Nachruf auf eine Muse: Joan Parker
von Alf Mayer
Sie war Muse. Im guten alten klassischen Sinne. Sie war Autorin, Spendenbeschafferin, Mäzenin, Aktivistin und Wohltäterin in mehr als einer Hinsicht. Sie war die Lebensgefährtin des Kriminalautors Robert B. Parker und die Inspiration für Susan Silverman, die fiktionale Freundin des fiktionalen Spenser, des Macho-Detektivs aus Boston. Jetzt ist Joan Parker, 80-jährig, am 12. Juni 2013 an Lungenkrebs gestorben. Sie war es, die ihren Mann am 18. Dezember 2010 tot über seiner Schreibmaschine aufgefunden hatte (Nachruf bei Getidan).
Der „Boston Globe“ widmete ihr einen großen Nachruf, Joan war stadtbekannt.
Der emphatische Nachruf macht, dies gewiss Zeugnis auch eines ungewöhnlich offenen und unkonventionellen Privatlebens, viele Lebensumstände öffentlich. Robert B. Parker-Fans seien also ein wenig vorgewarnt. Joan und Bob Parker bewohnten gemeinsam ein großes Haus in Cambridge, Massachusetts, aber sie lebten – und dies öffentlich – in einem offenen Arrangement. Nach einer zweijährigen Trennung vor mehr als 30 Jahren hatten sie sich auf diese Art des Zusammenlebens geeinigt; und beide genossen sie es. Jeder ging seinen Verpflichtungen, Aufgaben und Neigungen nach, aber sie pflegten ihre Verabredungen miteinander, hatte eine lustvoll-ruppige Verbindung miteinander. Zitat „Boston Globe“:
„They did not hide the arrangement in interviews, and throughout a romantic relationship that began when they attended Colby College, in Maine, the Parker bantered as deftly as their fictional counterparts and were often as buoyantly profane.
„They were a bit of an act, as some people are together,“ said Helen Brann, Mr. Parker’s agent for many years and the couple’s longtime friend. „They fed each other lines without meaning to and were great, great fun. Some couples, after 15 minutes you think, ‚Oh dear, we’ve had enough of Fred and Ginger.‘ With them, it was unforced.“
Watch March 11, 2013: One Guest with Joan Parker on PBS. See more from Greater Boston.
„A life, large and fearless …“
Joan Parker war im Kunstleben Greater Bostons ebenso aktiv wie in der schwulen und lesbischen Community. Die beiden Parker-Söhne David und Daniel – es gibt einen Enkel namens Spenser – outeten sich als schwul, für ihre Mutter war es selbstverständlich, sich für Gleichstellung zu engagieren. „Jeder schwule Mann, der mit sich kämpft, sich zu bekennen, sollte solch eine Mutter haben“, sagte ihr Sohn Dan 1996 dem „Boston Globe“. Die „Greater Boston Parents, Families and Friends of Lesbians and Gays“ verliehen ihr den „Cornerstone of Equailty Award“.
Zwei Jahrzehnte lang arbeitete Joan Parker ehrenamtlich im Vorstand der Community Servings, den hiesigen Tafeln vergleichbar und der AIDS-Hilfe. Weil der eine Sohn Theaterschauspieler, der andere Choreograph und Direktor der New Yorker Tanzgruppe „Bang Group“ ist, unterstützte sie die Theater- und Ballettarbeit. Für ihre Söhne war sie ein Rollenmodell, wie man sein Leben leben soll: „Large, and with commitment and fearlessness“.
1978 schrieb sie ein Buch über ihre erste Krebserkrankung und die Therapie, „Three Weeks in Spring“, war die Co-Autorin ihres Mannes bei vielen TV-Skripten. Über ihr gemeinsames Liebesleben redeten die beiden – anders als viele ihrer Generation – recht frank und frei. Hatten Susan Silvermans sexuelle Gewohnheiten die von Mrs. Parker als Vorbild? „I’ve toned it down for publication“, antwortete Robert B. Parker 1987 dem Kolumnisten George F. Will. 1996 erzählte Parker dem „Globe“ von ihren getrennten Schlafzimmern: „I never want to sleep with my wife again, but I hope to continue making love to her forever.“
Looking for Susan Silverman
Bleibt die Frage nach Susan Silverman, die eigentlich ein eigenes Porträt verdienen würde. Joan Parker, die fluchen konnte wie ein Kutschendroschker, beharrte stets auf den Unterschieden zu Susan Silverman. Ja, Susan sei eine Person in ihrem Leben, Spenser UND Susan seien eine Zusammensetzung von ihr und Bob, aber sie seien nicht die gleichen Personen. Sie sei nicht Susan Silverman. „I’ve actually grown to like her. But she still ain’t bitchy enough.“
Robert B. Parker schuf mit Susan Silverman die in diesem Sinne erste ebenbürtige Partnerin eines Privatdetektives, stattete sie mit besserer Bildung aus als ihn und mit einem selbständigen Beruf, zeichnete im Geschlechterkampf und -arrangement der beiden die gesellschaftliche Entwicklung der 1970er bis 1990er nach und brachte damit manchen frischen Wind in das Genre. Ja, sicher: Susan Silverman kann man hassen oder mögen. Sie polarisiert.
