Geschrieben am 15. April 2016 von für Allgemein, Bücher, Crimemag, Non Fiction

Sachbuch-Auszug: Peter Vogl: Hollywood Justice

cover hollywood justice_Fiktionale Vigilanten vor 1970

Ein Filmbuch, das sich mit Gewalt und Selbstjustiz befasst und sich bei seinen Grabungen immer wieder auf den hierzulande leider nie übersetzten und nur wenig bekannten Kulturwissenschaftler Richard Slotkin bezieht, der die Zivilisationsgeschichte der modernen Vereinigten Staaten auf eine Kultur der Gewalt gegründet sieht, das kann nicht ganz verkehrt sein, findet CrimeMag und läss statt einer Rezension einfach den Autor Peter Vogl selbst mit einem Kapitelauszug für sich sprechen. Erschienen ist das Buch im kleinen und mutigen Filmbuchverlag Mühlbeyer, der unlängst eine umfassende zweibändige Studie zur „Kunst der Filmkomödie“ vorgelegt hat (CM-Besprechung hier). Hier also der Auszug:

»In the twentieth century, movies became the most important of the mass media for creation of public myths (…)through which Americans defined themselves as a national culture.« (Richard Slotkin[1])

vogl violent-americaIn so gut wie allen Filmsachbüchern und wissenschaftlichen Texten, in denen über Vigilantismus im Film geschrieben wird – meist nur in einem Kapitel oder in einer längeren Erwähnung –, werden ausschließlich Filme der 1970er und manchmal noch die der 1980er behandelt, allen voran „Dirty Harry“ (Don Siegel, 1971) und „Death Wish“ (Ein Mann sieht rot, Michael Winner, 1974). Diese und andere Vigilantenfilme der 1970er, wie „Taxi Driver“, „Joe“ und „Walking Tall“ (Der Große aus dem Dunkeln, Phil Karlson, 1973) sowie deren kommerzieller Erfolg haben die Filmwirtschaft nachhaltig beeinflusst.

vogl VirginianTitlePageDoch es wird fast immer ignoriert, dass es lange vor den 1970ern Vigilantnarrative im Hollywoodkino gab. Bereits 1915 kommen in „The Birth of a Nation“ (David Wark Griffith), einem der ersten Langfilme überhaupt, heldenhafte Vigilanten vor. Der Western „The Virginian“ (Der Mann aus Virginia, Victor Fleming) von 1929 hat Gary Cooper zu einem Star gemacht, und er ist eines des frühesten filmischen Plädoyers für Privatjustiz. Präsident Hoover sagt 1931 dem amerikanischen Volk, es solle die Polizei respektieren und unterstützen, anstatt Gangster zu glorifizieren. In den 1930ern wird eine Reihe von law and order-Filmen produziert, mit Protagonisten, die an oder über der Grenze zum Vigilantismus agieren.

Mit Franklin D. Roosevelt und dem »New Deal« findet 1934 ein Sympathieumschwung in der amerikanischen Öffentlichkeit statt. Berühmte Gangsterdarsteller wie Edward G. Robinson (Little Caesar/ Der kleine Caesar, Mervyn LeRoy, 1931) und James Cagney – der Staatsfeind Nr. 1 höchstpersönlich (The Public Enemy/ Der öffentliche Feind, William A. Wellman, 1931) – wechselten auf die andere Seite des Gesetzes, in Filmen wie „»G« Men“ (Der FBI-Agent, William Keighley, 1935) und „I Am the Law“ (Im Namen des Gesetzes, Alexander Hall, 1938). Die Regierungsagenten und Polizisten in diesen und ähnlichen Filmen legten meist ähnliche Taktiken wie die Gangster an den Tag, und dasselbe Level an Brutalität. In „Bullets or Ballots“ (Wem gehört die Stadt?, William Keighley, 1936) ist Edward G. Robinson ein Undercoveragent und kann somit im selben Film ein redlicher Held und ein Gangster sein.[2] Doch wie auch das Buch mediengeschichtlich vor dem Film kam, finden sich Vigilanten zunächst vereinzelt in literarischer Form.

vogl nick25941Frühe Beispiele für Vigilantnarrative

»The vigilante is a powerful archetype – one of the most powerful in all of American culture. (…) [He] is a pop culture super-icon.« (Gary Hoppenstand[3])

