Geschrieben am 28. Februar 2015 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – woooosh, wooosh und woooosh!

Beil: Frank Rumpel (rum), Alf Mayer (AM), Thomas Wörtche (TW)
Chop: Thomas Raab: „Still“, Bill Browder „Red Notice. Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde“, Wolf Schneider: „Der Soldat. Eine Weltgeschichte von Helden, Opfern und Bestien. Ein Nachruf.“

Raab_Thomas_StillLängen und Schlaufen

(rum) In einem kleinen österreichischen Nest wird Karl Heidemann geboren, einer, der schon im Mutterleib an der lärmigen Welt krankte. Denn Karl hat ein sehr empfindliches Gehör, weshalb er seine Kindheit in einem gedämmten Kellerraum verbringt, nicht spricht, bleich bleibt und fett wird. Als er seiner Mutter beim Baden ausversehen aus den Händen gleitet, merkt er, dass die Welt unter Wasser ziemlich erträglich ist. Und als er Jahre später seine verzweifelte Mutter dabei beobachtet, wie sie sich im nahen Weiher das Leben nimmt, meint er, dass der Frieden, den er danach auf ihrem Gesicht zu erkennen glaubt, auch anderen gut stünde. Er wird zum Mörder, stellt einige in Jettenbrunn ruhig und meint es gar nicht böse, meint ihnen Gutes zu tun. Als Jugendlicher schließlich zieht er los, zieht eine blutige Spur, verliebt sich, taucht für einige Jahre bei Mönchen unter. Ihm auf den Fersen ist ein Kriminaler, den der Fall Karl Heidemann nicht mehr loslässt. Und dass die Reise mit Karls Tod endet, verrät Raab bereits im ersten Satz.

Bekannt wurde Thomas Raab ja mit seinen bisher sechs, eher heiteren Romanen um den nebenbei ermittelnden Möbelrestaurator Willibald Metzger. Über 250 000 Mal haben sich die Bücher bisher verkauft, einige der Geschichten wurden gerade verfilmt. Dennoch lässt Raab seinen Metzger nun erstmal pausieren – und widmet sich einem Serienkiller. Die Geschichte um Karl Heidemann hat der Wiener Autor üppig in Szene gesetzt und in einem altertümlich anmutenden Duktus geradlinig erzählt. Ganz nah ist er an seinem monströsen Protagonisten, auch wenn er auf Distanz zu ihm geht, ihn durch die Augen anderer betrachtet. Die Geschichte freilich ist nicht ganz neu. Es finden sich etliche literarische Anspielungen darin, allen voran auf Patrick Süskinds „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“. Und doch ist Raab mit seinem Roman auch im Ton etwas ganz eigenes gelungen. Nicht durchweg allerdings. Manche Passage ist ihm da etwas zu wortreich geraten, was zu ein paar Längen und Schlaufen führt. Und auch mit mancher Metapher schießt Raab übers Ziel hinaus. Dennoch erzählt er da auf eindringliche Weise eine eigenwillige, auch spannende, gelegentlich bizarre Geschichte, mit der sich Thomas Raab wahrlich was getraut hat.

Thomas Raab: Still. Chronik eines Mörders. Roman. München: Droemer Knaur 2015. 358 Seiten. 19,99 Euro. E-Book: 17,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage von Thomas Raab.

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Notice_Putin_P03.inddDie Rückseite des Rubels

(AM) Man glaubt es diesem Mann, diesem Vollblutkapitalisten, der mit dem 4,5 Milliarden Dollar schweren Hermitage Fonds einmal der größte ausländische Investor in Russland war, wenn er am Ende seines über 400-seitigen Buches einen ganz bestimmten Moment in seinem Leben als den schönsten bezeichnet. Es ist der, als das gesamte EU-Parlament sich vor der Witwe und den Kindern seines Freundes erhebt und dann einstimmig einen Sanktionsbeschluss fasst. Mehr als alles Geld, das er je errang, ein Vielfaches mehr wert als all seine finanziellen Erfolge ist ihm das Gefühl, dass das größte europäische Gesetzgebungsorgan die Ungerechtigkeit und die Gewalt, die seinem Freund Sergej Magnitski widerfahren ist, anerkennt, verurteilt und sanktioniert.

Bill Browders „Red Notice. Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde“ ist ein Buch, wie es nur die Wirklichkeit schreiben kann. Es der Stoff, aus dem die Thriller sind. Früher, als Russland noch hinter einem Eisernen Vorhang lag, diente der sozusagen als Leinwand eines großen Imaginationskinos. Thriller mit russischen Ingredienzien waren fast einfach zu stricken. Ich denke, es war Alexander Solschenizyn, dessen vielstimmige und vielschichte berichte aus dem System Gulag und die Schablonen nahmen. Martin Cruz Smith erzählte dann in seinen Arkadi-Renko-Romanen dazu AM) tiefenscharf von einer Gesellschaft, wie wir uns das als Erzählhaltung und -schärfe gern auch oft von Romanen aus unseren Breiten wünschen würden.

