Geschrieben am 1. November 2021 von für Crimemag, CrimeMag November 2021

Hazel Rosenstrauch: Porträt Georg Hermann

Georg Hermann (1917), gemalt von Erich Büttner © Wiki-Commons

Ein ferner Spiegel einer nicht ganz so fernen Geschichte

Georg Hermann war v.NZ, vor der Nazizeit, ein Bestsellerautor, Berliner Urgestein, obwohl Jude, und weil Jude, musste er emigrieren. Im Unterschied zu anderen Autoren wurde er in der Zeit der Wiederentdeckung vertriebener Künstler kaum wahrgenommen, nur “Jettchen Gebert” und “Kubinke”, beide in den 1920er Jahren in vielen Auflagen erschienen und verfilmt, schafften es ins 21. Jahrhundert. In der DDR wurden immerhin schon in den 1960er Jahren einige seiner Werke neu ediert, eine in den 1990er Jahren begonnene westliche Gesamtausgabe konnte nicht weitergeführt werden. In der Welt gehalten hat ihn der persona verlag mit einem Briefband, der 1991 verlegt wurde. Er gibt Einblick in die äußere und innere Not der Jahre im niederländischen Exil. Nun wagt der Wallstein-Verlag eine Gesamtausgabe, der erste und der letzte Band sind kürzlich erschienen.

Hermann war über sechzig, als er in die Niederlande floh, er konnte – anders als einige wenige vertriebene Autoren – nicht an seine Erfolge anknüpfen. Der “Etruskische Spiegel” ist sein letztes Buch, es handelt von Emigration, von Illusionen und Verzweiflung, von Glauben und Enttäuschung. Der Protagonist (kein Held) Harry Frank will nach Rom emigrieren. Im Zug lernt eine wunderschöne reiche Witwe kennen, die ihn in ihren Palazzo einlädt, er verliebt sich in sie, genießt die Geselligkeit seiner Gastgeberin und die Kunstwerke Roms. Er verirrt sich in Phantasien, vielleicht sind es auch Träume, die ein etruskischer Spiegel in ihm angeregt hat.

In teils kruden filmähnlichen Schnipseln tauchen etruskische Kaiser und antike Gebräuche auf; was der Emigrant in dem – vielleicht gestohlenen – etruskischen Spiegel sieht oder träumt, vermischt sich mit Bildern und Gesprächen, die er in Gesellschaft seiner Gastgeberin erlebt hat.

Es mag die Lektüre erleichtern, wenn man Rom kennt und etwas von Architektur versteht (Harry Frank wird als Architekt vorgestellt, Georg Hermanns Bruder, dem das Buch gewidmet ist, war Architekt, ein anderer Bruder Archäologe). Hermann ist auch mit Antike und mit Geschichte der Etrusker vertraut, von Letzteren weiß man bis heute nicht viel und wusste man zu Hermanns Zeit noch weniger. Von den Anspielungen sollte man sich nicht irritieren lassen, es geht dabei nicht um Bildung, sondern um eine untergegangene Kultur und, man darf annehmen, um Metaphern.

Er wird der alte Simon, dem einst wohlhabenden und glücklichen, nun versklavten Hebräer, der traurig ist, weil “Gott meinen Geist verwirrt hat und mein Herz trunken gemacht” hat, nur er spricht und versteht die ausgestrobene Sprache der fernen Kultur noch. Der bittere zynische Humor oder Reflexionen über Religion und barbarische Gebräuche haben weniger mit Kunstgeschichte zu tun, als mit Harry Franks bzw. Georg Hermanns Gegenwart. Der etruskische Spiegel spiegelt die breite Palette der Gefühle eines Exilierten. Hermann erzählt in fiebrigen Träumen und mit abseitigen Bildern von Hoffnungen, Ängsten, Resignation und Abschied – als hätte er sein Ende geahnt.

Das Buch ist “schon” 1936 erschienen, als Hermann erst zwei Jahre im niederländischen Exil war, vier Jahre vor dem Einmarsch deutscher Truppen in die Niederlande, als dem einst wohlhabenden und glücklichen Berliner Juden endgültige Niederlagen noch bevorstanden. Der etruskische Spiegel war die letzte größere Veröffentlichung des einst so berühmten Autors. Hermann wurde 1943 deportiert und endete, 72-jährig, in der Gaskammer Birkenaus.

Weitere Bände sollen folgen, wie viele es letztlich werden, steht noch nicht fest – ein mutiges Unternehmen, das dem Leser nicht so sehr Kenntnisse der alten Römer oder Etrusker abverlangt, sondern die Bereitschaft, sich auf die Erfahrungen eines Gestürzten einzulassen.

Georg Hermann: Der etruskische Spiegel. Roman. Mit einem Nachwort von Christian Klein. Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 306 Seiten, 25 Euro.

Georg Hermann. Unvorhanden und stumm, doch zu Menschen noch reden. Briefe aus dem Exil 1933 – 1941. Hg von Laureen Nussbaum. persona verlag, Mannheim 1991. 272 Seiten, 15 Euro.

Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen.Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.

Tags :