1837 erscheint „Nick of the Woods“, ein sehr erfolgreicher und in seiner Darstellung von Indianern einflussreicher Roman des amerikanischen Autors Robert Montgomery Bird. Er handelt vom friedliebenden Quaker Nathan Slaughter, der – nomen est omen – nach der Ermordung seiner Frau, Mutter und Kinder durch Indianer als »Nick[4] of the Woods«, eine mysteriöse, als Monster verkleidete Figur, Rache an allen Indianern nimmt. Slaughter genießt seine Funktion als »gerechter Henker«.[5] Wie Paul Kersey im Film „Death Wish“ macht Nathan Slaughter eine Transformation durch – vom Pazifisten zum brutalen Vigilanten. Der sehr erfolgreiche Roman war auch als Antwort auf die ebenfalls beliebten „Leatherstocking Tales“ (Lederstrumpf, 1823–1841) gedacht, einer Reihe von Büchern des amerikanischen Autors James Fenimore Cooper, in der Indianer als »edle Wilde« dargestellt werden. Im krassen Gegensatz zu Coopers Ansatz sind die Indianer in Birds Roman brutale »Untermenschen«, die Gewalt der Weißen an ihnen wird als gerechtfertigt dargestellt. Der »indian hater« wurde durch dieses Buch zu einem Stereotyp in Westerngeschichten.

Der Roman Nick of the Woods“ ist in mehrerer Hinsicht interessant: Zunächst ist er ist das vielleicht erste Beispiel eines fiktionalen Vigilant-Helden. Gary Hoppenstand, ein Professor für American Studies, der sich mit Vigilantenfilmen und auch mit „Nick of the Woods“ beschäftigt hat, sagt: »Bird’s novel can be seen as one of the first tales of heroic vigilantism in American literature.«[6] »Bird created a vigilante hero archetype.«[7] Hoppenstand liefert zwei Definitionen für einen Vigilanten, eine positive und eine negative. Die positive Definition ist jene, die wir auch in Filmen finden können:

„[A] heroic individual who forgoes the bureaucratic mechanisms of the legal system in order to achieve ‚Justice‘. He (or she) often is disillusioned with the ineffectiveness of socially proscribed enforcement methods, or with the efficacy of the criminal, and thus he takes the law into his own hands, becoming judge, jury and executioner all in one. The vigilante defies the law so that he can uphold the basic ideals of that law. This paradox is not thought of  as being contradictory by the vigilante, and in fact the paradox presents itself to the vigilante hero as the only viable means to protect the interests of civilized society.“[8] Und: „The vigilante may not obey the letter of society’s law, but he honors its ideological value and defends it to the death.“ [9] Für Hoppenstand ist der Vigilant eine tragische Figur, »created out of violence to do violence«[10], zudem ist er ein autarker Einzelgänger und schroffer Individualist (»rugged individualism«).[11] Die zweite, negative Definition eines Vigilanten bezeichnet jene Individuen, die sich – jenseits des heroischen Vigilantentums – in Lynchmobs zusammenrotten.

„Wenn Sie Ihre Frau lieben …“

„Nick of the Woods“ liefert zudem die wahrscheinlich erste fiktionale Darstellung eines Menschen, der ein Doppelleben führt und dabei als kostümierter Vigilant auftritt. Nathan Slaughter wird von den anderen Pionieren der Geschichte, die von seiner zweiten Identität nichts wissen, für seinen Pazifismus verspottet. Der Nick of the Woods tötet und skalpiert Indianer[12] und personifiziert somit eine »Gleiches mit Gleichem vergelten«-Mentalität.

Ebenfalls interessant ist die Darstellung der Gegner des Protagonisten als sub-human/»Untermenschen«. In etlichen Vigilantenfilmen wird den Gegnern der Menschen-Status aberkannt und sie werden als »animals« bezeichnet. Das Töten der bad guys soll somit gerechtfertigt werden. Bei einem Poster des ersten „Death Wish“-Films wurde dieser Gedanke sogar als Werbung für den Film benutzt, es fragt den Betrachter: »If you loved your wife and daughter as much as Paul Kersey did… and one was raped and the other kicked to death by ›human animals‹… then would you too demand vigilante justice?«[13] Hoppenstand schreibt außerdem: »Nathan functions as an elaborate symbol of societal violence justifiably unleashed, as a literal embodiment of Biblical Old Testament ›an eye for an eye‹ justice. Nathan not only is emblematic of an Old West political ideology, he is representative of a New World paradigm as well, a paradigm that suggests that violence can ensure the community’s welfare.«[14] Für Hoppenstand ist dies ein nationaler Mythos.

