Geschrieben am 16. September 2018 von für Crimemag, CrimeMag September 2018

Hazel Rosenstrauch: Reise nach Polen

20180909_122044Der wichtige Unterschied

Nach einem Abend am Warschauer Marktplatz und einer Reise durch Ostpreußen

Von Hazel Rosenstrauch

Ich war mehrmals in Warschau, aber das war noch zu sozialistischen Zeiten. Die kühnen Hochhäuser rund um den Bahnhof gab es damals noch nicht, auch keine Konsumtempel samt glitzernder Reklame von deutschen und amerikanischen Firmen. Die wiederaufgebaute Altstadt hat bereits Patina angesetzt. Der Marktplatz, von dem nach dem Wüten nicht nur der SS, auch der Wehrmacht, nichts mehr übrig war, sieht aus, als wären die Häuser aus dem 17./18. Jahrhundert, Renaissance und Barock. Die alten Wehrmauern sind „originalgetreu“ und besonders hübsch aufgebaut. Fake? Anders als meine Freundin U. finde ich nicht, dass sich diese Rekonstruktion mit dem Berliner Schloss oder der Frankfurter Puppenstube oder Dresden vergleichen lässt.

Rund um den Marktplatz, wie in jeder touristischen Stadt, Musikanten, Zauberer, Feuerschlucker, blinzelnde Statuen in Gold, die erbost reagieren, wenn sich jemand mit ihnen fotografieren lässt und nichts in die Büchse wirft. Im Museum der Stadt gibt es einen “room of patriotic items“. Anstecknadeln, Briefe, Bilder, Uniformen zur Erinnerung an die Helden der Untergrundarmee. Patriotismus bedeutet in Polen etwas anderes als in Deutschland, wo ein solcher Raum mit Devotionalien eindeutig rechts konnotiert ist. Hier sind es Spuren des Widerstands.

Ein paar Tage später gerate ich in eine Diskussion zwischen der polnischen Referentin und ihren deutschen Zuhörern über die Frage, ob Polen in den „Jahren der Teilungen“ zwischen Preußen, Österreich und Russland existiert oder nicht existiert hat, ausgelöscht oder besetzt war.

Auf dem Weg durch den sächsischen Park Richtung Schloss – barock rekonstruiert in den 1970er Jahren – überlege ich, mit welcher meiner Vergangenheiten oder gar Identitäten ich durch diese Stadt gehe? Mein Reiseführer ist deutsch, man muss mich für eine Deutsche halten. Außerdem bin ich Ösi, komme also aus einem der Staaten, die Polen im 18. und 19. Jahrhundert unter sich aufgeteilt hatten. Mein Vater ist noch in Polen geboren, aber als Jude. Die polnische Sprache ist schwer, aber ich kann ein paar Brocken Russisch, die ich in der Schule gelernt habe – was ich hier lieber nicht verwende. Auf Russland ist man noch immer und wieder schlecht zu sprechen, auf Deutschland interessanter Weise nicht.

Abends esse ich Kartoffelpuffer mit Lachs, dieses typisch polnische Gericht, das ich von jüdischen Feiertagen als Latkes kenne. Sozialistische Reste wie der Kulturpalast oder jenes Denkmal des Warschauer Aufstands am Krasiński-Platz, das in meinem Reiseführer als „umstritten“ bezeichnet wird (es ist grob, pathetisch und hässlich), erinnern mich an die Hoffnungen, die noch meine Eltern mit dem Kommunismus verbunden hatten. Mittlerweile weiß ich, welche Verbrechen im Namen dieser Ideologie speziell (aber nicht nur) an den Polen begangen wurden.

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So etwas Ähnliches wie die Besichtigung von Pyramiden…

Von Warschau fuhr ich weiter nach Ostpreußen. Das unterlag in unserer Familie einem Bann, assoziiert mit Deutschnationalen, Großgrundbesitzern, revanchistischen Vertriebenen. Die Landschaft ist gottvoll, der Himmel so weit, wie in der Literatur beschrieben. In der zauberhaften Landschaft mit weiten Seen und Alleen liegt, tief im Wald verborgen, die Wolfsschanze, NS-Kommandozentrale mit dem neun Meter dicken Bunker für Hitler, Ruinen, die den ganzen Irrsinn, den Größenwahn und die Ängste des Führers, seiner Architekten und Gefolgsleute sichtbar machen. Der Pole, der dort herumführt, erzählt, dass es für die Besucher sowas Ähnliches ist wie die Besichtigung von Pyramiden. Nein, kein Wallfahrtsort, dazu ist die Anlage zu zerstört. Ein paar besoffene Idioten mit ausgestrecktem Arm, aber sonst kämen Gruppen aus aller Welt. Zum Glück hatte ich vor der Reise das Buch von Antje Vollmer, „Doppelleben“, über Heinrich und Gottliebe von Lehndorff und den 20. Juli 1944 gelesen. Das noch sehr zerstörte Gutshaus der Lehndorffs in Sztynort (Steinort), in dessen linkem Flügel sich Ribbentropp einquartiert hatte, wird erst seit Kurzem von der Deutsch-Polnischen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz peu à peu renoviert.

20180909_110744Ich habe viel über Ordensritter gehört, großartige Backsteinbauten gesehen, über die katholisch und evangelische Umwidmung von Kirchen und die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Geschichte gelernt … und die polnische Küche genossen. Die Gespräche mit mitreisenden Deutschen, deutschsprechenden protestantischen Polen und diversen „Führern“ durch Schlösser, Kirchen, Burgen und andere Sehenswürdigkeiten waren (abgesehen von dem einen antijüdischen Witzchen des ansonsten reizenden Pfarrers der protestantischen Minderheitsgemeinde) nicht peinlich. Die Sprachregelungen sind teils anders, die historische Entwicklung samt Widersprüchen wird von meinen Gesprächspartnern weitgehend akzeptiert. Wenn von Morden und Vertreibungen erzählt wird irritiert mich gelegentlich die auffallende Abwesenheit der umgebrachten Juden.

Einiges werde ich nachlesen, und weiter nachdenken will ich über den wichtigen Unterschied, dass es für progressive Deutsche dort, in Ostpreußen, politisch korrekt ist, dass die Vergangenheit ruht, beim Thema Juden kann sie nicht zur Ruhe kommen. 

 

 

 

Hazel Rosenstrauch (auch Fotos)

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