Geschrieben am 1. Februar 2023 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2023

Dietrich Leder: Proust übersetzen (Teil II)

Vorbemerkung: Das ist der zweite Teil eines Textes, dessen Ursprungsfassung ich für Ulrich Peltzer schrieb, der (mit wenigen anderen) das Fach „Literarisches Schreiben“ in der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) aufbaute, aus Anlass seines altersbedingten Ausscheidens aus der Hochschule. Alles Gute für die Zeit nach der KHM, Ulrich! – Der erste Teil dieses Textes erschein bei uns in der Januar-Ausgabe 2023, d. Red.

6.

Die Übersetzung von Eva Rechel-Mertens, Proust, wurde nach dem Erscheinen der ersten Bände gefeiert. „Mit wenigen Ausnahmen fielen die Reaktionen auf das Unternehmen, eine vollständige Ausgabe der Werke Prousts in deutscher Übersetzung vorzulegen, begeistert aus“, fasst Nora Bruegmann ihre Lektüre der Pressestimmen zusammen.[1]Kritische Stimmen zur Übersetzung blieben die Ausnahme. Zu diesen ist ein Artikel zu zählen, den Walter Boehlich, 1955 nach dem Erscheinen der ersten beiden Bände in der Zeitschrift Merkur veröffentlichte.[2] Boehlich hatte wie Rechel-Mertens bei Curtius studiert und war 1947 sein Assistent in Bonn geworden.[3] Curtius hatte ihn zu dieser Zeit dem Merkur als Autor empfohlen.[4]

Dass Boehlich den Artikel über die deutsche Ausgabe der Recherche für den Merkur verfasste, hatte der Herausgeber der Zeitschrift, Hans Paeschke, angeregt.[5] Paeschke hegte allerdings Bedenken, ob Boehlichs Kritik nicht zu scharf ausfallen werde. Bedenken, die der Herausgeber aus Rücksicht auf den Verleger Suhrkamp, für den Paeschke anfangs tätig war, auf Curtius, der sich immer wieder in die Redaktionspolitik des Merkur einmischte, aber auch aus Rücksicht auf Rechel-Mertens hegte, die seit 1948 – ebenfalls auf Empfehlung von Curtius – eine Reihe von Texten für seine Zeitschrift aus dem Französischen übersetzt hatte.[6] Als Paeschke nach einem längeren Briefwechsel mit Boehlich[7]endlich dessen Text erhielt, muss ihm ein Stein vom Herzen gefallen sein, denn er lobte er ihn als „(…) ein Kunststück literaturkritischer Diplomatie (…)“.[8]

Denn Boehlich benennt rhetorisch geschickt zunächst den enormen Zeitdruck, unter dem die Übersetzerin stünde: „Ein halbes Jahr für einen Band von 600 bis 800 Seiten ist einfach zu wenig; niemand kann in diesem Zeitraum eine makellose Übersetzung zustandebringen.“[9] Das entschuldige Fehler der Übersetzung, die er erst nachfolgend auflistet. Seine Analyse beginnt zudem mit einem Kompliment: 

(…) aber den größten Dank schuldet man ihr für ihr Bemühen, Prousts Stil möglichst streng nachzubilden und dem deutschen Leser nichts zu ersparen, was auch dem französischen nicht erspart bleibt.[10]

Auf den nachfolgenden 18 Druckseiten reiht er dann die Fehler auf, die der Übersetzerin unterlaufen seien. Das sind Auslassungen, „(…) die gelegentlich nur ein Wort, bisweilen aber ganze Sätze ausmachen“.[11] Das sind Mängel auf bestimmten thematischen Feldern: „In höchst merkwürdige Unordnung ist sehr vieles geraten, was mit Architektur oder Plastik zusammenhängt“.[12] Das sind klassische Übersetzungsfehler, wenn ein Wort nicht im gemeinten, sondern nur im lexikalischen Sinne übersetzt wurde; so müsse es zu Beginn des ersten Bandes nicht „Gedächtnis der Seiten“, sondern „Gedächtnis seiner Rippen“ heißen.[13] „Jammerschade“ sei, dass die Übersetzung manche „charakteristische Feinheit der Proustschen Bildersprache“ verfehle.[14]

Am Ende lobt er die Übersetzerin erneut, die „eine seltene Geschmeidigkeit“ bei den Wortspielen entfalte: 

Es ist ganz köstlich, wie sie das Wortspiel serpent à sonnettes und serpent à sonates durch „Kreuzersonate“ und „Kreuzottersonate“ wiederzugeben weiß (…).[15]

Es ist Nora Bruegmann zuzustimmen, wenn sie schreibt, dass Boehlichs Artikel auf Mängel der Übersetzung aufmerksam machen wollte, „(…) ohne eine Fortsetzung zu gefährden“.[16] Eva Rechel-Mertens antwortete auf den Artikel öffentlich nicht. In einem Brief an Boehlich soll sie – laut Bruegmann – „einzelne Entscheidungen“ verteidigt und „einige Vorwürfe“ entkräftet haben.[17]

Ob der weit ausgreifende und zugleich in der Kritik sehr detaillierte Aufsatz seinem Autor Boehlich, der ja als Übersetzer aus dem Französischen, Italienischen, Spanischen, Schwedischen und Dänischen tätig war, eintrug, dass ihn Peter Suhrkamp zwei Jahre später im Verlag einstellte? Peter Suhrkamp wird nachgesagt, er habe über Boehlich geäußert, solch einen Kritiker könne man sich „draußen“ nicht leisten.[18] Seit dem 1. September 1957 arbeitete Boehlich dann drinnen, also bei Suhrkamp[19], und blieb dort die nächsten elf Jahre, viele davon als Cheflektor. Er wurde zu einem der wichtigen Programmgestalter dessen, was später suhrkamp culture genannt wurde. 1968 schied er nach einem Streit um Mitbestimmung mit Suhrkamps Nachfolger Unseld aus dem Verlag. 1964 hatte er dort die Sammlung „Marcel Proust. Briefe zum Werk“ [20] und 1967 eine erweiterte Ausgabe der Recherche in der Übersetzung von Rechel-Mertens herausgegeben.

Auch Rudolf Schottlaender, der erste Proust-Übersetzer in Deutschland, äußerte sich kritisch zur Neuübersetzung. Aber sein Text mit der Überschrift „Bemerkungen zu Problemen der Proustübersetzung an Hand des 1. Bandes (…)“ blieb gleichsam privat; er sandte ihn Ende 1953 an den Suhrkamp-Verlag. In diesem Text kritisierte er an der Übersetzung eine „(…) leichte – im einzelnen fast unmerkliche, aber oft wiederkehrende – Blässe, Schwerfälligkeit, Arryhthmie [sic!]“.[21] Und er fügt viele Beispiele an, in denen er sich von der Übersetzung eine größere Emotionalisierung wünschte.[22] Nora Bruegmann konzediert nach sorgfältiger Prüfung des Schottlaender-Textes, dass seine Vorschläge konsequent seien und auf eine stimmige Übersetzung hinausliefen. Aber sie hätten, wären sie vom Verlag angenommen worden, innerhalb der Übersetzung von Rechel-Mertens zu „störenden Stilbrüchen“ geführt.[23]

Privat blieb auch die Kritik eines renommierten Suhrkamp-Autors. Der Literaturwissenschaftler Peter Szondi vertraute seine Kritik der Übersetzung, die im Satz gipfelt, dass er „(…) niemandem mehr Proust auf Deutsch zu lesen empfehle (…)“, allein seinem Freund Ivan Nagel in einem Brief an.[24] Szondi engagierte später für seinen Lehrstuhl an der FU Berlin, den er 1965 erhielt, einen jungen Schweizer Germanisten – sein Name: Luzius Keller.

Der erste Band „In Swanns Welt“, der 1953 in einer Erstauflage von 4.000 Exemplaren und zum Preis von 19,80 DM erschien, war rasch ausverkauft. Das berichtet jedenfalls Theodor W. Adorno im Januar 1954 in einem Heidelberger Vortrag.[25] (Nora Bruegmann beziffert in ihrer Dissertation die Erstauflage fälschlicherweise, wie ja die Abbildung des Impressums von Band 1 zeigte, auf 5.000 Exemplare.)[26] Die weiteren Bände erschienen dann in einer Auflage von 6.000 Exemplaren. Das Erscheinen war von einer Werbekampagne begleitet, die beispielsweise darauf abzielte, dass sich deutschsprachige Schriftsteller zu Proust und dem Roman äußern sollten.[27] Die zweite Auflage aller Bände umfasste 3.000 und die dritte Auflage, die 1962 erschien, 2.000 Exemplare. Der Band „Sodom und Gomorra“ wurde gar ein viertes Mal 1963 aufgelegt.[28] Irgendwann verschwand der Name des Rascher-Verlags auf der Titelseite; er wurde 1969 aufgelöst. 

