Geschrieben am 7. März 2009 von für Bücher, Crimemag

Veit Heinichen: Die Ruhe des Stärkeren

Vorsicht! Schreibender Kampfhund!

Die Machenschaften krimineller Finanzjongleure, den Tod eines Tierpräparators und das Attentat auf einen prominenten Großinvestor soll der Triestiner Kommissar Proteo Laurenti in Veit Heinichens sechstem Roman aufklären – und all das kurz vor Weihnachten. Peter Münder ist begeistert.

Endlich mal ein paar ruhige Tage im Kreis der Familie wollte sich Kommissar Proteo Laurenti während der Weihnachtsfeiertage gönnen. Doch im „Triestiner Irrenhaus“ – so empfindet es Proteo Laurenti jedenfalls, geht mal wieder alles drunter und drüber und während der Vorbereitungen einer EU-Sicherheitskonferenz und der Jubelfeiern anlässlich der Grenzbeseitigung zu Slowenien müssen diverse mysteriöse Mordfälle aufgeklärt werden. Der Tierpräparator Manfredi, ein dubioser Vogel, der mit allen möglichen Putschmitteln dealt und exotische Tiere schmuggelt, wird umgebracht, dann muss der Leibwächter des milliardenschweren Großinvestors und Finanzjongleurs Goran Newman, genannt „Duke“, dran glauben, schließlich wird auch der Duke selbst bedroht. Außerdem wäre die junge Inspektorin Pina, Proteos sportlich-dynamische Mitarbeiterin, die neben martialischem Kampfsport auch das stramme Herumkurven auf dem Mountainbike als Hobby betreibt, auf einer Spritztour in abgelegene Karstregionen beinahe von einem wilden Pitbull-Kampfhund zerfleischt worden. Als sie ausgerechnet von Sedem, dem querschnittsgelähmten Sohn des Duke, aus ihrer misslichen Lage befreit wird, entwickelt sich daraus noch ein Techtelmechtel. Und Marietta, Proteos ebenso launisch-zickige wie anhängliche Sekretärin, ist voll damit beschäftigt, sich für die Feier- und Freiertage mächtig aufzubrezeln und nebenher noch günstige Schnäppchen im allgemeinen Shopping-Furor zu ergattern, während ihre Verehrer schon erregt auf der Matte stehen. Keine Frage: Erholsame Feiertage sehen anders aus.

90 Ethnien und ein paar Todesfälle

Die neurotischen Komplexitäten dieser faszinierenden Hafenstadt mit ihren 90 unterschiedlichen Ethnien hatte Veit Heinichen, 51, schon nach seiner Übersiedlung nach Triest vor über zehn Jahren im Visier gehabt. Klassische Krimi-Delikte wie Eifersuchtsdramen, Raubmord oder ein Banküberfall mit anschließendem „Whodunnit“-Rätsel waren nie seine Sache. Hier in Triest werfen die Turbulenzen extremer politischer Konflikte lange Schatten und führen noch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur Begleichung offener Rechnungen. „Egal was hier passiert, es hat fast immer mit der Vergangenheit zu tun oder mit den Klischees, die sie erzeugt hat. Mit der Geschichte, besser gesagt mit dem verschlampten Teil der Geschichte“, hieß es dazu in Der Tod wirft lange Schatten.

Heinichen hatte schon immer ein Faible für schrille Typen und ungewöhnliche Fälle, aber nun betritt er auch kreatives, literarisches Neuland. Denn das Ambiente der illegalen Kampfhundwettkämpfe, bei denen Hunderttausende von Euros gewettet werden, beschreibt ein Kampfhund in einigen kürzeren Kapiteln aus seiner Sicht – sehr subjektiv, aber äußerst eloquent. Wer sich irritiert die Augen reibt und fragt, ob es sich hier vielleicht um einen vierbeinigen Absolventen eines Creative-Writing-Courses handelt, wird jedoch schnell registrieren, dass diese eingeblendeten Kampfhundberichte aus der Ich-Perspektive (!!!) die Brutalität und Intensität dieser vierbeinigen Gladiatoren-Existenz vermitteln. Die blutrünstige Aggressivität dieses schmerzunempfindlichen, mit allen möglichen Chemikalien und Putschmitteln vollgepumpten Pitbulls geht dem Leser so direkt unter die Haut. Hier eine Kostprobe: „Man ruft mich Argos. Ich kenne keinen Schmerz und beklage mich nie. Nicht einmal, wenn sie mich mit Elektroschocks terrorisieren, die meine Aggressivität zum Irrsinn treiben, genauso wie die Peitschenhiebe auf meinen in einen schwarzen Sack gezwängten Kopf.“ Hundeleichen pflastern seinen Weg: Argos ist ein Killertyp, der sich auf seinem Weg zum Champion in klassischer sozial-darwinistischer Manier wahrlich durchgebissen hat. „Einmal nahm einer dieser Typen seiner Begleiterin den weißen Pudel weg und ließ ihn laufen, dann machten sie mich los. Der weiße Wischmob kam nicht weit, ich verbiß mich in seinen Nacken und schüttelte ihn, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gab.“ Doch nach einem mehrstündigen illegalen Fight nachts in einer entlegenen Ecke mitten im Karst trägt auch die rabiate Kampfmaschine Argos böse Blessuren davon. Und es gibt, wie bei diesen irren Wettsummen nicht anders zu vermuten war, nach dem Ende des Kampfes Streitereien und Schießereien unter den Hundebesitzern – noch mehr Arbeit für Kommissar Laurenti und für das humpelnde Kampfhund-Opfer Pina.

