Geschrieben am 15. Oktober 2016 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Film: Zwei Filme über wahre Verbrechen

Wahre Verbrechen

Zwei Filme über wahre Verbrechen und zweifelhafte Justizentscheidungen kommen im Oktober ins Kino: Vincent Garenqs Spielfilm „Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka“ und der Dokumentarfilm „Das Versprechen“ von Karin Steinberger und Marcus Vetter. Sonja Hartl hat sie sich für CrimeMag angesehen.

Über 30 Jahre lang beschäftigte der Tod von Kalinka Bamberski die Gerichte und die Öffentlichkeit in Deutschland und Frankreich. Das 14-jährige Mädchen wurde am 10. Juli 1982 morgens tot in ihrem Bett im Haus ihres Stiefvaters Dr. Dieter Krombach in Lindau aufgefunden. Krombach hat noch versucht, sie wiederzubeleben, konnte aber nach eigener Aussage nichts ausrichten. Aufgrund der rätselhaften Umstände wurde eine Obduktion angeordnet, die einige Widersprüchlichkeiten zutage förderte – jedoch führten die Ermittlungen nicht zu einer Verurteilung Dieter Krombachs (Sebastian Koch), der nach Meinung von Kalinkas André Bamberskis (Daniel Auteuil) seine Tochter missbraucht und ermordet hat. Damit beginnt Bamberskis verzweifeltes Ringen um die Wahrheit und sein zermürbender Kampf gegen die langsamen Mühlen der Justiz und den Einfluss der Diplomatie.

kalinkaIn den USA wäre es ein Rachethriller geworden

Bamberskis Kampf kulminiert schließlich im Oktober 2009 im elsässischen Mulhouse: In einem Hotelzimmer wird Bamberski festgenommen. Der Vorwurf lautet Entführung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Mit dieser Festnahme beginnt Garenqs Drama, um dann in das Jahr 1974 zurückzugehen und aus den glücklichen Zeiten der Bamberskis zu erzählen, ehe sich der Film langsam zu der Gegenwart des Jahres 2009 vorarbeitet. Mit dem rätselhaften Tod des Mädchen, den zweifelhaften Entscheidungen der deutschen und französischen Justiz sowie wiederholten Einflussnahmeversuchen auf politischer Eben hätte diese wahre Geschichte als Justizdrama erzählt werden können, im amerikanischen Kino wäre sie vielleicht zu einem Rachethriller geworden. Aber Vincent Garenq reduziert lange Zeit die Emotionalität seines Films und schildert fast nüchtern von den Auswirkungen des Todes und der nachfolgenden Entwicklungen auf Bamberksis Leben. Damit wird der Film zunehmend zu einem Psychogramm eines Vaters, der vom Opfer zum Täter wird.

Dank Autieuls Spiel und der reduzierten Emotionalität versteht es der Film dabei durchaus zu fesseln, allerdings gerät die sorgfältige Balance in den späten Jahren von Bamberskis Kampf plötzlich ins Wanken und droht zu kippen, als Bamberski urplötzlich Anzeichen von Paranoia und Wahnvorstellungen zeigt. Zuvor gab es keinerlei Grund, an seinen Überzeugungen zu zweifeln, da der Film, der auf Baberskis Buch basiert, zuvor eindeutig auf der Seite des Vaters stand.

Es ist sicherlich auf diese Hauptquelle zurückzuführen, dass einige interessante Aspekte des Falls nur am Rande vorkommen – beispielsweise die Winkelzüge von Justiz und Politik, die nur in ihren Auswirkungen, aber nicht in ihrem Entstehen präsent sind, oder auch das Verhalten von Kalinkas Mutter, die vehement an der Unschuld ihres zweiten Ehemanns festhält. Insgesamt aber ist „Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka“ ein solides und spannendes Drama über unglaubliche Vorkommnisse der deutschen und französischen Justiz.

filmHochgradig spannend erzählte Rekonstruktion

Während Vincent Garenq einen lange Zeit betont emotional gedämpften Zugang wählt, ziehen Karin Steinberger und Marcus Vetter schon mit den ersten Tönen ihres Dokumentarfilms – das Lied „I put a spell on you“ – sowie einer Montage aus Tatortfotos und Gerichtsbildern den Zuschauer in die spannende wahre Geschichte eines Doppelmordes und womöglich falschen Urteils. Am 30. März 1985 soll 19-jährige Jens Söring die verhassten Eltern seiner Freundin Elizabeth Haysom brutal ermordet haben, weil sie es sich von ihm gewünscht habe. Anschließend haben sie sich ein Alibi konstruiert und sind vor der US-Polizei quer durch Europa geflohen. Aber sie wurden gefasst. Jens Söring nahm an, sein Diplomatenpass würde ihn vor einer Auslieferung in die USA bewahren, so dass er in Deutschland vor Gericht gestellt und nach Jugendrecht verurteilt werde. Also gestand er gegenüber der englischen Polizei die Tat, um seine Freundin zu schützen – und wurde schließlich unter der Zusicherung, dass er nicht zum Tode verurteilt wird, doch an die USA ausgeliefert und zu zweimal 45 Jahren Haft verurteilt. Der Dokumentarfilm „Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich“ fragt nun, ob Jens Söring seit 1990 für einen Doppelmord im Gefängnis sitzt, den er nicht begangen hat.

