Geschrieben am 18. Mai 2013 von für Bücher, Crimemag

Veit Heinichen: Im eigenen Schatten

Heinichen_Schatten_P04def.inddProto Laurentis Wunsch: Endlich mal ein „normaler“ Mord!

Er schätzt die Wonnen der Gewöhnlichkeit und hasst „neurotische Komplexitäten“: Doch mit undurchsichtigen Fällen und chaotischen Situationen wird Veit Heinichens Triester Kommissar Proteo Laurenti auch im neuesten Band „Im eigenen Schatten“ konfrontiert. Von Peter Münder

Das Privatflugzeug des millionenschweren Südtiroler Ex-Politikers und Geschäftsmanns Spechtenhauser explodiert kurz nach dem Start in Triest, der prominente Ex-Senator kommt ums Leben und wenige Tage später wird ein Goldtransporter seiner Schmuckfirma trotz aufwendiger Bewachung auf der Autobahn bei Udine überfallen und samt kostbarer Fracht auf einem Tieflader entführt. Will sich jemand am ehemaligen ultra-nationalistischen Separatisten rächen? Oder haben es habgierige Konkurrenten auf die Millionen und den Ruin des Spechtenhauser-Imperiums abgesehen?

Es scheinen kriminelle Insider-Jobs zu sein, denn die entscheidenden Informationen können nur aus dem näheren Umfeld des Familien-Clans stammen. Für Kommissar Laurenti ist dieser achte Fall keineswegs der unkomplizierte „ganz normale Mord“, den er sich so sehr wünscht. Denn die Spuren weisen nach Tirol, aber auch nach Slowenien und Kroatien, mehrere Tatverdächtige sind auf der Flucht, die Unternehmerfamilie verhält sich merkwürdig indifferent und ihr umtriebiger Anwalt Galimberti scheint über alle diskreten Firmen-Interna bestens informiert zu sein.

Veit Heinichen in Triest  (Foto: P. Münder)

Veit Heinichen in Triest (Foto: P. Münder)

Multi-Kulti und Profilneurotiker

Unübersichtliche Verstrickungen, zahlreiche Verdächtige und grenzübergreifende kriminelle Aktivitäten dubioser Banden – das alles gehört zum altbewährten Erfolgsrezept des Triest-Fans Veit Heinichen, 55, der nun schon seit über einem Jahrzehnt in der quirligen Multi-Kulti-Hafenstadt lebt. Er hat ja am Karst inzwischen etliche Höhen und Tiefen erlebt: Einerseits kann er nun auch in Italien mit seinen Roman-Übersetzungen die längst fällige literarische Anerkennung genießen, während seine brisanten politischen Glossen und Kommentare zum Berlusconi-Sumpf in der Lokalzeitung mit großem öffentlichen Interesse wahrgenommen werden. Andererseits gab es vor drei Jahren eine unselige, abartige Kampagne gegen den angeblichen „Pädophilen“, die offensichtlich von durchgeknallten politischen Gegnern ausgeheckt war und dort endete, wo sie hingehört: im Dreckkübel.

Das politische Irrenhaus Rom ist zwar aus Sicht der Triestiner fast so weit entfernt wie der Mars, aber der Mix aus grotesker Clownerie und Mafia-affinen Machenschaften ging Veinichen zuletzt doch sehr auf den Keks. Vielleicht hat der Autor diesen Frust angesichts des aberwitzigen, korrupten Bunga-Zirkus im rasanteren, entschlossenen und kritischen Fokus auf Plot und Erzählstil kompensiert?

Während man im letzten Band („Keine Frage des Geschmacks“ von 2011) noch mit konstruiert wirkenden exotischen Verästelungen eines Kaffee-Komplotts und den ausufernden Details über Kaffeebohnen und Kaffeehandel irritiert wurde, geht in diesem neuesten Krimi nun der Wunsch des Lesers in Erfüllung, endlich wieder in einen rasanten Plot – die klassische Jagd nach brutalen Gangstern – ohne ermüdende Archivar-Exkurse eintauchen zu können. Dabei entlarvt Heinichen mal wieder das Macho-System profilneurotischer Wichtigtuer, die am liebsten alle Informationen für sich behalten, um dann prächtige Lorbeeren bei großem Presserummel ernten zu können.

In das Kabinett der eitlen Machos passt auch die herrliche Karikatur des eitlen Staatsanwalts Lorusso, der sich als Hobby-Autor von Krimis wie ein angehender Nobelpreisträger aufführt und in seinem von Paragraphen umrankten Elfenbeinturm nicht gestört werden möchte: Er will mit Laurenti, diesem bodenständigen und eigenwilligen Mann des pragmatischen Alltags, am liebsten gar nicht kooperieren, denn sein in statu nascendi befindliches opus harrt der Vollendung – was scheren ihn da schon dringend benötigte Haftbefehle.

Bekanntes Personal

Viele Akteure aus Laurentis direktem Umfeld sind dem Leser früherer Bände bestens bekannt: Marietta mit leicht nymphomanischem Touch sorgt dafür, dass die Büro-Routine rund läuft, die Kollegin und Kampfmaschine Xenia läuft zur Hochform auf – eigentlich bringt sie die meisten Gangster zur Strecke – und der vertrottelte, ewig verbiesterte pensionierte Gerichtsmediziner Galvano zieht auch wieder mit seinem arthritischen Köter um den Block. Ehefrau Laura hockt mal wieder mit ihren befreundeten Botox-Bomben beim Kaffeeklatsch und seine ad acta gelegte Affäre mit der kroatischen Staatsanwältin Ziva hat Laurenti wieder aufgewärmt. Die Schwiegermutter giftet hyperventilierend gegen Laurenti, während sein kiffender Sohn Marco inzwischen bei der Occupy-Bewegung gelandet ist und sich mit nacktem, gegen Polizisten gerichtetem Hintern an einer Demo gegen „Clowns und Hurenböcke“ beteiligt, die das Land regieren.

So wäre eigentlich alles paletti, wenn Veit Heinichen nicht phasenweise die Tendenz hätte, den eingeschalteten Turbolader zu überdrehen: Da werden dann immer neue Figuren mit unübersichtlichen Querverbindungen zur Darstellung unerheblicher Arabesken vorgestellt und dazwischen Kochrezepte eingestreut, die zwar mit dem enormen Enthusiasmus des Feinschmeckers und des Liebhabers der bekannten Edelküche von Ami Scabar angereichert sind. Aber besteht die Heinichen-Leserschaft inzwischen zum größten Teil aus TV- Show-Köchen oder Trüffeljägern? Sei’s drum: „Im eigenen Schatten“ ist trotz dieser Schwachpunkte ein faszinierender „Whodunnit?“ mit praller, faszinierender Action, prickelndem Ambiente und erhellenden Einblicken in die kriminelle Szene rund um Triest.

Peter Münder

Veit Heinichen: Im eigenen Schatten: Roman. Roman. Wien: Zsolnay 2013. 334 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Tags :