Geschrieben am 4. März 2019 von für Crimemag, CrimeMag März 2019

Ein Kapitel aus „King of Cool. Die Elmore Leonard Story“

Ein Mann wie Bronson

(Buchbesprechung von Thomas Wörtche hier in dieser CrimeMag-Ausgabe bei den „Bloody Chops“.)

Ein Auszug aus dem neuen Buch von Frank Göhre und Alf Mayer: Leben, Werk und Geist des großen Elmore Leonard in 20 Kapiteln umrundet. Hier geht es um den Übergang aus seinen Westernzeit zu den Kriminalromanen.

Wäre Sam Peckinpah der Regisseur von „Mr. Majestyk – Das Gesetz bin ich“ (1974), würden Cineasten diesen Film als Meisterwerk betrachten, notiert Barry Gifford 1988 in seinem Filmbuch „The Devil Thumbs a Ride“. Es sei Elmore Leonards Ausflug in den Spaghettiwestern, der wohl einzige Melonen-Western der Filmgeschichte.

Zwei Millionen Dollar kostet der Film, er spielt schnell das Zehnfache ein, wird ein beachtlicher Erfolg, bringt Leonard eine lebenslange Freundschaft mit dem Produzenten Walter Mirisch – und bis zum Lebensende jedes Jahr Tantiemen.

Als Roman ist es ein Übergangswerk, angesiedelt zwischen den Western des frühen und den städtischen Crime Novels des späteren Elmore Leonard. James Lee Burke fand: „Eines der besten Porträts von Berufsverbrechern, das ich je las, und in Sachen Stil und Dialog ein Ereignis.“

Dem ehemaligen Automobil-Werbetexter Leonard dürfte es gefallen haben, dass die Ford Motor Company mehrere Autojagdszenen aus dem Film für die TV-Spots während der Superbowl von 1976 verwendete. Ein cremefarbener Ford F-150 Pickup saust darin über Feldwege, Felsen und Abhänge, dass man die weiten Sprünge im Kinosessel spürt. Color by DeLuxe sagen die Filmcredits, MAJESTYK BRAND MELONS steht auf den Autotüren. Clint Eastwood aber, für den Elmore ursprünglich das – dann auch zum Roman umgearbeitete – Drehbuch schrieb, wollte keinen Melonenfarmer spielen, er schlug einen Artischockenzüchter vor, das kannte er aus seiner Nachbarschaft in Kalifornien. Die Filmgeschichte wäre um einige der sonderbarsten Szenen ärmer, hätte Eastwood seinen Willen gehabt und wäre das Projekt nicht an Richard Fleischer als Regisseur und Charles Bronson als Hauptdarsteller gegangen. 

Bronson, in seinem 65. Film, spielt den stoischen Melonenfarmer Vincent „Vince“ Majestyk mit nicht einer einzigen Geste oder Mundbewegung zu viel und Fleischer (sic!) inszeniert das sonderbarste Filmmassaker seit dem St. Valentins Day von Chicago. Mit unzensierter Lust ballern die Gangster aus vollen Rohren in die zu einem Berg angehäuften Melonen.
So viel aufgeplatzte rote Masse war nie. Ein lustvoller Pulp-Moment pur, und der einzige, bei dem Charles Bronson dann (fast) die Tränen kommen.

So sehr zerfetzte Melonen empören mögen, der deutsche Filmtitel „Das Gesetz bin ich“ ist aufgesetzt. Er sucht den Anschluss an einen anderen Bronson-Film, der ebenfalls 1974 in die Kinos kam. Nämlich die Verfilmung von Brian Garfields „Death Wish“, bekannt als „Ein Mann sieht rot“, im Frühjahr 2018 als Remake mit Bruce Willis wiederaufgelegt. Bronson ist darin ein Vigilant, der unter dem Beifall einer ganzen Großstadt das Recht in die eigene Hand nimmt.

