Geschrieben am 1. Februar 2023 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2023

Bodo Hechelhammer: 50 Jahre „Clever & Smart“

Clever & Smart – Die Spione, die aus Katalonien kamen

Ein Dossier von Bodo V. Hechelhammer

Francisco Ibáñez: Clever & Smart – Der Schuber Hamburg. Carlsen Comics, Hamburg 2022. 5 Bände im Schuber, Hardcover, Format 223 x 300 mm. 800 Seiten, 159 Euro. Verlagsinformationen dazu. – Insgesamt ein Überblick der deutschen Ausgaben hier.

Spanien ist eine Comicnation, deren Hochburg sich vor allem in Katalonien, in Barcelona befindet. Das langlebigste und wohl bekannteste Produkt katalonischer Provenienz ist hierbei Mortadelo y Filemón, in Deutschland besser als das Geheimagentenduo Clever & Smart bekannt. In Spanien zählen die beiden tollpatschigen Chaoten schon seit Jahrzehnten zum nationalen Kulturgut. Seit über sechzig Jahren existiert die Serie mit inzwischen über zweihundert Alben, die 1958 durch Francisco Ibáñez Talavera, kurz F. Ibáñez, geschaffen wurde und 1972, vor fünfzig Jahren, nach Deutschland kam. Aufgrund dieses runden Jubiläums hat der Carlsen-Verlag Ende des letzten Jahres einen schicken Schuber mit fünf Sammelbänden herausgebracht, welche die ersten 15 Comicalben von Clever & Smart enthalten. Zudem befindet sich in jedem Band Zusatzmaterial zur Serie und zum Autor, etwa biografische Angaben zu F. Ibáñez, ein Interview mit ihm oder Wegmarken der Entwicklung der Serie in Deutschland.

Vom Schreibtisch zum Zeichenbrett

F. Ibáñez kam 1936 in Barcelona zur Welt, vier Monate vor Beginn des dreijährigen spanischen Bürgerkriegs. In der Nachkriegszeit half ein Zufall seine Leidenschaft für Comics zu entdecken. Da der Kiosk in seiner Nachbarschaft immer ausgeraubt wurde, vertraute man der Familie jede Nacht Kartons mit Comics an. Dadurch wurde Ibáñez´ Leidenschaft geweckt, Lesestoff war jetzt genug vorhanden. Mit elf Jahren konnte er eine erste eigene Zeichnung veröffentlichen, begann mit sechzehn Jahren selbst Cartoons zu zeichnen. Doch zunächst folgte Ibáñez den väterlichen Fußstapfen, fing 1950 nach einer Buchhalterausbildung im Bankwesen bei der Banco Español de Crédito an zu arbeiten. Aber als junger Bankangestellter schaffte er es, dass ab 1952 immer wieder Comics von ihm Jahr für Jahr veröffentlicht wurden. Schließlich wurde 1957 für ihn zum Schlüsseljahr, denn mit 21 Jahren öffnete ihm der Bruguera-Verlag aufgrund seiner Begabung als Zeichner die Türen. Ibáñez konnte nun seinen Traum verwirklichen, als Cartoonist für ein großes Unternehmen arbeiten. Er tauschte den Schreibtisch mit einem Zeichenbrett. 

Noch im selben Jahr schuf er seine erste Serie, entwarf eine Parodie auf Privatdetektive, die mit dem Titel Mortadelo y Filemón, Informationsagentur erscheinen sollte. Im Januar 1958 erblickte das erste Abenteuer des Privatdetektivpaars in dem Comicmagazin Pulgarcito (kleiner Daumen) das Licht der Welt.

Ursprünglich war Mortadelo y Filemón eine Parodie auf das kongeniale Detektivpaar Sherlock Holmes und Dr. Watson von Sir Arthur Conan Doyle. Sogar Teile deren typischer Kleidung wurden anfangs übernommen. Seit seiner Kindheit war F. Ibáñez aber auch ein glühender Verehrer humorvoller amerikanischer Slapstick-Filme um Charly Chaplin, Buster Keaton oder Stan Laurel & Oliver Hardy. Einfluss auf ihn hatten auch die amerikanischen Zeichentrickfilme der Vierziger- und Fünfzigerjahre wie Tom & Jerry und Road Runner. So entwickelten sich die beiden Hauptcharaktere immer weiter in Richtung Chaos, quasi als Clownspaar. Jeff Smart (Filemón), der Chef der beiden, ernst und autoritär, und der sich immer verkleidende Fred Clever (Mortadelo), der alles vermasselt und für Gelächter sorgt.

