Verschwörung schlemmen in Rostock
von Alf Mayer
Bahnhof Rostock, Montagabend, 12. Januar 2015. Scheiß Ausländer, legt die Taxifahrerin ohne Umschweif los, jetzt verstopfen sie sogar den Verkehr. Sie ist der Typ gepflegte Blondine, gestandenes Alter. So viele hier, frage ich? Nee, sagt sie, Demo. Die jungen Leute wissen doch gar nicht, wem sie da hinterherlaufen. Die sollen sich gefälligst anpassen, die Ausländer, wenn die hier bei uns sind. Wie viele gibt es denn, frage ich? Ja schon welche. Und in letzter Zeit hat es Verbrechen gegeben bei denen. Kri-mi-na-li-tät, buchstabiert sie. Ich sage: In Frankfurt am Main sind es 30 Prozent Ausländeranteil, machen Sie da doch mal Urlaub zur Entspannung, da sind sie harmloser glaub ich, die Ausländer. Dann ist Schweigen auf der Fahrt.
Mein Hotel liegt an der Rostocker Heide, die gibt es draußen Richtung Darß und nah am Rathaus. Ich stelle mein Gepäck ab, gehe raus in den Niesel. Wo ist denn die Demo, frage ich einen baumlangen Kapuzentyp, der grade aus dem Historischen Institut der Uni kommt. Moment, er schaut bei Facebook. Hm, gerade war interkultureller Gottesdient in der Marien, schon vorbei, jetzt Köpeliner Tor. Wie ist denn die Stimmung, frage ich. Wir Linken haben das im Griff, sagt er, wir sind hier stärker, die von Rogida haben alles wieder abgesagt.
In der Fußgängerzone Richtung Köpeliner Tor ein Mann mit Hut, zwei Begleiterinnen und einem eingerollten Transparent. Weiß und Rot. Ich habe richtig geraten. Einer von ver.di. Er erzählt mir unterwegs ein wenig. 600 bis 800 Menschen vor der Bühne am Tor, Kinderwagen, Regenschirme, Kapuzen. Alle Altersklassen. Die Pegida-Pest haben wir bisher aufhalten können, schmunzelt der Vorsitzende des Migrantenrates. Ich gehe Abendessen.

Rostock Möwenbrunnen. Lizenziert unter CC BY-SA 2.5 über Wikimedia Commons
Schäuble will Terroristen töten
Auf dem Heimweg schreit überm Marktplatz eine Möwe. Möwenbrunnen heißt das windschiefe Figurenensemble, eine kleine Menschenmenge hat sich davor versammelt. Parkas, Pelzmäntel, Anoraks. „Bekennender Spaziergänger“ steht über einem Ampelmännchen auf einem laminierten Plakat. Ein anderer hält eine bunte Doppeladlerfahne in den Nachtwind, darunter flattert ein Peace-Wimpel. Der Mann am Mikrofon klingt unaufgeregt. Schäuble will jetzt Terroristen töten, höre ich. Sicher sind wir bald auch welche. Dann geht es ins Lager. Oder wir werden gleich getötet. Das bestimmt dann die EU. Der ganze Euro, das ist nur Strategie zur Ausschaltung der Nationalstaaten, dann kommt die Einheitsregierung. Die ist nicht mal gewählt. Und die sagen, wer ein Terrorist ist.
Der nächste Redner betont: In der Weimarer Zeit, das waren Kampfverbände auf den Straßen. Die Rechte hatten welche und die Linken. Das muss einem historisch klar sein. Wir lassen uns nicht definieren, ob wir links sind oder rechts, sagt die Rednerin nach ihm. Ich bin ein Überlebender des Holocaust, stellt ein anderer sich vor. Als ich mir das aufschreibe, flüstert es aus einer Kapuze neben mir: Notizen machen? Soso. Nette Augen, Dreitagebart. Ja, sage ich, manchmal schreibe ich mir was auf. Ich darf das. Journalist? Ich nicke. Das ist ein Kollege, der da gerade redet. Ich höre etwas von „Wolinski“ (?) und Zentralideologe. Zentralbank. Noch mehr Zentralen. Dieser Wolinksi (?) gibt vor, der gibt die Richtung an, der gibt die Befehle aus. Die NSA hat 50 Jahre Vorsprung, erklärt der Nächste am Mikrofon. Nanotechnologie! Die sind überall. Immer schon. Reinhard Gehlen war der Geheimdienstchef Hitlers, dann hat er den BND aufgebaut und die OSS, also die CIA. Das muss man wissen, diese Zusammenhänge werden gern verschwiegen. Die Usteca, da haben sich sogar die Nazis angewidert abgewendet. Jetzt sind sie EU-Mitglied. Also wachsam sein. Der jetzt versteht etwas von den Geheimbünden, sagt mir der Dreitagebart, der hat lange geforscht. Ein Malteserritter sei das, dieser Wolinksi (?), heißt es am Mikrofon. Ein gelber Paule Panther aus Plüsch hängt am Gestell.