Al Lettieri als Mafia-Killer Frank Renda

Als Mr. Majestyk aber ist er vor allem eins: ein Melonenfarmer, der sturköpfig nichts anderes will, als einfach nur seine Ernte einzubringen, allen fiesen Buben und einem ultrabösen Mafiakiller zum Trotz. Diesen Angst und Schrecken verbreitenden Frank Renda spielt Al Lettieri, der zwei Jahre vorher in Coppolas „Der Pate“ Virgil „Der Türke“ Sollozzo war. Renda hieß auch der Gefängnisboss in Elmores Western „Escape From Five Shadows“ (1956), einen Walter Majestyk wiederum gab es, aber als anderen Typ, in Elmores „Ein schlechter Abgang“ (The Big Bounce, 1969). Er war darin nicht die Hauptperson (sondern Frank Ryan), Elmore aber wußte, dass „Mr. Majestyk“ einen guten Buchtitel geben würde.

„Mr. Majestyk“ beginnt im Februar 1970, als Elmores Agent Swanie ihn informiert, dass Columbia einen Film über mexikanisch-amerikanische Obstpflücker und Feldarbeiter machen will. Nach einem Treffen mit Produzent Howard Jaffe schreibt Leonard ein Treatment mit dem Titel „Picket Line“ (Streikkette). Hollywood zahlt gut, im May 1970 machen die Leonards Ferien in England, Paris und segeln in der Ägaeis. Im Juli bringt MGM die Verfilmung von „The Moonshine War“ heraus (Regie: Richard Quine; mit Patrick McGoohan), im August entscheidet Jaffe, „Picket Line“ auf Halde zu legen. Im Oktober erscheint Leonards Westernroman „Valdez Is Coming“. Sein Alkoholismus wird kritisch, er kommt mit Magenblutungen aus Kalifornien zurück. Akute Gastritis. Anfang 1971 rät Swanson, aus „Picket Line“ einen Roman zu machen, der an das Fernsehen verkauft werden kann. Im Februar lanciert Swanson das Drehbuch „Sinola“ beim Produzenten Sidney Beckerman, mit einer Hauptrolle für Clint Eastwood – später wird daraus „Joe Kidd“, der letzte Western, in dem Eastwood nicht selbst Regie führt.

Im April hat „Valdez Is Coming“ Premiere, Burt Lancaster glänzt. Elmore Leonard ist glücklich, dass der Film genauso endet wie er ihn geschrieben hat. Mit „Joe Kidd“, wie „Sinola“ inzwischen heißt, wird er ein solches Erlebnis nicht haben. Clint Eastwood schreibt sich seine Rolle heldischer. Elmore beginnt im Oktober 1971 ein Filmtreatment namens „American Flag“, eine im Jahr 1910 angesiedelte Bergarbeitergeschichte ohne Cowboys und Indianer. Im Dezember ist der erste Drehbuchentwurf fertig, Steve McQueen soll der Star des Films werden. Der Film wird nie realisiert.
Im Februar 1972 empfiehlt Swanson seinem Autor, doch George V. Higgins brandneuen Kriminalroman „Die Freunde von Eddie Coyle“ zu lesen, die Dialoge und die Unterweltcharaktere seien großartig. Das Buch beeindruckt Elmore Leonard so, dass es ihn als Schriftsteller verändert. Später schreibt er zu einer Neuauflage das Vorwort und benennt den Einfluss: Higgins habe ihm gezeigt, wie man sich lockert und wie man schneller in die Szenen kommt. 