Die Gesamtzahl der verkauften Exemplare der Übersetzung von Rechel-Mertens einschließlich aller Sonder- und Buchgemeinschaftsausgaben gibt Unseld 1982 mit 400.000 Exemplaren an. Diese Exemplare hat der Verlag aber nicht schnöde verkauft, sondern „in die Hand von Lesern geben können“.[29] Soviel Überhöhung des Merkantilen muss schon sein, vielleicht weil Proust für Suhrkamp denn doch ein gutes Geschäft war. 

Der Satzspiegel der ersten Ausgabe wurde später, spätestens mit der zehnbändigen Ausgabe im Kleinoktav-Format die 1979 erschien, verändert.[30] So umfasst der Band „In Swanns Welt“ in der Erstausgabe von Suhrkamp – auch dank Leerseiten nach jedem der drei Teile – 628 Seiten und in der Kleinoktav-Ausgabe nur 564 Seiten. Hinzukommt, dass in der Erstausgabe die Bände einzeln paginiert sind, während in der Kleinoktav-Ausgabe der gesamte Roman durchpaginiert wurde. Das sorgte bei Zitaten für ein gewisses Durcheinander; man muss stets genau die Ausgabe zur Hand haben, die von den Zitierenden verwendet wurde. 

Merkwürdig auch, wie Suhrkamp die einzelnen Bände im jeweiligen Haupttitel annotiert. In der Erstausgabe folgt nach dem in Großbuchstaben geschriebenen Titel des Romans in römischer Ziffer die Nummer des jeweiligen Bands und dann dessen Titel, ebenfalls in Großbuchstaben, wie zu sehen war. 

In der Kleinoktav-Ausgabe folgt auf den in Großbuchstaben geschriebenen Titel des Romans die Schreibung „Band“ mit der Nummer in arabischer Ziffer und dann der nun normal geschriebene Titel des Bandes. Zwei Seiten weiter wird der Band nur mit dem Titel in Großbuchstaben genannt. 

In der von Luzius Keller revidierten Ausgabe in drei Bänden folgen auf den in Großbuchstaben geschriebenen Titel des Romans die Schreibung „Band“ mit der Nummer in arabischer Ziffer und dann der ebenfalls in Großbuchstaben geschriebene Titel des Bandes. Zwei Seiten weiter wird dieser ebenfalls in Großbuchstaben geschriebene Titel wiederholt, steht dort aber unter der allein in arabischer Ziffer geschriebenen Nummer. Dann folgt die Widmung, die Proust dem ersten Band voranschickte und die bisher weder bei Schottlaender noch bei Rechel-Mertens aufgetaucht war.[31]

Diese Widmung galt Gaston Calmette.[32] Mit ihr bedankte sich Proust beim Direktor des Figaro dafür, dass dieser zwischen 1907 und 1913 eine Reihe seiner Texte abgedruckt hatte.[33] Dem Erscheinen der Recherche als Fortsetzungsroman im Figaro hatte Calmette allerdings nicht zugestimmt.[34] Calmette wurde ein Jahr nach Erscheinen des Bandes von der Frau eines von ihm in der Zeitung attackierten Politikers erschossen; sein Tod liest sich, als wäre er Teil „eines Romans von Balzac“[35] (und eben nicht von Proust). 

(Abbildungen 3 und 4)

Die Kleinoktav-Ausgabe wurde in zehn Bänden herausgegeben, da „Die Welt der Guermantes“ und „Sodom und Gomorra“ – wohl aus Gründen der Bindung – auf jeweils zwei verteilt wurden. In der Ausgabe der Edition Suhrkampvon 1964 umfasst der Roman gar 13 Bände. 

In diesen neu gestalteten und neu gesetzten Ausgaben wurden einige, aber nicht alle der von Boehlich monierten Fehler korrigiert; so heißt es beispielsweise nicht mehr, dass der Glockenturm „Flüge von Raben“[36] entließ, sondern richtig „Schwärme von Raben“.[37] Zwischen dem nun als Lektor tätigen Boehlich und der Übersetzerin Rechel-Mertens kam es anlässlich dieser Korrekturen zu brieflich geführten Diskussionen.[38] Letztendes beharrte die Übersetzerin aber auf der Kontinuität eines gewissen Stils, den sie gewählt habe und dem sie sich nun verpflichtet fühle. Unstrittig waren die Anpassungen vor allem der ersten Bände an die 1954 in Frankreich erschienene Neu-Ausgabe von Pierre Clarac und André Ferré. 

All das floss in eine dreibändige Dünndruck-Ausgabe ein, die Suhrkamp 1967 herausbrachte und die von Walter Boehlich betreut worden war. Sie enthält zusätzlich erstmals ein Personenregister sowie einen kleinen Anmerkungsapparat, in dem Anspielungen und Zitate des Romans nachgewiesen werden.[39] Beides ist in der hier mehrfach thematisierten Kleinoktav-Ausgabe, die 1979 erschien, nicht enthalten. Bis zu einer umfassenden Revision der Übersetzung von Rechel-Mertens vergingen noch einige Jahre. 

Kein großes Problem für manche Proust-Leser. Oder wie soll man den Herrenwitz anders verstehen, den Peter Blumenthal in einem Aufsatz, der in der ersten Publikation der Marcel Proust Gesellschaft 1982 abgedruckt wurde, gleich zu Beginn loswurde? 

Literarische Übersetzungen, so will es ein geflügeltes Wort, haben etwas mit Frauen gemeinsam: sind sie schön, so sind sie nicht treu – und umgekehrt.[40]

7.

Die revidierte und mit vielen Anmerkungen befrachtete Übersetzung von Keller und Laemmel blieb nicht von Kritik verschont. So hat sich zu ihr Anita Albus mehrfach kritisch geäußert.[41] Mitunter mögen ihre Monita Petitessen sein, wenn auch hübsche wie die von ihr kritisierte Übersetzung von daube de bœuf als „Rinderfilet“ und eben nicht als „Rinderschmorbraten“.[42] Das Rezept für diesen „Rinderschmorbraten mit Karotten“ findet sich im Band „Zu Gast bei Marcel Proust“, in dem der „große Romancier als Gourmet“ – so der Untertitel – gewürdigt wird.[43] Dieser Bild- und Rezeptband reiht sich ein in die Gruppe der Coffee Table Books, zu denen Proust seine Fans und Vermarkter posthum immer wieder verführt; das eingangs erwähnte Buch von Ursula Voß wäre hier einzureihen, wenn es in Gestus und Ausstattung nicht so viel bescheidener wäre und es nicht vor allem auf schönste Weise zum Lesen des Romans einlüde.

Die Kritik von Anita Albus erhält Gewicht, wenn es um Übersetzungsfehler in bedeutsamen Szenen des Romans geht. Als ein Beispiel sei die Handbewegung genannt, die Gilberte im Garten des Hauses ihres Vaters Swann dem Ich-Erzähler, der an diesem Garten mit Vater und Großvater vorbeispaziert, gegenüber vollführt: un geste indécent.[44]Diese Geste wird in der Fassung von Rechel-Mertens sowie in der durch Keller revidierten „eine nicht ganz anständige Bewegung“ mit der Hand[45] genannt, obgleich sie – so Albus – doch klar „unanständig“ gewesen wäre.[46] Das hatte schon Schottlaender so gesehen. Bei ihm heißt es denn auch: „eine unanständige Gebärde“.[47] Stefan Zweifel übersetzt aus den Druckfahnen der ersten Fassung: „(…) und ihre Hand vollführte gleichzeitig eine unzüchtige Geste (…)“.[48] Bei Bernd-Jürgen Fischer – siehe zu dieser Übersetzung unten mehr – ist es gleich „eine obszöne Geste“.[49]Michael Kleeberg, der 2002 den ersten Teil von Band 1 übersetzte und unter dem Titel „Combray“ publizierte, formuliert deutlich zurückhaltender „eine unfeine Geste“.[50] Albus beschreibt im übrigen die Geste so, dass man ihren obszönen Charakter endlich versteht.

