unterwelt regiert eine Frau: die Verbrechenskönigin Die Wilde (Sophie Rois) hat das Sagen über Bettler und Huren und ist mit ihrem Stock, ihrer strengen schwarzen Kleidung ein weiteres Beispiel des unbedingten Kunstwillens dieser Serie. Die rote Jacke, das rote M, immer wieder werden rote Gegenstände in Szene gesetzt, Symbole etabliert. Sei es ein Fuchs – erst am Anfang auf dem Spielplatz, kehrt er später auf Elsies Tapete im Kinderzimmer wieder. Captain Hook tritt mehr als einmal auf, ohnehin agieren viele Figuren theatralisch bis rätselhaft. Aber das ist überwiegend sehr gelungen – beispielsweise in der verstörenden Trauer der Mutter –, bisweilen bemerkenswert prätentiös, wenn Lars Eidinger als trauernder Vater bis dahin angenehm zurückgenommen spielt und dann doch wieder nackt unter der Dusche hockt. Insgesamt aber sind es gerade diese Momente der Trauer um ein Kind, die überzeugen. Niemand hat Namen in dieser Serie, alle werden in ihrer Funktion bezeichnet. Bis auf die Kinder, die sterben.

In dieses artifizielle Setting und zu den großen Gesten passen die oftmals gestelzten Sätze, die regelrecht deklamiert werden. Sie verstärken die groteske Dramatik mancher Momente. Allein die finale Verhandlung über die Schuld des Täters vor der Unterwelt ist nicht nur eine deutlich futuristische Verneigung vor Fritz Lang, sondern auch eine Feier des überzogenen Schauspiels und eine wunderbare Inszenierung einer Inszenierung. Hier sticht die durchweg überzeugende Kameraarbeit von Martin Gschlacht noch einmal hervor. Das stilisierte nächtliche, verschneite Wien, die klaustrophische Weite der Unterwelt, das Graue der Bürokratie, die Künstlichkeit vermeintlich realistischer Bilder sind bemerkenswert. Hier wird das Grauen nicht ästhetisiert, sondern durch die Stilisierung noch verstärkt.

Sicherlich ist nicht alles gelungen an dieser bemerkenswert mutigen Serie. Udo Kier und Bela B als seltsame Typen sind ein wenig zu viel, das Motiv des Täters ist letztlich unnötig. Insgesamt aber ist M – Eine Stadt sucht einen Mörder eine seltsam-berückende Mischung aus aktuellem Sittenbild und hyperrealistischer Groteske, die in ihren besten Momenten vollends überzeugt. Hier hat ein Regisseur etwas gewagt. Und das ist ja leider im deutschen Fernsehen viel zu selten zu sehen.

Sonja Hartl

  • M – Eine Stadt sucht einen Mörder. Österreich 2018; Regie: David Schalko; Drehbuch: David Schalko, Evi Romen; Kamera: Martin Gschlacht; mit: Moritz Bleibtreu, Udo Kier, Lars Eidinger, Merleen Lohse, Verena Altenberger, Sophie Rois. DVD: Länge 292 Min.; Universum Film. – Deutsche Online-Premiere: 23.02. 2019 TVNOW; Original-Erstausstrahlung: 17.02. 2019 ORF eins. 

Die Texte von Sonja Hartl bei CrimeMag hier.

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