Noch bevor „Joe Kidd“ im Juli in die Kinos kommt, ruft Eastwood bei Leonard an – die Kinder überschlagen sich, weil der Held aus der Westernserie „Tausend Meilen Staub“ (Rawhide) am Telefon ist. (Zu dieser Serie bei CrimeMag hier: Das Moralisch Offene des Westerns.) Er bestellt „etwas wie ‚Dirty Harry’, aber ein wenig anders. Ein Kerl mit einer großen Kanone, er muss kein Gesetzeshüter sein.“ Leonard erzählt ihm in Umrissen von dem, was dann zu „Mr. Majestyk“ wird und schreibt ein Treatment. Im Oktober erscheint „Forty Lashes Less One“, Leonards komplexester Western. Clint Eastwood will keinen Melonenfarmer spielen und sagt das Filmprojekt ab. Anfang 1973 schreibt Leonard das Originaldrehbuch „Mr. Majestyk“, für das er viel Material von „Picket Line“ und den Namen Majestyk verwendet. Im Juni bietet Dell an, das Drehbuch als Roman zu bringen, macht einen Buchvertrag.

Leonard schreibt „Fifty-Two Pickup“, seinen ersten in Detroit angesiedelten Kriminalroman, das Buch erscheint im April 1974. In einer Skizze für eine Rede notiert er: „Meine Kriminalgeschichten spielen in der Gegenwart und meistens innerhalb einer kurzen Zeitspanne: ein paar Tage oder Wochen, mit einer gewissen Dringlichkeit, mit etwas, was bald geschieht. Mich interessieren keine Romane, die sich über Jahre hinziehen, das ist nicht mein Ding.“

Im Juni 1974 erscheint „Mr. Majestyk“ als Buch, der Film kommt einen Monat später heraus, wird ein Erfolg. Leonard besucht sein erstes Treffen der Anonymen Alkoholiker und trennt sich im gleichen Monat von seiner Frau.

Wie ein Leonard-Buch beginnt auch der Film im Hier und Jetzt. Eine schäbig-staubige Tankstelle im Nirgendwo, davor ein beiger Pritschenwagen, ein 1969er Ford F-150 Pickup mit der Aufschrift MAJESTYK BRAND MELONS an den Türen. Bronson kommt aus der Männertoilette, setzt sich seine Schiebermütze auf, lächelt halb verwegen, wickelt seine Zahlung fürs Benzin ab, schaut zu, wie ein alter, tiefliegender Straßenkreuzer heranschaukelt und eine unglaubliche Anzahl mexikanischer Gestalten ausspeit, als erstes eine Frau mit prächtig schwarzer Mähne: Linda Cristal, die von 1967 bis 1971 in der Western-Serie „High Chaparral“ die aus Mexiko stammende Victoria Cannon geb. Montoya, die zweite Ehefrau des Viehzüchters Big John Cannon (Leif Erickson), verkörpert hat.

Linda Cristal als Nancy Chavez

Bronson will eigentlich schon wegfahren, als er mitbekommt, dass der Frau die Toilettenschlüssel verweigert werden, erst der für die Damen, dann auch der für die Männer. Die stillen Örtchen seien kaputt, sagt der Tankwart. „Zerbrochen“ macht die deutsche Übersetzung im Buch aus broken: „Die Toilette ist zerbrochen.“ Das wird mehrmals wiederholt und dabei immer komischer. Bronson mischt sich ein. „Wann ist die Toilette zerbrochen?“, fragt er (im Buch). „Seit ich sie benutze?“ Nun ja, diese Zigeuner, sagt der Tankwart in der deutschen Filmfassung – „Migrants“ heißt es im Original wie im Film -, sein Chef wolle eben nicht, dass sie die Toiletten benutzen. Aber er sei doch nur Angestellter, nicht der Eigentümer, erteilt Bronson ihm eine Lektion in Klassenanalyse und sorgt dafür, dass alle auf die Toiletten können. 