Bei der Beurteilung dieser unterschiedlichen Übersetzungen ist zu beachten, dass diese Geste vom Ich-Erzähler im nachfolgenden Satz selbst in den Kontext seiner Erziehung gestellt wird: Sie war „(…) nach dem kleinen Höflichkeitskodex, den ich in mir trug, eindeutig eine ganz bewußte Ungezogenheit“.[51] Gilberte wird dem Ich-Erzähler viele Jahre später und 3500 Seiten des Romans[52] weiter erklären, dass diese Geste eine Einladung zu sexuellen Spielen gewesen sei, die in den Ruinen eines Schlosses stattfanden: 

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gerne ich Sie dort getroffen hätte; ich erinnere mich sehr gut, wie ich – da mir nur eine Minute dafür zu Gebote stand, Sie wissen zu lassen, was ich mir wünschte – es Ihnen auf die Gefahr hin, von Ihren und meinen Eltern dabei gesehen zu werden, auf eine so offenkundige Weise zeigte, daß ich mich jetzt noch schäme.“[53]

Nun war ihr Vater Swann an diesem Tag vor vielen Jahren, vom dem sie spricht, gar nicht dort, also im Garten der ländlichen Villa, gewesen, sondern in Paris. Trübt vielleicht Scham die Erinnerung von Gilberte? Dann wäre dieses Vergessen ein Reflex des Verrats, den sie an ihrem Vater beging, als sie sich von ihm, dem jüdischen Aufsteiger, „unter dem Druck des Antisemitismus der Dreyfus-Affäre“ – wie Isenschmid schreibt[54] – distanzierte, um in der Adelsgesellschaft, in die erst ihre Mutter, dann sie selbst einheiratete, akzeptiert zu werden. Sie wechselt die (Nach-)Namen wie ihre sozialen Rollen. Für den Roman verbindet sie so die unterschiedlichsten Milieus – bis hin zu den deutschen Soldaten, die Combray erobern und im Stellungskrieg in Schutt und Asche legen. „Sie hat die Fähigkeit, Querverbindungen, Transversalen, neue Kombinationen zu finden (…)“, charakterisiert Volker Roloff die Figur der Gilberte.[55]

Nicht Scham, sondern politisches Kalkül war es, was zwei Literaturwissenschaftler, Paul le Man und Hans Robert Jauß, die sich beide mit der Recherche beschäftigten, ihre jeweilige Geschichte im Nationalsozialismus systematisch übertünchen ließ, so dass diese erst jeweils post mortem ans Tageslicht kamen. Paul de Man hat in seinem Buch „Allegorien des Lesens“, das Grundlagen für das legt, was er eine dekonstruktiven Lektüre nannte, den Roman in einem Kapitel untersucht.[56] Jauß hatte Mitte der 1950er-Jahre eine umfangreiche Studie zur Struktur des Romans vorgelegt, die ihn zu einer wichtigen Figur der Rezeptionsästhetik nicht nur in Deutschland erhob.[57] De Man vergaßdie antisemitischen Texte, die er einst in Belgien verfasste.[58] Und Jauß vergaß seine erfolgreiche Karriere in der Waffen-SS, in der er es bis zum Hauptsturmführer brachte.[59]

Selbstverständlich liegen Welten der Schuld zwischen dem gebürtigen Belgier Paul de Man, der in einer gewissen Phase der deutschen Besetzung Belgiens und zwar zwischen 1940 und 1941 für Kollaborationszeitungen schrieb, und dem SS-Offizier Jauß, der vermutlich an Kriegsverbrechen beteiligt war. Gemeinsam ist aber, dass sie, die wichtige Teile ihres Lebens als junge Männer – de Man ist 1919 geboren, Jauß 1921 – in der Nachkriegszeit aktiv vergaßen, sich zu Fachleuten des unwillkürlichen wie des vom Willen gesteuerten Erinnerns der Recherche aufschwangen.[60]

Eva Rechel-Mertens hatte übrigens eine vom Verlag bezahlter Hilfskraft zugearbeitet. Im Briefverkehr mit der Übersetzerin wird sein Name folgendermaßen genannt: Dr. Robert Jauß, sie nennt ihn einmal: „Dr. J.“.[61]

8.

Zurück zu der oben thematisierten Passage, sie lautet in der Übersetzung von Kleeberg:

Die dämmerige Kühle meines Zimmers verhielt sich zur prallen Sonne auf der Straße wie der Schatten zum Sonnenstrahl, war also ebenso lichtdurchflutet wie er und bot meiner Phantasie das gesamte Spektrum des Sommers dar, das meine Sinne, wäre ich spazierengegangen, nur stückchenweise hätten genießen können; daher paßte sie auch gut zu meiner Ruhestunde, die (dank den in meinen Büchern erzählten Abenteuern, die sie aufgestört hatten), ähnlich wie eine ruhende Hand, die reglos unter fließendes Wasser gehalten wird, den Schock und den Trubel einer Flut von Geschehnissen über sich ergehen ließ. 

Aber meine Großmutter kam, selbst wenn das zu heiße Wetter umgeschlagen war, wenn es ein Gewitter oder auch nur einen Schauer gegeben hatte, und redete mir zu, vor die Tür zu gehen. Und da ich nicht von meiner Lektüre lassen wollte, las ich denn auch im Garten weiter, unter der Kastanie, in einer Art Hütte aus Flechtwerk und Leinwand, in deren Inneren ich hockte und wo ich mich vor den Blicken der Leute verborgen glaubte, die etwa meine Eltern besuchen kämen.[62]

Den zweiten Teil des ersten Bandes brachte Kleeberg zwei Jahre später unter dem Titel „Eine Liebe Swanns“ heraus, wobei der dritte und kleinste Teil Noms de pays: le nom unübersetzt blieb.[63] Die Proust-Gemeinde goutierte Kleebergs Übersetzung nicht. Hanno Helbling verfügte in der Neuen Zürcher Zeitung beispielsweise, es sei eine „stümperhafte Arbeit“.[64] Der Kritiker, im Hauptberuf über 24 Jahre Feuilleton-Redakteur eben dieser Zeitung, las Kleebergs Übersetzung gleichsam als Konkurrent, übersetzte er doch just zu dieser Zeit ebenfalls Proust.[65]

Vielleicht ätzte Kleeberg in einer Buchkritik der hier bereits zitierten Proust-Biografie von Tadié vier Jahre später die Jünger dieser Proust-Gemeinde mit dem Satz, manche besäßen „Reliquien des Meisters, die ab und zu vorgezeigt wurden und berührt werden durften“, während ihnen der Text des Romans „fast nebensächlich“ sei.[66] (Etwas Ähnliches hatte einst Stephen Greenblatt bei „einer geradezu hagiographischen Proust-Ausstellung“ beobachtet.[67]) Die Jünger der Proust-Gemeinde hätten, schreibt Kleeberg weiter, Proust „zum Distinktionsmerkmal im postmodernen Klassenkampf“ gemacht: „Schlimmer könne man ihn nicht missbrauchen“.[68]

Am Ende dekretiert er: „Wer dieses Buch richtig liest, wird nie mit ihm zurande kommen (…)“.[69] Also ist nicht nur die Übersetzung der Recherche, wie Schottlaender sagte, eine unendliche Aufgabe, sondern bereits deren Lektüre. Aber war nicht schon das Verfassen des Romans eine unendliche, da unvollendete Aufgabe?[70] Gilt das nicht auch für die Editionsgeschichte des Originals, wenn Rainer Warning schreibt: „Der Text der Recherche mag prekär sein und bleiben“?[71] Und gilt das nicht ebenso für die Rezeptionsgeschichte angesichts „einer ins schier Unermessliche angewachsenen Forschungsliteratur zu Proust“, die Stephan Leupold jüngst konstatierte?[72]

„Schreiben ohne Ende“ wurde ein Symposion der Marcel Proust Gesellschaft im Jahr 1992 überschrieben.[73] Es scheint, als ob sich das Unendliche des Schreibens, des Herausgebens, des Übersetzens, des Lesens und des Interpretierens letzten Endes potenzierte. Wollen sich so die Herausgeberinnen und Herausgeber, die Übersetzerinnen und Übersetzer, die Leserinnen und Leser wechselseitig ob ihrer Anstrengung[74] selbst loben? Wollen sie dank des von ihnen Erlesenen zu einem Kreis der Auserlesenen zählen? Wenn ja, dann ähnelt die Proust-Gemeinde dem petit clan, über dessen Zugehörigkeit im Roman Madame Vendurin wacht, und bildet so eine Sekte eigener Art. 

9.

