Geschrieben am 10. April 2010 von für Bücher, Crimemag, Porträts / Interviews

Gunter Gerlach: Friedhof der Beziehungen

Begrabene Beziehungen, mysteriöse Todesfälle

Gunter Gerlach gilt schon immer irgendwie als Originalgenie des deutschen Kriminalromans. Anlässlich seines neuen Romans Friedhof der Beziehungen hat Peter Münder nicht nur das Buch gelesen, sondern sich den Autor live angesehen.

Der in Leipzig geborene, schon lange in Hamburg lebende Autor Gunter Gerlach, 68, der ursprünglich Bildender Künstler war und sich dann in diversen Schriftsteller-Gruppierungen für avantgardistisch-minimalistische Auftritte, Stilrichtungen und Techniken einsetzte (nur noch 15 Wörter pro Satz, keine Metaphern, keine Adjektive!), war mit seinen ungewöhnlichen Plots, skurrilen Figuren und ihren Marotten immer schon für Überraschungen gut gewesen. Mit Gesinnungsgenossen aus der Gruppe Peng hockte er gelegentlich bei Lesungen in den Bäumen und behauptete „Gute Kunst entsteht durch die Beschränkung der Mittel!“

War das nur eine Reaktion auf hyperästhetische Bewohner des Elfenbeinturms, deren Motto offenbar noch lautete: „Poesie ist Leben, Prosa ist der Tod – Engelein umschweben unser täglich Brot“?

Oder hält er den Leser für so unbedarft, dass er ihm anspruchsvolle Stilexperimente nicht zumuten will? Jedenfalls suchte Gerlach meistens die Reduzierung auf simple Wahrheiten oder Satzkonstruktionen und die Konzentration auf komische Effekte und groteske Wendungen. Spannende Plots oder aggressive Konfrontationen, die dem herkömmlichen Krimi ja eigentlich nicht ganz fremd sein sollten, wurden damit permanent unterlaufen und konterkariert. Was nun genau „krimi-mäßig“ an seinen Texten sein soll, das ist immer noch Gerlachs Geheimnis.

Satire, Krimi, Kafka

Weil er Satire, Krimi und eine kafkaeske Nabelschau seiner introvertierten Sensibelchen in seinen Büchern gern unter einen Hut bringen möchte, hat man bei der Lektüre den Eindruck, einen Hexenmeister beim Experimentieren mit der Quadratur des Kreises zu beobachten. Helden aus dem Hard-boiled-Universum von Chandler, Hammett oder James Ellroy müssen ihm jedenfalls absolut verhasst sein. Und an den Polit-Intrigen und gesellschaftskritischen Dimensionen, die Frank Göhre in seinen rasanten, tiefgründigen Hamburg-Krimis beleuchtet, hat Gerlach ebenfalls kein Interesse. Für ihn scheint die Welt nur ein buntes Panoptikum schrulliger Typen und komischer Episoden zu bieten.

Mit seinem sensiblen Ermittler Bartzsch hatte er den ersten allergischen Schnüffler präsentiert, zuletzt folgte der misanthropische Brahms (Tod in Hamburg) sowie Jäger des Alphabets, worin der Schriftendesigner Paulson als Ermittler in dubiosen Familiengeschichten aktiv ist. Jetzt lässt Gunter Gerlach seine eher unmusikalische Hauptfigur Georg Händel in Berlin ermitteln. Händel ist ein hypersensibler Krimi-Autor, der sich gruselt, wenn er mit Blut oder Leichen konfrontiert wird. In die Niederungen profaner Ermittlungsarbeit will er sich gar nicht erst begeben: Er haut lieber munter in die Tasten seines PCs und lässt die sich fast automatisch ergebenden Zusammenhänge und Resultate des Computers auf sich wirken: Kommissar Computer, übernehmen Sie!

Händler trifft auf die Journalistin Sabine Weber, die hinter dem mysteriösen Verschwinden einiger Frauen den großen Scoop wittert. Sie hängt sich an den von ihr betörten Händel, um dessen Berichte über den Fall selbst für ihr Blatt auszuwerten. Kann es sein, dass einige der Toten einfach auf einer Verkehrsinsel eingebuddelt wurden? Es geht außerdem noch um einen von Herrn WUH (Kürzel für „Wesen unbekannter Herkunft“) geführten „Friedhof der Beziehungen“, ein Dienstleistungsunternehmen für Menschen, deren Partner sich abgeseilt haben. Mit den dort symbolisch begrabenen Souvenirs soll der Trennungsprozess als finaler Akt ohne schmerzliche Trauerarbeit abgehakt werden. So nimmt mit Händels Visiten an diesen Schauplätzen, mit seinem Buhlen um die Gunst der spröden Sabine Weber, dieses turbulente Geschehen um gescheiterte Beziehungen und vereinsamte Existenzen seinen Lauf.