„William F. Browder - World Economic Forum Annual Meeting 2011“ von World Economic Forum from Cologny, Switzerland - William F. Browder - World Economic Forum Annual Meeting 2011. Lizenziert unter CC BY-SA 2.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:William_F._Browder_-_World_Economic_Forum_Annual_Meeting_2011.jpg#mediaviewer/File:William_F._Browder_-_World_Economic_Forum_Annual_Meeting_2011.jpg

William Browder (Foto: World Economic Forum/Wikimedia Commons 2.0)

Bill Browders „Red Notice“ ist ein Sachbuch, prall mit Wirklichkeit und aus einer Welt, zu der es wenig Zugang gibt. Sein Großvater Earl Browder war Vorsitzender der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA), kandidierte zweimal für die Präsidentschaft. Alle seine drei Söhne wurden Mathematiker, Enkel Bill ein Kapitalist, der 1996 mit 25 Millionen Dollar Risikokapital nach Moskau kam und in die im buchstäblichen Sinne neuen Märkte investierte. Es waren die Jahre der Oligarchen. Wer im richtigen Boot saß, wurde sehr, sehr reich. Man durfte nur Putin und seinem System nicht in die Quere kommen. Das traf auch Michail Chodorkowski, einst der reichste Mann Russland (dazu auf CM) Als Browders Anwalt Sergej Magnitski gegen Großbetrügereien protestierte, wurde er unter fadenscheinigen Vorwänden inhaftiert, gefoltert und gequält, schließlich im Gefängnis erschlagen. Eine grauenhafte Geschichte. Weil Bill Browder in der Sache Magnitski hartnäckig bleibt, wurde er zum Staatsfeind. Aus dem Kapitalisten wurde ein Menschenrechtsaktivist. Geld ist nicht alles.

PS: Die verstörende Ermordung des Putin-Kritikers Nemzow direkt am Kreml kommt wie eine tragische Aktualisierung dessen, was in Russland abgeht. Diesen Mord als „Provokation“ zu bezeichnen, wie Putin es tat, braucht es wahrlich eine ganz besondere Sichtweise. Provokateure ermorden sich gegenseitig, um den Putin-Staat zu desavouieren?

Bill Browder: Red Notice. Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde (Red Notice. How I Became Putin’s No. 1 Enemy 2014). Deutsch von Hans Freundl und Sigrid Schmid. München: Carl Hanser Verlag 2015. 410 Seiten, 21,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zu Bill Browder & Sergej Magnitski.

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Schneider_Wolf_Der_SoldatHomo sapiens, die alte Schweinebacke

(TW) Kriminalliteratur beschäftigt sich (meistens) mit Töten und Gewalt, sie denkt darüber nach, was Menschen Menschen warum antun. Eine Berufsgruppe bleibt dabei meistens ausgeschlossen – die Soldaten im „aktiven Dienst“. Denn die haben schließlich ein eigenes Terrain, auf dem sie hauptberuflich töten und Gewalt ausüben. Zum Gegenstand von Kriminalliteratur werden sie, wenn sie Ex-Soldaten sind, und ihrem Töten und Gewaltausüben in der „Zivilgesellschaft“ ausüben. Und natürlich gibt es – jeweils davon abhängig, wer die Definitionsmacht hat und alle auch historisch schon immer unabhängig vom jeweiligen Label unterwegs – eine große graue Schnittmengen: Terrorist, Partisan, Freibeuter, Warlord usw.

Wolf Schneiders Groß-Essay ist nicht deswegen interessant, weil er eine wissenschaftlich abgesicherte Geschichte „des Soldaten“ erzählen würde, was in der Tat auch nicht der Fall ist. Genauso zu vernachlässigen ist die geschichtsphilosophische Implikation, die in dem Wort „Nachruf“ steckt, denn ich fürchte, der universal soldier gehört zur Grundausstattung komplexer Gesellschaften. Interessant und elegant aufgeschrieben sind die Aspekte, die untersuchen, warum Töten und Gewalt – egal, auf welchem Organisationslevel – anscheinend so attraktive Beschäftigungen sind. Stichworte: Blutrausch, Macht, Verführung, Männlichkeit, Atavismus, Ruhm, Ehre, Rache, Vernichtungswille und so weiter. Diese Punkte finden wir bei Schneiders Durchgang durch ein paar tausend Jahre bluttriefender Geschichte immer wieder betrachtet, hin und her gewendet, in verschiedene historische und soziale Kontexte gesetzt und auf generelle Dispositionen heruntergebrochen. Ein Buch voller Fragen, und glücklicherweise ohne allzu selbstgewisse Antworten. Homo sapiens, die alte Schweinebacke kommt als Spezies nicht so dolle weg, aber warum sie so ist, wie sie ist, das möchten wir doch alle herausfinden. Sehr anregend, das Buch, und keinesfalls auf Konsens angelegt.

Wolf Schneider: Der Soldat. Eine Weltgeschichte von Helden, Opfern und Bestien. Ein Nachruf. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2014. 543 Seiten. 24,95 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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