Geschrieben am 1. September 2019 von für Crimemag, CrimeMag September 2019

Marcus Müntefering & Max Annas

„Schritt auf ein recht unbetretenes Terrain“

Ein Arbeitsgespräch mit Max Annas – von Marcus Müntefering

Mit „Morduntersuchungskommission“ hat Max Annas gerade den Auftakt einer Reihe über Polizeiarbeit in der DDR der mittleren Achtzigerjahre veröffentlicht. Die ersten Kritiken sind größtenteils sehr positiv, auch ich habe mich bei Spiegel Online sehr lobend zu diesem Roman geäußert. Hier ein Auszug aus meiner Rezension

„Morduntersuchungskommission“ ist ein unaufgeregter, sich nicht empörender Roman, der gerade durch seine Zurückhaltung den Leser dazu zwingt, seine eigene Haltung zu den Geschehnissen zu suchen. Und ohne sie jemals wortwörtlich zu stellen, wirft Annas die Frage auf, inwieweit die verordnete Ignoranz gegenüber rassistischen und neonazistischen Tendenzen in der DDR die heutige fremdenfeindliche Gewalt in Ostdeutschland befeuert.

In Vorbereitung auf diesen Text habe ich mit Max Annas, der zu diesem Zeitpunkt in Brasilien weilte ein paar Fragen und Antworten per E-Mail ausgetauscht, von denen ich denke, dass sie so interessant sind, sie an dieser Stelle zu veröffentlichen. Allerdings verbunden mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es sich nicht um ein „richtiges“ Interview handelt, sondern „nur“ um Arbeitsmaterial. 
Deswegen ist vieles nur angerissen, nicht ausformuliert. 

Frage: Es steht zu lesen, du habest viel Zeit in der DDR verbracht, kurz vor dem Ende. Wie kam es dazu, und was hast du dort getan? Wie ist dein Verhältnis zur DDR? Bzw. wie hatte es sich durch die Besuche dort verändert? Gefühle von Ostalgie sind ja in deinem Roman nicht zu spüren, aber auch kein Verdammen, kein Herumreiten auf dem „Unrechtsstaat DDR“. 

Max Annas: Biografischer Zufall meets aggressive Neugierde. In dem Haus, in dem ich gelebt habe, ist 1986 ein Brief hängengeblieben. Ich hab den nach Ost-Berlin zurückgeschickt und dafür eine Einladung erhalten. Daraus sind dann Freundschaften vor allem in Saalfeld (Kreis Gera, Smiley) entstanden. In den letzten drei Jahre der DDR bin ich so oft wie möglich nach drüben gefahren. Meist allein, aber ich habe mit anderen zusammen auch größere Gruppen aus Köln nach Thüringen gebracht. Einmal waren sicher mehr als 30 Leute dort, das sollte Silvester 1988/89 gewesen sein. Im Juli 1989 hat mich die DDR dann nicht mehr reinlassen wollen. Das Ende der DDR war nah. 

Was sich nicht verändert hat, ist das Gefühl, ein Privileg genossen zu haben. Ich bin, während um mich herum die Leute Weltreisen gemacht haben, nur ein paar hundert Kilometer weit gefahren und war doch weiter weg von unserem Alltag, als alle meine Freunde und Freundinnen. Das Verhältnis zur DDR und zu meinen FreundInnen dort wurde dadurch bestimmt, das ich rein und raus konnte. Anders, als die Leute die ich besucht habe. 

Ostalgie und Unrechtsstaat sind Definitions- und Erzählkonzepte, die wir kennen. Ich wollte da anders rangehen. Das fällt mir natürlich auch leicht, weil ich weniger Wunden davongetragen habe als die, die in der DDR aufgewachsen sind. Ich habe aber meine eigenen, meine Westwunden. 

Wann bist du auf die Idee gekommen, einen Roman zu schreiben, der in der DDR spielt? (Es ist ja auch dein erster historischer Roman) Und warum wird es gleich eine Reihe? Es ist auch dein erster Roman fast ohne Action, stattdessen mit mühseliger Ermittlungsarbeit („Warten und verfolgen. Verfolgen und warten“) – wie bist du daran gegangen? 

Max Annas © Michele Corleone

Lange bevor ich ernsthaft begonnen habe, Fiktion zu schreiben, habe ich darüber sinniert, meine DDR-Geschichten zu verarbeiten. Aber als freier Journalist hat mir der Raum dazu gefehlt. Jetzt bin ich wieder in Deutschland – nach siebeneinhalb Jahren in Südafrika – und habe diese Idee wieder hervorgeholt. 