Ob sie wegen Arbeit unterwegs seien, fragt Bronson die rassige Frau. Für alles, was gerade erntereif ist, antwortet sie. Ob sie sich mit Melonen auskenne, fragt er weiter. Mit Melonen, Zwiebeln, Salat, allem, was Sie haben, sagt sie. Wenige Sätze weiter ist ein Respekt etabliert und er weiß, dass sie Nancy Chavez heißt. Als sie erwähnt, dass sie und ihre Freunde helfen, die Landarbeiter zu organisieren, sagt Bronson, das mit der Gewerkschaft sei ihm egal. „Ich stelle ein, wen ich will. Hauptsache, Sie verstehen etwas von Melonen.“ Er heuert die Crew an. Es ist ein politisches Statement, 1974 in den USA, verstärkt noch durch die Referenz auf den Namen Chavez. Mit dem anderen dieses Namens (unausgeprochen also mit César Chávez, dem Gründer der US-Landarbeitergewerkschaft United Farm Workers, UWF) sei sie zwar nicht verwandt, sagt Nancy, aber im Amerika der Rassenunruhen-Jahre kann man kaum deutlicher sein. Elmore Leonard holt so den Stoff aus „Picket Line“ mit einem Bergarbeiterstreik von 1910 in die Gegenwart.

Gleich in der nächsten Szene geht es noch einmal um Rassismus und Ausbeutung. Wir wissen inzwischen, dass Mr. Majestyk in der laufenden Woche über 60 Hektar Melonen einzubringen hat, es ist seine zweite Ernte und seine Existenz hängt davon ab. (Honigmelonen macht die deutsche Romanübersetzung daraus, um sie uns schmackhafter zu machen, während der Film die grünweißen, großen länglichen Dinger zeigt.) Als Bronson und seine neuen Arbeiter auf der Farm ankommen, ist die Straße blockiert und es befinden sich fremde Leute auf dem Feld. „Weiße Einheimische“, betont ein Kerl namens Bobby Koppas, der das Wort führt und in seiner schleimigen Art den ganzen Film durch noch einige Male nerven wird. Koppas offeriert einen Dumpinglohn, Mr. Majestyk zahlt lieber fair und hat dafür Profis auf dem Feld. „Du hast den falschen Beruf“, ruft er Koppas nach, den er bei einem Gerangelt entwaffnet, eins auf die Nase gibt und verjagt.

„Noch am Nachmittag wurde er festgenommen“, beginnt Buchkapitel 3. Koppas hat Majestyk angezeigt, so landet er im Gefängnis und bei einem der pensionsreifsten Cops der Filmgeschichte, auf Action muss man bei Detective Lieutenant McAllen (Frank Maxwell) nicht warten, das ist schon beim ersten Anblick klar. Majestyk, so erfahren wir dramaturgisch perfekt gesetzt, hat eine Vorstrafe, saß schon ein Jahr im Gefängnis wegen einer Schlägerei. „Die andern haben ausgesagt, ich hätte angefangen. War aber nicht so.“ Außerdem ist er ein Kriegsheld mit einem Silver Star, in Laos mit einem Hubschrauber abgestürzt; er hat sich einer Übermacht erwehrt und Kameraden gerettet (der Film ändert das ein wenig, bleibt aber im Vietnamkrieg, macht ihn zum Ranger).  Später, mitten im Kampf, wird Majestyk (im Buch) einmal sagen: Du denkst, man zieht aus, um einen Orden zu gewinnen? Quatsch, man ist nur jemand, bei dem etwas schief geht, und dann hat man eben Glück, das ist alles.

Den ganzen Film durch macht Bronson wenig her, es gibt keinerlei Superman-Allüren.  Alles ist im buchstäblichen Sinne down to earth. Im Jahr von John Hustons „Chinatown“, Peckinpahs „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“, von Robert Redfords „Der große Gatsby“, Sidney Pollacks „The Yakuza“, Scorseses „Alice lebt hier nicht mehr“, Spielbergs „Sugarland Express“, Coppolas „Die Verschwörung“ und „Der Pate II“, Robert Altmans „Diebe wie wir“, Cassavetes’ „Eine Frau unter Einfluss“ und Monte Hellmans Willeford-Verfilmung „Cockfighter“ ist dieser Vincent Majestyk ein ganz und gar unspektakulärer, sympathisch bodenständiger Held. Ein Bauerntrottel, denkt der gefährliche Mithäftling Frank Renda, der noch sein blaues Bleiwunder mit ihm erleben wird. 

