Geschrieben am 3. Oktober 2019 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2019

Kurzgeschichte von Robert Rescue (14)

Auf alles gefasst sein

Jedes Mal, wenn ich einkaufe und die Waren einpacke, überkommt mich die Furcht, Opfer einer Geiselnahme zu werden. Ich wäre nicht darauf vorbereitet. Mental schon, aber nicht zeitlich. Meine Einkäufe erledige ich stets vor einem anderen Termin, meist einem Auftrittstermin, und wenn ich den verpasse, verdiene ich kein Geld. Wie würde ich mich im Falle einer Geiselnahme verhalten? Ich glaube, ich würde all meinen Mut zusammennehmen, auf den Mann mit der Pistole zugehen, mich wutentbrannt vor ihm aufbauen und brüllen: „Meine Güte, kannst du nicht in fünf Minuten wiederkommen, wenn ich weg bin?“

Vielleicht wäre er dann so überrascht, dass er wie versteinert stehenbleibt. Ich könnte ihm zwischen die Beine treten, um ihn außer Gefecht zu setzen oder aber ich nehme ihm die Pistole weg und schmeiße sie irgendwo hin. Daraufhin erwacht er aus seiner Starre und flüchtet. Danach würde ein Durcheinander ausbrechen, alle würden mich als Retter in der Not feiern wollen, aber ich würde barsch reagieren, meinen Rucksack packen und schleunigst den Laden verlassen. Aber was wäre, wenn ich Tage später wiederkomme, um das Pfand zurückzubringen? Wie werden die Angestellten, wie der Filialleiter reagieren? Werden sie mich aufhalten wollen, um mir einen Präsentkorb zu überreichen?

Was ist, wenn ich in eine Art Falle laufe? Die Verkäuferinnen sollten mich kennen und auch wissen, an welchen Tagen ich gewöhnlich den Markt aufsuche. Sie könnten die Presse einbestellen, und während ich durch das Drehkreuz gehe und auf den Automaten zusteuere, verhalten sich alle unauffällig. Dann aber springen sie hinter den Regalen hervor, der Filialleiter drückt mir den Präsentkorb in die Hand, ein Vertreter der Polizei beglückwünscht mich zu meiner Tat und ein Reporter macht Fotos.

Vielleicht sollte ich die Filiale wechseln? Was aber, wenn dort so Art „Fahndungsplakate“ hängen, weil die Kette mich unbedingt belohnen will? Oder Bekannte verpfeifen mich und plötzlich klingeln der Filialleiter, der Polizeidirektor und der Reporter an der Wohnungstür? Und das nur, weil ich dem Täter das Handwerk gelegt habe. Vielleicht sollte ich mich seinen Forderungen beugen? Wir knien alle auf dem Boden, die Hände hinter dem Rücken und warten ab, welches Ende die Geiselnahme nimmt. Wenn es nur ein Raub ist und der Täter die Kasse will, dann wäre die Angelegenheit schnell erledigt. Was aber, wenn der Geiselnehmer eine Rechnung mit dem Filialleiter offen hat, der sich in seinem Büro versteckt? Oder er fordert Weltfrieden oder das bedingungslose Grundeinkommen für jeden? Das kann dauern.

Vielleicht kann ich flüchten? Wenn er jetzt die Filiale betritt, habe ich den Vorteil, dass ich seine Absichten kenne. Er wird sich zunächst orientieren müssen und ich habe genug Zeit, um abzuhauen. Eilig zerre ich an dem Reißverschluss des Rucksacks. Ich haste zum Ausgang, und als ich die Schiebetüren hinter mir habe, kommen mir zwei Männer entgegen, die sich Sturmhauben über den Kopf ziehen. Ich fange an zu laufen und denke mir: Es ist nicht verkehrt, sich über so scheinbar merkwürdige Dinge Gedanken zu machen.

Robert Rescuebei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

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