Ich denke, die Romane bieten eine feine Gelegenheit, deutsche Geschichte zu erzählen – und nicht nur DDR-Geschichte. DDR und BRD haben sich stets aufeinander bezogen, also muss ich, von außen kommend, in der BRD aufgewachsen, diese Beziehung immer mitdenken. 

Die Reihe entsteht auch als Spiegel der Zeit, in der ich erwachsen geworden bin. Das war eine prägender Abschnitt für mich, naturellement, und dazu jene Zeit, in der die beiden deutschen Staaten aus- und abgelebt sind. Deren Ende und der Beginn des größeren Deutschland verlangt, das sehen wir ja ständig, nach Definition. Und ich will etwas anbieten, das die bekannten Wege verlässt.
Ich habe meine eigenen Erinnerungen, und ich hab ein bisschen recherchiert. Habe mit Leuten geredet, die ich schon kannte, und mit solchen, denen ich noch nicht begegnet war. Vor allem habe ich Tonnen von Büchern gelesen und viele Filme gesehen – auch wenn die DDR ein sehr originelles Bild von Abweichung hatte, oder gerade deshalb (?), ist das Kino da eine sprudelnde Quelle. 

Verbrechen in der DDR: Wie viel wurde da unter den Teppich gekehrt, weil es das nicht geben durfte? War die DDR wirklich sicherer als die BRD?

Jedes System hat seine Teppiche. Wie viel wurde beim Oktoberfestanschlag unter den Teppich gekehrt? Und wieviel später beim NSU, in dem die Polizei, nach heutiger Kenntnislage, vielleicht sogar Teil des Komplotts war. Der NSU ist übrigens als zarte Andeutung im Buch untergebracht. 

Aber sicher hat das System DDR auch dicht an den Teppichen geknüpft. Was es nicht geben durfte, konnte nicht sein. Darum geht es ja im Buch.
Sicherer war die DDR für Leute, die eine sehr statische Idee von Sicherheit hatten / haben. Die Kontrolle war engmaschiger als jene in der BRD, und so ging das Bild von Sicherheit stets auch einher mit der Präsenz von Kräften, die dafür verantwortlich waren – das begann an der Grenze und endete im Inneren beim ABV, dem Abschnittsbevollmächtigten, so einer Art Kontaktbereichsbeamten, der sein Viertel im Griff hatte. 

Was bedeutete das für die Arbeitsauffassung der Ermittler? Du scheinst dich ja wirklich für die Arbeit der Polizei zu interessieren, basiert das auf Recherche?

Das ist ein schwieriges Terrain. (Ex-)Polizisten wissen mindestens instinktiv darum, dass ihre Rolle in der DDR nicht unpolitisch gewesen ist, obwohl sich das Narrativ böse-Stasi- gute Polizei hier und da herauslesen lässt. Natürlich ist Polizeiarbeit nie und nirgends unpolitisch, aber das muss man auch immer wieder betonen, weil es sonst in Vergessenheit gerät oder aktiv verbreitet wird. Solch eine Haltung wird zum Beispiel im Dresdner Tatort verbreitet, wo der von Martin Brambach gespielte ex-DDR-Mordermittler unkommentiert sagt, Mordermittlung in der DDR sei nicht politisch gewesen. 

Es gab ja auch Verbrechen von/an Westlern. Wie ist man in der DDR damit umgegangen?

Dafür gab es eine eigene Ermittlungseinheit. Mit der hab ich mich noch nicht wirklich beschäftigt, werde das aber in der Zukunft sicher tun. 

Was bedeutete das für die Literatur, mir sind keine DDR-Krimischriftsteller bekannt, oder gab es da welche? Auch Krimis, die in der DDR spielen, sind bislang in der Nachwendezeit kaum erschienen, oder?

Der letzte Punkt ist natürlich etwas, das mich und den Rowohlt-Verlag sehr gereizt hat, einen Schritt auf dieses recht unbetretene Terrain zu machen. Bei Rowohlt ist übrigens in der Reihe rororo-Thriller vor einigen Jahrzehnten das Bändchen „Genossen contra Ganoven“ erschienen, in dem ein paar Kurzgeschichten aus der DDR präsentiert wurden, die sich mit dem befassten, was dort als Verbrechen und Abweichung noch gerade so als darstellbar galt. Eine spannende Lektüre. 

