Völlig losgelöst: NSA-Chef Alexander und seine Kommandobrücke aus „Star Trek“
Auf welch dumpfbackigem Niveau sich der mächtigste Geheimdienstmann der Welt und sein Umfeld bewegen und auf welch armselig intellektuellem Level der inneramerikanische „offizielle“ Diskurs über die Imperiumsanmaßung der NSA stattfindet, kann jeder selbst in der Berichterstattung über die jüngste Geheimdienstanhörung im US-Kongress von Mittwoch, 30.10.2013, nachlesen. Uwe Nettelbecks legendäres O-Ton-Transkript „Mainz wie es singt und lach“ lässt grüßen. Allen Ernstes begründete da der Viersterne-General Keith Alexander das Abhören von Merkels Handy damit, es könne ja doch sein, dass ihr Fahrer mal im Jemen anruft – die klassische „Homeland“-Paranoia also. Jeder kann ein gehirngewaschener Schläfer, Doppelagent, Terroristenhelfer sein. Am gleichen Tag erklärte einer unserer amerikanischen Doppelagenten, der Transatlantiker Roland Koch, ehemals hessischer Ministerpräsident, laut FAZ: „Amerika muss Deutschland klar sagen, wen oder was es künftig ausspionieren will. Dann können wir uns darauf einstellen.“

NSA Zentrale
„Alle Regierungen lügen“, war das Credo des rebellischen, bis zu seinem Tode geistig unabhängigen Journalisten I. F. Stone.
Dieser Tage lügen sie besonders deutlich. Die real existierende Dialektik des Subversiven erlaubt es derzeit noch dem Dümmsten, das zu kapieren. Ja, die Kanzlerin wird abgehört. So wie eine paar Milliarden andere Menschen auch. Ja, die NSA lauscht überall. Nicht nur sie, aber sie ganz besonders. Schulterzucken. Ist halt so. Die Einreiseverweigerung in die USA für jemanden wie den Schriftsteller Ilija Trojanow, der zusammen mit Julie Zeh eine der deutschen Stimmen gegen den Verlust von Bürgerrechten ist und gerade Mitinitiator eines offenen Briefes an Kanzlerin Merkel war, mag für viele ein Minderheitenproblem sein.
Als ich in diesen Tagen Zuflucht nahm zu den Klassikern des Spionagegenres, zu Robert Littells „The Defection of A.J. Lewinter“ (1973), Alan Fursts „Shadow Trade“ (1983) und Le Carrés Maulwurfjagden, etwa in „Krieg im Spiegel“ (1965), erlag ich der Versuchung, die Biographien aktueller Geheimdienst-Nasen mit den Erscheinungsjahren solcher Romane abzugleichen. Meine Spionagebibliothek als privater Vorratsdatenspeicher sozusagen. Tja, was soll ich sagen: Volltreffer. Schuldig sind sie, die Abhörfuzzies, im Sinne des Verdachts. Schuldig, der eigenen Fiktion erlegen zu sein – wie im Robert-Redford-Thriller „Die drei Tage des Condor“, in der die Bediensteten einer kleinen harmlosen CIA-Dienststelle, die nur SpionageROMANE auswerten, wegen einer eventuell aus der Fiktion zu gewinnenden Erkenntnis vorsichtshalber liquidiert werden. Schuldig, der Fiktion der Fiktion derart erlegen zu sein, dass diese MetaQuattroTripleParanoia-Fiktion kaum je wieder von einer handelsüblichen Fiktion (vulgo Thriller) einzuholen sein wird.
Denn lassen wir uns nicht täuschen, die Zeit, in der die Literatur der Techno-Psycho-Kraken-Macht irgendeinen Medusa-Spiegel vorhalten konnte, auf dass sie an sich selbst zerschelle, die ist wohl vorbei.
„You need the haystack to find the needle“, sagt NSA-Direktor Alexander. Also her mit all den Daten. Der Datenstaubsauger Mainway saugte 2011 schon täglich 700 Millionen Telefondaten pro Tag an, ab August 2011 stieg die Kapazität auf täglich 1,1 Milliarden. 20 Milliarden täglich sollen es demnächst sein, all die Daten binnen 60 Minuten ausgewertet. Das NSA-Budget von derzeit rund 54 Milliarden US-Dollar im Jahr macht schon Sinn.

