Geschrieben am 9. November 2013 von für Crimemag, KickAss

KickAss – Bloody Splinters aus dem täglichen Wahnsinn

kickassDas eigene Hemd ist einfach näher

‒ An einem Zeitungstag wie jeder andere: Mittwoch, 6. November 2013

Das Schönste gleich vorweg. Es gibt sie noch, die gute alte Gerechtigkeit. Manchmal darf und muss sie sogar mit ein wenig Schadenfreude serviert werden. Also male ich mir genüsslich aus, wie Staatsanwalt Andrew Edis im Londoner Old Bailey auftrat, als er die beiden Oberschmierfinken der englischen Abhör- und Wanzenaffäre der Murdoch-Blätter mit einem Beweismittel konfrontierte, das sie am eigenen Leibe und auf der Stelle erfahren ließ, was sie all die Jahre anderen angetan hatten: nämlich schamvoll peinliche Öffentlichkeit für intimste Dinge. Blamiertsein für das ganze Leben.

Dies im Beisein ihrer Ehegatten, die im Prozess als Feigenblätter feiner Bürgerlichkeit dienen sollen, während niedriges Gesindel doch über die Stränge geschlagen und unverlangt all die furchtbaren Abhör- und Erpressungsdinge getan habe. Beim Boulevardblatt News of the World, als dessen Chefredakteure sich Coulson und Brooks ablösten, galt das Abhören von Promis, Politikern und Royals als „völlig normal“. In einer E-Mail Coulsons an einen Redakteur hieß es: „Do his phone!“

Was der Staatsanwalt da Rebekah Brooks, Murdochs Super-Managerin und Statthalterin in Großbritannien, und ihrem Exfreund, Exkollegen und Exregierungssprecher Andy Coulson präsentierte, war ein auf einem Computer gefundener Liebesbrief von Brooks aus dem Jahr 2004. Sie versucht darin, nicht nur das Ende einer sechs Jahre währenden Affäre aufzuhalten, beide hatten sich in dieser Zeit je anderweitig verheiratet, sie beschreibt darin eben auch – deshalb ein öffentlich vortragsfähiges Beweisstück –, wie eng verzahnt da Vorgänger und Nachfolgerin bei ihren Abhörpraktiken waren, wie die Schnüffel-Chefredakteurin mit dem zu David Camerons Sprecher und Spin Doktor gewordenen Couslon kollaborierte und jedes Details besprach. Aus diesem Dokument der Zeitgeschichte zitieren wir nun gerne als ein Arm der Gerechtigkeit:

„Finally and the least of our worries, but how do we really work this new relationship? There are a hundred things that have happened since Saturday night that I would normally share with you..some important, most trivial…
The fact is you are my very best friend. I tell you everything, I confide in you, I seek your advice, I love you, care about you, worry about you. We laugh and cry together… in fact without our relationship in my life, I am really not sure how I will cope…
I’m frightened to be without you… but bearing in mind ‚the rules‘ you will not know how I am doing and visa versa. The thought of finding out anything about you or your life from someone else fills me with absolute dread.
Also you said I had to email you if anything important happened… like if I was ill? I don’t understand this… we are either there for each other or not surely?
But for example, how does this work thing manifest itself. Do we limit contact until we absolutely have to… like leaving our execs to sort run of the mill joint stuff?
Obviously I can’t discuss my worries, concerns, problems at work with you anymore… and visa versa… but I’ll assume unless I hear different that we keep our professional relationship to the minimum… and avoid if possible without it being in any way awkward.
‘If either of us feels that we are not striking this balance then we must say…?? Anyway, that really isn’t where I am confused. I know what horror it means and I know why we have to stick to it.“
Mehr dazu in der „Daily Mail“.

Die Verflechtung der britischen Politik in die Affäre wird in dem Prozess, der ein halbes Jahr andauern soll, gewiss noch Thema werden. Premierminister David Cameron, der bei den Enthüllungen von Edward Snowden gern die „Moral“ im Journalismus anmahnt und der Presse mittlerweile unverhohlen droht, steht da manch peinliche Stunde bevor. Uns Journalisten wird es freuen.

