Geschrieben am 15. April 2016 von für Comic, Crimemag, News

Graphic Novel: „Ich, der Mörder“ von Antonio Altarriba & Keko

Ich_der_Mrder_Cover_webSpritzer und Schlieren

Gebildete Serialkiller, die aus den höchsten und lautersten Gründen morden, gehören zum Grundbestand des „Bösen“ in allen medialen Darreichungsformen. Manche sind so böse, dass sie schon wieder komisch sind. Die Graphic Novel „Ich, der Mörder“ von Antonio Altarriba & Keko erzählt von einem ganz besonders exquisiten Exemplar. Thomas Wörtche watet durchs Blut.

Diskursgestütztes Serienmorden ist vom Marquis de Sade über Thomas de Quincey bis zu Bret Easton Ellis und Thomas Harris ein alter Hut. Allerlei mehr oder minder krause, anscheinend kontextlose Theoreme aus Philosophie, Theologie, Soziologie, Anthropologie und Ästhetik werden bemüht, um das Schlachten von Menschen als emanzipatorischen Akt des „autonomen“ Individuums zu inszenieren und für den bildungsbürgerlichen Geschmack zu veredeln. Besonders hilfreich ist dabei die Kunstgeschichte, wenn es um Vorlagen geht, das Schlachtgut hübsch zu drapieren. Kunst hebt.

In diese Linie gehört „Ich, der Mörder“ von dem baskischen Szenaristen Antonio Altarriba und dem Zeichner José Antonio Godoj alias Keko. Der Mörder ist der Kunstwissenschaftler Enrique Rodríguez Ramírez, Herausgeber der einschlägigen Zeitschrift „Trémula“ ( hallo, Almodóvar-Fans) und Mitglied der Forschungsgruppe „Kunst und Grausamkeit“. Da kann er hemmungslos mit den üblichen Verdächtigen spielen, mit Grünewald, Goya, Bacon und Co. Und kommt zum Schluss, dass „Töten der transzendente Akt schlechthin“ ist. Also geht er töten, jeder Mord ein Impromptu, eine Performance, vierunddreißig Opfer hat er schon geschafft und hin und wieder auch dabei kunstkritisch gewirkt: Einen schlechten Pollock-Imitator blutet er über seinem letzten Gemälde aus, das dadurch zu einer wirklich schönen, roten Pollock-Hommage wird. Einem faselnden Theoretiker, der fake-postmodernes Deridada & Lacancan-Zeug über „Kohäsion“ erzählt, demonstriert er, wie man seine körperliche Kohäsion auflösen kann und so weiter.

Goya-Guerra_(03)

Jaja, der Kunstbetrieb

Das sind immerhin nette, bissige und lustige Kommentare zum Kunstbetrieb, aber der gute Professor ist natürlich ein armes Würstchen: Seine Frau verlässt ihn und wird lesbisch, seine Reputation in Akademia wird von bösen Intrigen untergraben, die Institutsschlampe will ihm wegen Prestigeverlusts keinen mehr blasen und seine jugendliche Geliebte verlässt ihn und brennt mit aufgeblasenen jungen wilden Body-Art-Leuten durch. Da bleibt dann nur noch, Unbekannte nach dem Zufallsprinzip umzubringen, was dann letztendlich doch eine eher trübselige Existenz bedeutet.

Ein paar nette Handlungstwists gibt es auch, für die Goyas „Desastres de la Guerra“ das Bühnenbild liefern. Und das alles im Baskenland, in Vitoria-Gasteiz spielend, wo die Erinnerung an die reale Gewalt der ETA noch lebendig und längst nicht „bewältigt“ ist. Das Kunst-Grauen und das reale Grauen rücken somit in ein ziemlich unbehagliches Verhältnis. So unbehaglich wie wenn das arme Würstchen zum ästhetiktheoretisch delirierenden Slasher-Übermensch wird. Und durch diesen Dreh eröffnet sich die schöne Möglichkeit, diese ganze „Schwarze Ästhetik“ komisch zu lesen, als Echo eines gemütlichen geistesgeschichtlichen Diskurses, der angesichts der ungemütlichen Realitäten ziemlich museal wirkt.

Schwarz, weiß, rot

Aber der natürlich idealen Stoff für schöne Narrative hergibt. Die radikale schwarz/weiß-Ästhetik (nicht umsonst kommt Zeichner Keko aus der Alberto-Breccia-Schule), punktiert mit blutroten Spritzern und Schlieren, die klare Geometrie der Panels, die strikte Trennung zwischen dem inneren Monolog des Professors und den Dialogen, die deutlichen Strukturen von Close ups und Totalen, kontrapunktiert von den zitierten, beinahe fotokopiert wirkenden Originalwerken, behaupten eine Rationalität der Handlung, die schlichtweg deviant ist. Der Subtext der Bilder – so wie zum Beispiel eine Seite, die das frustrierte Ehepaar beim frustrierenden Frühstücksritual zeigt, während die einzelnen Panels immer schwärzer werden (oder immer lichtloser) – macht den großen ästhetischen Reiz der Graphic Novel aus. Ein ziemlich komplexes, ambigues und vertracktes Ding, auf jeden Fall.

Thomas Wörtche

Antonio Altarriba/Keko: Ich, der Mörder. (Moi, Assassin, 2014) Graphic Novel. Dt von André Höchemer. Berlin: avant-verlag, 2015. 134 Seiten, 24,95 Euro.

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