Als spanischer Künstler erlebte F. Ibáñez aber auch die autoritäre Diktatur Francos hautnah mit, was gerade frühen Heften von Mortadelo y Filemón bei aller gebotener Vorsicht anzumerken ist, in denen er sich zeit- und sozialkritisch äußert. Aber direkten Bezug auf Franco zu nehmen war undenkbar gewesen, da sonst die Zensur zugeschlagen hätte. So durfte anfangs noch nicht einmal die Polizei entsprechend genannt werden, weshalb er diese als Gendarmerie oder Police umschrieb. Dennoch gehört grundsätzlich Mut dazu, Regierungsbeamte, Polizei und Geheimdienst in einer Diktatur als Vollidioten darzustellen. 

Der Geheimdienst zieht

Zur Zeit des Kalten Krieges erhielt die Popularität des Geheimdienstgenres in Film und Literatur durch James Bond einen enormen Pusch. Bereits ab 1957 begann John McLusky die Comic-Adaption von Ian Flemings Romanheld für den Daily Express zu illustrieren. Die britischen Comics waren in den Sechzigerjahren auf ihrem Höhepunkt, als sich auch die Geheimdienstfilme durchsetzen. Die James-Bond-Welle, die seit dem Erfolg des KinofilmsGoldfinger (GBR 1964) die ganze Welt erfasste, hinterließ auch bei F. Ibáñez seine Spuren. Zumal traten bereits in Spanien andere Agentencharaktere in Comics als Referenzrahmen auf, verlegt bei Brugera, wie El agente 0077, ab 1963 von Francisco Torá und ab 1967 Anacleto, Geheimagent, von Manuel Vázquez. F. Ibáñez vollzog jetzt einen Agenturwechsel seiner beiden chaotischen Helden, die als Privatdetektive zum Geheimdienst Técnicos de Investigación Aeroterráquea bzw. in deutscher Übersetzung Trans-Internationaler Agentenring, kurz T.I.A., wechselten, eine Anspielung auf die amerikanische Central Intelligence Agency (CIA). 

Es wurden weitere feste Charaktere hinzugefügt, die in den Serien immer wiederkehrten: Superintendet Vicente bzw. Mister L, Direktor der T.I.A., oder Professor Bacterius, der Wissenschaftler der Organisation. Nachdem sich die Grundausrichtung der Geschichte geändert hatte, erhielten die Abenteuer der Charaktere eine größere Handlungskapazität, die sich jetzt über 44 Seiten entfaltete. Sie waren so populär geworden, dass ihre Abenteuer ab 1969 als eigenständige Alben veröffentlicht wurden. 

Konsequenterweise tauchen im Kontext der T.I.A. immer wieder direkte Verweise auf Geheimdienstfilme auf, wie etwa das Schuhtelefon, welches sein Vorbild in der amerikanische Fernsehserie Get Smart (USA 1965-1970) um den Geheimagenten Maxwell Smart hat. Die zahlreichen Geheimeingänge, die Clever & Smart immer wieder benutzen müssen, die Kommunikationssysteme und die selbstzerstörenden Nachrichten deuten wiederum auf die amerikanische Fernsehserie Mission Impossible (USA 1966-1973) hin. Einzelne Charaktere von Clever & Smart verweisen sogar eindeutig auf die 007-Welt. So taucht mit Professor Bacterius ein Wissenschaftler der Geheimorganisation auf, der wie der Quartiermeister Q bei Bond, die beiden Agenten mit einer Vielzahl von Erfindungen und Geräten zur Gegnerbekämpfung ausstattet. Der Leiter des Geheimdienstes Mister L verweist auf den MI6-Direktor M. Und auch Ofelia, die in Clever verliebte Sekretärin, karikiert auffällig Ms Moneypenny. Ohne Frage war Ibáñez ein Fan der James-Bond-Welt, weshalb er 1966 auch einen Cartoon mit dem Titel Die wahre Geschichte von James Bond erstellte.