NSA: „So viel können wir sagen: Wir machen jeden zum Zwerg“

In Sachen NSA reiben sich die hiesigen Politiker immer noch die Augen. Bundesinnenminister Friedrich sieht dieser Tage aus, als ob er zu viel Besuch vom Sandmännchen bekäme. Nachdem schon klar ist, dass die Politik in Sachen Wirtschaft nicht allzu viel zu melden hat, oder wenn, das Falsche (die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den gerade ausgeschiedenen Kanzleramtsminister, weil der möglicherweise sein Wissen Mercedes ungeschickt früh zur Verfügung stellte), wird nun auch in Sachen Geheimdienste offenkundig, dass andere das wirkliche Sagen haben. Auch Obama dürfte sich ziemlich überrollt vorkommen. Völkerrecht? Piepsegal, da mag sich Herr Westerwelle noch so räuspern. Wenn die englischen Geheimdienste sich bei den Amis beliebt machen können, hören sie eben auch vom Dach ihrer Botschaft in Berlin Kanzleramt und Bundestag ab. Der englische Guardian hat die Snowden-Enthüllungen in einer mustergültigen Multimediadarstellung aufbereitet.

In den USA gab es eine denkwürdige Kongressanhörung, in deren Verlauf die Geheimdienstbosse James R. Clapper und Keith „Dr. Seltsam“ Alexander, der mit der „Star Trek“-Kommandobrücke (siehe hier), sich patriotisch, klein und harmlos machten, nicht ohne dann doch stolz zu drucksen: „There’s no question that from a capability standpoint we probably dwarf everybody on the planet.“

Die Schnüffeldebatte übrigens beflügelt manche Geschäfte. Hatte ein von sechs ehemaligen NSA-Mitarbeitern gegründetes Start-up-Unternehmen aus Cambridge bei Boston noch in den ersten Snowden-Wochen um seinen guten Ruf gefürchtet, rennen ihm jetzt Kunden die Bude ein. Die Zivil-Software mit dem netten Namen „Apache Accumulo“ (Akkumulierende Apachenhorde?) vermag nämlich zweierlei: riesige Datenmengen zu verarbeiten und zu sortieren und gleichzeitig Hackern zu widerstehen. „The private sector is looking at this and saying, ‚Wow, we’d really love to have what you guys have over there‘“, sagte der Technologieexperte Viktor Mayer-Schönberger dem „Boston Globe“. „So many companies sit on huge data troves, and they are wondering if there is anything else they can do with it. The NSA just showed the way forward.“ Die Firma übrigens heißt Sqrrl, ausgesprochen „Squirrel“, also Eichhörnchen, welch netter Euphemismus für die Datensammelwut mit Big Data.

Ein 1,9 Millionen-Moment:

Tja, und dann las ich noch mehr Zeitung. Derzeit genügt ein Tag, damit meine Speicherkapazität an gesammeltem alltäglichem Wahnsinn erschöpft ist. Alles hier ist vom Mittwoch, den 6. November 2013, ihm allein, ohne Lokal-, Sport- und Kulturteil.

Da gesteht Markus Frick, der frühere „Börsenguru“ aus „dem Privatfernsehen“, gegen eine Zahlung von 1,9 Millionen Euro die Aktien eines französischen Shopping-Portals „besonders“ empfohlen zu haben. „Ich habe in diesem Moment nicht widerstehen können“, beschreibt er seinen „schweren Fehler“. Zeit ist etwas Subjektives, für 1,9 Mio lassen sich gewiss einige Momente vorfinanzieren.

Eine 1,8 Milliarden-Buße:

Das Tausendfache fast, nämlich 1,8 Milliarden Dollar, muss der Hedgefonds SAC Capital wegen Insiderhandel an Strafe zahlen, dies in einem Vergleich, bei dem man ja wohl eher günstig wegkommt. Der Fonds darf künftig keine außenstehenden Kunden mehr betreuen, nur noch das Geld des Eigentümers Steven Cohen selbst. Dessen Vermögen wird auf 9,4 Milliarden Dollar geschätzt, also kann er die Strafe wegstecken, ohne auf Momente verzichten zu müssen. Einem strafrechtlichen Verfahren ist er nun entkommen, ihm droht kein Gefängnis mehr, dies auch, weil keiner seiner Mitarbeiter mit den Ermittlern der Finanzaufsicht kooperierte und ihn belastete. Gibt sicher ein gutes Weihnachtsgeld in dem Laden.