Ab 2013 erschien bei Reclam die dritte vollständige Übersetzung des Romans auf Deutsch von Bernd-Jürgen Fischer. Dort lautet die Passage folgendermaßen:

Die dunkle Kühle meines Zimmers verhielt sich zu dem vollen Sonnenschein in der Straße wie der Schatten zum Lichtstrahl, das heißt, sie war genauso hell wie dieser und bot meiner Phantasie das ganze Schauspiel des Sommers, das meine Sinne, wenn ich einen Spaziergang gemacht hätte, nur bruchstückhaft hätten aufführen können; und sie fügte sich auch gut zu meiner Ruhe, die (dank der erschütternden Abenteuer, die in meinen Büchern erzählt wurden) gleich der Ruhe einer unbeweglichen Hand inmitten eines fließenden Gewässers dem Ansturm und der Lebhaftigkeit eines reißenden Handlungsstromes standhielt.

Meine Großmutter aber kam, sobald sich die größte Hitze des Tages gelegt hatte oder nachdem ein Gewitter oder auch nur ein Schauer vorübergegangen war, und beschwor mich, hinauszugehen. Und da ich meine Lektüre nicht unterbrechen wollte, ging ich wenigstens hinunter in den Garten und setzte sie unter der Kastanie fort, in einer kleinen Laube aus Flechtwerk und Segeltuch, in deren Hintergrund ich dann saß und mich sicher fühlte vor den Blicken der Leute, die meinen Eltern einen Besuch abstatten könnten.[75]

Fischer hat sich in seinem „Handbuch“ zum Roman, das er ein Jahr nach Fertigstellung seiner Übersetzung bei Reclam publizierte, zu den früheren Übersetzungen angenehm zurückhaltend geäußert. Seine eigene Arbeit erläutert er auf den letzten 16 Seiten dieses Textes. Hier geht er beispielsweise auf die Schwierigkeiten ein, ein bestimmtes „onomatopoetisches Spiel“, das Proust im Umfeld der Beschreibung von Vinteuils Sonate betreibt, ins Deutsche zu übertragen.[76] Und er benennt das Problem, den „derb-erotischen Konnotationen“ in den Ausrufen der Straßenhändler „Genüge tun zu können“, wofür er das Beispiel gibt, „»Römersalat« oder «Artischocke«“ durch „»Feige« und »Pflaume« ersetzt“ zu haben.[77]

Am Ende zitiert er Proust, der in einem Brief an Constantin de Brancovan im Januar 1903 schrieb: 

Wenn es Fehler in meiner Übersetzung gibt, dann in den klaren und einfachen Partien, denn die unklaren, schwierigen sind über Jahre hinweg begrübelt, umgearbeitet, ergründet worden.[78]

Diesen Briefauszug ans Ende der Reflexion der eigenen Übersetzungsarbeit zu setzen, könnte man als Anflug einer gewissen Eitelkeit des Übersetzers deuten. Vielleicht schimmert hier aber eher ein gewisser Trotz durch, der sich bei Fischer bildete, nachdem die ersten Rezensionen seiner Übersetzung kritisch ausgefallen waren.[79]

Ina Hartwig kam beispielsweise in ihrer Kritik für die Süddeutsche Zeitung zu diesem Resümee: 

Zu schwankend sind bei Fischer die Sprachebenen; mal altertümelnd, dann wieder kommt (…) eine allzu forsche Färbung herein. Sicher, „Fehler“ lassen sich in jeder Übersetzung nachweisen. Was die Neuübersetzung eines Klassikers aber leisten muss, ist, den Ton zu treffen, den des Werks wie den der Gegenwart. Bei Fischer fehlen Glanz und zeitgenössischer Drive.[80]

10.

Vergleicht man nun all diese hier zitierten Übersetzungen, fallen Unterschiede in der Wortwahl, im Satzbau und im Rhythmus auf. Mal klebt die Übersetzung eng am Verlauf des Originals, mal gewinnt sie eine gewisse Autonomie, wenn sie gleichsam in die Alltags- und sogar Regionalsprache jener Gegenwart ausbüxt, in der die Übersetzung angefertigt wurde, mal historisiert sie mit einer Sprache, wie sie in Deutschland zur Zeit der Handlung des Romans gesprochen wurde. Mal wird etwas überdeutlich, mal bleibt es selbst bei der zweiten Lektüre rätselhaft. Mal klingt das, was wörtlich übersetzt wurde, allzu statisch, so dass der Rhythmus oder das Zusammenklingen flöten geht. Was jeweils besser ist, mag die geneigte Leserin, der geneigte Leser selbst entscheiden.

Tiefer als der hier stattgefundene Vergleich der Übersetzungen am Beispiel der zufällig gefundenen Passage reicht die erwähnte Studie von Nathalie Mälzer, in der mehrere Passagen des Romans in den Übersetzungen von Schottlaender, von Benjamin und Hessel sowie von Rechel-Mertens neben einander gestellt und in Konkurrenz gesetzt werden. Gleiches gilt für die ebenfalls erwähnte Arbeit von Nora Bruegmann, in der die Übersetzung von Rechel-Mertens mit den Detailkritiken und besonders ausführlich mit den Revisionen von Keller konfrontiert wird.[81] Beide Publikationen seien allen empfohlen, denen dieser Text zu oberflächlich bleibt.

Grundsätzlich zu bedenken sind die Sätze, die Walter Boehlich 1994 den Übersetzern ins Aufgabenheft schrieb:

(…)

Das Vokabular der Übersetzung muss den Sprachzustand des Originals widerspiegeln, aber nicht imitieren. (…) 

Der Übersetzer darf nicht verschönern und soll nicht modernisieren. (…) 

Jede Übersetzung kann nur Bruchstücke des semantischen Reichtums des Originals retten.

Die Übersetzung ist im besten Falle ein vom Original grundsätzlich unterschiedener eigener Text.

Übersetzen ist unmöglich. 
(…)[82]

Im übrigen gilt, was Nathalie Mälzer festhält: 

Der Vorwurf, eine Übersetzung sei fehlerhaft, lässt immer offen, was bei einer Übersetzung als Fehler angesehen werden könne; der Leser hat fast immer den Eindruck, die Antwort sei eigentlich evident. Meist ist sie es jedoch nicht: meist ist es schlichtweg unsinnig zu behaupten, eine Übersetzung sei »falsch«, die andere »richtig« – oder gar »richtiger«.[83]

Mälzer bezieht sich in ihren grundsätzlichen Überlegungen zu den Aufgaben einer Übersetzung mehrfach auf Henri Meschonnic, der beispielsweise in seinem Buch „Ethik und Politik des Übersetzens“ erklärt:

Beim Übersetzen geht es nicht nur darum, was ein Text sagt, sondern noch um das, was er macht, um mehr als den Sinn, um die Kraft, den Affekt.[84]

So richtig das auch ist, bleibt die Frage, ob der Affekt des ersten Lesers (und Übersetzers) identisch mit jener ist, den jemand verspürt, der das Übersetzte liest? Und wie wäre über diese Affekte zu schreiben? Ein besonders eindrückliches Beispiel sei genannt. Saul Friedländer schreibt am Ende seines Essays „Proust lesen“ über den Grund, der zu seiner sich hier ausdrückenden Beschäftigung mit der Recherche führte: 

Durch mein ganzes Leben hindurch habe ich mich weder an das Läuten einer Gartenglocke noch an irgendwelche Schluchzer zurückerinnert, wie es dem Erzähler widerfuhr, nur ein tiefer Schmerz begleitet mich bis heute: die Erinnerung an die niemals wiederkommende Mutter. [85]

Die Mutter von Saul Friedländer wurde in Auschwitz ermordet. 

11.

Bleibt ein letzter Versuch. Welchen Text generiert eine Übersetzungssoftware[86] aus den zitierten Absätzen? Ich gab den Proust-Text bei Deepl ein. Hier das Ergebnis:

Auch wenn diese Übersetzung lexikalische Fehler aufweist, weil übertragene Bedeutungen nicht erkannt wurden, ist sie in vielem anderen den Übersetzungen überraschend nahe, was die Übersetzerinnen und Übersetzer irritieren sollte.

12.