Mindestens sieben Morde hat er auf der Palette, Majestyk ist nicht sonderlich beeindruckt. Als ihr Gefangenentransport mitten in einer Kleinstadt überfallen wird – ein Gewaltausbruch, bei dem man den Spaß sieht, den der Dreh den Stuntleuten und Feuerwerkern gemacht hat -, behält er die Schlüssel für Rendas Handschellen, entkommt mit ihm, treibt ihn vor sich her durch die Wildnis. Zu einer Jagdhütte, die er kennt. Dort will Renda ihn mit einem Trip nach L.A., dann mit Mexiko und schließlich mit Frauen bestechen, Majestyk kontert, dort sei er schon gewesen und gebumst habe er auch schon mal. Schließlich bietet Renda ihm 25.000 Dollar, wenn er ihn laufen lässt. Mit einem Anruf „bei Wiley“ in Denver (im Buch: in Phoenix) lasse sich die Geldübergabe regeln.

Lee Purcell als Wiley, Al Lettieri und Taylor Lacher

Film wie Buch lenken den Blick dann auf ein Plakat mit „Es gibt nur eins, was Geld nicht kaufen kann: Armut“ in dem Tante-Emma-Laden in der Wüste, von dem aus Majestyk den Anruf tätigt und auch noch das Geld für zwei Bier mit anschreiben lässt. So sitzt er dann prostend mit dem Killer im Busch, als Wiley ankommt: eine super elegante junge Blondine in einem damals gerade brandneu auf den Markt gekommen roten 1964er Ford Mustang Hatchback (ein weißer Jaguar XK im Buch), Lee Purcell in einer Hingucker-Rolle voller scharfer und teurer Outfits, für die sie beim Dreh auch dauernd den Nagellack wechselte. Ob sie das Geld dabei habe, fragt Renda. Ja, klar, und schon bezahlt, wie am Telefon vereinbart. 3,80 Dollar. Unten in der Trading Post. 

Die Pointe sitzt wie bei Buster Keaton. Und es wird klar, dass Majestyk eben tatsächlich an seiner Ernte, nicht an 25.000 schnellen Dollars interessiert ist und einen Deal mit der Polizei gemacht hat, dass die Anklage gegen ihn fallengelassen wird. Leider aber geht die Übergabe des Delinquenten schief. Cop McAllen zuckt die Schultern, die Anklage gegen Renda wäre eh auf schwachen Beinen gestanden. Aber wenn mich jetzt umbringt, führt Majestyk den Plot weiter, dann wäre das hilfreich für die Polizei, meint er. Versuchter Mord würde auch reichen, beschwichtigt der Cop. Majestyk nimmt’s stoisch, dass er jetzt der Köder ist. 