slotkin regeneration03,200_Richard Slotkin hat ebenfalls von einem populären und dominanten Mythos der amerikanischen Kultur gesprochen, als er seine These der »Regeneration durch Gewalt« formulierte. Laut dieser bringt Gewalt nicht nur dem sie Ausübenden Regeneration, sondern auch der Gesellschaftsordnung, und ist somit notwendig und gut. Für Slotkin drückt der Rückgriff auf Gewalt in der amerikanischen Phantasie eine fundamentale Unzufriedenheit mit der Demokratie als Instrument des Fortschritts aus, in der »a gun in the hands of the right man« bevorzugt wird.[15]

In seiner Analyse zu dem Buch, die er „Justified Bloodshed. Robert Montgomery Bird’s Nick of the Woods and the Origins of the Vigilante Hero in American Literature and Culture“ nennt, schreibt Hoppenstand zur krass negativen Darstellung der amerikanischen Ureinwohner: »the function of this [outrageously negative] stereotype is to help establish a moral environment in which the hero of the story enacts an epiphanous retribution.«[16] Diese Taktik lässt sich sehr einfach in etlichen Vigilantenfilmen beobachten. »Bird’s use of the negative Indian stereotype is not so much an attack against the Indian as it is an attack against what the Indian stereotype represents as a formulaic device: barbarism, social chaos, and precocious brutality against women and children.« Hoppenstand spricht auch über etwas, das ich als für das Vigilantnarrativ zentral erachte: über den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen den Schöpfern der Zivilisation und den Zerstörern der Zivilisation.[17]

Der Kampf findet zwischen jenen statt, die über kulturelles Kapital besitzen, und den Unzivilisierten und Unkultivierten. Daher macht es auch Sinn, wenn Vigilanten im Film fast immer aus der gesellschaftlichen Oberschicht und Mittelschicht stammen. Während sie Gebäudedesigns planen, Klavier spielen und Vernissagen besuchen, verübt der »Abschaum« den nächsten Raub, die nächste Vergewaltigung oder eine sonstige Schandtat. Vigilanten sind innerhalb ihrer Geschichten nicht nur Vertreter der gesellschaftlichen, sondern auch der moralischen und manchmal auch rassischen Elite. Die »Wilden« sind Indianer, von Drogen aufgeputschte Ghetto-Jugendliche, oder – wie in „The Birth of a Nation“ – Schwarze.

vogl death-wish-uk1Mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus:

Peter Vogl: Hollywood Justice. Selbstjustiz im amerikanischen Film 1915 – 2015. Mit einem Vorwort von John Shelton Lawrence. Mühlbeyer Filmbuchverlag, Frankenthal 2016. Trade Paperback, 218 Seiten, zahlr. Abb, 18,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch sowie das Vorwort.

Anmerkungen:
[1]Lichtenfeld, Eric: Action Speaks Louder. Violence, Spectacle, and the American Action Movie. Revised & Expanded Edition. Wesleyan University Press. 2007. Seite x (Foreword).
[2]Young, William H. und Young, Nancy K.: The 1930s (Aus der Reihe: American Popular Culture Through History). Greenwood Press. 2002. Seite 190.
[3]Hoppenstand, Gary: Justified Bloodshed: Robert Montgomery Bird’s Nick of the Woods and the Origins of the Vigilante Hero in American Literature and Culture. In: Journal of American Culture Volume 15, Issue 2. 1992. Seite 51 und 60.
[4]»Old Nick« ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für den Teufel.
[5]Hoppenstand: Justified Bloodshed. Seite 56.
vogl gunfighter203,200_vogl fatal,203,200_[6]Ebd., Seite 51.
[7]Ebd., Seite 53.
[8]Ebd., Seite 51.
[9]Ebd., Seite 59
[10]Ebd., Seite 58.
[11]Ebd., Seite 59.
[12]Weinstock, Jeffrey Andrew: The Ashgate Encyclopedia of Literary and Cinematic Monsters. Ashgate Publishing. 2014. Seite 437.
[13]http://lifebetweenframes.blogspot.co.at/2014/05/40-years-of-vigilante-vendetta.html (zuletzt aufgerufen am 22.12.2014)
[14]Hoppenstand: Justified Bloodshed. Seite 53.
[15]Slotkin, Richard: Gunfighter Nation. The Myth of the Frontier in Twentieth-Century America University of Oklahoma Press. 1998. Seite 396.
[16]Hoppenstand: Justified Bloodshed, Seite 51.
[17]Ebd., Seite 59.

Tags : , , , , , , ,