Jenseits der Frage, ob die jeweilige Übersetzung in irgendeiner Form stimmt – und was immer Stimmigkeit heißen mag –, oder ob sie das Original verfehlt, was leichter zu entscheiden ist, provoziert der Vergleich Überlegungen zur literarischen Stilistik, die hier aber nicht zum „Geheimnis großer Literatur“ hochstilisiert werden soll.[87] Michael Maar, der dieses Geheimnis entschlüsselt haben will, ernennt Proust zum „Großlogenmeister des Stils“.[88]

Maar denkt also ebenfalls in den Kategorien einer (Freimaurer-)Sekte, der er im übrigen selbst angehört. Denn er rezensierte beispielsweise 1994 für Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) die revidierte Übersetzung von Keller, die damals mit dem ersten Band vorlag, und erteilte dieser sein Plazet: „Die Eingriffe von Keller sind in neun von zehn Fällen berechtigt.“[89] Fünf Jahre später gab Maar mit Rainer Speck einen Ausstellungsband zu Proust heraus, in dem der hier mehrfach zitierte Aufsatz von Unseld zu den Suhrkamp-Ausgaben abgedruckt ist. 2009 veröffentlichte Maar den schmalen Band „Proust Pharao“, der sieben seiner Aufsätze zum Thema versammelt. In dem dort abgedruckten Text „Spargel mit Fissuren“ beschreibt er seine Leseerfahrungen mit Proust, die er aber verallgemeinert: 

Wenn man Proust zum ersten Mal liest, streicht man die Stellen an, die berühmt sind, ohne daß man von ihrem Ruhm wüsste (…).[90]

Wenn dem mal so sei. Dieser Text stellt, verrät der Anhang, die „revidierte Fassung eines Merkur-Aufsatzes“ dar. Was da revidiert wurde, hat Maar nicht angegeben und der Autor – er gesteht es schamvoll ein – hat es auch nicht überprüft. 

Zum Stil hat sich auch der Ich-Erzähler des Romans von Proust geäußert – im letzten Band in einer sehr breiten Ausführung, die den Künsten im Allgemeinen und der Literatur im Besonderen gilt. Dort heißt es zum Stil:

(…) der Stil ist für den Schriftsteller wie die Farbe für den Maler nicht eine Frage der Technik, sondern eine Art zu sehen.[91]

Gilles Deleuze stellt in seiner Untersuchung der Recherche die Frage:

Ist es möglich zu behaupten, daß Prousts Sprache, unnachahmlich oder allzu leicht nachahmbar, jedenfalls unter allen wiederzuerkennen, mit sehr besonderer Syntax und Wortwahl ausgestattet, Effekte produzierend, die mit Prousts Eigennamen bezeichnet werden müssen, dennoch ohne Stil sei?[92]

Und fragt weiterhin, ob hier nicht weiterhin die Abwesenheit von Stil „zur genialen Kraft einer neueren Literatur“ werde?[93]

Ähnlich Manfred Schneider, der in seiner ersten umfassenden Studie zur Recherche 1975 festhält: 

Tatsächlich versteh[t] sich Prousts Stil (…) zunächst am einfachsten als seine literarisch umgesetzte subversive Kritik (…).[94]

13.

Die hier untersuchte Passage verdankt sich – wie zu Beginn beschrieben – der Beobachtung eines Lesers. Ähnliche Querbetrachtungen der Übersetzungen könnte man mit anderen Passagen, seien sie zufällig oder systematisch ausgewählt, anstellen. 

Beispielweise mit dem ersten Satz des Romans, der erst am Ende eines langen Suchprozesses feststand.[95]

Er lautet im Original: 

Longtemps, je me suis couché de bonne heure.[96]

Zweifel übersetzt ihn so: 

Lange Zeit ging ich zu guter Stunde zu Bett.[97]

Bei Schottlaender heißt er:

Lange Zeit ging ich früh zu Bett.[98]

Bei Rechel-Mertens: 

Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.[99]

Ebenso bei Keller[100] und Fischer[101]. Anders wiederum bei Kleeberg:

Lange Zeit habe ich mich zu früher Stunde schlafen gelegt. [102]

Deepl übersetzt zunächst:

Lange Zeit ging ich früh schlafen.

Und gibt dann noch folgende zwei Varianten an:

Lange Zeit war ich früh zu Bett gegangen

Lange Zeit ging ich früh ins Bett. 

Diese (hier eher zufällige) Reihung des deutschsprachigen Beginns der Recherche[103] erinnert von Ferne an Georges Perec,[104] der für seine experimentellen Texten des Öfteren eine ähnliche Organisationsform verwandte, wenn er sich beispielsweise mit Fragen der prekären Erinnerung beschäftigte.[105] So veröffentlichte er 1978 eine Reihung von Zwei- oder Dreizeilern, die alle mit den Worten Je me souviens beginnen.[106] 1974 verfasste Perec für eine literarische Zeitschrift 35 Variations sur un thème de Proust. Die ersten beiden und eine spätere seien hier zitiert:

01 Réorganisation alphabétique: 

B CC D EEEEEEEE G HH MM NNN 000 P R SSS T LUUU

02 Anagramme:

Hé, Jules, ce môme chenu de Proust songe bien!
(…) 

12 Négation

Longtemps je ne suis pas couché de bonne heure[107]

In Perecs Roman La Vie mode d’emploi (Das Leben Gebrauchsanweisung) beschreibt der allwissende Erzähler, dass sich im Zimmer eines gewissen Grégoire Simpson „humoristische Visitenkarten eines Scherzartikelgeschäfts“ [108]befänden, die dort als Faksimile abgedruckt sind, darunter diese: 

Es sei nicht verschwiegen, dass dort auf derselben Seite[109] auch die folgende Karte zu finden ist:

Ob Hans Robert Jauß, hätte er den Roman von Perec  gelesen, an dieser Stelle von einer unwillkürlichen Erinnerung ereilt worden wäre? 

14.

Nun könnte man denken, dass die hier untersuchte Passage, die der Zufall zum Untersuchungsgegenstand erhob, unwichtig sei. Das täuscht. Tatsächlich tauchen in ihr einige Motive auf, die für den gesamten Roman bedeutsam sind. Sie seien knapp benannt.

Da ist zum ersten die Lektüre, in die sich der Ich-Erzähler immer wieder versenkt und die ihm jene Abenteuer schenkt, die er vermutlich im realen Leben vermisste.[110] Die Erfahrung von Lektüre wird im Roman in mannigfacher Gestalt anhand auch anderer Figuren beschrieben.[111] Hier wird eine eigene Lektüre-Erfahrung vom Ich-Erzähler in ein erhabenes Bild unmittelbarer Naturerfahrung gekleidet.[112]

Da ist zum zweiten die vom Ich-Erzähler bewunderte Großmutter, die sich um seine Gesundheit sorgt, und die es immer wieder in die frische Luft des Gartens zieht, selbst bei strömendem Regen, worüber sich die Familie erheitert und sie darob neckt und ärgert. Eine Heiterkeit, an der sich der junge Ich-Erzähler, „an Feigheit bereits ein Mann“[113], beteiligte, obgleich er sie seiner Großmutter gegenüber unangemessen fand. Ein (a)soziales Verhalten, das im Roman noch mehrfach auftaucht, woran René Girard erinnert: 

Die kleinen Bosheiten, unter denen die unschuldige Großmutter leidet, sind Vorboten der Grausamkeit der Verdurins gegnüber Saniette und der entsetzlichen Herzlosigkeit von Madame de Guermantes ihrem guten Freund Swann gegenüber.[114]

Da ist zum dritten die Kammer, in die sich der Ich-Erzähler gewöhnlich zur Lektüre zurückzieht und wohl auch das verrichtet, wozu ihn die Lektüre angeregt haben mag und was die Großmutter vielleicht erahnte, wenn sie ihn an die frische Luft schickte.[115]

Da ist zum vierten der Gedanke, dass sich der Ich-Erzähler, der die Menschen, denen er begegnet, so genau beschreibt und charakterisiert, sich im Garten den Blicken anderer – hier: der Gäste seiner Eltern – zu entziehen trachtet und deshalb diesen merkwürdigen Ort, der wie viele andere, die der Erzähler gerne aufsucht, „insular, individuell und individualisierend“ wirkt.[116] Auf der unbeobachteten Beobachtung basieren zentrale Augenblicke des Romans. Manfred Schneider beschreibt sie als „Spionageszenen“, die aber von einem „Klima der Vergeblichkeit“ bestimmt wird: 

Nichts wird erkannt, alles Erkennen bleibt auf eine merkwürdige Lektüre verwiesen, die schließlich den Gang der Niederschrift organisieren wird (…)[117]

Aber es gilt auch, schreibt Schneider in einem anderen Buch:

Der Spion ist ein Voyeur. Da der neugierige begehrende Blick und der Spionageblick sich wechselseitig ersetzen oder neutralisieren, bleiben sie auch für den Beobachter der Beobachtung ununterscheidbar.[118]

Dieser Beobachter ist allerdings die Person, welche die Beobachtungen liest. Unbeobachtet ist strukturell der Beobachter allein im Dunkel des Kinos. Über diesen Ort findet sich in der Recherche, die reich an Beobachtungen der Nutzung medialer Apparaturen ist, kein Wort.[119] Vielleicht fehlte Proust im Kino der Reiz der Gefahr, dass der Beobachter bei der Beobachtung beobachtet werden könnte. 

