Geschrieben am 16. Mai 2015 von für Crimemag, KickAss

KickAss – Bloody Splinters aus dem täglichen Wahnsinn

kickassAu weia, Mimi

– Jüngst erschien im „Börsenblatt“ ein fast rührender Artikel, der sich mühte, den Unterschied zwischen Blogs und professioneller Kritik nachzuzeichnen. Wenn ich den Text richtig verstanden habe, möchten viele Blogger einfach ihrem Hobby nachgehen und sich mit anderen Menschen über ihre Lieblingsbücher austauschen. Weil es aber in der Öffentlichkeit – und sei sie die begrenzte Öffentlichkeit der Blogger – keine Unschuld gibt, ist diese Grenzlinie problematisch. Das sieht man schon daran, dass den Marketingabteilungen vieler Verlage die Blogger als Multiplikatoren noch ihrer schundigsten Produkte gerade recht kommen. So viel Herzigkeit und Tüddeldüüü der vielen Lesestübchen, Kistchen und Kästchen für umme, gerade mal gegen ein Rezensionsexemplar, war noch nie (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel), und eine Einschätzung, wie Bücher beim – reichlich fiktiven – Publikum ankommen mögen, bekommt man als Marktforschung auch noch gratis obendrauf. Zumal sehr viel profunde Kritik auch nicht zu befürchten ist. Ist schon okay, alle sind glücklich. Empfehlungsmarketing ist inzwischen allgegenwärtig, und dass naive Gemüter das Geschäft meistens der Industrieverlage auch noch in dem Bewusstsein betreiben, sie würden nicht etwa deren Profitraten hochtreiben, sondern auch wirklich was für ihre Lieblinge tun, gehört zu den Paradoxien des alltäglichen Wahnsinns.

41BW2WZJKRL._SY344_BO1,204,203,200_Das gilt für die meiste Genre-Literatur, also auch für den „Krimi“. Dort aber sind unter den Bloggern auch Profis wie Tobias Gohlis, Marcus Müntefering, Sonja Hartl oder Roland Oßwald unterwegs, die selbstverständlich ein Teil der ernst zu nehmenden publizistischen Öffentlichkeit zum Thema „Kriminalliteratur“ sind.

Es gibt aber auch „Krimi“-Blogger und -innen, die, egal was sie sagen, durchaus bei „den Großen“ mitspielen wollen, was angesichts der Qualität ihrer Texte, ihrer mangelnden Sach- und Fachkenntnis schlicht und einfach präpotent ist. Meistens reagieren sie auf die Nichtbeachtung beleidigt-pampig oder suhlen sich in Verschwörungstheorien, die im besten Fall kreuzkomisch sind, im schlechtesten Fall justiziabel, wenn sie nicht völlig unbedeutend wären. Das gehört zum Hintergrundrauschen der Welt und tritt sich meistens fest.

Hin und wieder können Blogs aber auch richtig Ärger machen. So geschehen neulich im Fall von „Krimimimi“ Miriam Semrau. Unter einer „Besprechung“ von James Lee Burkes Roman „Regengötter“ fand sich keine Angabe des Übersetzers. Kann vorkommen, shit happens. Darauf fragte Gabriele Haefs, eine der profiliertesten und renommiertesten Übersetzerinnen des Landes, ob Burke wohl auf Deutsch schreibe? Darauf antwortete die Mimi:

mimi-1… und unterschritt damit alle Grenzen des Tolerierbaren.

Bemerkenswert an dieser kaltschnäuzigen Dummheit ist vieles: Die Bevormundung eines anscheinend für blöde gehaltenen Publikums, dem ein entscheidendes Faktum absichtlich vorenthalten wird – nämlich der Name des Übersetzers. Dazu kommt eine unfassbare Ahnungslosigkeit von literarischen Gepflogenheiten: Selbstverständlich ist für viele bücherkaufende Menschen ganz entscheidend – im Guten wie im Schlechten – wer ein Buch übersetzt hat. Davon hängen in der Tat Kaufentscheidungen ab. Jeder, der in der Branche arbeitet, weiß das. Zudem macht es einen gewaltigen Unterschied aus, ob ich Shakespeare in der Übersetzung von Schlegel/Tieck oder Erich Fried lese. Wie gering denkt also Mimi von einem Giganten wie Burke, dass sie insinuiert, es sei doch egal, wer da was hingesudelt hat?

Blödmaschinen_Georg Seeßlen_Markus MetzEin Übersetzer, bei „Regengötter“ Daniel Müller, ist Teil des kreativen Prozesses namens Buch – das zu unterschlagen ist eine Frechheit. Und einfach Kraft der eigenen Wassersuppe zu behaupten, es sei auch nicht wichtig für solchermaßen gegängelte Leser, in welchem Verlag, in welchem Kontext ein Buch erscheint, ist lächerlich. Ich würde gern Gérard Genettes „Paratexte“ zur Lektüre vorschlagen, aber das ist vermutlich vergebene Liebesmüh. Den Hinweis, dass es eine intellektuelle Welt außerhalb des Radars einer Bloggerin gibt, kann ich mir aber nicht verkneifen. Ebenso wie den Hinweis auf Übersetzer-Kollegs, auf ein System an dringend notwendiger Übersetzungsförderung – gerade für „kleine Sprachen“, ohne die die literarische Welt vollends verarmen würde –, das alles interessiert eine Mimi natürlich nicht, die sich als Dienstleisterin an ihrem Publikum versteht (wenn ich sie richtig verstehe), aber somit ein Rädchen der „Blödmaschinen“ ist, um Georg Seeßlen und Markus Metz zu zitieren.

Der Knaller kommt aber noch: Mimis Blog ist mit dem Hessischen Rundfunk verlinkt, wo sie mit dem HR2-Tagesprogramm-Chef Alf Mentzer über ihre Lesefrüchte plaudert, die sie auf ihrem Blog fixiert. Dass die Öffentlichen mit solchen Plapperformaten die Grenzen nach unten ins Bodenlose aufgemacht haben, ist betrübliches Faktum. Dass Mimi für den HR ohne Honorar arbeitet, spricht dafür, dass sie eben nicht nur ihren Liebhabereien nachgeht, sondern sich sehr wohl potentielle Einflussmöglichkeiten verschaffen möchte. Dass der HR dieses Spiel mitspielt, ist der eigentlich Kern des Problems (bitte nicht Fuchs und Trauben rufen, das hat bei mir keinen Sinn – und natürlich habe auch ich, wie viele Kollegen schon mal einem Öffentlichen für umsonst ein Interview gegeben oder ein Gespräch gemacht, das kommt vor, darf aber nicht systemisch werden). Der Sender beteiligt sich damit zugunsten eines eh problematischen Populismus am Rückbau kultureller Standards – die Mimis und andere Blogs, die ohne Honorar unterirdischen „Content“ an profitorientierte Unternehmen wie z. B. die Huffington Post liefern, sind ihre peinlichen Gehilfen. Und das ist ein Fall für KickAss.

Thomas Wörtche

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