Vom Urschleim bis zur Gentechnik
Auch die Maus aus der Sendung gehört zur spärlichen Deko. Tatsächlich wird hier die Welt erklärt. Die im Halbkreis kennen sich. Hast du das Flugzeug gesehen, kommt einer zu dem Dreitagebart, die sprühen doch was. Das ist nicht das Normale, was da rauskommt. Krebs vermutlich, kein Wunder. Und dann das Palmöl aus Borneo, der WWF hat einen Teufelspakt. Eine Frau jetzt am Mikro. Sie macht das gut, vom Urschleim bis zur Gentechnik, das hat die drauf, da kennt sie sich aus, sagt Dreitagebart. Wir haben alle unsere Spezialgebiete. Hier darf jeder alles sagen. Die Stimmen sind sanft. Wie in einer Selbsthilfegruppe. Verschwörungstheoretiker aller Länder vereinigt euch.
Wir machen das in der 37. Woche. Rostock liegt vorn, andere Mahnwachen haben schon lange aufgegeben, erzählt Dreitage. Steht alles auf Youtube. Ungeschnitten (Montagsdemo). Gibt auch einen Blog. Die Informisten. Kaum einer redet mehr als fünf Minuten, manchmal klingt es wie Fußnoten zu bereits Gesagtem. Kann letzte oder vorletzte Woche oder eben vorher gewesen sein. Oft höflicher Beifall, aber eher schütter. Als Dreitage ans Mikrofon tritt, bin ich gerade abgelenkt, höre aber, dass er öfter mal googlen empfiehlt und arte. Informationen! Energetisch betrachtet sei der Rathausplatz eigentlich der schlechteste der drei Plätze, auf denen sie sich bisher trafen, erzählt er, wieder vom Mikro zurück. Da hinten an der Kirche, da sei es am besten gewesen. Das Rathaus hat sieben Türme, zählen Sie mal. Wer sich auskennt weiß, dass sieben keine gute Zahl ist. Im Mittelalter haben sie hier hingerichtet. Ich frage den Holocaustüberlebenden, warum er sich so nennt. Er lächelt: Schauen Sie sich um in dem Wahnsinn, wir sind alle Überlebende. Gute 45 Minuten stehe ich auf dem Platz, als mir die Werbung für das Hotelrestaurant im Fahrstuhl in den Sinn kommt: Tisch-Brunch (ab 6 Personen): Sie werden bedient und können schlemmen, so viel und so oft Sie mögen. Ich bin erst mal satt.
Auf dem Heimweg ein Kapuzenschreihals auf einer Kreuzung, zwei Mädchen dabei. Fresse polieren und Ausländerfotze hallt es über den Platz, immer wieder. Irgendeine tiefe Wut. Die Passanten ziehen die Köpfe ein, auch vier Kapuzenjungs machen einen Bogen. Beim Frühstück lese ich in einem Leserbrief zu Pegida: Ich bin eifriger Kirchgänger, aber man wird doch noch die Wahrheit sagen dürfen. Im Rostocker Zoo breitet sich die Vogelgrippe aus. Das Flugzeug? Die Isländer machen Bier mit Walhoden-Aroma. Eine Überschrift klagt: „B 191 ein Scherbenhaufen“, ein Bierlaster verlor die Ladung. Zimbowurst wird zurückgerufen – „wegen Metallanteilen“. Vermutlich Nanotechnologie. Wird sicher nächsten Montag ein Thema. Das Wal-Aroma auch? Jedenfalls hört die NSA jetzt einen schon beim Essen ab.
An einem Ort in Rostock wäre mir das egal: in den Altstädter Stuben in der Altschmiedestraße, seit Sommer 2014 von Kai Prestin bewirtschaftet. Eine sensationelle Küche, Slow Food würdig, ein fast schwindelerregend gutes Preis-Leistungsverhältnis, das Maronen-Risotto mit karamellisierten Walnüssen und Apfelspalten zum Niederknien. Zum guten Leben inmitten all der grässlichen Verschwörungen siehe auch die CM-Besprechung „Kunde vom Schlaraffenland“.
Alf Mayer