Geschrieben am 3. Oktober 2022 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2022

Hazel Rosenstrauch zu einem hochgelobten Buch

Die verführte Kommunistentochter

Der Titel klang interessant, dass dieses Buch “schlicht perfekt” ist, erfuhr ich, als ich die Werbung auf dem Umschlag (U 4) las. Was aber ist ein perfektes Buch? 

Das Buch ist nicht autobiographisch, im Netz findet sich ein Interview mit der Autorin, sie ist zufällig auf das Thema gestoßen ist, hat sich für displaced identity interessiert und festgestellt, dass niemand über die spanischen Exilanten in der DDR geschrieben hat. Sie hat angefangen zu schreiben “without really knowing if … it had a historical basis”, recherchiert und macht Interviews.

Die DDR ist grau und es ist immer kalt in dem Land, das den Flüchtling aus Franco-Spanien und seine Frau aufgenommen hat. Die Kapitel sind nach Jahreszahlen angeordnet, beginnend mit 1956. Die Mutter kann kein Deutsch, der Vater ist bei einer Fortbildung – worin er sich bildet, erfährt man erst am Schluss. 1961 erlebt die Erzählerin den Mauerbau ganz aus der Nähe, sie hatte einen Brief aus dem Westen hinüber geschmuggelt. Unfreundliche Grenzbeamte, das Auto, mit dem sie einmal an den Strand fahren, ist von einem Kollegen geborgt, es dauert zehn Jahre, um eines zu bekommen. Geheimnisvolle Männer kommen aus der Wohnung, wer das war. wird man erst gegen Ende verstehen. Ein Freund musste sich bei der NVA für drei Jahre verpflichten, um studieren zu dürfen. Ein erster Lover ist übergriffig, sie stößt ihn weg, woraufhin er nichts mehr von ihr wissen will. 

Alles ist duster und schrecklich, es wird wenig gesprochen, über die Herkunft, den Krieg der Republikaner gegen die Faschisten und die Arbeit des Vaters erfährt man kaum etwas. Die Mutter strickt, kocht, stopft Socken und ist augenscheinlich unglücklich. Sie weint oft. Die Erzählerin fällt durch die Prüfung, sie muss das Blauhemd anziehen und die Faust recken. 

Dann aber ist alles bedeutungslos geworden. Ein junger Mann saß ihr im Café Sibylle gegenüber, und das Schicksal nahm seinen Lauf: Es ist ein “Orkan”, das Herz schlägt wie eine Trommel, sie kann nicht schlafen. Das Paar spricht wenig oder es wird wenig darüber erzählt. Bei den Weltfestspielen taucht Johannes wieder auf – “etwas an seiner Hand hielt mich ganz fest. Und ich wusste damals schon, dass sich das nicht so leicht wieder lösen ließe.” Danach sehen sie sich mehrmals “im Berlin der Überwachten”. 

Sie ist diesem Johannes verfallen und er holt sie dort raus. Es “gab kein Nachdenken über mögliche Konsequenzen”. Die Flucht über die Tschechoslowakei mit Hilfe teuer bezahlter Fluchthelfer läuft genau so ab, wie man sich das vorgestellt hat, wenn man ein paar Filme gesehen hat. Der schweigende Mann, die gefälschten Papiere, Schüsse an der Grenze, Rettung durch das kalte Wasser laufend bzw. schwimmend, wobei sie das wenige Hab und Gut verliert. Dann empfängt sie ihr Johannes und nimmt sie mit nach Backnang – of all places. Sie heiraten, haben bald ein eigenes Haus, zwei Kinder, beim Feiern gibt es Bratwürstchen, Schweinerippchen und Brezeln, als Hochzeitsgeschenk u.a. eine Kuckucksuhr. Der Schwiegervater war, das durfte nicht fehlen, im Krieg in Russland und ist ein sehr entschiedener Antikommunist, der ihr vorhält, was ihn diese Flucht gekostet hat. Bald gibt es ein zweites Auto, sie ist entwurzelt, fühlt sich fremd und sitzt den ganzen Tag zu Hause, der Alltag und die Ehe werden zur Routine, sie macht, was er vorgibt, lässt sich sogar von ihm die Kleidung kaufen und grollt, weil er sie aus ihrem Leben herausgerissen hat. 

Das sind die Ingredienzien für ein perfektes Buch, und ich weiß endlich, was ein Narrativ ist. Die Erzählung kann mit dem Einverständnis einer breiten Leserschicht rechnen. 

Sie hat durch einen Anruf der Schwester erfahren, dass der Vater gestorben ist, aber in zwanzig Jahren nicht geschafft, irgendwie Kontakt zu ihrer Familie in Berlin aufzunehmen. Die Frage “schob sie weg wie ein Glas Wasser”. Außer einem Paar, das auch aus der DDR kam, findet sie keine Freunde, die Schwiegereltern sind genau so spießig, wie man sich Schwaben aus dem Handbuch des hässlichen Deutschen vorstellt. Die “Tochter des Kommunisten” ist weder in das nahe gelegene Stuttgart gefahren noch ins damals interessante Theater dort gegangen, hat nicht gearbeitet und auch nicht studiert (von Backnang fährt eine S-Bahn in das nahe Stuttgart). 

Unter literarischen Gesichtspunkten bedient dieses Leben einer unglücklichen Entwurzelten perfekt alle Klischees, unter politischen und erst recht emanzipatorischen Aspekten ist die Geschichte selbst für eine Frau in der schwäbischen Provinz in 1970er und 80er Jahren erstaunlich altbacken. Es kommt der Mauerfall und die Vereinigung der zwei deutschen Länder, sie fährt (ohne ihre Kinder) nach Berlin. Ab 1992 wird die Beschreibung lebendiger, auch wenn die Häuser wie “Skelette ohne Leben” aussehen, “es ist, als wären die Bewohner verstorben”, jetzt wohnen Künstler und Punks dort, wo einst ihr Leben war. “Alles was man uns gelehrt hatte, absolut alles, war nun nichts mehr wert.” Die Mutter sitzt im Rollstuhl und erkennt sie nicht, die Schwester ist sauer auf sie, und übergibt ihr den unvermeidlichen Koffer mit Papieren, aus denen sie erfährt, dass der Vater für die Stasi spioniert hat. Er wurde nach ihrer Flucht abgeholt und ist im Gefängnis gestorben. 

Wahrscheinlich lebe ich schon zu lange in Berlin, habe zu viele Filme über Flucht gesehen, Reden über das Unrechtsregime gehört und Bücher über den bösen Kommunismus gelesen und auch selbst geschrieben, weshalb ich mir dieses “Narrativ” gut als Produkt eines automatisierten Schreibprogramms vorstellen kann. Es enthält alle gängigen Denk- und Wortmuster und wenig Leben, was bei einem Automaten nicht weiter erstaunlich wäre. Das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt und mit Preisen ausgezeichnet, vielleicht merkt man nur im Deutschen, wie sehr es aus Fertigteilen zusammengesetzt wurde. 

Schade um das schöne Thema. 

Aroa Moreno Durán: Die Tochter des Kommunisten (La hija del comunista, 2017). Übersetzt von Marianne Gareis. btb, München 2022. Hardcover, 176 Seiten, 22 Euro.

Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen.Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.