Al Lettieri, Lee Purcell und auf dem Rücksitz Charles Bronson

Renda hingegen schäumt, nimmt es persönlich. „Dieser Kerl gehört mir!“ Diesen verdammten Melonenfarmer will er haben, will ihm die Pistole auf die Brust setzen und ihm in die Augen sehen, wenn er abdrückt. Statt sich nach Mexiko abzusetzen, bleibt er in der Gegend, lässt Majestyk drangsalieren und schließlich die Melonenernte demolieren – ebenjene großartige Pulp-Szene. Film wie Buch spielen inzwischen Klavier mit Figuren und Konflikten. Wenn Majestyk mit Nancy in einer Kneipe ist und es zwischen ihnen flirrt, sitzt dort auch Renda mit seinen Kumpanen und Lust & Gefahr & Tod sind nah beisammen.
„Sie wollen mit mir ins Bett. Warum sagen Sie es nicht?“, fragt Nancy. „Ich möchte sie gerne halten“, antwortet Majestyk in der deutschen Übersetzung des Romans (von 1987). Im Original hingegen kontert er: „Ich will’s nicht sagen. Ich will’s tun.“
Als Nancy auf die Toilette geht, setzt Renda sich zu ihm. „Ich werde dich töten“, zischt er. „Nun, dann habe ich wohl nichts zu verlieren“, kontert Majestyk, täuscht mit seiner Bierflasche an und haut Renda mit seiner Arbeiterfaust auf die Nase. Zeigt ihm, dass er keine an einen Pfosten gebundene Ziege ist. Wenn Renda ihn will, wird er dafür arbeiten müssen.
Und dann ist ja noch die Ernte. Die Polizei warnt, sie könne ihn und seine restlichen Melonen nicht schützen. „Also bin ich auf mich allein gestellt“, sagt Majestyk zum Cop McAllen. „Das war ich eh, von Anfang an.“

Und jetzt ist er da, der magische Moment in Western und in Leonard-Romanen: Der Held allein, das Schicksal in Bewegung, und die Coolness auf dem Prüfstand..

Majestyk will nicht warten, also dreht er den Spieß herum. Er sucht den Kampf, zwingt Renda ins Finale. Es folgen die wilden Sequenzen für die Ford-Werbung mit dem, was ein Pickup so kann, die Verfolgungsjagd zwischen dem F-150 Pickup und drei ollen schönen Straßenkreuzern auf Berg- und Landstraßen & Pampa. Ein Dodge Polara überschlägt sich, ein Plymouth Fury stürzt in eine Schlucht, ein Ford Econoline wird demoliert. Lauter Punktsiege für Majestyk. Renda realisiert: Das ist kein Farmer. Er war zu heiß auf diesen Kerl, hat nicht richtig hingesehen. 

Showdown dann in Rendas Versteck, einem edlen Jagdhaus. Eine Geckenranch, welch schönes Wort, heißt es in der Übersetzung, um sie auch einmal zu loben. „Frank, komm schon“, ruft Majestyk, „ich hab noch was zu arbeiten.“ Und dann ist er der bessere, einsame Samurai. Als die Bösen alle alle tot liegen und die Polizei eintrifft, sagt er zum müden Cop: „Sie hatten recht. Dieser Mann hat versucht, mich umzubringen.“ Die Kamera schwenkt hoch, zieht hinauf über Geckenranch, Wald und rotsandige Straße, der Blick weitet sich auf die Rocky Mountains im Hintergrund, gewaltig breit. Und plötzlich ist auch diese kleine, von Mätzchen völlig freie Geschichte richtig groß – und Breitwand.

In Martin Scorseses zwei Jahre später angelaufenen „Taxi Driver“ sieht man den Film in einem Kino angekündigt, in das Travis Bickle geht. In „Kill Bill“ hat Michael Madsen ein Plakat von „Mr. Majestyk“ in seinem Trailer hängen. Für Charles Bronson, geborener Karolis Dionyzas Bučinskis aus Litauen (1921-2003), der – obwohl ein Kriegsheld mit Purple Star – 1955 während der Kommunistenhatz des HUAC seinen Namen änderte, war es der einzige Film, in dem er als „Majestyk“ auf seine slawische Herkunft angesprochen wird. Seine Stunts, auch die als Fahrer, übernahm der große Paul Baxley, der William Shattner in der TV-Serie „Star Trek“ doubelte und in 120 Folgen der Actionkomödie „Ein Duke kommt selten allein“ (The Dukes of Hazzard) sämtliche Stunts koordinierte. Gedreht wurde der Film in La Junta, Canon City, Rocky Ford und Manzanola, alle Colorado, der Roman war in Arizona angesiedelt, aber als der Dreh begann war dort schon abgeerntet. Charles Bronson verdarb es sich am ersten Tag beinahe mit der gesamten Filmcrew, weil er wegen einer längeren Wartezeit ausrief: „Diese Produktion braucht  einen europäischen Regieassistenten und überhaupt europäisches Personal!“