Der Chefsessel des Information Dominance Center
Informationsdominanz aus dem Raumschiff „Enterprise“
Die Jungs haben längst abgehoben. Übertrieben? Es ist kein Witz, wirklich keiner, sondern Ausdruck eines wie selbstverständlich welt(en)greifenden, imperialen Gehabes, dass der Science-Fiction-Fan und heutige NSA-Chef General Keith Brian Alexander, einer der mächtigsten Männer der Welt, seinen vorletzten Job als Chef des Army Intelligence and Security Command von einer Kommandozentrale aus steuerte, die er auf dem Armeestützpunkt Fort Belvoir südlich von Washington explizit dem Raumschiff „Enterprise“ nachbauen ließ. Die Einrichtung selbst nannte er „Information Dominance Center“, hatte er bei Amtsantritt doch versprochen, das die US-Army den Cyberspace ebenso beherrschen solle wie Land, Luft und Meere. (Hier gehts zur Website des Archtitektenbüros.)
Als Scherz hatte man es noch nehmen können, der Mann war ja auch für schlechte Witze bekannt, als Ronald Reagan gleich nach seiner Amtseinführung als 40. Präsident der Vereinigten Staaten „den Kommandoraum“ zu sehen begehrte. Den Kommandoraum? Ja, den! Der ehemalige Präsident der Screen Actors Guild war felsenfest davon überzeugt, dass es den Kommandoraum aus Stanley Kubricks Politsatire „Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964) tatsächlich gab. Aus dem amerikanischen Kulturgut gegriffen, durch die Präsenz im Film mit einer sozusagen höheren Realitätsweihe geadelt und wieder in die allgemeine Paranoia eingegangen, war ja auch die in der McCarthy-Zeit von vielen Amerikanern gefürchtete Fluoridierung des Trinkwasser durch eine sowjetische Verschwörung, um die wertvollen „Körpersäfte“ der Menschen in den USA zu zersetzen. (Alles dies wahr, Sie können es nachlesen.)
Im Vorgriff auf die derzeitige „Homeland“-Paranoia vollführte Kubricks Film in Gestalt des durchgeknallten US-Air-Force-Generals General Jack D. Ripper (verkörpert von Sterling Hayden), der auf eigene Faust einen Atomkrieg mit den Russen auslösen will, folgenden schönen Zirkelschluss: Der General macht seine Untergebenen auf dem Luftwaffenstützpunktes glauben, dass „die Roten“, möglicherweise als amerikanische Soldaten verkleidet, angreifen könnten und dass dieser Stützpunkt unter allen Umständen und gegen alle zu verteidigen sei. „Man nennt es Amerika verteidigen“, fasste die demokratische Senatorin Dianne Feinstein, die Vorsitzende des US-Geheimdienstausschusses, vor kurzem die angefeindete Tätigkeit der National Security Agency (NSA) zusammen.
Wagenburg mit göttlichem Auftrag
Dass man uns kritisiert und angreift, zeigt, dass wir richtig daran tun, uns verteidigungsbereit zu halten. Die Wagenburg-Mentalität der Besiedlung Amerikas durch die Weißen, von Rothäuten umzingelt, die Familien traumatisiert durch die frühen Erzählungen der „Indian Captives“, von Indianern entführte Kinder, die dann als Freunde der Barbaren zurückkamen, Gehirngewaschene hätte man sie in der Zeit des kalten Krieges genannt, all das wirkt und wirkt. Richard Condons „Botschafter der Angst“ von 1962 hat viel Nachwuchs bekommen. Jeder kann ein Schläfer sein. (Siehe auch das PPS.)
Jesus James Angleton, der Counter-Intelligence-Chef der CIA von 1954 bis 1975 glaubte bis zu seinem Tod felsenfest an die „Große Theorie“, an den Amerika bedrohenden sowjetischen Master-Plan. Der Mann, der gegen sich selbst ermitteln ließ, weil er sich ab irgendwann selbst nicht mehr traute, ob er vielleicht denn doch ein Maulwurf sei, sah die ultimative Verschwörung am Werk, legte mit seiner Paranoia fast den eigenen Dienst völlig lahm. Die Sowjets, war er überzeugt, hatten längst eine „deep chrono“ angelegt, eine perfekte Chronologie von Täuschungen und Täuschungstäuschung, die einfach alles unterminierte. Die jedoch es wiederum zu untergraben und auszuhebeln galt. Der tiefchristlich-bigotte Angleton sah das als seine gottgebene Berufung, sah sich als einen eben notfalls tragischen Hamlet: „But I will delve one yard below their mines.“
Sowjetische Überläufer sah er als Maulwürfe, Doppel- und Tripelagenten, zum Täuschen und Verwirren hergeschickt, sogar die sich trennenden Wege der Kommunistenmächte UdSSR und China als eine große KGB-Charade. John le Carrés Maulwurfjagden nehmen sich wie Kinderspiele aus, wenn man Tom Mangolds Angleton-Biographie „Cold Warrior“ von 1991 liest.
