Geschrieben am 14. März 2012 von für Bücher, Musikmag

Ry Cooder: In den Straßen von Los Angeles

Vignetten aus dem Land der besseren Zukunft, teils improvisiert

– Ry Cooder feiert am 15. März seinen 65. Geburtstag. Wer nicht zur Party eingeladen wurde, hat trotzdem Grund zum Feiern, denn gerade ist seine Story-Collection „In den Straßen von Los Angeles” erschienen, übersetzt von Franz Dobler. Von Matthias Penzel

Irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Amerika diesen Slogan: Wer nichts ist und was werden will, der gehe nach Los Angeles – denn da wird man zum Star! Ry Cooder ging nicht hin, er wurde dort geboren. Also zwischen lauter Leuten, die Glamour und Glitzer wollten, zwangsläufig in der Gosse nach Silber kratzten. Wir kennen die Endstation der Sehnsüchte am westlichen Ende der westlichen Welt vom Hörensagen, wir kennen sie von John Fante, „The Road to Los Angeles“ von dessen alter ego Arturo Bandini, auch von Raymond Chandler, etwas garstiger und blutvoller ist sie uns vertraut von James Ellroy, Edward Bunker. Ry Cooder, dessen Slide-Gitarre Sister Morphinevon den Rolling Stones veredelt hat, der sich für Tex-Mex, Buena Vista Social Club und andere „Weltmusiken“ engagiert hat, kennt den Boulevard der angeknacksten Träume. Besser als wir. Schon als Kid streifte er durch Fantes Bunker Hill, und so wie er Gitarre spielt, so erzählt er auch in Worten auf andere Weise von dem Moloch L.A., der „Stadt der Spießer“.

In Wim Wenders’ „Paris, Texas“ – in den Ohren vieler, unter anderem Nirvanas Dave Grohl, der beste Soundtrack überhaupt – gibt es diese Stelle, wo der gestrandete und aus dem Nirgendwo zurückgekehrte Typ zur Mutter seines Kinds geht. Sie (Nastassja Kinski) kämpft in einem Stripper-Lokal ums Überleben, und er sitzt hinter der Glasscheibe, beobachtet sie, nimmt den Hörer, um mit ihr zu sprechen, räuspert sich und erzählt seine, ihre Geschichte. Abgefahrener als jedes Hörspiel, der Text durch und durch Sam Shepard, und kaum merkbar die Musik eben von Ry Cooder. Mann der Zwischentöne. Kaum merkbar sein Einstieg, reingeschlichen durch die Hintertür, die ganze Dramaturgie so gar nicht Hollywood.

Das also ist die Hoffnung, vermischt aber auch mit etwas Angst: dass Ry es in seinen Erzählungen gelingt, diesen Existenzialismus einzufangen, diese von Wohnwagensiedlungen und Absteigen verdunkelte Romantik. Angst: ja, weil immer, bei Wenders eben, haarscharf an Sentimentalität, dem Verrutschen von „Buena Vista Social Club“ in die Friseursalons der Vorstädte. Nicht verwerflich, klar, und aber… Wenn die großen Gesten größer sind als das, was dahintersteckt?

Aber: Weder noch. So wie Cooder nach etlichen Gastspielen und Soloalben und Soundtracks musikalisch nicht festzunageln ist, genauso wäre es eh zu simpel, zu sagen, er schreibt wie er spielt. Treffender wäre vielleicht: er schreibt, was er spielt. Action im Million Dollar-Kino am Broadway, Tex-Mex, das wüste, oft unverdaute Nebeneinander der normalen kleinen Zwischentöne, der Hingabe und Liebe zur Musik. In L.A., oft abseits von Mord und Totschlag. So wie in „Sister Morphine“ manchmal kalt und fies, unbarmherzig und verzweifelt wie die als untreue Morphium-Schwester verkleidete Marianne Faithfull. Zur Hölle ist es nur einen Schritt weit, knapp am Hintereingang vorbei.

Foto: Dani CantoDer Groove stimmt

Was es Cooder angetan hat, der ja auch als Musiker vornehmlich abseits der Trampelpfade des Mainstream unterwegs ist, sind die kleinen Leute. Streuner und Auto-Mechaniker, der wegen Trinkerei geschasste Straßenbahnschaffner, herangeschlendert eine rätselhafte Schönheit, gestrandet, dann der kleine Schneider, ein Liftboy und der Zahntechniker mit in Japan zerschossenen Beinen, Frisöre; und deren Träume von der eigenen Hotdog-Bude, einem Batzen Geld, einer Bigsby Steelguitar, Geschlechtsumwandlung und auch immer wieder von Mariachi, Jive, Calypso, Blues. Also trotz allem schon ziemlich L.A., „Land der besseren Zukunft“.

Es gibt auch ein paar nette Komparsen, der unsagbar coole John Lee Hooker weiß, dass er bald ne große Nummer wird, wenn vielleicht auch nicht „auf der Hauptstraße der Langweiler“. Charlie Parker kommt vor, die „Schwarze Dahlie“ wird erwähnt… Sehr cool, ziemlich L.A. Nur eben weitab von dem, woran man als erstes denkt.

So richtig in Fahrt kommen die Stories – leider? – erst ab dem dritten oder vierten Take: Bei „Töten Sie mich, bitte“ (warum nicht, wie im Original „por favor“?) gibt ein Drummer den Takt an, Rednecks und Mafiosi kreuzen auf, und wenn der Drummer da für ein paar Riesen im Buick durch die Nacht rast, im Angesicht der Cops locker bleibt: kann man nicht mehr aufhören. Jetzt gibt es auch Leichen, die Plots sind entweder verworren wie in „The Big Sleep“, „Chinatown“ oder vielleicht auch geschludert, aber der Groove stimmt. Die restlichen der acht Erzählungen sind – jede für sich – Knaller.

Die Idee zu „In den Straßen von Los Angeles“, diesen Vignetten im Halbdunkel der Jahre 1940 bis 1958, kam Ry Cooder 2008 bei den Aufnahmen zu „I, Flathead“, dem Abschluss seiner „California Trilogy“, nach „El Chavez Ravine“ 2005 und „My Name Is Buddy“ von 2007.

Herzlichen Glückwunsch. Auch wenn er nicht auf der Party reinschneit, können wir wenigstens lesen von dem Eindringling in das fröhliche Treiben 1952, zu dem Cooder schreibt: „Seine Stimme war tief und bedrohlich und schien in seinem schmalen Körper nicht genug Platz zu haben; aber sein Gesicht war sanft, und seine Augen, die hinter den schmalen Schlitzen kaum zu erkennen waren, schienen amüsiert“ … Tusch, enter, hoch die Tassen auch für den Mann, zu dem Ry Cooder einen Song erträumte. Er heißt „John Lee Hooker For President“.

Matthias Penzel

Ry Cooder: In den Straßen von Los Angeles. Aus dem Amerikanischen von Franz Dobler. Berlin: Edition Tiamat 2012. 18,00 Euro. Foto: Dani Canto

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