Schmierfinken

Heinichens Romane mit dem herrlichen Dickschädel Proteo Laurenti sind ja weit mehr als spannende, amüsante Krimis, weil sie eben auch die historisch-gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse mit ihren brutalen Exzessen und kriminellen Aktivitäten ins Visier nehmen. Nach dem Fall alter Grenzen breitet sich die organisierte Kriminalität auch über die neuen, größeren Areale hemmungslos aus. Hatte er in den früheren Bänden schon Drogen- und Organ-Handel, Waffenschiebereien und den Mädchenhandel als renditeträchtige OK-Branchen beschrieben, so rückt Heinichen jetzt die global operierenden unersättlichen Finanzjongleure in den Mittelpunkt. Sehr raffiniert und hochaktuell stellt er das Vater-Sohn-Duo Sedem und den Duke ins Zentrum: Beide spekulieren und jonglieren an den Finanzmärkten, aber der gelähmte, an den Rollstuhl gefesselte Sohn gibt sich als Idealist aus, der mit seinen Milliarden Umweltprojekte und Kinderhilfsprogramme fördern will, während der unersättliche Vater der erzböse kapitalistische Unhold sein soll. Aber auch hier ist natürlich nichts so, wie es scheint.

„Alle lauerten nur darauf, einem ruckzuck die größten Schweinereien, grobes Fehlverhalten und Übergriffe anzudichten, die einem nicht einmal in hartnäckigsten Situationen durch den Kopf gegangen wären“, sinniert die sonst so resolute Pina in der kritischen Phase, als sie im Kampf gegen den Pitbull schon ihr letztes Stündlein vor sich sieht. Aber sie ließ keine Panik aufkommen, zwang sich zur Ruhe, obwohl ihre Umgebung am Überschäumen war. Ähnlich ergeht es jetzt übrigens auch dem Autor selbst. Auch Veit Heinichen muss in diesen Tagen die Ruhe des Stärkeren aufbringen, denn er wird schon seit einem Jahr von einem perfiden anonymen Schmierfinken belästigt und als pädophiler Kinderschänder verleumdet, wie das Triestiner Lokalblatt „Piccolo“ meldete. Hat Heinichen vielleicht mit seinen kritischen Darstellungen der verwickelten Triestiner Verhältnisse und mit seinen kritischen Kommentaren zu diesen neurotischen Komplexitäten betroffene Parteien und ihre Machenschaften zu genau beschrieben und damit provoziert ? Will sich ein politisches Grüppchen vielleicht an ihm für seine Kritik an reaktionären italienischen Verhältnissen oder an der verschlafenen Dornröschen-Fraktion im Rathaus rächen? Heinichen selbst hat sich ja auch immer in den politischen Alltag von Triest eingemischt und auch als „Piccolo“- Kolumnist Stellung bezogen. Er sieht hier übrigens keine psychopathische Dumpfbacke am Werk, sondern eher eine Gruppe eloquenter Aktivisten mit größeren Ressourcen, weil ihre Recherchen sehr aufwendig seien, auch wenn alle angeblichen Daten und Fakten falsch und die grotesken Anschuldigungen völlig aus der Luft gegriffen seien. Nur schade, dass die vierbeinige Kampfmaschine Argos nicht mehr mit einem kurzen „Fass“! auf diese anonymen Schmierfinken und Hetzer angesetzt werden kann!

Spannungsbremse?

Aber zurück zum Buch. Proteo Laurenti, dieser sympathische Einzelgänger, der eitle Bürokraten-Affen und aufgeblasene karrieregeile Wichtigtuer ebenso hasst wie die immer zahlreicher und dreister auftretenden neureichen Schickimicki-Fuzzis in Triest, ist hier jedenfalls wieder in Höchstform. Heinichen hat ein wunderbares Porträt des Familienvaters im Kreis eines dominanten Matriarchats geliefert. Laurenti kämpft an mehreren Fronten: gegen Kriminelle, gegen den eigenen schwerfälligen Behörden-Apparat und gegen all die starken Frauen um sich herum, die ihn permanent bevormunden wollen: die Ehefrau, die Tochter, Marietta und Pina. Sanftmütig und geradezu glücklich findet er sich schließlich sogar mit dem Schicksalsschlag ab, bald Großvater zu werden.

Da Laurenti ein ebenso begeisterter Feinschmecker ist wie Heinichen, finden sich im Roman alle möglichen Hinweise auf kulinarische Köstlichkeiten und exzellente Weine. Für Heinichen und seine Freundin Ami Scabar, die ein einmaliges, grandioses Feinschmeckerlokal in Triest betreibt, gehören diese detaillierten Darstellungen edler Gaumenfreuden zum typischen Ambiente der faszinierenden Hafenstadt. Doch mitunter muten diese allzu ausführlichen Beschreibungen wie Rezepte aus dem Kochbuch eines Drei-Sterne-Kochs an – das wirkt dann doch, als einziges kleines Manko dieses mitreißenden Romans, als Spannungsbremse. Auch Laurentis sechster Fall ist wieder ein großartiges Lesevergnügen. Heinichen hat aufs Neue bewiesen, dass ein Krimi-Autor auch als spannender Unterhalter ein idealer, genauer Beobachter gesellschaftspolitischer Konfliktzonen sein kann, der die meisten Soziologen und Politökonomen alt aussehen lässt.

Peter Münder

Veit Heinichen: Die Ruhe des Stärkeren. Roman. Wien: Zsolnay 2009. 317 Seiten. 19,90 Euro.