Von Mortadelo y Filemón zu Clever & Smart

Ihren Weg in die Bundesrepublik fanden die irrwitzigen Abenteuer von Mortadelo y Filemón in den Siebzigerjahren. 1972 startete der Frankfurter Condor-Verlag seine Alben-Reihe unter den Namen Clever & Smart. Eine Namenswahl, wie auch in Norwegen, Tschechien und der Slowakei. In anderen Ländern heißen sie wieder anders, beispielsweise Mort & Phil in England und Flip & Flop in Dänemark. So wie Flip und Flap in der deutschen Zeitschrift Felix, wo die Geschichten von 1975 bis 1982 zeitweise parallel erschienen. Da der Condor-Verlag unsicher war, ob die spanischen Texte in Deutschland funktionierten, wurde sehr frei übersetzt und die Reihenfolge der veröffentlichten Alben nach Gutdünken übernommen. Aber es funktionierte, denn ein regelrechter Hyp brach bis in den Achtzigerjahren um die beiden Agenten aus, dominierten sie Drehständer und Comicauslagen der Kioske. 

Doch nach den Neunzigerjahren ebbte der Erfolg am Markt ab. Sprechblasen wie Geschichten hatten inzwischen ihren eigenwilligen deutschen Anstrich bekommen, wie die Titel, die in Reimform präsentiert wurden. Mit der Ausgabenummer 175, Anfang 2003, wurden nur noch Zweitausgaben älterer Werke mit neuem Titel angeboten; zum Unverständnis von Sammlern und Liebhabern von Comics. Als 2012 die Serie auf Deutsch eingestellt wurde, geschah dies still und leise, ohne Nachrufe. Doch seit 2018 verlegt der Carlsen-Verlag die Alben wieder neu, hält sich, anders als bei Condor, näher an die spanische Originalreihenfolge, wobei Kolorierung überarbeitet, Übersetzung aktualisiert werden.

Als erster Band erschien 1972 in Deutschland von Clever & Smart in geheimer Mission die Asphalt-Safari, im Original war Safari callejero die dritte Ausgabe von 1970. Die deutschen Leser blieben gezielt anfangs im Unklaren, ob es sich um eine Serie aus Deutschland handelt. Informationen zum geistigen Schöpfer fehlen zunächst. Zudem wurden die Geheimagenten zu Kollegen von James Bond, da sie auf der Impressumsseite als Geheimagenten Ihrer Majestät, der Königin von England fälschlicherweise eingeführt wurden. 

Und in dem ersten Band Keine Angst, wir retten die Welt, im Original El Sulfato Atómico von 1969, teilt F. Ibáñez gegen die Deutschen aus, verballhornt sie mit sämtlichen Klischees als militaristische, einfältige Pickelhaubenträger, geführt vom strohblonden Bruteztrausen, dem Diktator von Tirania. Doch der Condor-Verlag fand die Nazi-Anspielung 1972 gar nicht lustig, versuchte sprachlich zu mildern. In der Neuauflage durch den Carlsen-Verlag wurde der Diktator schließlich in Brutalovic umgetauft – offenbar fand man einen serbokroatischen Bezug nach dem Jugoslawienkrieg (1990 bis 2001) nun sinnhafter -; allgemein die Übersetzungen auch an anderer Stelle entschlackt und aktualisiert. Auch ein Jahrzehnt später ging der Humor von Ibáñez in Deutschland zu weit. Im Band En Alemania, in deutscher Übersetzung Das muss man feiern – wir sind in Bayern, von 1981, gewidmet den deutschen Lesern, kam ein Witz zur Berliner Mauer so ungelegen, dass er der westdeutschen Zensur zum Opfer fiel und im Heft nicht vorkam. Drei Seiten wurden vom Verlag ummontiert, neu gezeichnet, um jeden Hinweis zur Mauer zu entfernen.