Die Dreharbeiten für Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ und eine Handvoll anderer Filme wirkten noch nach. Bronsons Karriere ähnelte damals der von Clint Eastwood: Beide hatten im Fernsehen begonnen, waren für Western nach Europa gegangen und als Stars zurückgekehrt. Bronson war gar die Rolle des Namenlosen in „Für eine Handvoll Dollar“ angeboten worden, aber er hatte abgelehnt, so kam Clint zu Zug und Ruhm. Der wiederum wollte für „Spiel mir das Lied vom Tod“ keine Mundharmonika spielen, was für Bronson gut war. Bronson wäre zudem erste Wahl gewesen für „Superman“, für „French Connection“ (ging an Gene Hackman) und „Der weiße Hai“ (Robert Shaw). Der Film, der ihn am berühmtesten machte, „Death Wish – Ein Mann sieht rot“, war ursprünglich für Henry Fonda geschrieben, der entrüstet Nein! rief.

„Mr. Majestyk“, an dieser Stelle kann man das nun sagen, eignet sich aber auch als Lehrstück für Anschlussfehler. Es wimmelt von ihnen. Etwa bei dem Ford-Truck, der über staubige Straßen und Schlaglöcher, durch Bäche und Zäune saust und andere Autors rammt, dann aber ganz ohne Kratzer, Beulen und Flecken dasteht und überhaupt gerne die Farbe wechselt, von Creme zu Fahlgelb und zurück. Einmal koppelt Majestyk einen Anhänger ab und geht ins Haus, gleich darauf steht der Truck in die andere Richtung, der Anhänger ist verschwunden. Einmal fehlt bei der Verfolgungsjagd der linke Scheinwerfer, dann ist er wieder da. Bei den Szenen auf der Laderampe wechselt bei jedem Schnitt die Entfernung  zu den Verfolgern. Als Majestyk seinen zusammengeschlagenen Vorarbeiter im Krankenhaus besucht, tropft nichts aus der Infusionsflasche am Bett, einmal sieht man ein Sicherheitskabel bei einem Verfolgerfahrzeug. Trotzdem bietet der Film die besten Autojagden seit „Bullit“. Und eben jene Coolness, die purer Leonard ist. 

Bronson, damals einer der bestbezahlten Schauspieler der Welt und als Majestyk eine Studie in Understatement, verblüffte den Filmkritiker Roger Ebert, der ihn zu seinen Theorien über den Film befragte: „Ich habe keine. Ich bin nur ein Produkt wie ein Stück Seife, das bestmöglich verkauft werden muss. Was ich biete, das ist eine Präsenz. Ich brauche keine langen Dialoge, die meinen Charakter erklären. Meine Figuren kommen schon fertig in den Film – und legen los.“ Nebenbei erwähnte er dann, dass er als elftes von 15 Kindern, der Vater Analphabet und Bergmann, selbst zwischen 16 und 20 als Kohlekumpel und Zwiebelpflüger gearbeitet habe. 

„Get Shorty“, Elmores Hollywood-Roman, ist dem Produzenten von „Mr. Majestyk“ gewidmet: „Für Walter Mirisch, einen von den Guten.“

Auszug mit freundlicher Genehmigung aus:
Frank Göhre und Alf Mayer: King of Cool. Die Elmore Leonard Story. CulturBooks, Hamburg 2019. 240 Seiten, 15 Euro. Verlagsinformationen.

Die Autoszenen von „Mr. Majestyk“ auf Youtube:

Der Dialog zwischen Nancy und Vince im Original:
Nancy Chavez: If you want to go to bed with me, why don’t you say so? Vince Majestyk: I don’t want to talk about it, I want to do it.

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