All das mag wie die Verpflichtung zur Lektüre von Texten aus der unüberschaubaren Zahl jener Sekundärliteratur klingen, die sich allein diesen vier Motiven gewidmet hat. Tatsächlich ließe sich ein Sekundärtext der zweiten Ebene denken, in der die deutschsprachige Sekundärliteratur zur Recherche durchforstet und nach den jeweiligen geisteswissenschaftlichen Moden – und es kommt wirklich fast jede punktgenau vor –sortiert würde; es entstünde ein Metatext der besonderen Art. 

Vergessen sei an dieser Stelle nicht, dass Gérard Genette, der Proust und der Recherche eine grundlegende Arbeit zur Erzählstruktur[120] abgewann, gerne die Überschrift einer Rezension eines seiner Bücher, das einen Text über Proust enthielt, zitierte. Diese Rezension erschien passenderweise im Figaro und lautet: Du temps perdu dans la recherche(Mit der Forschung vertane Zeit).[121] Soviel Selbstironie ist in den Geisteswissenschaften selten. 

Genette schlug für die Recherche, die nun wirklich keine Autobiographie ist, Ende der 1970er-Jahre zur Bestimmung ihrer „Fiktionsform“, wie er schreibt, einen Begriff vor, der in den letzten Jahren geradezu modisch wurde: „Autofiktion“.[122] Aber fingiert das Selbst oder wird es fingiert? 

Also sei dieser Text nicht als Verpflichtung zur Lektüre der erwähnten Sekundärliteratur verstanden, viel mehr als Einladung begriffen, in dieser so herumstöbern, wie es der Verfasser tat, der am Ende nur noch eine Frage zu beantworten hat. 

15.

Wie sieht sie oder es denn nun aus – „die kleine Baracke aus Sparterie und Segeltuch“, „das kleine Schilderhaus aus Flechtwerk und Tuch“, „die kleine Hütte aus Lattenwerk und Segeltuch“, „die geflochtene kleine Laube“, „die kleine Laube aus Flechtwerk und Leinwand“, das „kleine Häuschen aus Sparren und Leinen“? 

Und was bedeutet sie oder es? Roland Barthes verweist, als er sich mal wieder in einem kleinen Text an Proust abarbeitete, darauf, dass Roman Jakobson die Opposition zwischen Metapher und Metonymie in einem Experiment mit einer Schulklasse am Wort „Hütte“ erkunden ließ. ohne allerdings auf diese konkrete „Hütte“ in der Recherche einzugehen.[123] Auch Barthes thematisiert diese nicht, obgleich sie doch dazu Anlass bot: Im folgenden Absatz des Romans, der hier nicht behandelt wurde, wird der Ort denn noch einmal benannt. Er heißt nun in den Übersetzungen „eine weitere Wiege“ (bei Zweifel), „eine Art Verließ“ (bei Schottlaender), „wie eine solche Hütte“ (bei Rechel-Mertens), „eine Art Krippe“ (bei Keller) „wie eine zweite kleine Hütte“ (bei Kleeberg) oder schlicht „wie eine Hütte“ (bei Fischer).[124] Diese Bezeichnungen dienen dem Ich-Erzähler dazu, „die Welt meiner Gedanken“ (wie es Rechel-Mertens übersetzt) zu illustrieren. Größer geht es nicht, ob nun Metonymie oder Metapher. 

In den vier großen Verfilmungen des Romans – Volker Schlöndorff: „Un amour de Swann“ (Eine Liebe von Swann) (Frankreich/Deutschland 1983); Chantal Akerman: „La captive” (Die Gefangene) (Frankreich 2000); Raúl Ruiz: „Le Temps retrouvé“ (Die wiedergefundene Zeit) (Frankreich 1999); Nina Companéez: „À la recherche du temps perdu“ (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit) Zwei Teile. (Frankreich 2011) – erscheint dieser merkwürdige Ort nicht, was nicht weiter verwundert, da alle vier Filme den Teil Combray des ersten Bandes eher vernachlässigen.

Aber im Comic von Stéphane Heuet[125]  erscheint er. Wie man nachfolgend sieht: 

Stéphane Heuet begann mit seinem Projekt 1998. Alle zwei Jahre veröffentlichte er bis 2016 einen Band, dann stoppte die Edition, ehe er sie 2019 fortsetzte. Seit 2010 erscheint sie  auf Deutsch; der erste Band basierte noch auf der Übersetzung von Rechel-Mertens, während die nachfolgenden die revidierte Fassung von Keller und Laemmel nutzten. Zuletzt kam auf Deutsch der Band „Im Schatten junger Mädchenblüte – Im Umkreis von Madame Swann. Teil II“ 2022 heraus.[126] Angesichts der Tatsache, dass der 1957 geborene  Zeichner Stéphane Heuet mit seiner Übertragung gerade erst beim zweiten Band des Romans angelangt ist, stellt sich die Frage: Droht auch hier eine Geschichte ohne Ende? Andreas Platthaus hat diese Vermutung vor kurzem bestätigt.[127]


[1] Ebenda, S. 104ff.

[2] Walter Boehlich, Marcel Proust in Frankreich, Deutschland und anderswo. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Heft 84. Februar 1955. S. 173-190. Nachfolgend: Boehlich, Proust.

[3] Vgl. Klaus Reichert, Über Walter Boehlich. Ein kleines Porträt. In: Walter Boehlich, Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Helmut Peitsch/Helen Thein. Mit einem Vorwort von Klaus Reichert. Frankfurt am Main [Fischer] 2011. S. 11-16. Hier: S. 14.

[4] Vgl. Bruegmann, a.a.O., S. 133.

[5] Ebenda, S. 135.

[6] Vgl. ebenda S. 56.

[7] Ebenda, S. 136.

[8] Zit.n.: Editorische Anmerkung. In: Walter Boehlich, Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Helmut Peitsch/Helen Thein. Mit einem Vorwort von Klaus Reichert. Frankfurt am Main [Fischer] 2011. S. 627.

[9] Boehlich, Proust, a.a.O., S. 181-182.

[10] Ebenda, S. 181. 

[11] Ebenda, S. 182. 

[12] Ebenda, S. 184. 

[13] Ebenda, S. 185. Allerdings zitiert Boehlich hier den Text ungenau; wörtlich heißt es bei Rechel-Mertens: „das Gedächtnis seiner Seiten“. Siehe Proust, I – In Swanns Welt. (Rechel-Mertens 1953), a.a.O., S. 13.

[14] Boehlich, Proust, a.a.O., S. 187.

[15] Ebenda.

[16] Bruegmann, a.a.O., S. 139.

[17] Ebenda, S. 143.

[18] Das wird berichtet in einer redaktionellen Vorabanmerkung zum Wiederabdruck des Textes in: Walter Boehlich, Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Helmut Peitsch/Helen Thein. Mit einem Vorwort von Klaus Reichert. Frankfurt am Main [Fischer] 2011. S. 159.

[19] Boehlich würdigte den Verleger 1991 in einem Hörfunkbeitrag. Siehe Walter Boehlich, Ein alter Herr mit verschollenen Manieren. Zum 100. Geburtstag von Peter Suhrkamp. In: Boehlich, Die Antwort ist das Unglück der Frage, a.a.O., S. 115-134.

[20] Marcel Proust, Briefe zum Werk. Ausgewählt und hrsg. von Walter Boehlich (1964). 2., korrigierte Auflage Frankfurt am Main [Suhrkamp] 1977. 

[21] Zit. n. Bruegmann, a.a.O., S. 127. Da die Schreibweise „Arryhthmie“ von Nora Bruegmann nicht angemerkt wird, steht zu vermuten, dass sie sich bei der Abschrift des Schottlaender-Textes oder beim Verfassen ihrer Dissertation verschrieben hat. 

[22] Ebenda, S. 149-164. 

[23] Ebenda, S. 164.

[24] Zit. n. Mälzer, a.a.O., S. 72-73.

[25] Theodor W. Adorno, Ad Proust. (1954) In: Ders., Vorträge 1949-1968. Hrsg. von Michael Schwarze. Berlin [Suhrkamp] 2019. S. 55-76. Hier: S. 57 und FN63. 

[26] Bruegmann, a.a.O., S. 103.

[27] Vgl. ebenda S. 83-84.

[28] Ebenda, S. 104

[29] Siegfried Unseld, a.a.O., S. 232.

[30] Proust, Band 1: In Swanns Welt (Rechel-Mertens 1979), a.a. O.

