Tödliche Bach-Begeisterung
– Sebastian Knauer beschreibt in seinem Musik-Krimi „Tödliche Kantaten“, wie das Faible eines amerikanischen Milliardärs für JSB zur Manie mutiert und bei der Jagd auf verschollene Partituren andere Bach-Enthusiasten auf der Strecke bleiben. Von Peter Münder.
Als Hausmeister Didi Heinzmann in der Leipziger Thomaskirche unter Johann Sebastian Bachs Grabplatte eine versteckte Blechkassette mit dem Notenblatt einer verschollenen Kantate und diversen Negativen weiterer Bach-Noten findet, weiß er nicht recht, was er mit seinem Fund anfangen soll. Dann bringen ihn seine Recherchen mit dem Hamburger Privatdetektiv Pit Koch in Kontakt und plötzlich sind wir mitten drin in einem veritablen Krimi-Szenario, in dem der amerikanische Milliardär und Bach-Maniac Napoleon Newman im Mittelpunkt steht. Der möchte nämlich die Rolle eines Barock-Fürsten und Mäzens spielen: Er beschafft sich mit mehr oder weniger legalen Mitteln verschollene Bach-Noten und führt mit seinem kleinen Orchester-Ensemble hochkarätiger Musiker in seiner Villa am Pazifik diese Stücke unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf. So kann sich der Egomane einbilden, dem großen Komponisten doch zur ultimativen Uraufführung vor dem einen und einzigen puristischen Musik-Kenner verholfen zu haben und das Kunstwerk vor dem Zugriff einer schnöden Klientel dilettierender Dumpfbacken zu bewahren. Als Newman bei einem Hamburg-Besuch die Bratschistin Magdalena Lafayette in seine kalifornische Villa zu einem dieser ungewöhnlichen Konzerte ohne Publikum einlädt, wo sie dann ein absolut seltenes und kostbares Instrument spielen darf, bekommt die Musikerin Einblick in die unschöne Praxis des Schöngeistes Newman: Der lässt nämlich jeden skrupellos beseitigen, der Details über diesen elitären Bach-Zirkel ausplaudert.
Über Leichen gehen …
Bei ihrer ersten Begegnung mit Newman hatte Magdalena ihn noch ahnungslos gefragt, ob er etwa einer dieser verschrobenen Bach-Liebhaber sei, „die für eine selten gespielte Toccata über Leichen gehen“ würden – da konnte sie allerdings nicht ahnen, dass Newman genau solch ein Prototyp manischer Sammler und Jäger ist, die mit egomanischer Besessenheit ihren verehrten Meister ganz allein für sich beanspruchen und anderen jedes Kunstverständnis absprechen.
Da die Schauplätze zwischen Hamburg, London, Leipzig und Kalifornien wechseln und Detektiv Pit Koch gut zu tun hat, um die Besitzer verschollener Kantaten ausfindig zu machen und zwei dubiose Todesfälle aufzuklären, während er sich auch noch um seine neue Freundin Natascha, eine begnadete IT-Spezialistin, kümmern muss, könnte man vermuten, dass Sebastian Knauer hier mit viel effekthaschendem Budenzauber zu Werke geht, um den Leser für diesen Musik-Krimi zu begeistern.
http://www.youtube.com/watch?v=qGO0wbRdI4Y
Doch der ehemalige „Stern“- und „Spiegel“- Redakteur Knauer, 62, – er hatte 1987 als „Stern“-Reporter den toten Ministerpräsidenten Barschel in der Badewanne des Genfer Hotels „Beau Rivage“ gefunden und ist nicht zu verwechseln mit dem bekannten gleichnamigen Pianisten! – geht hier ganz routiniert und überzeugend vor. Den spannenden Plot um den skrupellosen amerikanischen Bach-Fan unterbricht er gelegentlich mit kurzen Beschreibungen einiger Bach- Episoden, um die Hintergründe der Entstehungsgeschichte wichtiger Musikstücke zu beleuchten. So taucht der Leser nicht nur ein in diese turbulente Epoche und bekommt Einblick in die damalige Praxis Hamburger Pfeffersäcke, ihre Kantoren und Organisten für eine Festanstellung ordentlich zur Kasse zu bitten – woran ja Bachs Versuch scheiterte, 1720 in Hamburg als Organist an St. Jacobi eine Stelle zu ergattern. Die geforderten 4000 Mark Courant hatte er jedenfalls nicht aufbringen können.
Die fanatische Fixierung des amerikanischen Medien-Tycoons auf die längst vergangene Bach-Epoche, dieses Psychogramm eines Gespaltenen, kann Sebastian Knauer wohl auch deswegen so plausibel und faszinierend entwickeln, weil er selbst Bach-Liebhaber- und Kenner ist und sich in der Hamburger „Stiftung Johann Sebastian“ stark für das Projekt „Eine Orgel in St. Katharinen“ engagiert. Man spürt seine Bach-Begeisterung aber auch an der Detailfreude, mit der er etwa den Hof in Köthen beschreibt oder die Turbulenzen umreißt, in die eine Entdeckung verschollener Partituren die Musikwelt stürzt. Das sind vielleicht nur hübsche Accessoirs für Bach-Puristen; die Krimi-Fans können sich aber auch getrost auf rasante Action, flotte Dialoge sowie glaubwürdig dargestellte, dreidimensionale Protagonisten freuen, zu denen vor allem auch der Mann mit dem flaschengrünen Jaguar gehört – der Schnüffler Pit Koch ist jedenfalls ein sympathischer, bodenständiger Typ, den man in weiteren Krimis gern wieder in Aktion sehen möchte.
Peter Münder
Sebastian Knauer: Tödliche Kantaten. Ein Musikkrimi. Roman. Hamburg: Ellert & Richter 2011. 192 Seiten. 8,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage des Autors.