
Ein enormer Glücksschub
Friedrich Ani freut sich über die Neuauflage des Romans von Jörg Fauser
Dieses Jahr am 16. Juli würde Jörg Fauser 75 Jahre alt. Der Zürcher Diogenes-Verlag startet aus diesem Anlass eine Neuedition der Werke dieses lange verkannten deutschen Schriftstellers.
Der Kriminalroman, schrieb er, habe Räume erschlossen, die eine neue Literatur erst ermöglichten. »Die Figuren, die in diesen Räumen agieren, sind nicht unbedingt das Salz der Erde, aber manche Bücher, die wir ihnen verdanken, sind das Salz der Literatur.« Gepfefferte Anmerkungen zum – damals, in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts, lautstarker als heute – landauf, landab gesungenen Kanon über das Gute, Wahre, Schöne zwischen Buchdeckeln. Wenn es gegen die Funktionäre des Feuilletons ging, neigte der Hobbyboxer Jörg Fauser zu Tiefschlägen, manchmal zu üblen Leberhaken. Und wie eine Leber schmerzen kann, das wusste er als Verköstiger beinharter Getränke, die in den Gefilden, in denen er am liebsten verweilte, zur Tages- und Nachtordnung gehörten. »Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich als Party-Service anheuern.«
Für Fauser – er starb am 17. Juli 1987, am frühen Morgen nach seinem 43. Geburtstag, als er zu Fuß über die Autobahn ging und von einem Lkw erfasst wurde – bedeutete Schreiben die brutalst-mögliche Konfrontation mit der Wirklichkeit. In seinen Büchern duckt der Held sich nie weg, wenn es ernst wird, und ernst wird es eigentlich immer bei diesem Autor, der mit seinem ersten Roman, einem Kriminalroman, seine eigene These ein für alle Mal in Stein meißelte, wonach dieses Genre die Wirklichkeit »schlüssiger diagnostiziert als alles Bauchnabelpopeln deutschen Dichtergeweses«.

Der Schneemann (1981) – verfilmt mit Marius Müller-Westernhagen – entwickelte sich vom Best- zum Longseller, mit Übersetzungen in mehrere Sprachen. Das Buch gilt inzwischen als Meilenstein in der deutschsprachigen Kriminalliteratur. Fünf Jahre später – nach dem autobiografischen Drogenroman Rohstoff und dem exorbitanten Vermissten-Thriller Das Schlangenmaul – entstand Fausers letzter Krimi, den er in altvorderlicher Manier publizierte: als sechsteiligen Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift: Kant, ein Hard-Boiled- Meisterwerk über die banale Verlogenheit der Welt und die sagenhaften Selbstaustricksungsfähigkeiten des Menschen, mit einem fauserschen Helden im Strudel des Geschehens, der seinen Bauchnabel längst der Nachwelt der Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt vermacht hat.

Mit Der Schneemann und Das Schlangenmaul begann, fernab des sogenannten Soziokrimis in der Nachfolge des schwedischen Autorenpaares Sjöwall / Wahlhöö, die Zukunft des deutschsprachigen Kriminalromans. Weit über seine Ansprüche an einen »demokratischen Realismus« hinaus, wie er die Werke seines amerikanischen Kollegen Ross Thomas definierte, gelang Jörg Fauser die natürliche Verschmelzung von hochsprachlicher Prosakunst mit den Elementen der Spannungs- und Unterhaltungsliteratur. Wären seine Bücher Vorbild für alle Beteiligten, müssten Autoren sich schon lange nicht mehr fragen lassen, ob etwa ihre Kriminalromane »auch« Literatur seien, Kritiker könnten ihre Zeilen mit wesentlicheren Gedanken füllen und Leser bräuchten in Buchhandlungen nicht die Abteilung zu wechseln, wenn sie außer M. Walser noch eine Candice Fox mitnehmen wollen (oder einen Hammett, Chandler oder eine Vargas).

Fausers Bücher nach mehr als dreißig Jahren wieder zu lesen, allen voran Das Schlangenmaul, führte bei mir zu einem enormen Glücksschub. Sensationell, wie er dem flatterigen, ebenso desillusionierten wie von professioneller Neugier getriebenen Investigativjournalisten Heinz Harder die Aura eines geradezu klassischen Privatdetektivs verpasst, der auf der Suche nach einem angeblich verschwundenen Mädchen in die Klauen eines abscheulichen Verbrecherclans gerät und im letzten Moment mit dem Leben davonkommt.
Moral? Ein Wort für dröge Fußballanalysten (»Die Moral der Mannschaft war gut / schlecht / hat gestimmt …«). Harder hat keine Zeit für moralisch ausuferndes Gedöns. Hier geht’s um Politik und Menschenhandel, die alltägliche Korruption in den Hinterzimmern der Chefetagen und den Seelenzustand von Leuten, die meinen, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen, im Grunde jedoch nichts weiter sind als eine Horde hirnloser, menschenverachtender Selbstbefriedigungsegomanen.
Und mittendrin ein paar Frauen, um die zu kämpfen es sich trotz aller Scheinheiligkeit lohnt. »Ich legte auf, bevor sie mir noch mehr Lügen erzählen konnte, und saß nur da und trank das kalorienarme Cola Light und rauchte Zigaretten und hörte den Junkies zu und den Transis und den Pudeln und der Elektronikindustrie und der unselbständigen Einheit Westberlin an einem Freitagnachmittag im November … An so einem Nachmittag wirst du mal krepieren, dachte ich, in so einem Apartment, während sie über dir die Hitparade hören und nebenan ficken und unter dir jammern, dass an allem die spd schuld ist, und Polizeisirenen heulen und der Himmel sich verfinstert, aber nicht wegen dir, denn die Sirenen heulen, weil keiner sie mehr abstellen kann, und der Himmel verfinstert sich, weil es Abend wird. Aber es würde noch ein netter Tod sein verglichen mit dem, den Nuchali gehabt hatte …«
Harder ist hart, aber nicht herzlos, noch immer glaubt er an etwas, das dem Guten nahekommt, und wer ihm diesen Glauben mit Gewalt nehmen möchte, hat die Regeln nicht kapiert. Dann knallt Harder seine letzten Trümpfe auf den Tisch, und das Spiel ist aus.
Die Belohnung, die ihm am Ende zusteht, lehnt er mit einem Lächeln ab. Es ist das Lächeln eines Mannes, der längst begriffen hat, dass man Stolz nicht kaufen kann, und Liebe sowieso nicht.
»Eine gute Bar an einem Montagabend, bevor die Meute kam, mit dem ersten Drink des Tages und einer Frau, die zuhören konnte«, schrieb Jörg Fauser in einem seiner Bücher, »das war so viel Glück, wie ein Mann beanspruchen durfte.« Nur ein »fragiler Fetzen Mensch« (Fauser über Fallada) begreift, wovon hier die Rede ist, und wird nie den Grad der Feigheit erreichen, um sich vor solchen Sätzen in seinem geistigen Bauchnabel verstecken zu müssen.

Friedrich Ani
– mit freundlicher Erlaubnis von Autor und Verlag. Friedrich Ani bei CrimeMag. Am 17. Juni erscheint bei Suhrkamp sein Roman All die unbewohnten Zimmer.
- Jörg Fauser: Das Schlangenmaul (erstmals: Ullstein, Berlin 1985). Mit einem Nachwort von Friedrich Ani. Diogenes Verlag, Zürich 2019. 306 Seiten, 24 Euro. Verlagsinformationen.
- Jörg Fauser bei Diogenes hier.