Chaostheorie 

Immer wieder greift Ibáñez in seinen Alben auch aktuelle Themen, Ereignisse und Persönlichkeiten aus Sport, Politik und Wirtschaft auf, die er mit viel Witz in die Abenteuer seiner Charaktere integriert: wie etwa den Vertrag von Maastricht, die Olympischen Spiele und Fußballweltmeisterschaften, aber auch den Clinton-Prozess oder die Tschernobyl-Katastrophe. Unzählige Prominente tauchen auf, wie Felipe González, Helmut Kohl, Bill Clinton oder Donald Trump und Kim-Jong ll. Die Abenteuer der beiden Agenten erscheinen fast wie Zeitdokumente, könnten irgendwann als zuverlässige Comic-Quelle herangezogen werden. Und manchmal stellt sich auch der prophetische Simpsons-Effekt ein, etwa wenn der 11. September von New York in einem Hintergrundgag bereits im Comic El 35 aniversario von 1992 prophezeit wurde oder 2010 in dem Band La gripe U ein starkes Virus die gesamte Welt erfasst. Dabei treffen die Agenten bei ihrer Suche nach der Rettung auch noch auf Chinesen, die wie Fliegen umfallen, müssen einen Kollaps der Medizinversorgung und die Pflicht zum Maskentragen miterleben, inklusive Verschwörungstheorien.

Der Humor von F. Ibáñez ist ohne Frage absurd, war nie feinsinnig, sondern kommt ohne Umschweife mit dem Slapstick-Hammer, doch seine Bilder sind dynamisch gezeichnet und schildern eine Welt umfassend angenehmer Idiotie. Auch wenn die Comics vor Gewalt, Sexismus und makabren Unfällen strotzen, münden sie jedoch in mildernden Surrealismus. Dennoch kommen sie oftmals trotz Überzeichnung der Realität nah genug. 

Clever & Smart verkörpern auf ihre einmalige Art sympathische Geheimagenten, ohne danach an Verschwörungstheorien und deep state glauben zu müssen, erscheinen sie doch chaotisch und tollpatschig. Doch immer kommen ihre Agentengeschichten mit einer enormen Geschwindigkeit, in dichter Aneinanderreihung realer Anspielungen und surrealer Gags. So spielt die kultige Ibáñez-Spinne gerne hängend von der Decke Geige oder putzige Dinosaurier vergnügen sich an Hochhäusern. Irrwitzig. Viele Jahre umwehten die skurrilen Geschichten konsequenterweise der Ruch des Trash-Comics. Aber wie alles im Leben; es ist Geschmackssache und man muss es mögen. Dann sind Clever & Smart zwar immer noch nicht literarisch wertvoll, aber einfach nur Kult, chaotische Comics mit Charme, so wie in Spanien seit Jahrzehnten. Und auch wenn sich das Chaoten-Duo immer an aktuellen Dingen orientiert hat und wie ihr bekanntes Vorbild aus England auch als Agenten des Zeitgeistes gelten können, funktionieren sie doch am besten als Zeitkapsel für die Siebzigerjahre. Als Kindheitsnostalgie. Dafür ist Clever & Smart – Der Schuber bestens geeignet.

Bodo V. Hechelhammer kam als Chefhistoriker des Bundesnachrichtendienstes (BND) – mit einem kundigen Faible für die populärkulturellen Spiegelungen der Agenten- und Geheimdienstwelt – mit uns in Kontakt und ist seitdem ein geschätzter Autor. Seine Texte bei CrimeMag hier. „Geheimdienst ist besonders spannend unter kulturhistorischer Sicht“, ein Interview von Alf Mayer mit dem Autor über das Buch Doppelagent Heinz Felfe entdeckt Amerika. Der BND, die CIA und eine geheime Reise im Jahr 1956 hier. Alf Mayers Besprechung von Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe – Agent in sieben Geheimdiensten hier. – 2022 von ihm erschienen: Rolf Kauka. Fürst der Füchse, hier bei uns besprochenein Textauszug hier.