Fand eine Entnazifizierung in der DDR statt? Wie waren die Neonazis in der DDR organisiert, hatten sie Kontakte zum Westen? Wo kam dieser Nazismus her, dieses „Dies ist unser Land“? Hat das Verschweigen/Leugnen vielleicht eine Mitschuld an dem heutigen Erstarken der Rechten vor allem in Ostdeutschland? 

Die DDR ist in ihrem Selbstverständnis ein antifaschistischer Staat gewesen, aufgebaut von AntifaschistInnen. Einige Nazimonster, wie der Arzt Horst Fischer, wurden in der DDR noch hingerichtet, aber etliche, die ebenfalls viele Verbrechen begangen hatten, haben sich im Staat eingerichtet und wurden nicht behelligt. 

Leute, die in der DDR sozialisiert worden sind, konnten per Definition dann nicht Nazis sein.
Die Kontakte zwischen Ost- und Westnazis waren stark und haben in etwa so funktioniert, wie ich das im Roman darstelle. Der Langhaarige ist ein Bezug auf einen tatsächlich existieren Nazi, der allerdings aus der DDR freigekauft wurde und nicht wieder zurückgekehrt ist. 

Und die DDR war natürlich ein hochnationalistisches Konstrukt. Völkerfreundschaft, in der DDR hochgehalten, ist das Ergebnis nationalistischen Denkens. 

Wo verlief die Grenze zwischen kulturellem Unverständnis/Fremdeln und Rassismus? Wie integriert waren die „Gastarbeiter“ in der DDR? Waren das immer befristete Verträge, oder planten sie länger zu bleiben?

Die sogenannten Vertragsarbeiter wurden regional, das meint die Unterbringung in den Städten, und sozial, das meint ihre rechtliche Stellung, am äußersten Rand der Gesellschaft platziert. Schwangere Arbeiterinnen wurden abgeschoben. Das wurde von denen, die in der DDR aufgewachsen waren, sehr genau wahrgenommen.Viele kamen mit der Vorstellung, eine Ausbildung zu machen oder zu studieren, fanden sich dann aber im Schlachthof oder an der Produktionsstraße wieder. Grundsätzlich waren die Verträge befristet, sie waren das Produkt eines Denkens, das im Westen etwa den Begriff Gastarbeiter ersonnen hat. Der würde ja – als guter Gast – auch wieder gehen. 

Alle deinen Romane haben afrikanische Protagonisten/das Thema Rassismus, wie kommt das (biografisch, politisch)? 

Ich habe als Journalist viel zum Kontinent gearbeitet, Popmusik, Kino; habe afrikanischen Film auf Festivals gezeigt und darüber auch viel veröffentlicht. Gereist bin ich dort ebenfalls viel und habe etliche Jahre in Südafrika gelebt.
Rassismus ist die vielleicht gängigste Strategie des otherns, der Ausgrenzung, und in Südafrika habe ich keinen Tag lang verbracht, ohne von lokalen Weißen in rassistischen Schnack verwickelt zu werden. Das hat mich auch sehr geprägt. 

Außerdem ist es spannend, ein Thema zu variieren. Positionen in dramatischen Anordnungen leicht zu verschieben. 

Warum hast du dich dazu entschlossen, die Reihe 1983 anfangen zu lassen? Der echte Fall trug sich ja 1986 zu und nicht in Thüringen. Warum hast du Zeit und Ort verlegt? Wie viel ist Fakt, wie viel Fiktion?

Ich habe Thüringen gewählt, weil ich mich da auskenne. Dort hab ich viel Zeit verbracht, und ich habe FreundInnen, dort aufgewachsen, die mir beim Blick auf die DDR helfen können. Ich habe mit dem Jahr 1983 eines gewählt, das mir gerade noch in meiner Reichweite erschien. Die schwere Versorgungskrise Anfang der 80er wollte ich nicht verarbeiten, sondern später ansetzen, auch wenn davon 1983 sicher noch viel zu spüren war.Den Fall wollte ich nur als Aufhänger nehmen. Gerade so viel von ihm verwenden, dass er erkennbar bleibt, aber nicht so viel, dass irgendwer schnell „true crime“ rufen kann – das war das letzte, was ich wollte, ich bin Schriftsteller und kein Journalist mehr. Die paar Fakten, die ich genutzt habe, sind erkennbar. Darüber hinaus ist als andere Produkt meiner Imagination. 

Ein exklusiver Textauszug aus „Morduntersuchungskommission“ bei CrimeMag.
Die Texte von Max Annas
bei uns.
Marcus Müntefering
bei CrimeMag.

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