[31] Auch die Widmung des dritten Bandes Le Coté de Guermantes, die dem Freund (und Anti-Semiten) Léon Daudet gilt, taucht erstmals in der revidierten Übersetzung auf. Siehe Proust, Band 3: Guermantes. (Keller/Laemmel), a.a.O., S. 5. Dazu vgl. Friedländer, a.a.O., S. 81-82.

[32] Zu Calmette vgl. Philippe Michel-Thiriet, Das Marcel Proust Lexikon. Aus dem Französischen von Rolf Wintermeyer. Frankfurt am Main [Suhrkamp] 1992. S. 186.

[33] Alle Aufsätze, Erzählungen und Essays von Proust und also auch die, die Calmette im Figaro veröffentlichte, sind aufgelistet in: Ebenda. S. 439-443. Auch der Ich-Erzähler des Romans hat Artikel verfasst, die der Figaro abdruckte. Vgl. Proust, VI – Die Entflohene (Rechel-Mertens 1956), a.a.O., S. 238.

[34] Vgl. Luzius Keller, Anmerkungen und Kommentar. In: Proust, Band 1: Unterwegs zu Swann. (Keller/Laemmel), a.a.O., S. 640-698. Hier: S. 641.

[35] Den Vergleich wählt der Ich-Erzähler der Recherche im Gespräch mit seiner Mutter bezogen auf die Heirat von Jupiens Nichte. S. Proust, Band 6: Die Entflohene (Fischer), a.a.O., S.344-345.

[36] Proust, I – In Swanns Welt (Rechel-Mertens 1953), a.a.O., S. 98.

[37] Proust, Band 1: In Swanns Welt (Rechel-Mertens 1979), a.a.O., S. 88.

[38] Diese Auseinandersetzung über viele Details ist äußerst spannend. Vgl. Bruegmann, S. 147-190. 

[39] Ebenda, S. 146.

[40] Peter Blumenthal, Zur Sprache Prousts. In: Marcel Proust Gesellschaft (Hrsg.), Marcel Proust. Werk und Wirkung. Frankfurt am Main [Insel] 1982. S. 87-100. Hier: S. 87

[41] Anita Albus, Im Licht der Finsternis. Über Proust. Frankfurt am Main [Fischer] 2011. Beispielhaft seien genannt: S. 14 FN 3, S. 49 FN 1, S. 156 FN 3, S. 170 FN3.

Dies., Der gelbe und der blinde Fleck. In: Dies., Paradies und Paradox. Wunderwerke aus fünf Jahrhunderten. Frankfurt am Main [Eichborn] 2003. S. 249-272.

[42] Albus, Der gelbe und der blinde Fleck, a.a.O., S. 250 FN 3

[43] Jean-Bernard Naudin/Anne Borrel/Alain Senderens, Zu Gast bei Marcel Proust. Der große Romancier als Gourmet. Mit 70 Rezepten. München [Heyne] 1992. S. 162. 

[44] Proust, Recherche, Bd. 1: Du Côté de Chez Swann. Kapitel 0.32, a.a.O.

[45] Proust, I – In Swanns Welt (Rechel-Mertens 1953), a.a.O., S. 211. 

Und: Proust, 1: Unterwegs zu Swann (Keller/Laemmel), a.a.O., S. 207.

[46] Anita Albus, Im Lichte der Finsternis, a.a.O., S. 114 FN1.

[47] Proust, Der Weg zu Swann (Schottlaender), a.a.O., S. 198.

[48] Proust, Flimmern, a.a.O., S. 436.

[49] Proust, Band 1: Auf dem Weg zu Swann (Fischer), a.a.O., S. 198.

[50] Marcel Proust, Combray. Aus dem Französischen von Michael Kleeberg. (2002). Frankfurt am Main [Büchergilde Gutenberg] 2002. S. 217. Nachfolgend: Proust, Combray (Kleeberg).

[51] Proust, I – In Swanns Welt. (Rechel-Mertens 1953), a.a.O., S. 211.

[52] Eine solche Zahl verdankt sich der Gesamtpaginierung der Kleinoktav-Ausgabe.

[53] Proust, Band. 10: Die wiedergefundene Zeit (Rechel-Mertens 1979), a.a.O., S. 3691.

[54] Isenschmid, Der Elefant im Raum, a.a.O., S. 55.

[55] Volker Roloff, Die Rolle Gilbertes in der Recherche. In: Marcel Proust Gesellschaft (Hrsg.), Marcel Proust und die Frauen. Berlin [Insel] 2019. S. 56-67. Hier: S. 63.

[56] Paul de Man, a.a.O., S. 91-117.

[57] Hans Robert Jauß, Zeit und Erinnerung in Marcel Prousts À la recherche du temps perdu. Ein Beitrag zur Theorie des Romans. (1955) Erweiterte Taschenbuchausgabe. Frankfurt am Main [Suhrkamp] 1986. 

[58] Vgl. die kritische Auseinandersetzung mit Paul de Man in den Romanen: Siri Hustvedt, Damals. Roman . Mit Zeichnungen der Autorin. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald. Reinbek bei Hamburg [Rowohlt] 2019; und: Lars Gustafsson, Die Sache mit dem Hund. Roman (1993). Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Frankfurt am Main [Fischer] 1999.

[59] Vgl. Jens Westemeier, Jugend, Krieg und Internierung. Wissenschaftliche Dokumentation. Göttingen 2015. Online unter: http://www.uni-konstanz.de/shared/Dokumentation_Jauss_UniKN_20052015.pdf

[60] Zur „Sprache des Vergessens“ vgl. das Eingangskapitel von Harald Weinrich, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens. München [Beck] 1998. S. 11-20. 

[61] Vgl. Bruegmann, a.a.O., S. 121.

[62] Proust, Combray (Kleeberg), a.a.O., S. 128.

[63] Marcel Proust, Eine Liebe Swanns. Aus dem Französischen von Michael Kleeberg. München [Liebeskind] 2004.

[64] Hanno Helbling, Gerupfter Spargel. In: Neue Zürcher Zeitung, 22.4. 2002. Online unter: https://www.nzz.ch/article81KCG-ld.203958

[65] Vgl. Marcel Proust, Albertine. Ein Roman aus der >Suche nach der verlorenen Zeit<. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Hanno Helbling. München [dtv] 2001. Und: Marcel Proust, Der gewendete Tag. »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« in den Vorabdrucken. Aus dem Französischen übersetzt von Christina Viragh und Hanno Helbling. Mit Nachwort von Christina Viragh. München [Manesse] 2004. 

[66] Michael Kleeberg, Proust als Waffe im Klassenkampf. In: Tageszeitung vom 13.12. 2008. Online unter: https://taz.de/Ueber-Snobismus-vieler-seiner-Anhaenger/!5171185/

[67] Stephen Greenblatt, Resonanz und Staunen. Zit. n. Peter Geimer, Über Reste. In: Anke te Heesen/Petra Lutz (Hrsg.), Dingwelten., Das Museum als Erkenntnisort. Köln/Weimar/Wien [Böhlau] 2005. S. 109-118. Hier: 115. 

[68] Kleeberg a.a.O.. 

[69] Ebenda.

[70] Vgl. die Anmerkungen dazu in: Thomas von Steinaecker, Ende offen. Das Buch der gescheiterten Kunstwerke. Frankfurt am Main [Fischer] 2021. S.113-124. Ähnlich Roland Barthes, der als „eidos“ der Recherche „das eines unendlichen Werkes“ bezeichnete, „das nur durch den Tod zum Abschluß gebracht wurde“. Roland Barthes, Auszüge aus »Die Vorbereitung des Romans“. In: Ders., Proust. Aufsätze und Notizen. Herausgegeben von Bernard Comment. (2020) Aus dem Französischen von Bernard Brühmann und Bernd Schwibs. Berlin [Suhrkamp] 2022. S. 171-191. Hier: S. 188. 

[71] Rainer Warning, Schreiben ohne Ende: Prousts Recherche im Spiegel ihrer textkritischen Aufarbeitung. In: Marcel Proust Gesellschaft (Hrsg.), Marcel Proust. Schreiben ohne Ende. Frankfurt am Main/Leipzig [Insel] 1994. S. 7-26, hier: S. 9.

[72] Stephan Leupold, Zusammenbruch und Erinnerung. Prousts Recherche. Paderborn [Brill Fink] 2022. S. XVI.

[73] Vgl. den Tagungsband: Marcel Proust Gesellschaft (Hrsg.), Marcel Proust. Schreiben ohne Ende. Frankfurt am Main/Leipzig [Insel] 1994. 

[74] Diese Anstrengung reklamiert auch der Autor dieser Zeilen für sich und stellt sie eitel hier in insgesamt 212 Fußnoten aus. 

[75] Proust, Band 1: Auf dem Weg zu Swann (Fischer), a.a.O., S. 122-123.

[76] Bernd-Jürgen Fischer, Übersetzungen. In: Ders., Handbuch, a.a.O., S. 144.

[77] Ebenda, S. 145. 

[78] Zit. n. ebenda, S. 157.

[79] Vgl. die Zusammenfassung der Rezensionen bei Perlentaucher.de

[80] Ina Hartwig, Die chemische Reaktion des Leidens. In: Süddeutsche Zeitung, 14. November 2013.

[81] Bruegmann, a.a.O., S. 103.

[82] Walter Boehlich, Der Stil der Übersetzung muss der Stil des Originals und nicht der Stil des Übersetzers sein. [Thesen zu einer Podiumsdiskussion 1994 im Literaturhaus Hamburg.] In: Walter Boehlich, Die Antwort ist das Unglück der Frage, a.a.O., S. 194-195. Hier: S. 194.

[83] Mälzer, a.a.O., S. 86. 

[84] Henri Meschonnic, Ethik und Politik des Übersetzens. (2007) Aus dem Französischen von Béatrice Costa. Herausgegeben von Hans Lösener und Vera Viehöver. Berlin [Matthes & Seitz] 2021. S. 65.

[85] Friedländer, a.a.O., S. 186. 

[86] Auf die Idee brachte mich Georg Trogemann, der viele Jahre mein geschätzter Kollege in der Kunsthochschule für Medien Köln war und dort die Informatik in künstlerischen Prozessen erforscht und lehrt. Er hatte auf die immer besser werdenden Übersetzungsmaschinen verwiesen und nannte unter anderem Deepl, auf dessen Internetseite man kleine Texte kostenlos übersetzen kann.

[87] Vgl. Michael Maar, Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literatur. Hamburg Rowohlt 2020. 

[88] Ebenda, S. 21.

[89] Michael Maar, Weltgebäude renoviert. Eva Rechel-Mertens Proust-Übersetzung nach der Überarbeitung. In: FAZ vom 24. September 1994. Zit. n. Bruegmann, a.a.O., S. 232.

[90] Michael Maar, Proust Pharao. Berlin [Berenberg] 2009. S. 69.

[91] Proust, Band 10: Die wiedergefundene Zeit (Rechel-Mertens 1979), a.a.O., S. 3975.

[92] Gilles Deleuze, Proust und die Zeichen. Aus dem Französischen von Henriette Beese. (1964) Berlin [Merve] 1993. S. 132.

[93] Ebenda.

[94] Manfred Schneider, Subversive Ästhetik. Regression als Bedingung und Thema von Marcel Prousts Romankunst. (=Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaften) Tübingen [Niemeyer] 1975. S. 95. 

[95] Aufstellung aller Varianten des legendären ersten Satzes in: Proust, Flimmern, a.a.O., S. 677-691.

[96] Proust: Recherche. Bd. 1: Du Côté de Chez Swann. Kapitel 0.01, a.a.O.

[97] Proust, Flimmern, a.a.O., S. 7.

[98] Proust, Erster Band: Der Weg zu Swann (Schottlaender), a.a.O., S. 7.

[99] Proust, I – In Swanns Welt (Rechel-Mertens 1953), a.a.O., S. 9.

[100] Proust, 1: Unterwegs zu Swann (Keller/Laemmel), a.a.O., S. 7.

[101] Proust, Band 1: Auf dem Weg zu Swann (Fischer), a.a.O., S. 9.

[102] Proust, Combray (Kleeberg), a.a.O., S. 5.

[103] Vgl. auch „Die Entstehung der Ouvertüre“ in Luzius Keller, Proust lesen. (1991). 2. Auflage Frankfurt am Main [Suhrkamp] 2016. S. 188-96.

[104] George Perecs Mutter wurde wie die von Saul Friedländer in Auschwitz ermordet. Er selbst überlebte wie Friedländer in Frankreich gleichsam unter einer geborgten nicht-jüdischen Identität.

[105] Der Zusammenhang zwischen Proust und Perec ist nicht ganz so zufällig, wie er hier erscheinen mag. Vgl. Judith Kasper, Sprachen des Vergessens. Proust, Perec und Barthes zwischen Verlust und Eingedenken. München [Fink] 2004.

[106] George Perec, Je me souviens. (1978) Auszüge in: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur. Nr. 34. Essen 1989. S. 5-6. 

[107] Georges Perec, 35 Variations sur un thème de Proust (1974). Zit. n. der Internetseite von Incipit: http://incipit.fr/variations-sur-un-theme-de-marcel-proust-2011-03-11

[108] Georges Perec, Das Leben Gebrauchsanweisung. Romane (sic!). (1978) Deutsch von Eugen Helmlé. 
2. Auflage Frankfurt am Main [Zweitausendeins] 2012. S. 381. 

[109] Ebenda.

[110] Die erste im Roman erwähnte Begegnung des Ich-Erzählers mit Texten findet dergestalt statt, dass ihm seine Mutter aus einem Roman vorliest; es handelt sich um einen Roman, in dem die weibliche Hauptfigur, eine Art von Ersatz-Mutter, sich in ihren Ziehsohn, den Titelhelden, verliebt und einen schönen Namen trägt: Madeleine. Es handelt sich um George Sand, François le Champi (1848). In der mir vorliegenden deutschen Übersetzung heißt die Ersatz-Mutter Magdalena. Vgl. George Sand, Franz der Champi. Roman (1848). Deutsch von Augustus Cornelius. Berlin [Holzinger] 2015.

[111] Vgl. Anka Muhlstein, Die Bibliothek des Monsieur Proust. (2012) Aus dem Englischen von Christa Krüger. Berlin [Insel] 2013. Und: Stephan Leupold, Zusammenbruch und Erinnerung. Prousts Recherche. Paderborn [Brill Fink] 2022. S.S. 139-187.

[112] Umfassend zur Lektüre-Erfahrung dieser Passage vgl. Paul de Man, Lesen (Proust), a.a.O. 

[113] Proust, 1: Unterwegs zu Swann (Keller/Laemmel), a.a.O., S. 20.

[114] René Girard, Figuren des Begehrens. Das Selbst und der Andere in der fiktionalen Realität (1961). Mit einem Nachwort von Wolfgang Palaver. Aus dem Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruh. 2. Auflage Münster [LIT] 2012. S. 217. 

[115] Zu diesem Ort vgl. Edi Zollinger, Proust – Flaubert – Ovid. Der Stoff, aus dem Erinnerungen sind. München [Beck] 2013. Hier: S. 15-29

[116] Angelika Corbineau-Hoffmann, Reflexionen über Räume der Recherche. In: Marcel Proust Gesellschaft (Hrsg.), Orte und Räume. Frankfurt am Main/Leipzig [Insel] 2003. S. 7-22, hier 29. 

[117] Manfred Schneider, Die erkaltete Herzensschrift. Der autobiografische Text im 20. Jahrhundert. München [Hanser] 1986. S. 49-104. Hier: S. 53-54.

[118] Manfred Schneider, Liebe und Betrug. Die Sprache des Verlangens. München [Hanser] 1992. S. 332.

[119] Der Autor dieses Textes bereitet derzeit eine kleine Studie über diesen Aspekt der Recherche vor.

[120] Gérard Genette, Die Erzählung. 3., durchgesehene und korrigierte Auflage. München [Fink] 2010. 

[121] Zit. n. Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe (1977/1978). Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Frankfurt am Main [Suhrkamp] 1993. S. 56 FN1. 

[122] Ebenda, S. 348.

[123] Roland Barthes, »Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen« (1978). In: Ders., Proust. Aufsätze und Notizen. Herausgegeben von Bernard Comment. (2020) Aus dem Französischen von Bernard Brühmann und Bernd Schwibs. Berlin [Suhrkamp] 2022. S. 141-157. Hier: S. 143.

[124] Zur Erinnerung: Zweifel übersetzte die Ursprungsfassung des 1. Bandes, die anderen die zweite Fassung von 1919.

[125] Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.  Combray. Adaptiert und gezeichnet von Stéphane Heuet. Kolorierung Véronique Dorey. (1998) Deutsche Fassung Kai Wilksen. München [Knesebeck] 2010. S. 36. 

[126] Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Im Schatten junger Mädchenblüte – Im Umkreis von Madame Swann. Teil II. Adaptiert und gezeichnet von Stéphane Heuet. (2021) [Deutsch] Adaptiert von Anja Kootz. München [Knesebeck] 2022.

[127] Andreas Platthaus, Lange Zeit ist er früh ans Zeichenbrett gegangen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.12. 2022, S. 18.