Im ersten Roman, „The Godwulf Manuskript“ (Die Schnauze voll Gerechtigkeit, 1973) hat Spenser einen Freundin namens Brenda Loring und ist monogam. Auf Susan trifft er in Buch Nr. zwei, in „God Save the Child“ (Kevins Weg ins andere Leben, 1974), im nächsten Buch, in „Mortal Stakes“ (Endspiel gegen den Tod, 1975) gehen sie miteinander ins Bett. Spenser streunt ein wenig – mit Candy Sloan in „A Savage Place“ (Licht auf Dunkelmänner, 1981), das führt zu ihrem Tod, worauf er sich an Susan lehnt, die ihn daraufhin verlässt und ihn in eine tiefe Krise stürzt. Bis sie wiederkommt.
In dem insgesamt mehr als vergnüglichen Autoren-Nachruf auf Robert B. Parker, dem von Otto Penzler herausgegeben „In Pursuit of Spenser. Mystery Writers on Robert B. Parker and the Creation of an American Hero“ (2012) bemerkt Dennis Lehane:
„Girlfriends in detective fiction had, up to this point, existed to be discarded. They could be killed in order to give the detective a personal vendetta upon which to embark, as often happened in, say, John D. MadDonalds brilliant Travis McGee novels, to the point where I found it hard to believe a self-respecting South Florida insurance company would underwrite a policy for any woman who bumped uglies with McGee.“ (Lehane übrigens schreibt gerade eine Travis McGee-Drehbuch.)
Lehane weiter: „Susan Silverman is her own woman all the way. She loves Spenser, has lusty, regular sex with him, and often psychoanalyses him at convenient moments in the narrative so he can continue on his course with the assurance that he is, in fact, truly the bravest and most virtuous man in the book (or all of New England). But Susan also fights with Spenser, challenges him and his assumptions, refuses to be defined by him, and for one long stretch, breaks up with him until he stops expecting her to be anything but what she is.“
„The girlfriend we all love to hate“
Im gleichen Band fragt sich die Autorin S.J. Rozan „Who is Silverman, what is she?“ und nennt sie „the girlfriend we all love to hate“. Rozan hat einen freundlich-scharfen Blick dafür, was das Verhältnis mit dieser Frau aus dem Mann Spenser macht. Sie weiß, eine der universal anziehenden Charakteristika des heldenhaften Privatdetektivs ist seine Einsamkeit – und damit die nagend-schöne Frage: „Was wäre, wenn ich auch so frei wäre wie er?“ Susan entledigt Parker dieses Charakteriskums, dafür hasst oder liebt man sie. Rozan schließt: „Parker hat mit Susan Silverman den Detektivroman in eine neue Dimension gehoben.“ (In Parkers Western übrigens heißt Susan Silverman Allie French und ist eher sogar noch witziger.)
Wie sehr Susan & Joan oder Joan & Susan den Autor Parker mitdefiniert haben, macht ein weiteres Detail sichtbar. Versammelt in „The Lineup. The World’s Greatest Crime Writers Tell the Inside Story of Their Greatest Detectives“ (2009), hatte Otto Penzler eine Reihe von Autoren gebeten, über ihre eigenen Protagonisten zu schreiben. Parker lässt, als einziger der 21 dort versammelten Autoren, seinen Helden im Verbund mit seiner Freundin auftreten. Susan hat Spenser überredet, einer Collegestudentin ein Interview zu geben und greift selbst ohne Bedenken ein, wenn ihr Kerl sich zu sehr bei einer Frage ziert. Oft entspinnt sich ein lebendig-witziger Dialog zwischen den beiden – vermutlich so, wie Bob es von Joan gewohnt war.
Mögen sie sich eine schöne große Wolke teilen, da oben. Farewell, Joan. Hi, Bob.
Alf Mayer