
Metastasen
Über Sara Grans „Das Ende der Lügen“
Kennen Sie Claire DeWitt? Privatdetektivin, Kifferin vor dem Herrn. Auch synthetischen Drogen ist sie nicht abgeneigt. Mal ernsthaft, wie kann man heute noch über Privatdetektive schreiben? Ein Beruf, so antiquiert wie Schreibmaschinen. Ein alter Hut. Denkt man an Privatdetektive, ist das Bild schwarz-weiß. Lisa Sandlin hat das Genre bereits überraschend und erfolgreich wiederbelebt. Detektivgeschichten haben eine lange Tradition. Deshalb sind die Referenzen zu den Fällen, die Claire DeWitt bearbeitet, Heftchen-Überschriften. Ebenfalls schwarz-weiß, aus einer anderen Zeit. „Der Fall des unendlichen Asphalts“. Pathos meets Adjektiv, meets Schlüsselworte aus dem Noir. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Jeder Fall ein Bild. Ein starkes Bild, aber auch diffus. Alles, was Sara Gran anfasst, wird meta. Metastasiert. Ihre Romane lassen sich nicht ohne übergeordnete Bezüge lesen. Etwas Außergewöhnliches, das einem nicht viele Schriftsteller bescheren.
Wer Gran liest, kann leicht vergessen, worum es eigentlich geht. Da ist DeWitts Lizenz. Sie braucht mehr Fallstunden, um sie erneuern zu lassen. Dafür erhält sie von einem anderen Detektiv einen Fall. Praktikanten dieser Welt, erhebt euch aus euren Gräbern! Ob irgendeine Detektivin auf dieser Welt tatsächlich diesem Prozedere unterliegt? Egal. Wer Sara Gran liest, lässt die Realität hinter sich. Er betritt eine neue Welt. In dieser Welt ist nichts sicher. Dialoge sind einerseits aus dem Leben gegriffen und doch leicht abgehoben. Gran versetzt ihre Romane mit Sinnsprüchen. Wer darüber nachdenkt, muss stets zweifeln, ob er gewitztem Unsinn, eloquentem Blabla aufsitzt oder tatsächlich auf eine unkonventionelle Denkart trifft.
„Es gibt Fakten“, hatte er geschrieben, „nur kleine Steine, die auf dem Weg zur Wahrheit liegen oder auch nicht.“
Gran erfindet eigene Welten, verbindet und verstrickt sie. Figuren und Handlung bewegen sich immer um ein paar Zentimeter versetzt.

„Claire DeWitt gewinnt immer“
Dieser Satz ist mehr Überlebensstrategie, eher ein Credo, als sichere Tatsache. DeWitt muss ihn sich immer wieder aufsagen. Jemand trachtet der Detektivin nach dem Leben. Sie wird in einem Autounfall verletzt und schleppt sich eher schlecht als recht durch den Roman. DeWitt ist eine gebrochene Heldin. An der Oberfläche selbstbewusst und zielsicher, de facto unglücklich, einsam und depressiv. The drugs do work. Eine Frau wie DeWitt hält der Konsum am Leben. Mann kann ihren Missbrauch nicht abstrafen. Ohne diesen wäre DeWitt nicht nur ein Wrack, sondern wahrscheinlich tot.
Vorbilder
Wenn man eine Entsprechung im Film suchen wollte, würde sich die Sin-City Reihe als Blaupause anbieten. Sara Grans Geschichten sind Chandleresk, very Fourties, Fiveties, schwarz-weiß und als Hommage an das Heute in Teilen extrem coloriert. Die Dialoge wirken rätselhaft, als habe man sie schon irgendwo anders mal gehört. Nur eben leicht verfremdet, neu übertragen in dieses Jahrzehnt.

Frage: Sind Sie Silettist? Jaques Silette, Meisterdetektiv, verfasste ein rätselhaftes Werk „Détection“. Fragen Sie nicht, ob es so war. Akzenptieren Sie die Tatsache. „Détection“. Ein Buch, dass Menschen veränderte. „Fluch und Virus“ zugleich. Eine Art Bibel für alle, die wie Silette arbeiten und Rätsel lösen. Rätsel. Der Inbegriff des Spiels, das Agatha Christie schon begeisterte und beschrieb. Das Spiel war immer tödlich. Bei Gran kommt es endlich in der Gegenwart an. Kein Rätsel, das gelöst würde, ohne ein weiteres zu gebären. Etappensieg und Hoffnungslosigkeit zugleich.
DeWitt wuchs mit zwei Freundinnen auf. Schon als Kinder wollten sie Fälle lösen. Die drei Ausrufezeichen, nur cooler und hier aufbereitet für Erwachsene. Wegen ihrer neuen Ermittlungen geht DeWitt auf die Suche nach einem Krimi-Comic, dem „Cyhthia Silverton Mystery Digest“. Man muss Sara Gran lieben, weil kaum eine ihrer Ideen ohne Referenzen ist. Und was könnten Buchliebhaber mehr lieben als die Suche nach einem Buch? Diese Odyssee wird verflochten mit dem Fall um drei Künstler, vielleicht eine Menage-à-trois. Wenn Gran über den Kunstmarkt schreibt, schwingt immer ihr Künstlerinnendasein als Autorin mit. Ein doppelter Boden allein reicht Gran eben nicht.
„Wir fühlen uns nicht dem Markt verpflichtet. Auch nicht dem Geld oder der Beurteilung durch andere. Wir fühlen uns einer höheren Macht verpflichtet.“
„Das Ende der Lügen“ kommentiert immer auch den Buchmarkt, das Ringen um Bedeutung und die Arbeit als Schriftstellerin.
Unheilbar krank
Grans Romane bleiben rätselhaft. Man könnte meinen, dass sie über ihre LeserInnen lacht. Es ist kein boshaftes Lachen, sondern eine Einladung zum Spiel. Eine Einladung sich auf ein Abenteuer einzulassen, in dem Verbrechen und Aufklärung nur noch grobe Anhaltspunkte sind. Niemand illustriert so anschaulich im Kriminalroman, dass nur eines gilt: Der Weg ist das Ziel.
„Wissen Sie, Männer sehen Frauen überhaupt nicht. Je berühmter man ist, desto weniger wird man gesehen. Das weiß ich. Man kann als Frau sein ganzes Leben unter Männern verbringen, ohne wirklich gesehen zu werden.“
Sara Grans Kunst wird geschätzt. Sie wird auch besonders hier in Deutschland gesehen und mit Preisen geehrt. Dennoch bringt eine ihrer Figuren das feministische Dilemma auf den Punkt. Es ist ein Drama. Eine Sünde. Eine Wunde in unserer Gesellschaft. Eine Wunde, die nicht heilen will. Nicht wirklich gesehen zu werden. Diese Unsichtbarkeit, dieses besonders von Männern Übersehenwerden, betrifft immer noch jede Schriftstellerin. Ausnahmslos.
Katja Bohnet
- Sara Gran: Das Ende der Lügen (The Infinite Blacktop, 2018). Aus dem Englischen von Eva Bonné. Heyne Hardcore, München 2019. 347 Seiten, 16 Euro.

Siehe auch Thomas Wörtche zu diesem Buch: Die fröhliche Anarchistin.
Mehr zu Sara Gran bei CrimeMag, darunter auch ihre exklusive Weihnachtsgeschichte. Verlagsinformationen hier.
Katja Bohnet bei CrimeMag.