Live …

Tobias Gohlis, Gerlach, Frau Sietz

Im Rahmen der vom Zeit-Kolumnisten Tobias Gohlis initiierten Reihe „Hamburger Autoren lesen in Rahlstedt“ stellte Gunter Gerlach seinen neuen Band in der Hamburger Buchhandlung Heymann vor. Locker moderiert wurde der Abend vom Duo Tobias Gohlis und dem Hamburger Autor Alexander Posch, der Gunter Gerlach in seiner Experimentierphase bei der Autorengruppe Peng erlebt hatte und sich noch gut an die „Dogma“-Jahre erinnerte, als man tatsächlich an Sätzen mit nur 15 Wörtern bastelte, Aversionen gegen Metaphern entwickelte und dem Adjektiv den Exitus bereiten wollte. Aber sind diese formalistischen Spitzfindigkeiten nicht schon ein deutliches Indiz für inhaltliche Defizite? Für die Vernachlässigung von Plot, spannenden Figuren und gesellschaftskritischen Aspekten?

Kritische Einwände gegenüber Gerlachs Genre-Überschreitungen oder seinem eher satirischen Panoptikums-Plot skurriler Figuren liegen auf der Hand. Schließlich driftet das Geschehen häufig in die satirische Groteske ab, der spielerische Umgang mit Mord und Totschlag passt jedenfalls nicht in das klassische Krimiraster. Doch Gerlach weist diese Kritik zurück: „Im klassischen Krimi wird dem Leser vom omnipotenten Autor zu viel vorenthalten, was auf ein Täuschungsmanöver hinausläuft“, kontert Gerlach. „Mein Ich-Erzähler erzählt genauso viel, wie er selbst weiß, so dass sich der Leser ein genaues Bild machen kann und nicht mit irgendwelchen Finten getäuscht wird“.

Sinnsprüche

Launig-amüsant präsentierte sich Gerlach als großzügiger Sponsor seiner eigenen Lesung: Wer Interesse an einem hübsch eingerahmten Sinnspruch zeigte, bekam diesen auch geschenkt – es handelte sich allerdings nicht um Goethe-Zitate, sondern um bildungsträchtige Sentenzen, die aus seinem neuen Buch stammen.

So ging die eingerahmte Bildungsbürgerweisheit „Gute Literatur muss Kunst sein, wie Bilder malen“ an eine Zuhörerin in der ersten Reihe, die daran großes Interesse gezeigt hatte. Auch Leselampen verschenkte der Autor an Besucher, die sich durch „intelligente Bemerkungen“ ausgezeichnet hatten. Der Schreiber dieses Berichts gehört erfreulicherweise auch zu diesen Illuminati. Wer sich jedoch verwundert die Augen reibt und fragt, ob es sich bei dieser Lesung etwa um einen Creative-Writing-Workshop handelte, der bekam darauf eigentlich keine eindeutige Antwort. Im Buch und auch während der Lesung wies Gerlach auf unlautere Machenschaften der Krimi-Kollegen hin: „Die unterschlagen einen Biss in ein Stück Käse, doch die darin enthaltene DNA ist von entscheidender Bedeutung für die Täterüberführung.“ So wirkt mancher Exkurs dieses Meisters skurriler Episoden und schrulliger Figuren doch ziemlich dogmatisch und irritierend. Gerlach ist zwar mit dem deutschen Krimipreis und dem Glauser für Kurzgeschichten ausgezeichnet worden. Es scheint aber, dass er mit dem Krimi nichts mehr am Hut hat.

Für mich war der Abend daher trotz der lockeren Präsentation des sympathischen Autors eine ziemliche Enttäuschung. Denn wer möchte schon gern in einen VHS-Kurs „Richtig Schreiben“ geraten, wenn er einen spannenden Krimi erwartet? Und welcher Leser will schon in diesen Sumpf selbstreferentieller Reflexionen über das Schreiben eintauchen, wenn der Plot mal wieder auf der Stelle tritt? In den Roman eingestreute Binsenweisheiten wie „Literatur sollte aus Inspiration entstehen und nicht aus Berechnung des Willens von Verlegern, Buchhändlern und Lesern“ kann sich ein Autor in diesen aufgeklärten Zeiten getrost schenken. Wer allerdings weiß, dass sich Gerlach bei Schreibblockaden gern auf die Straße begibt, um sich bei Spaziergängen vom bunten Treiben außerhalb seiner Schreibstube inspirieren zu lassen, wird diese locker-amüsanten literarischen Fingerübungen nicht überbewerten und etwa mit den klassischen Krimi-Größen der Hard-boiled-Schule vergleichen.

Peter Münder

Gunter Gerlach: Friedhof der Beziehungen.
Cadolzburg : Ars Vivendi 2010. 152 Seiten. 14,90 Euro.

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