Geschrieben am 15. Februar 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand

Schorlau 8Beunruhigende Fiktionalisierung

– „Finden und erfinden“ überschreibt der Stuttgarter Autor Wolfgang Schorlau sein Arbeitsprinzip, mit dem er sich stets gesellschaftlich brisanten Themen widmet, etwa der kriminellen Energie in der Pharma- und Fleischindustrie. In seinem achten Kriminalroman nimmt er sich nun den „Nationalsozialistischen Untergrund“ vor, dem zehn Morde,  zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle zugeschrieben werden. Dabei geht es auch um die lückenhaften Ermittlungen der Behörden und deren Glaubwürdigkeit. Von Frank Rumpel

Der Roman verkaufte sich seit Erscheinen über 150 000 Mal. Es mag daran liegen, dass der Prozess gegen Beate Zschäpe, das einzig verbliebene Mitglied des NSU, noch läuft, aber wohl auch daran, dass die Sachlage immer noch unübersichtlich ist, obwohl sich bereits mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse und einige Journalisten mit den Verbrechen des NSU beschäftigt haben. Und ein Kriminalroman mag das Versprechen beinhalten, die Fakten in einem unterhaltsamen Rahmen zu präsentieren, zumal Wolfgang Schorlau dafür bekannt ist, bei seinen Recherchen tief und gründlich zu graben. „Die Fakten“, sagt er, „müssen stimmen.“

Und diese Fakten nimmt sich Wolfgang Schorlaus Protagonist vor, der ehemalige BKA-Zielfahnder und Stuttgarter Privatdetektiv Georg Dengler. Ein anonymer, gut zahlender Auftraggeber engagiert ihn, erneut die Umstände zu untersuchen, unter denen Zschäpes Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 2011 ums Leben gekommen waren. Die beiden wurden tot in einem brennenden Wohnmobil in Eisenach gefunden. Dengler ist von dem Auftrag zunächst wenig begeistert, schließlich liegen die Fakten für den Fall seit langem offen. Erste Ungereimtheiten veranlassen ihn, genauer nachzuforschen. Er besorgt sich interne Protokolle und Gutachten, recherchiert einiges selbst nach und kommt allmählich zu dem Schluss, dass Mundlos und Böhnhardt sich nicht selbst erschossen haben konnten. Eine dritte Person musste vor Ort gewesen sein. Anschließend hielt sich die Polizei nicht allzu lange mit der Spurensicherung auf. Und Dengler ahnt allmählich, wie tief auch der Thüringer Verfassungsschutz in die rechte Szene verstrickt sein muss.

Wichtiger Anhang – und noch viele Fragen

Ganz egal, wo man beim NSU-Komplex hingreife, eröffne sich eine zweite Sicht, sagte Schorlau in einem Interview. Das ist schwieriges Terrain, weil hinter jeder Ecke der Vorwurf lauert, da habe ein Verschwörungstheoretiker seinen Spaß gehabt. Das liegt bei diesem Thema, bei dem es eben auch um die Arbeit deutscher und US-amerikanischer Geheimdienste geht, besonders nahe. Umso wichtiger ist deshalb der Anhang, in dem Schorlau die Fundstellen aus Gutachten, Protokollen und Zeugenaussagen auflistet, Tatortfotos zeigt und Ergebnisse eigener Recherchen benennt. Mit den Fragen, die er zu diesem Material stellt, kommt er zu einigen Antworten, die nicht durchweg neu, aber durchaus realitätstauglich sind. Vergangenes Jahr wurde er als Sachverständiger vor den NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart geladen.

Der 64-jährige Schorlau, der zunächst in der IT-Branche arbeitete, bevor er mit 52 Jahren seinen ersten Kriminalroman veröffentlichte, baut seine Geschichten stets um den jeweiligen Stoff herum, macht daraus mit belegten Fakten unterfütterte Fiktion. Allerdings ist Schorlau ein etwas spröder Erzähler, dem man nicht jede Wendung, jede Figur so ohne Weiteres abnimmt. Manche Szene wirkt da etwas hölzern und dennoch funktioniert diese Geschichte gut, in der Schorlau den noch lange nicht abgeschlossenen NSU-Komplex einem breiten Publikum nachvollziehbar und spannend erschließt. Ihm ist da eine beunruhigende, fiktionale Ermittlung gelungen.

Frank Rumpel

Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 382 Seiten, 14,99 Euro.

Tags : , , , , ,