10 Milliarden in der Wohnung:

Und noch eins drauf. Zwei Jahre geheim hielten die bayerischen Behörden den Fund von 1400 Kunstwerken „entarteter Kunst“ in einer Wohnung in Schwabing. Deren materieller Wert wird in der Kunstszene auf überschlägig zehn Milliarden Euro geschätzt, vom Ästhetischen zu schweigen. Ins Rollen gekommen war das Ganze, weil der 80-jährige Sohn eines Nazi-Kunsthändlers bei einer zollamtlichen Zugkontrolle „auf dem Streckenabschnitt Lindau-Kempten“ Richtung Zürich mit 9.000 Euro Bargeld angetroffen worden war, im Regierungsbezirk Schwaben ausgerechnet, dem Hoheitsgebiet des rührigen, gegen allerlei Obrigkeit immer wieder angenehm obstruktiv aufgefallenen Augsburger Staatsanwalts Reinhard Nemetz, der sich zum Beispiel allein zehn Jahre um die Auslieferung des Waffenlobbyisten und Spezls Karlheinz Schreiber bemühte hatte. 9.000 Euro sind zwar noch erlaubt, aber verdächtig, meinten die behördlichen Eichhörnchen und ermittelten in Richtung Zollvergehen – ganz gewiss im Millionstelbruchteil der letztlich hier versammelten Werte. „Wir sehen unsere Aufgabe nicht kulturhistorisch“, reagierte Nemetz auf Vorhaltungen zur langen Geheimhaltung des Fundes.

50 Euro im Monat wäre klar zu viel Lohn:

Eine „Wachstumsoffensive“ plant die irische Bekleidungskette Primark in Deutschland. Sie verkauft billiger als H&M, Zara oder Esprit, gilt schicker als Takko und Kik, macht keine Werbung, kalkuliert mit niedrigeren Margen – und lässt in Bangladesch produzieren. So auch in jener im Frühjahr eingestürzten Textilfabrik, in der 1100 Menschen starben und 2500 verletzt wurden. In Bangladesch entschied gerade eine von der Regierung eingesetzte Kommission, den Mindestlohn in den Textilfabriken um über 70 Prozent anzuheben: von derzeit rund 28 Euro auf gut 52 Euro (5600 Taka). Im Monat. Dies für zehn Stunden täglicher Arbeit. Streikende Arbeiterinnen hatten 8000 Taka gefordert. Die Fabrikbesitzer sehen auch 50 Euro jenseits ihrer Möglichkeiten. Über vier Millionen Menschen, zu 80 Prozent Mädchen und Frauen, arbeiten in der Textilindustrie des Landes, in rund 5000 Fabriken; sie erwirtschafteten im letzten Jahr einen Produktionswert von 21,5 Milliarden Dollar. Nach einer Studie des nicht in Bangladesch produzierenden Herrenausstatters van Laack entfallen auf den Ladenpreis eines Hemdes von 130 Euro etwa 6 Euro auf Lohn- und Produktionskosten.

250.000 Mal Sternchen für lau?

Das Netz lacht über Jeff und McKenzie Bezos. Die Ehefrau des Amazon-Chefs hat über das Buch „Der Allesverkäufer“ von Brad Stone eine sehr negative Online-Rezension geschrieben und das Produkt, in dem es ausschließlich um ihren Ehemann geht, mit nur einem Sternchen auf Amazon.com bewertet. Detail am Rande dieser Affäre: Die Online-Rezensentin Harriet Klausner, die auch mit unzähligen Krimi-Kritiken auftaucht, hat bei Amazon bisher mehr als 250.000 gezählte Bewertungen abgegeben.

Ohne Waffenschein:

Damit hier auch noch ein Schuss fällt, eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts. Es nahm einem Jäger den Waffenschein ab, weil er statt eines Wildschweins ein Islandpony erschossen hatte. Ein einziger Fehlschuss könne solch eine drakonische Maßnahme nicht begründen, argumentierte der Schütze, auch sei es dunkel gewesen. Dann hätte er eben, meinte das Gericht, gar nicht schießen dürfen, denn zur „waffenrechtlichen Zuverlässigkeit“ gehöre es, ein Tier nach seiner Art, Geschlecht und Körperzustand bestimmen zu können. Der Jäger hätte damit rechnen müssen, einem Pony zu begegnen, da sein Revier einem Pferdehof benachbart ist.

Alf Mayer