Geschrieben am 1. April 2019 von für Crimemag, CrimeMag April 2019

A. G. Lombardo „Graffiti Palast“

„Der Stadt ist es egal, wen sie verbrennt“

Ein Roman über die Zeit der Watts Riots, besprochen von Wolfgang Franßen

Da rasen die gelben Westen über den Champs Elysee, erreichen uns Nachrichten von neuen Riots aus den USA, die wir so gerne der Vergangenheit zuordnen würden. Selbst in Hamburg kommt es am Rande des G20-Gipfels zu Plünderung und brennenden Autos. Was ist bloß los mit dieser Welt? In Graffiti Palast von A. G. Lombardo stellt sich eher die Frage, können wir durch reine Beobachtung verstehen, was da geschieht? Wollen wir das überhaupt? Oder ist es viel einfacher, die Wut und den Zorn einem Mob zu unterstellen und in Kunstwerk zu verwandeln?

Americo Monk streift durch eine Stadt, die sich im Aufruhr befindet, während seine schwangere Frau auf einer von ihm organisierten Party auf ihn wartet. Er führt ein Notizbuch, versteht sich als Chronist, als Sammler. Flammen schlagen ihm entgegen, Läden werden geplündert und Straßenschlachten greifen um sich. Monk ist Semiotiker, lebt im Ghetto und führt ein Notizbuch voller Graffitis und Aufzeichnungen – zu dem, was er auf der Straße sieht oder aufschnappt. Ein Außenseiter unter Außenseitern. 

Lombardo hat nicht den üblichen L.A.-steht-in-Flammen-Roman geschrieben. Sein Held Monk schleicht sich in das Leben von Gangs wie in das von Verlorenen ein, die sich ihm anvertrauen, und glaubt an das Gesamtkunstwerk einer Stadt, deren Geschichte ohne ihn verblassen, wenn nicht gar vergessen wird. Es ist eine Annäherung an das Los Angeles im Jahr 1965 zu Beginn der Watts Riots.

Seine Figuren tragen seltsam plakative Namen wie Karmann Ghia, Monks Frau. Die Kraft des Romans nährt sich in der Übersetzung von Jan Schönherr aus der Sprache, scheut oft nicht die Überhöhung und den poetischen Ausdruck, wobei sie das, was sie beschreibt, den Lesern nicht selten entfremdet zurücklässt, wenn sich der Autor dem Untergangsszenarium zuwendet. 

„An der Ecke Standford 116th hört Monk eine Sirene: Manchmal kommen ihm die vor wie unbelebte Musen, die ihn rufen, ihn zu Polizeieinsätzen von Tragödien locken, wo er ein neues oder ungewöhnliches Graffiti für sein Notizbuch finden könnte – diesmal verhallt das Jaulen im Norden.“

Den Menschen begegnet er eher zufällig, statt ihre Nähe zu suchen. Sie mögen ihn. Immer wieder wird er zum Essen eingeladen. Beim Nation of Islam soll er Mitglied werden, mitten unter chinesischen Gangster sieht er sich dem Wahnsinn ausgesetzt, wer nun die Glückskekse wirklich erfunden hat. Ein durchgedrehter Ungezieferbekämpfer berichtet von seinem harten Alltag, an andere Stelle wird an die Radiomoderatorin Tokyo Rose erinnert, die während des zweiten Weltkriegs Rundfunkpropaganda für die Japaner über den Sender schickte. Natürlich darf auch eine ruchlose schwerbewaffnete mexikanische Gang mitsamt Drogen nicht fehlen. 

Monk empfindet sich als Chronist ihrer Geschichten, während er immer wieder vor der Zudringlichkeit der Erzähler flieht und allzu nahen Kontakt scheut. Seine Frau bemüht sich derweil fernab von ihm, ihren gemeinsamen Alltag zusammenzuhalten. Monk irrlichtert von Begegnung zu Begegnung. Selbst die Polizei ist an seinem Notizbuch interessiert, weil sie glaubt, dass er darin geheime Botschaften über die Gangs versteckt. 

Autor wie Protagonist sind zu tief von seinem Verlangen erfüllt, ein Kunstwerk zu schaffen. Der Roman zerfällt in Anekdoten und historische Bezüge. Im Aufstand der Zeichen die Zeichen der Revolte lesen, heißt es auf Rücken des Buchumschlags, und so konstruiert, strengt der Autor sich an, mittels der Sprache dem Aufruhr etwas Gehaltvolles zu entziehen. Man fragt sich, wo Monk all die Jahre gelebt hat, wenn er sich Fragen wie diese stellen muss:

„Sind das bloß gewöhnliche Ausschreitungen … oder treffen nächtliche Heere in einem großen Krieg der Rassen aufeinander?“

A.G. Lombardo ist Lehrer in Los Angeles, Graffiti Palast sein erster Roman. Monk zahlt keine Miete und finanziert sein Leben, indem er Partys veranstaltet, auf dem seine Gäste ihm ein paar Scheine in ein Goldfischglas stecken. Je tiefer er sich in diese Nacht verliert, desto deutlicher stellt sich heraus, wie sehr er diesen Mob hasst. Mit jedem Block, den er hinter sich lässt, hofft er, dass es endlich vorbei ist, mit der Zerstörung der Zeichen und dem Wahnsinn, der nichts als neue Narben hinterlässt.

„Der Nachthimmel scheint vom Knattern und Wirbeln der Luft zu zerspringen zu zerspringen. Monk blickt auf. Der erste „ghetto bird“ der Nacht schwebt dort vorbei, ein Polizeihubschrauber, die Rotorblätter wirbeln durch die Finsternis, der Suchscheinwerferstreicht über den Boulevard wie ein gleißender Tunnel.“

Verzweiflung als sprachliche Kulisse des schönen Ausdrucks – angesichts einer Polizei, die die Ordnung aufrechterhalten will. Lombardo dringt trotz aller Beschreibung nicht in seine Figuren ein. Wer nach Gründen sucht, warum es zur Eskalation gekommen ist, wird enttäuscht. Monk kommt es allein auf sein Notizbuch an, weil er davon ausgeht, dass er allen einen Spiegel vorhält, damit sie die Bedeutung der Welt und die wahren Machtverhältnisse darin erkennen. Kunst als Waffe der Ohnmächtigen.

„An der mytischen Nahtstelle, wo der Geist und das schlagende Herz den Pinsel oder die Sprühdose halten und die Farbe die unbelebte Haut der Stadt berührt, wer könnte da schon sicher sagen, wo das eine aufhört, und das andere anfängt?“

Es ist ein verkopfter Roman, der streckenweise blutleer und vorhersehbar daherkommt, während er sich einer mythischen Suche verschreibt. Wer an die Bilder der Riots im heutigen Amerika denkt, wird enttäuscht sein über die intellektuelle Odyssee eines Unbeteiligten. Hier spiegelt sich nicht der Aufruhr, hier spiegelt sich ein Debütroman in der Anstrengung, ein sprachliches Kunstwerk zu schaffen. 

Chronist zu sein, reicht halt nicht immer aus. 

Wolfgang Franßen

  • A. G. Lombardo: Graffiti Palast (2018). Übersetzt von Jan Schönherr. Verlag Antje Kunstmann, München 2019. 352 Seiten, 22 Euro.

Wolfgang Franßen ist Herausgeber im Polar Verlag. Seine Texte bei CrimeMag hier.

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