Paranoia-Grundkurs an der deutsch-deutschen Grenze

NSA Direktor Keith Alexander
Doch kommen wir wieder zu Dr. Seltsam Junior, zu Keith Brian Alexander. Eine Titelliste lang wie ein Güterzug an seiner Ordensbrust: seit 1. August 2005 Direktor der National Security Agency (DIRNSA), seit April 2010 Leiter des United States Cyber Command (USCYBERCOM), ein Funktionalkommando des United States Strategic Command (USSTRATCOM). Masterabschlüsse hat er in Business Administration, in Systems Technology (Electronic Warfare) und Physics und in National Security Strategy; außerdem vor allem nachrichtendienstliche Lehrgänge und Fortbildungen am Command and General Staff College und dem National War College. Ein kalter Krieger, wie er im Buche steht, Nachrichtenoffizier im Zweiten Golfkrieg, stellvertretender Director for Intelligence, J-2, im Vereinigten Generalstab.
Und wo fing er an? Als Bimbo im Kalten Krieg, in Westdeutschland, an der Zonengrenze und der zur Tschechoslowakei, dort wo Robert Littells „Amateur“ rübermacht. Der Begriff „Iron Curtain“ enthält schon die ganze kulissenschieberhafte Dramatik, selbst ein so netter Kopf wie der Regisseur Sam Fuller geriet bei dessen Anblick in Wallung. Bei einem Filmfestivalbesuch im fränkischen Hof ließ er sich zur Grenze bringen, kam nicht rüber, und schrie schließlich aufgebracht von einem Aussichtsturm: „Goddammed fuckers, we won the fucking war! And now that road is closed? Be dead! Burn in hell!“
PS. Gewarnt waren wir – aus vielerlei Fiktion, aber auch seit 1982 vom wohl besten zivilen Kenner der NSA. Sein „The Puzzle Palace: A Report on N.S.A., America’s Most Secret Agency“ beschrieb den Dienst damals schon als „free of legal restrictions … while wielding technological capabilities for eavesdropping beyond imagination“. James Bamford schloss damals mit einer Warnung: „Like an ever-widening sinkhole, N.S.A.’s surveillance technology will continue to expand, quietly pulling in more and more communications and gradually eliminating more and more privacy.“
Deutlich wütender im Ton dann Bamfords Update von 2008, „The Shadow Factory“, in dem er entsetzt die krankhaft anmutende Datensammelwut beschreibt: „It’s what the N.S.A.’s been doing since 9/11. They’re just sweeping the stuff up.“
PPS. Die neue heiße, in den USA sehr erfolgreiche Paranoiafernsehserie heißt „The Blacklist“, in der Hauptrolle James Spader. Als Superverbrecher Raymond Reddington stellt er sich dem FBI, um von Anschlagsplänen zu erzählen, die FBI und CIA und NSA nicht auf dem Schirm haben. Im Gegenzug verlangt er Amtshilfe für seinen Rachefeldzug, sein Spruch dabei: „Das FBI arbeitet jetzt für mich.“ Im Vergleich dazu fielen die ersten 15 Folgen von „Hostages“ etwas ab. Strippenzieher der Washingtoner Politik verschwören sich darin gegen den amerikanischen Präsidenten und erpressen eine Ärztin, um ihn während einer Routine-OP zu ermorden. Operativer Kopf der Verschwörer, ein FBI-Verhandlungsführer bei Geiselnahmen – und Geiseln sind wir. Sind wir alle.
Fortsetzung folgt: Eine kleine Leseliste der Paranoia-Literatur.
Alexander-Kommandoraum; Alexander-Video; Alexander-Porträt in Wire
Alf Mayer
Die dazu passende Musik, Major Toms „Völlig losgelöst …“: