
Eine kriminalliterarische Würdigung
- von Thomas Wörtche
LitProm wird dieses Jahr 40 Jahre alt. Gegründet 1980 als »Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V.« richtet sie mit aller konzentrierten Kompetenz den Fokus auf das, was man „Weltliteratur“ nennt und was man zum Verständnis der globalen Dynamiken dringend wissen und kennen sollte: „Weltliteratur ist der Begriff, unter dem globale Textströme zusammengefasst werden können. Literarische Zirkulation erweist sich in diesem Zusammenhang als besonders wertvoll für eine Bewusstseinsbildung hinsichtlich der vielfältigen Lebenswelten. Zugleich treten verstärkt vom westlichen Monopol emanzipierte literarische Akteur*innen in das weltweite Netzwerk literarischer Institutionen ein“, wie die Selbstbeschreibung von LitProm lautet.

Was aber hat das mit Kriminalliteratur zu tun? Kriminalliteratur wurde lange als anglo/französisch dominierte Genre-Literatur verstanden, im Lauf der Jahrzehnte kamen dann noch die Nordischen Länder hinzu, den prozentual geringeren Rest lieferten, neben den deutschsprachigen Texten, Italien, Spanien und hin und wieder „Exoten“ von Australien bis Lateinamerika. Aber immer mit Genre-Verdacht, immer auf der U-Schiene angesiedelt. Bis auf ganz wenige Ausnahmen (Chester Himes, Iceberg Slim oder Donald Goines) war sie eine blütenweiße Veranstaltung. Und auch als ich 1999 die „global crime“-Reihe metro beim Unionsverlag startete, hatte ich anfangs oft das Gefühl, ein Einzelkämpfer zu sein.

2008 gründete LitProm unter ihrer damals neuen Chefin Anita Djafari die Besten-Liste „Weltempfänger“, die bis heute in jedem Quartal sieben Titel aus dem „globalen Süden“ auswählt, deren Kenntnis die Jury im Grunde für unverzichtbar hält. Auf dieser Liste tauchten von Anfang an permanent Bücher auf, die deutlich reines „Genre“ waren oder sich zumindest auf den eh spannenden Schnittstellen von Genre/Nicht-Genre/Vielleicht-Genre bewegten. Auf dem allerersten Weltempfänger (die Jury bestand damals aus: Ilija Trojanow (Vorsitz), Katharina Borchardt, Anita Djafari, Andreas Fanizadeh, Karl-Markus Gauß, Navid Kermani, Kristina Pfoser, Arno Widmann und Thomas Wörtche) war dieser criminal tinge gleich zu sehen: Deon Meyers „Weiße Schatten“, also Genre pur, stand neben „Die Stunde der Zeichen“ von Jamal Mahjoub (der als Parker Bilal aufsehenerregende Kriminalromane über Kairo verfasst), eine polit-thriller-artige Geschichte des „Mahdi-Aufstandes“ aus arabischer Sicht. Und auch Aravind Adigas „Der weiße Tiger“ hat deutliche Genre-Elemente.

Das Bemerkenswerte daran aber war und ist, dass beim „Weltempfänger“ keine Grundsatzdiskussionen geführt oder keine Absprachen getroffen werden mussten, um der Kriminalliteratur eine gewisse Quote zuzuweisen. Kriminalromane aus aller Welt gehörten vom Anfang an dazu – organisch. Das ist literaturpolitisch ein nicht zu unterschätzender Schritt. Denn mit der geographischen Horizonterweiterung, die LitProm und „Weltempfänger“ forcieren, geht eine Erweiterung des Literaturbegriffs einher – nicht umsonst tauchen auch regelmäßig Comics und Science Fiction auf dem „Weltempfänger“ auf – , eine Erweiterung, die zwar vorgeblich theoretisch längst erledigt ist, aber in der Lesepraxis noch nicht angekommen scheint. Oder wieder durch die zunehmend dominanten „Industrie-Formate“ revidiert und ignoriert wird.

Kriminalliteratur ist eben keine heitere Urlaubslektüre, auch wenn wir uns das inzwischen von Afrika, Asien, Lateinamerika und Australien/Neuseeland sagen lassen müssen. Denn die permanente Präsenz von Kriminalromanen in der Arbeit von LitProm weist auch auf ihre diversen Funktionen in diversen Kontexten hin, die, evident, nichts mit dem Angstlustgruselbedürfnis eines saturierten Lesepublikums zu tun haben. In vielen Teilen dieser Welt mischen Kriminalromane in den aktuellen Diskursen mit, und weil aktuelle Diskurse keine nationalen Angelegenheiten mehr sind, können sie, zumindest potentiell, auch unsere Diskurse anschließen. Eine Win-Win-Situation. Das hat man auch bei den Kolleg*innen der „Krimi-Bestenliste von Deutschlandfunk Kultur und FAZ“ (seit deren Gründung) verstanden, wo oft dieselben Titel auftauchen – ganz aktuell Cai Juns „Rachegeist“ aus China oder Young-Ha Kims „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ aus Südkorea – die Beispielsliste wäre über die Jahre sehr lang. Der „globale Süden“ ist unübersehbar geworden, vorausgesetzt, man hat noch einen Funken Neugier in zunehmend geschmacksstandardisierten Zeiten.

Zudem liefert LitProm die Logistik. Zu den „Global Crime“-Literaturtagen 2019 in Frankfurt konnte sich das Publikum an der geballten, gleichzeitigen Anwesenheit von Deon Meyer aus Südafrika, Candice Fox aus Australien, Patrícia Melo aus Brasilien, Gary Victor aus Haiti, Jeong Yu-jeong aus Südkorea, Mercedes Rosende aus Uruguay, Chan Ho-kei aus Hongkong und Marcelo Figueras aus Argentinien erfreuen, ein Qualitätscluster, der wohl einmalig sein dürfte.

Aber – auch das steht für die integrative Strategie von LitProm – es braucht keine monothematische Kapsel, um Genre-Autorinnen aus aller Welt bei den Literaturtagen mitzudenken: Claudia Piñeiro, Mike Nicol, Paco Ignacio Taibo II, Sergio Ramirez, Jamal Mahjoub, Helon Habila oder Nii Parks, alles feinste Namen der globalen Kriminalliteratur, waren Gäste anderer „Literarturtage“, die keine genretypischen Schwerpunkte hatten. Und auch der von LitProm (inzwischen) organisierte LiBeraturpreis hatte mit Patrícia Melo und Mercedes Rosende zwei lupenreine Genre-Autorinnen als Gewinnerinnen.
Bleibt zum 40. Geburtstag das Fazit: Wer sich seriöserweise für Kriminalliteratur interessiert, kommt um LitProm und den „Weltempfänger“ nicht herum. Sie ist das ideale Antidot gegen ignorante Borniertheit und dumpfen Nationalismus. Ihre Position zur Kriminalliteratur ist ganz sicher nicht das einzige oder wichtigste Verdienst von LitProm. Aber die Signalwirkung sollte schon wohl verstanden werden. Deswegen: Alles Gute für die nächsten 40 Jahre!
© 06/2020 Thomas Wörtche
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