Diese Frage führt zu einer hochgradig spannenden erzählenden Rekonstruktion einer Geschichte von einer fatalen Liebe, jugendlicher Hybris, Vorverurteilungen und Verfahrensfehlern. Der Film beginnt mit einer Rekonstruktion des Verbrechens, mit Tatortbildern, Gerichtsaufnahmen, Interviews mit den Ermittlern, die die Ereignisse nacherzählen und deren Aussagen die Schuld Sörings zu untermauern scheinen. Wer noch von diesem Fall gehört hat, findet sich somit einem hervorragenden True-Crime-Fictionfilm wieder: Tathergang und Gerichtsprozess werden rekonstruiert, den Motiven des Täters nachgespürt und hinzu kommen Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts, an der Objektivität der Geschworenen, an den Beweisen, der Ermittlungsarbeit und schließlich der Schuld Jens Sörings. Geschickt bauen Karin Steinberger und Markus Vetter aber kleine Brüche ein, die die größeren Zweifel vorbereiten: Forensische Spuren, die niemandem zugeordnet werden konnten, wurden im Prozess nicht verwendet, ein kriminalpsychologisches Gutachten des FBI ging verloren. Somit blieben lediglich Sörings mittlerweile widerrufenes Geständnis sowie ein blutiger Sockenabdruck, bei dem nicht ausgeschlossen werden konnte, dass er zu Söring gehört, als Indizien, die zum Schuldspruch führten. Die langsame Zersetzung der Indizienkette lässt immer mehr Spannung entstehen, die durch die Verknüpfung mit den gegenwärtigen Bemühungen, Jens Söring aus dem Gefängnis zu bekommen, noch gesteigert wird.

Beide Filme machen auf Schwächen aufmerksam

„Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich“ bietet alles, was von einem packenden Gerichtsdrama erwartet werden kann: Anfechtbare Beweise, einen selbstzufriedenen Hauptermittler, theatralisch auftretende Staatsanwälte, einen möglicherweise befangenen Richter, aufgedeckte Familiengeheimnisse und einen Privatdetektiv, der Sörings Unschuld beweisen will. Hinzu kommt das einstige Liebespaar, ein rational agierender, überlegter Jens Söring und eine emotionale, charismatische Eliabeth Haysom. Deshalb ist dieser Film trotz seines fernsehgerechten Untertitels ein sehr packender Dokumentarfilm, der aus seiner Positionierung auf Sörings Seite keinen Hehl macht.

Beide Filme machen auf die Schwächen der Justizsysteme in Deutschland, Frankreich und den USA deutlich. Dabei verbindet sie der Wunsch, dass die jeweiligen Fälle wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Denn ist die öffentliche Meinung, die hier Aufklärungsdruck ausüben kann. Und im Fall von Jens Söring zeigen sich erste Erfolge: DNA-Test beweisen, dass zwei Blutproben zwar dieselbe Blutgruppe wie Söring aufweisen, aber nicht von ihm stammen. Damit war ein zweiter Mann mit derselben Blutgruppe am Tatort war. Außerdem hat Sörings Anwalt beim Gouverneur von Virgina eine Petition eingereicht, bei der es nicht um Bewährung oder Haftüberstellung nach Deutschland, sondern die bedingungslose Anerkennung seiner Unschuld geht.

Sonja Hartl

Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka: Frankreich, Deutschland 2015, Regie: Vincent Garenq, Drehbuch: Vincent Garenq, Julien Rappeneau, Darsteller: Daniel Auteuil, Sebastian Koch, Marie-Josée Croze, Christelle Cornil, Lila-Rose Gilberti, Länge: 87 Minuten, Verleih: Koch Media

Das Versprechen: Deutschland 2016,  Regie: Marcus Vetter, Karin Steinberger, Kamera: Georg Zengerling,  Musik: Jens Huerkamp, Produktion; Louise Rosen, Ulf Meyer, Marcus Vetter; Länge: 133 Minuten

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